25

An diesem Morgen war Sam schon früh bei Stargazey, um mit Stefan Vorbereitungen fürs Wochenende zu treffen. Für den Verkauf hatten sie eine Aushilfe eingestellt, da Sam natürlich während des Festivals keine Zeit hatte. Mittags machte Sam eine Pause, erledigte einige Anrufe und überprüfte die Fortschritte beim Kochzeltaufbau. Hämmern und Klappern und dröhnende Radiomusik waren weithin zu hören. Die Sitzreihen standen schon, und Techniker bauten die Bühne auf, zum Teil mit nacktem Oberkörper unter ihren Warnwesten. Die Sonne war so warm, dass die Arbeiter mächtig ins Schwitzen kamen, und Sam konnte sich gar nicht vorstellen, dass für abends starker Wind gemeldet war.

Der Stargazey-Wagen sah mit der neuen Lackierung besser aus als vorher. Die Versicherung war für die Kosten aufgekommen, und die Lackierer hatten tolle Arbeit geleistet. Sam hatte insgeheim gefürchtet, das Phantom könne erneut zuschlagen, aber man konnte den Wagen nur vor der Backstube abstellen, da half also nur Daumendrücken. Bei den polizeilichen Ermittlungen hatte sich nichts ergeben, und Sam hatte sich damit abgefunden, dass man den Schuldigen niemals finden würde.

Gabe hatte sie seit der Party kaum zu Gesicht bekommen, weil er die letzten Tage in London verbracht hatte. Sam gestand sich nur ungern ein, dass er ihr fehlte. Und obwohl die Streitigkeiten wegen Ryan wohl beigelegt waren, hatte Sam jetzt eine neue Sorge. Gabe hatte deutlich durchblicken lassen, dass er wieder mit ihr zusammen sein wollte – aber wie sollte das gehen? Er könnte nur einen Teil seiner Zeit hier verbringen. Doch die räumliche Distanz bereitete Sam weniger Probleme als die Unterschiedlichkeit ihrer Lebensweise. Gabe war den Trubel und Glamour von London und seine vielen Fans gewöhnt und genoss das alles vielleicht mehr, als er zugab. Sam dagegen führte ein ruhiges Leben in einem kleinen Ort, der wohl ohnehin zu beengend gewesen wäre für Gabe, auch ohne das Zerwürfnis wegen Ryan.

Sam wollte gerade in die Backstube zurückgehen, als sie sah, wie Gabe sich vom Net Loft entfernte. Ob er es wohl tatsächlich angemietet hatte? Sie konnte sich einfach nicht entscheiden, ob sie nun wollte, dass er sich in Porthmellow ansiedelte, oder nicht. Ihr Herz sagte etwas anderes als ihr Verstand. Lediglich die Aussage ihres Körpers war mehr als eindeutig. Mit seinen coolen Shorts und einem sexy Leinenhemd sah Gabe so heiß aus, als könne er den Hafen in Brand stecken.

Er winkte ihr zu, kam angeschlendert und bestaunte die entstehende Bühne.

»Wow. Das ist ja mal was«, sagte er beeindruckt.

Sam lächelte. »Nicht wahr?«

»Ich hab ja schon oft auf Festivals gekocht. Aber so was in Porthmellow zu erleben, ist schon der Hammer. Fühlt sich bestimmt gut an zu beobachten, wie alles entsteht, oder?«

»Ich tendiere eher zur Angst«, gestand Sam. »Obwohl ich es schon so oft gemacht habe, bekomme ich immer Panik bei der Vorstellung, was hier alles über den Ort hereinbricht. Das Wetter soll stürmisch werden, und so vieles andere könnte schieflaufen …«

»Ich bin ganz sicher, dass du allen Herausforderungen gewachsen bist.«

Sam lief ein angenehmer Schauer über den Rücken. Heute war sie nicht angeschickert, sondern stocknüchtern, aber sie musste sich eingestehen, dass Gabe dennoch dieselbe Wirkung auf sie hatte wie am Abend der Party.

»Ich fürchte immer, dass ich irgendwas übersehen habe. Oder dass etwas passiert, das so heftig ist, dass ich nicht damit umgehen kann. Das macht mich schon nervös.«

»Was könnte denn im schläfrigen Porthmellow jemals schiefgehen?«, erwiderte Gabe. Das war scherzhaft gemeint, aber sein Unterton war ernst, und er warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu.

Sam konnte sich jederzeit in Gabes dunkelbraunen Augen verlieren, und das passierte ihr auch jetzt.

»Weiß nicht«, murmelte sie. War das eine Anspielung auf die Vergangenheit?

Jetzt schaute er wieder nach vorne zur Bühne. »Ich habe über die Zeit nach dem Festival nachgedacht«, sagte er leichthin.

»Ach so?« Ihr Herz schlug einen Trommelwirbel.

»Ich war in London, um die Planung für das Net Loft abzuschließen. Gerade hatte ich einen Termin mit der Maklerin und habe mir alles noch mal angesehen. Der Vertrag ist unterschrieben, und ich hab auch schon einen Chefkoch verpflichtet.«

Sam betrachtete ihn forschend. »Du eröffnest also das Restaurant … aber übernimmst es nicht selbst?«

»Ich bin leider zu beschäftigt mit anderen Teilen meines Unternehmens, aber ich werde häufig vor Ort sein, vor allem am Anfang.«

Er zog also nicht nach Porthmellow. Sam verfluchte sich selbst. Vor einem Monat hatte sie noch gehofft, er würde wieder verschwinden, jetzt war sie enttäuscht, weil er nicht blieb.

»Verstehe. Du musst wirklich stark eingebunden sein. Es hätte mir klar sein müssen, dass du es nicht selbst betreiben kannst.«

»Ich muss auch erst mal abwarten, wie es läuft, weißt du …« Er verstummte und sah sie an. »Sam?«

Sie nickte nur. Ihr fehlten die Worte, um zu beschreiben, wie sie sich fühlte. Hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl, mit ihm zusammen sein zu wollen und möglichst weit entfernt von ihm. Letztlich war das Verzeihen nicht vollendet und die große Frage in Bezug auf Ryan noch immer unbeantwortet.

Ein Arbeiter ließ mit lautem Knall einen Vorschlaghammer fallen, und sie zuckten beide erschrocken zusammen.

»Ich muss zurück zu Stargazey«, sagte Sam schließlich. »Wir müssen noch Tonnen von Pies fürs Festival backen. Stefan und eine Aushilfe aus dem Dorf verkaufen am Wochenende, aber das Backen kann ich nicht ihm allein überlassen.«

Bevor Gabe etwas erwidern konnte, klingelte Sams Handy. »Entschuldige, ich muss rangehen. Hallo, Chloe? Alles okay?«

Sam hörte zu, und Gabe sah sie besorgt an, als klar wurde, dass es Probleme gab.

»Okay, okay. Ja, ganz klar musst du hinfahren. Familie geht immer vor … mach dir keine Sorgen, wir kriegen hier alles auf die Reihe. Meld dich einfach, sobald du kannst. Viel Glück. Ich hoffe, alles wird gut.«

Nachdem Sam das Handy eingesteckt hatte, stieß sie einen tiefen Seufzer aus. Ihr Leben war gerade noch etwas komplizierter geworden.

»Das klang gar nicht gut«, sagte Gabe. »Was ist los?«

»Offenbar hat der Partner von Chloes Tochter sie mit dem Kind sitzen lassen. Jetzt macht Chloe sich natürlich furchtbar Sorgen und will nach Bristol fahren.«

»Ach herrje. Kein gutes Timing.«

»Für so was gibt’s kein gutes Timing. Chloes Ex-Mann ist gerade im Ausland, und sie hat jetzt beschlossen, unangekündigt dort aufzutauchen.«

Gabe sog scharf die Luft ein. »Könnte riskant sein, aber ich kann’s verstehen. Wann fährt sie?«

»Jetzt«, antwortete Sam und ging in Gedanken bereits Chloes Aufgaben durch. »Drew begleitet sie.«

»Das heißt, dir fehlen zwei Leute aus deinem Team?«

Sam zwang sich zu einem Lächeln. »Sieht so aus, ja. Aber irgendwie wird’s schon gehen.« Die beiden hatten schon andere gebeten, für sie einzuspringen, aber so kurzfristig klappte das natürlich nicht. Sam war völlig geschockt. Wie sollte sie zugleich für Drew und für Chloe einspringen und die Vorräte für Stargazey aufstocken? Jetzt war es endgültig so weit: Sie hatte sich übernommen. Und zum allerersten Mal lauerte die Panik nicht nur, sondern sie schlug zu. Das war einfach zu viel …

»Kann ich dir helfen?«, fragte Gabe.

»Du?« Sam sah ihn skeptisch an.

»Organisatorisches kann ich dir wahrscheinlich nicht abnehmen«, sagte Gabe, »aber ich könnte vielleicht kleinere Sachen erledigen, damit du dich um die großen kümmern kannst.«

»Danke für das Angebot, aber ich wüsste gar nicht, was du tun könntest …« Sam überlegte. »Du bist schließlich unser Headliner. Ein paar Besorgungen vielleicht, und du könntest dich um die anderen Köche kümmern … wenn es dir nichts ausmacht …«

Gabe strich ihr sachte über den Arm. »Das würde mir überhaupt nichts ausmachen. Aber ich hab noch eine andere Idee.«

»Ich bin dankbar für jede Idee, mein Hirn kriegt gerade die Krise.«

»Die ganzen Pies, die noch gebacken werden müssen. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich Hobbykoch bin? Wenn du einen Küchenjungen brauchst, steh ich gerne zur Verfügung.«

Sam starrte ihn mit offenem Mund an. »Das meinst du nicht ernst, oder?«

Er grinste. »Die Sache mit dem Hobbykoch?«

Sie war zu durcheinander, um zu witzeln. »Nein, natürlich das Angebot … ich meine … hast du überhaupt Zeit?«

»Eigentlich nicht, und meine Assistentin dreht auch bald durch, aber ich habe die Tage bis nächste Woche geblockt. Während ich deine Pies backe, kannst du dich aufs Festival konzentrieren.«

»Ich … ich meine, glaubst du, du kommst da klar? Wäre es okay für dich, Stefans Anweisungen zu befolgen?«

»Na sicher. Ich lerne gern etwas Neues. Und mein Gesundheitszeugnis hab ich auch dabei.«

Sam lachte lauthals. »Das ist eine enorme Erleichterung, aber … Oh, mein Gott, Stefan kriegt bestimmt Zustände, wenn du als sein Küchengehilfe bei Stargazey auftauchst.«

Gabe rieb sich die Hände. »Klingt lustig.«

»Das ist ganz großes Kino, so viel steht fest.« Sam verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Gabe streng an. »Danke. Das ist vermutlich die irrste Entscheidung, die ich je für das Festival getroffen habe. Aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Also, holen Sie Ihre Schürze, Mr Mathias, und dann Augen zu und durch.«