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»Sam? Bist du das?«
Mist. Sam hatte gehofft, sich unbemerkt ins Haus schleichen zu können, aber Zennor hatte sie gehört.
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Als Gabe und Sam ihr Verlangen endlich gestillt hatten, war der Himmel schon hell geworden.
Sie spähte in Zennors Zimmer. »Wir haben uns nicht rumgetrieben, sondern ich habe bei Gabe heiße Schokolade getrunken, und wir haben lange geredet, und … ähm …«
Zennor zog die Einhornkapuze ihres Jumpsuits hoch und hielt sich die Ohren zu. »Stopp, ich will nichts mehr hören … du willst ja wahrscheinlich kein Frühstück, wenn du schon bei Gabe was hattest …«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich gefrühstückt habe«, erwiderte Sam behutsam. »Ich setze Wasser auf.«
Harry und Gareth waren auch schon munter und inspizierten ihr Gehege so ausgiebig, als sähen sie es zum ersten Mal.
Als Zennor nach unten kam, nahm sie Gareth heraus und streichelte ihn.
»Bist du böse auf mich, weil ich bei Gabe übernachtet habe?«, fragte Sam.
»Willst du das überhaupt wissen?« Zennor küsste Gareth auf den Kopf.
»Natürlich will ich das. Aber ich habe Gabe nicht darum gebeten, dass er nach Porthmellow zurückkehrt oder am Festival teilnimmt. Und es war auch nicht geplant, dass wir wieder was anfangen.«
»Nicht dein Ernst, oder? Beim letzten Mal warst du am Boden zerstört. Ich war noch jung, aber ich habe trotzdem gemerkt, wie schlecht es dir ging. Und ich war selbst so verletzt. Wie konnte er uns das nur antun? Nein, Samphire, ich bin nicht böse auf dich, aber ich mache mir Sorgen. Ich kann nur hoffen, dass du weißt, was du tust. Weil ich dich nicht noch einmal so leiden sehen möchte.«
In Zennors Augen schien ein Feuer zu lodern. Im frühen Morgenlicht kam es Sam einen Moment lang so vor, als sei ihre Mutter wieder auferstanden. Seit wann war Zennor ihr so ähnlich?
Sam hatte einen Kloß im Hals, und ihre Stimme klang krächzend. »Das hätte Mum auch gesagt.«
»Ja, und sie hätte recht gehabt. Bedeutet das jetzt, dass du Gabe verziehen hast? Falls ja, muss ich das jedenfalls noch lange nicht tun.«
»Das erwarte ich auch nicht von dir«, erwiderte Sam. »Ich weiß auch nicht, wie es jetzt weitergehen soll … es ist jedenfalls sehr kompliziert.« Es war ihr gelungen, den Gabe, den sie früher geliebt hatte und zu dem sie sich jetzt seelisch und körperlich hingezogen fühlte, von jenem Gabe zu unterscheiden, der ihrer Familie Leid zugefügt hatte. Sam hatte begonnen zu begreifen, warum er so gehandelt hatte. Gestern Nacht war ihr das klug und reif erschienen, aber jetzt war sie nicht mehr so sicher. Hatte sie sich alles nur eingeredet, damit sie mit ihm Sex haben und ihre egoistischen Bedürfnisse befriedigen konnte?
»Samphire?« Zennor benutzte sonst nie ihren vollständigen Namen, und Sam wusste, dass ihre Schwester jetzt eine Absicherung und Trost verlangte. Sie wollte eine Bestätigung, dass Sam sie nicht verlassen würde, wie Roz und Ryan es getan hatten. Zennor war zwar offiziell erwachsen, zugleich aber auch noch die kleine Schwester, die Zuspruch und Unterstützung brauchte. Sam fiel auf, dass sie beide sich gegenseitig bemutterten.
»Irgendwann kommt der Punkt, an dem man nach vorne blicken und sich verändern muss«, sagte sie. »Das Leben ist nun mal nicht perfekt. Jetzt schau mich nicht so an, als würde ich Harry und Gareth zum Abendessen servieren wollen.«
Zennor keuchte entsetzt. »Halt dir bloß die Ohren zu, Gareth«, sagte sie zu dem Meerschweinchen und setzte es in sein Gehege zurück. Gareth schoss sofort in sein Häuschen und spähte vorwurfsvoll daraus hervor. »Das ist überhaupt nicht witzig. Ich hab dich lieb, Sam. Wir sind zurechtgekommen. Du hast hart gearbeitet, um dir etwas aufzubauen, und ich möchte nicht, dass Gabe Mathias das alles wieder zerstört.«
»Ja, meine Firma läuft, aber mein Privatleben … ich war einsam, Zen. Es fällt mir nicht leicht, das zuzugeben. Aber ich habe die Liebe sehr vermisst.«
Zennor fiel ihr um den Hals. »Sag doch so was nicht.«
»Es ist aber die Wahrheit. Ich habe versucht, das zu verbergen. Nach Gabes Rückkehr habe ich versucht, mich selbst, ihn und dich davon zu überzeugen, dass er mir nichts bedeutet. Doch das war eine Lüge, mit der ich nur versucht habe, meine Familie und mich selbst zu schützen.«
»Ich wusste das schon. Sogar Ben hat es gemerkt.« Zennor zögerte. »Also, was ist jetzt mit dir und Gabe? Seid ihr wieder zusammen? Wollt ihr es öffentlich machen?«
»Nein! Weder noch! Dafür sind wir überhaupt noch nicht bereit. Du lieber Gott, ich hab doch selbst noch gar keine Ahnung, was ich empfinde. Und wie es ihm mit alldem geht. Vielleicht bleibt es auch bei der einen Nacht.«
Zennor schnaubte. »Das glaubst du ja wohl selbst nicht. Schau dich doch nur an.«
Sam lachte. »Fix und fertig.«
»Nein, glücklich. Du leuchtest regelrecht vor Glück.«
Sam schüttelte peinlich berührt den Kopf. »Quatsch.«
»Ich bin doch nicht blind«, murmelte Zennor aufgebracht.
Sams Handy piepte. Eine Nachricht von Gabe? Nein. Chloe schrieb in der WhatsApp-Gruppe:
Steht das Festzelt noch? War nachts auf wegen Ruby und hab Lichter auf dem Feld gesehen. Alles okay?
Alles okay, sprechen später, schrieb Sam zurück.
Dann umarmte sie Zennor. »Was ich jetzt brauche, sind eine Dusche, frische Klamotten, Frühstück und die Energie, mich mit einer Stunde Schlaf in den Tag zu stürzen. Und du musst auch in die Hufe kommen. In den nächsten achtundvierzig Stunden spielen mein Liebesleben und unsere Familiengeschichte keine Rolle. Wir haben ein Festival zu stemmen.«