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Haphemanie

Das überwältigende Verlangen, Dinge zu berühren(1) – als Haphemanie bezeichnet nach dem griechischen haphe – berühren/anfassen –, kommt häufig bei Zwangsstörungen (Obsessive-Compulsive-Disorder oder OCD) vor. Oft halten Haphemanen an Ritualen fest: auf einen Türrahmen tippen, Objekte aufheben und wieder hinlegen, einer Person auf den Kopf klopfen, einen Gegenstand mehrmals einpacken oder mit der Fingerspitze ein Muster darauf zeichnen. Diese Berührungen sollen in der Regel Unheil abwenden und entfalten ihre beruhigende Wirkung genau wie ein Zauberspruch oder eine Maschine durch die Wiederholung. Mitunter ist der Drang, eine Bewegung zu wiederholen, so übermächtig, dass sich an den Fingerspitzen von Haphemanen Hornhaut bildet.

Siehe auch: Arithmomanie, Dermatillomanie, Haphephobie, Mysophobie

Haphephobie

Der Begriff Haphéphobie wurde 1892 in Frankreich von zwei Ärzten – Dr. Maurice Lannois und Dr. Edmond Weill – eingeführt, die einen Patienten behandelten, der es nicht ertragen konnte, angefasst zu werden.

Jean B., 58 Jahre alt, arbeitete in einer Wäscherei in Lyon. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem er bei der Arbeit zusammengebrochen war und vorübergehend nicht mehr sprechen konnte. Schon bald fiel den Ärzten eine weitere Absonderlichkeit auf: Jean zuckte vor jeglicher Berührung(1) zurück. Seit er denken konnte, hatte ihn die bloße Vorstellung, mit einer anderen Person in körperlichen Kontakt zu kommen, in Angst und Schrecken versetzt. Eine nach ihm ausgestreckte Hand erschreckte ihn, ein Finger in der Nähe seines Gesichts sogar noch mehr, und wenn jemand von hinten an ihn herantrat, dann fuhr ihm der Schock durch den ganzen Körper und er sprang beiseite.

Eines Tages trug Jean ein Wäschebündel vom Ufer der Saône über eine Brücke zum Waschhaus, als jemand von hinten an ihn herantrat. Vor Schreck ließ er die Wäsche in den Fluss fallen. In Jeans Familie und seinem Freundeskreis wussten alle von seiner Phobie. Einmal hatte eine Bekanntschaft ihn ein bisschen ärgern wollen und ihn am Rücken berührt – Jean war durch das Fenster aus dem ersten Stock auf die Straße gesprungen.

Alice in Wonderland, Lewis Carroll 1897 illustration

Im Krankenhaus schaute Jean ständig verstohlen nach links und rechts, immer wieder versicherte er sich, dass niemand hinter ihm war. Manchmal stand er sogar mit dem Rücken zur Wand hinter seinem Bett, damit niemand sich ihm unbemerkt nähern konnte. Für seine Phobie schien es keinen physischen Grund zu geben – er hatte keine Hautkrankheiten oder besondere Empfindlichkeiten; er war noch nicht einmal kitzlig –, dennoch befand er sich in ständiger Alarmbereitschaft, aufmerksam und angespannt; wurde er doch einmal berührt, dann litt er schreckliche Qualen.

In Ermangelung einer besseren Erklärung verbuchten die Ärzte Jeans Störung schließlich als »Erbkrankheit«, da Jeans Vater (der im Alter von 56 Jahren Selbstmord begangen hatte) ebenfalls unter der Angst vor Berührung gelitten hatte, genau wie ein Neffe, der ein paar Jahre zuvor nach seiner Rückkehr aus Afrika an einer Absinthvergiftung verstorben war. Allerdings wirkten die meisten von Jeans Familienmitgliedern kerngesund. Jean konnte sich seine Angst ebenfalls nicht erklären: »Ich habe Angst«, meinte er schlicht, »das ist alles.«

Siehe auch: Klaustrophobie, Haphemanie, Mysophobie, Soziale Phobie

Hippophobie

Im Jahr 1909 veröffentlichte Sigmund Freud eine Fallstudie, die viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollte. Er analysierte den Fall des »kleinen Hans«, eines Fünfjährigen, der in Wien lebte und im Jahr 1908 eine große Angst vor Pferden(1) entwickelt hatte (auch Hippophobie genannt, vom griechischen hippo – Pferd). Pferde waren auf den Wiener Straßen ein alltäglicher Anblick, und Hans hatte solche Angst vor ihnen, dass er manchmal nicht aus dem Haus gehen wollte. Der Junge hatte vor allem vor zwei Dingen Angst: dass ein Pferd umfallen oder ihn beißen könnte.

Hansens Vater, ein Freund und Bewunderer Freuds, berichtete, dass die Angst aufgetreten war, nachdem der Junge beobachtet hatte, wie ein schweres Stellwagenpferd auf der Straße umfiel und dann panisch um sich trat. Freud ging davon aus, dass der Anblick des verletzlichen und zugleich gewalttätigen Pferdes eine bereits vorhandene psychosexuelle Fantasie im Geist des Jungen verfestigt hatte. Hans war schon vorher an dem »Wiwimacher« von Pferden interessiert gewesen und war von der Mutter gemaßregelt worden, wenn er seinen eigenen betastete, was Freud als Masturbation betrachtete. Der Junge war auch auf den »kleinen Wiwimacher« seiner jüngeren Schwester aufmerksam geworden.

Über die nächsten vier Monate hinweg führte Hansens Vater, unter Freuds Aufsicht, eine Psychoanalyse an seinem Sohn durch. Der Vater schrieb die Gespräche mit seinem Sohn nieder und besprach sie anschließend mit Freud, um dann mit seinem Sohn über dessen Wünsche und Verhaltensweisen zu sprechen. Freud war überzeugt, dass der Fall seine Annahmen über die infantile Sexualität und den Ödipuskomplex bestätigte. Er nahm an, dass Hans, wie auch andere Jungen seines Alters, insgeheim seinen Vater als Liebhaber der Mutter ersetzen wollte und sowohl Angst vor den Konsequenzen hatte, die dem Vater daraus erwachsen könnten (das Pferd fällt um), als auch vor dessen Reaktion (der Biss des Pferdes, der für eine Kastration stehe).

Freud traf Hans nur zweimal persönlich. Während der zweiten Sitzung sagte der Junge, er habe nun weniger Angst vor Pferden, fürchte sich aber immer noch vor dem Schwarzen, was Pferde um den Mund und vor den Augen haben: vor den Scheuklappen und dem Zaumzeug. Freud fragte ihn daraufhin, ob ihn das Schwarze an die Brille und den Schnurrbart seines Vaters erinnerten.

Freud schloss aus seiner Analyse, dass der kleine Hans seine ambivalenten Gefühle gegenüber seinem Vater auf Pferde ausgelagert hatte, um mit seiner Angst und seinen Aggressionen umgehen zu können. Bei Hansens Phobie handelte es sich also um eine Art Kompromiss, durch sie konnte er seine Gefühle gleichzeitig verdrängen und ausleben. Indem er die Tiere auf der Straße mied, konnte er auch seine eigenen schlimmen Gedanken in Bezug auf seinen Papa verleugnen.

Bald darauf endete die Analyse. Es sah aus, als hätte der Junge seine Phobie überwunden. Sein Vater überlegte, ob Hans sie vielleicht in sein wachsendes Interesse an Musik umgewandelt hatte. Im Mai 1908 besuchte Freud die Familie in ihrer Wohnung, im Gepäck hatte er ein verspätetes Geburtstagsgeschenk für den Jungen: ein Schaukelpferd.

Als der Fall des kleinen Hans im folgenden Jahr veröffentlicht wurde, löste er eine Kontroverse aus, schließlich wurde damit erstmals die Psychoanalyse eines Kindes beschrieben. Es handelte sich um die bis dahin deutlichste Darlegung von Freuds ödipaler Theorie. Außerdem wurde der Text in den folgenden Jahrzehnten als Modellbeispiel für die Analyse von Phobien herangezogen. Freud schrieb, die Phobien – oder »Angsthysterien« – seien »geradezu die Neurosen der Kinderzeit«. Obwohl ein Kind die meisten seiner Neurosen mit der Zeit ablege, blieben, so Freud, dennoch Reste derselben erhalten. »Vielleicht hat er nun vor anderen Kindern das voraus, daß er nicht mehr jenen Keim verdrängter Komplexe in sich trägt«.

Es muss ungefähr 1920 gewesen sein, als Herbert Graf, der 17 Jahre alte Sohn des Musikwissenschaftlers Max Graf, Freuds Fallstudie über den kleinen Hans las. Herbert erkannte sich im kleinen Hans wieder. Er suchte daraufhin seinen frisch geschiedenen Vater auf. »Was soll das?«, fragte er ihn. »Da geht es doch offensichtlich um mich!?« Sein Vater gab zu, dass Herbert der kleine Hans gewesen war: »Ja, das ist wahr.«

1922 besuchte Herbert Graf Freud in seiner Praxis. »Er schaute mich an und erkannte mich natürlich nicht«, erinnerte sich Graf. »Und da sagte ich: Ich bin der kleine Hans. Es war sehr anrührend. Er kam auf mich zu, hieß mich willkommen und sagte ›Setzen Sie sich!‹ Dann sprachen wir lange und er fragte mich, was ich machte, was ich vorhatte und so weiter, am Ende unseres Gesprächs meinte er, dass er glaube, die Behandlung habe mir gutgetan, weil ich – zumindest in seiner Gegenwart – recht normal spreche und wirke.«

Freud ergänzte seine Studie durch ein Postscript. Darin berichtete er, dass der kleine Hans nun ein »stattlicher Jüngling« sei und unter keinerlei Beschwerden oder Hemmungen leide. Er hatte die Scheidung seiner Eltern und deren zweite Ehen erfolgreich verarbeitet und hatte zu beiden eine gute Beziehung. Die Analyse hatte ihn nicht nachhaltig geschädigt, wie Kritiker es angenommen hatten. In seinen frühen Zwanzigern war Herbert Graf ein angesehener Opernregisseur in Salzburg und Zürich. Später inszenierte er in New York an der Metropolitan Opera. In einem Interview mit Opera News machte er 1972, ein Jahr vor seinem Tod, öffentlich, dass er hinter dem »kleinen Hans« steckte. In diesem Zusammenhang sprach er von sich als »unsichtbarem Mann« hinter den Kulissen, sowohl bei Opernproduktionen als auch auf dem Gebiet der Psychoanalyse. Später wurde bekannt, dass Herbert Graf in seinem Erwachsenenleben mehrere tragische Ereignisse verwinden musste. Seine jüngere Schwester beging Selbstmord, so auch Grafs erste Frau.

Im Jahr 2000 veröffentlichte das Freud-Archiv Interviews mit Herbert Graf und dessen Eltern; daraus ging hervor, dass Freud in seiner Fallstudie einige wichtige Fakten ausgespart hatte. Er ließ aus, dass er die Mutter des Jungen, Olga Hönig, bereits in den 1890er Jahren behandelt hatte und dass er Max Graf geraten hatte, sie zu heiraten. Außerdem wusste Freud schon 1908, dass die Grafs eine unglückliche Ehe führten. Freud wollte den Fall des kleinen Hans unbedingt zur Untermauerung seiner Theorie über kindliche Sexualität nutzen. Vielleicht dachte er, dass die emotionalen Unruhen innerhalb der Familie – und seine eigene Rolle – von seinem eigentlichen Punkt ablenken würden. 1953 meinte Olga Graf, Freud habe »verheerenden Schaden« bei ihnen angerichtet.

Freuds Schlüsse wurden von verschiedenen Seiten infrage gestellt. Manche meinten, dass Freud und Max Graf dem Jungen einige seiner Gedanken eingeredet hätten und dass beide die Elemente, die Freuds neue Theorie stützten, übermäßig hervorgehoben hätten. Freud selbst sprach diese Gefahr an: »Während der Analyse allerdings muß ihm vieles gesagt werden, was er selbst nicht zu sagen weiß, müssen ihm Gedanken eingegeben werden, von denen sich noch nichts bei ihm gezeigt hat.« In den 1950er Jahren schaute sich der britische Psychoanalytiker John Bowlby den Fall erneut an und kam zu dem Schluss, dass der Junge an Trennungsangst litt: Er erkannte in der Fallstudie eine unsichere Bindung zwischen Hans und seiner Mutter und die Angst, von ihr verlassen zu werden. Die französische Literaturtheoretikerin Julia Kristeva ging ebenfalls davon aus, dass Freud den Einfluss von Hansens Mutter heruntergespielt habe: Sie nahm an, dass das Pferd für zwei Ängste des Jungen stand, die Angst vor dem Körper der Mutter und die Angst vor dem Vater. Sie schrieb: »Die Phobie gegenüber Pferden wird zur Hieroglyphe, in der sich alle Ängste vereinen.«

Mit dem Fall des kleinen Hans hatte Freud die Phobie in den Mittelpunkt der psychoanalytischen Theorie gerückt. Für ihn war die Fixierung des Jungen ein Beispiel dafür, wie wir alle unterbewusst unsere Gefühle verleugnen und auslagern, wie wir unsere Sehnsüchte in Symbole und manchmal unsere Ängste in Kunst umwandeln.

Siehe auch: Musophobie, Zoophobie

Hippopotomonstrosesquippedaliophobie

Hippopotomonstrosesquippedaliophobie ist im Grunde ein Spaßwort, es wurde wahrscheinlich in den 1970er Jahren erfunden, um die Angst vor langen Wörtern(1) zu beschreiben. Eigentlich würde Sesquipedalophobie als Terminus ausreichen – sesquipedalisch ist als Wort seit dem 18. Jahrhundert nachgewiesen und bedeutet »mehrsilbig« oder »mehrfüßig« – allerdings wurde der Begriff noch durch »Hippopoto« (eine krude Verkürzung von »Hippopotamus« – Nilpferd) und »monstro« (vom lateinischen monstrum, Ungeheuer) ergänzt. Das Wort benutzt ein großes und etwas komisches Tier, um sich selbst in die Länge und ein bisschen durch den Kakao zu ziehen. Es ahmt das phobische Objekt nach – ein abstrus langes Wort – und macht sich gleichzeitig über das Prinzip, nach dem Phobien benannt werden, lustig, indem es griechische und lateinische Präfixe nutzt, um sich einen altertümlichen und wissenschaftlich fundierten Anstrich zu verleihen.

Erstmals scheint der Begriff in einer Fußnote von Dennis Coons und John O. Mitterers Introduction to Psychology (1980) aufgetaucht zu sein. Wahrscheinlich ist das Wort – auf Englisch »hippopotomonstrosesquippedaliophobia« – von den beiden Wissenschaftlern absichtlich so gewählt worden, dass es genau einen Buchstaben länger ist als »supercalifragilisticexpialidocious«, dem verspielt langen Wort, das der Film Mary Poppins (1964) so berühmt machte.

Siehe auch: Eibohphobie, Onomatomanie

Homophobie

Nachdem er gehört hatte, wie ein Fremder eine lesbische Freundin beschimpfte, prägte der Psychotherapeut George Weinberg 1965 den Begriff Homophobie, um eine Aversion gegenüber Homosexualität(1) zu beschreiben. Zwar würde der Begriff wortwörtlich die Phobie vor der Gleichheit (abgeleitet vom griechischen homos) bezeichnen, Weinberg ging es jedoch eher um den Effekt, den das Wort haben sollte, und weniger um eine akkurate Wortbedeutung – es hatte mehr Biss als die vorangegangenen Versuche, eine negative Einstellung gegenüber Homosexualität zu beschreiben, beispielsweise »Homoerotophobie«. Zwei von Weinbergs Freunden verwendeten den Begriff 1969 in einem Artikel im Magazin Screw: »In was für eine erbärmliche Lage hat uns die Homophobie doch gebracht«, schrieben Jack Nichols und Lige Clark. Die beiden beschrieben Homophobie als »eine intensive und neurotische Angst davor, dass andere denken könnten, man würde sich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen«.

Weinberg, der selbst heterosexuell war, führte die Bedeutung des Begriffs in seinem Buch Society and the Healthy Homosexual von 1972 genauer aus: Der Terminus verband ablehnende Gefühle gegenüber Homosexualität mit Angst; dabei ging Weinberg davon aus, dass den Vorurteilen gegenüber Homosexualität eine versteckte Angst zugrunde lag, eine unnatürliche Fixierung. »Diskriminierendem Verhalten gegenüber Homosexuellen liegen tiefe psychologische Motive zugrunde«, schrieb er. Zu dieser Zeit galt Homosexualität immer noch als eine psychiatrische Störung; Weinberg versuchte nun den Spieß umzudrehen, indem er die Gegner der Homosexualität pathologisierte. Seine Strategie schien aufzugehen. 1973 entschied die American Psychiatric Association einstimmig, dass Homosexualität nicht länger als psychische Krankheit einzustufen sei. »Obwohl Homophobie damals nicht als klinische Störung gelistet wurde«, stellt der Kulturhistoriker Daniel Wickberg fest, »nahm sie im Grunde den Platz der Homosexualität als Krankheit ein, die geheilt werden musste.«

Einige Psychologen merkten an, dass der Begriff »Homophobie« in die Irre führe, da einer feindlichen Einstellung gegenüber Homosexualität nicht Angst, sondern eher Hass und Wut zugrunde lägen. Weinberg hielt dagegen, dass diese Gefühle untrennbar miteinander verwoben seien: Die Furcht vor Homosexualität führe zu »schrecklicher Brutalität, wie Angst das immer tut«. Der ungarische Neurologe und Psychoanalytiker Sándor Ferenczi hatte schon 1914 dargelegt, dass eine Aversion gegenüber Homosexuellen eine Abwehrreaktion sei, ein Symptom des unterdrückten Verlangens nach dem eigenen Geschlecht. Einige Studien scheinen diese Annahme zu stützen. Beispielsweise führte die University of Georgia 1996 ein Experiment mit 46 Männern durch, die sich selbst als heterosexuell einstuften. Das Experiment zeigte, dass gerade die Männer, die schwulen Männern mit der größten Feindseligkeit begegneten, am ehesten von homoerotischen Bildern erregt wurden.

Einige LGBTQIA+-Aktivisten und Aktivistinnen haben den Begriff Homophobie kritisiert, da er ein politisches Problem in eine Störung der persönlichen Psychologie überführt. Es nimmt den Individuen die Verantwortung ab, indem es deren Vorurteile nicht als Entscheidung, sondern als Produkt einer psychiatrischen Verfassung einordnet, die sich ihrer Kontrolle entzieht. »Obwohl es praktisch sein kann, den politischen Gegner als geisteskrank einzustufen, entfernt dieses Vorgehen den Konflikt aus der politischen Debatte«, meinte die radikale lesbische Feministin Celia Kitzinger in den 1980er Jahren.

Die Presseagentur Associated Press verbot ihren Reportern 2012 die Verwendung des Begriffs Homophobie wie auch anderer politisch-strategischer »Phobie«-Konstruktionen (wie Fettphobie aus den 1980er und Transphobie aus den 1990er Jahren). Der Begriff Homophobie gehe »zu weit«, erklärte ein Sprecher der Nachrichtenagentur. »Er schreibt anderen eine geistige Einschränkung zu und unterstellt ein Wissen, das wir gar nicht haben können.« Weinberg blieb seiner Formulierung dennoch treu. Im selben Jahr schrieb er in der Huffington Post: »Das Wort Homophobie war genau das, was homosexuelle Männer und Frauen brauchten, um sich zu befreien.«

Siehe auch: Xenophobie

Hydrophobie

Der Begriff »Hydrophobie« – vom griechischen hydro, Wasser – entstand im 14. Jahrhundert als Alternative zum altenglischen Wort wæterfyrhtness, das die Angst vor Wasser bei Tollwütigen beschrieb. Unter Hydrophobie verstand man damals einen physischen Zustand, der durch den Biss oder die Kratzwunde eines tollwütigen Tieres ausgelöst wurde. Trinkversuche oder auch nur der Gedanke daran lösten quälende Krämpfe im Kehlkopf aus. Sobald dieses Symptom auftrat – in der Regel zusammen mit anderen Symptomen neurologischer Schäden wie Aufregung, Halluzination, Lähmungserscheinungen, vermehrtem Speichelfluss (Hypersalivation) – war es schon zu spät, die Tollwut endete fast immer tödlich. Hydrophobie, wie man Tollwut zu dieser Zeit nannte, war in Europa und Amerika weit verbreitet, bis Louis Pasteur 1885 eine Impfung dagegen entwickelte.

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Ein berühmtes Tollwutopfer war Charles Lennox, Duke of Richmond und Generalgouverneur von Britisch-Nordamerika. Er erkrankte 1819 in einem Lager in der Nähe des Ottawa River. Don James McLaughlin beschreibt seinen Krankheitsverlauf in Infectious Affect. Am ersten Tag seiner Krankheit konnte Lennox keine Flüssigkeiten schlucken, am zweiten Tag beunruhigte ihn Wasser so sehr, dass er sich nicht waschen konnte, und am dritten Tag flüchtete er aus einem Kanu, das ihn nach Montreal zu einem Arzt bringen sollte; er schlug sich blindlings in den Wald, um dem Fluss zu entkommen. Als seine Männer ihn eingeholt hatten, brachten sie ihn zu einem Bauernhof, wo er wieder zu Kräften kommen sollte, allerdings reichte das Geräusch des nahen Flusses aus, um ihn weiterhin in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie verlegten ihn in eine Scheune hinter dem Haus, wo er auf einem Strohlager starb.

Seine Gefährten spekulierten, dass der Duke vielleicht auf der Jagd von einem tollwütigen Fuchs gebissen worden war oder dass sein geliebter Hund Blücher, der bei Lennox im Bett schlafen durfte, ihn angesteckt hatte. Auf jeden Fall war klar, dass der Duke der Hydrophobie zum Opfer gefallen war.

Beunruhigend am Krankheitsverlauf war weniger Lennox’ körperliche Verfassung, sondern vielmehr die Tatsache, dass seine Angst vor dem Trinken sich zu einer Angst vor Wasser im Allgemeinen ausgeweitet hatte: Die Aversion hatte auf seine Vorstellungskraft übergegriffen und sich in eine Krankheit der Psyche verwandelt. McLaughlin weist darauf hin, dass sich der gleiche Verlauf bei dem Fall eines zehnjährigen Mädchens aus England zeigte. Hannah Springthorpe wurde 1793 in Leicester von einem Hund gebissen; anschließend halluzinierte sie, dass Hunde und Katzen sie angriffen; sie klappte ihren Mund auf und zu, als ob sie selbst zum Hund werde, und schrie voller Schrecken auf, wenn sie Wasser auch nur hörte. »Die Krankenschwester schenkte den Pfefferminztee unvorsichtig ein«, notierte der behandelnde Arzt, woraufhin Hannah »aufschrie, dass ihr das Geräusch weh tue und sie anbettelte, sofort damit aufzuhören«.

Hydrophobie war an sich schon verstörend, doch noch bestürzender war die Tatsache, dass sich die Krankheit vom Tier auf den Menschen übertrug und man damit noch vor der Veröffentlichung von Darwins Über die Entstehung der Arten 1859 einen Hinweis darauf hatte, dass es eine Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier gab. »Damit wurde die Vorstellung von der Einzigartigkeit des Menschen infrage gestellt«, schrieb McLaughlin, »und damit auch die Vorstellung, dass eine Spezies hermetisch von anderen Arten getrennt ist.«

Hydrophobie war gekennzeichnet durch ständige Furcht und Vorahnungen. Jeder, der von einem Hund oder einem anderen Tier gebissen wurde, lebte mit der Angst vor beginnenden Halluzinationen und Wasserangst; schließlich glaubte man, die Inkubationszeit variiere zwischen Wochen, Monaten und Jahren. Diese Verzögerung machte aus der Hydrophobie mehr als eine Krankheit, sie machte sie zur Paranoia, zu einer Angst vor dem unausweichlichen Wahnsinn. Manche Menschen entwickelten Symptome, ohne dass sie sich an einen Biss erinnern konnten. In diesen Fällen diagnostizierte man, so McLaughlin, »spontane Hydrophobie«, eine rein psychologische Krankheit, die man sich durch das Lesen oder Nachdenken über die eigentliche Krankheit einfing. So wurde die »Angst vor Wasser« zu einer »Angst vor der Angst vor Wasser«, die die Empfindungen von Grauen und Abneigung, von gedanklichen und körperlichen Ahnungen miteinander verband. Dieser paranoide Zustand bekam 1874 seinen eigenen Namen: Lyssophobie, vom griechischen lyssa – Tollwut.

Pasteurs Impfung markierte den Beginn eines neuen Zeitalters der Mikrobiologie, in dem die Tollwut selten wurde. Hydrophobie war dennoch zu einer Schablone für die Phobie an sich geworden, nicht zuletzt dafür, wie die Grenzen zwischen dem Emotionalen und dem Physischen verschwammen. Viele Phobien, die im 18. und 19. Jahrhundert entdeckt wurden, gehörten zu beiden Bereichen: Sie lösten erkennbare körperliche Symptome aus wie Zittern, Beben, Schwitzen, Schwindel, Zuckungen, Erröten, umfassten aber gleichzeitig auch schwer fassbare Empfindungen wie Angst. Manchmal schienen sie mental übertragen worden zu sein, manchmal geerbt, manchmal wurden sie von außen zugefügt. In der Regel blieb unklar, woher sie kamen. Sie konnten von Erfahrungen ausgelöst werden oder ein prähistorisches Überbleibsel sein, vielleicht wurden sie auch spontan vom Körper ausgelöst.

In seinem Roman Ulysses (1922) beschreibt James Joyce die Hydrophobie als mentale Qual und als Substanz, eklig und unsichtbar zugleich. Der Hund Garryowen »knurrt und murrt in einer Tour, und sein Auge ist ganz blutunterlaufen vor Durst, und die Tollwut trieft ihm bloß so von den Lefzen.« Der Speichel des Tieres wird zur dickflüssigen Krankheit.

Siehe auch: Aquaphobie, Kynophobie, Mysophobie, Thalassophobie

Hypnophobie

Unter Hypnophobie – hypno (griech.) für Schlaf(1) – versteht man die Angst vor dem Einschlafen. In der Regel hängt sie mit der Furcht vor Träumen und Albträumen zusammen. Erstmals wurde die Krankheit 1855 in einem medizinischen Wörterbuch benannt. Besonders anschaulich inszenierte sie Wes Craven 1984 in A Nightmare on Elm Street. Darin wird eine Gruppe Teenager in ihren Träumen von einem entstellten Kindsmörder heimgesucht; tötet er seine Opfer im Traum, sterben sie auch in der Wirklichkeit. Die Tagline des Films lautete im englischsprachigen Raum: »Whatever you do, don’t fall asleep.« (Was auch immer du tust, schlaf nicht ein.)

Ein Editorial in Sleep Medicine Review stellte 2021 verschiedene Gründe dar, weshalb Hypnophobiker nicht einschlafen wollen oder können: Opfern von Traumata graut es oft vor nächtlichen Träumen, in denen sie nachts die traumatische Erfahrung wiedererleben; andere Betroffene empfinden den Übergang in die Besinnungslosigkeit des Schlafs als unerträglichen Verlust des eigenen Selbst; wieder andere wehren sich gegen den Schlaf, weil sie bereits einen nächtlichen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall überlebt haben und nun fürchten, dass sie, wenn sie einschlafen, nicht wieder aufwachen könnten.

Siehe auch: Nyktophobie, Sedatephobie

Hypophobie

Die Psychiater Isaac Marks und Randolph Nesse nutzten 1994 den Begriff Hypophobie, um eine unverhältnismäßige und gefährliche Angstlosigkeit zu beschreiben (auf Griechisch bedeutet hypo »darunter« oder »unter«). Die beiden Wissenschaftler gingen davon aus, dass es sich bei der Angstfähigkeit um eine nützliche Eigenschaft handelt, da sie uns vor Gefahren schützt: Wenn wir immun gegen Angst sind, macht uns das verletzlich. Viele Menschen werden mit Angststörungen diagnostiziert, leidet man aber unter keinerlei Angst(1), dann sucht man sich, verständlicherweise, wohl auch keine Hilfe. »Menschen mit zu wenigen Ängsten gehen nicht zum Psychiater, um sich über ihre Angstlosigkeit zu beschweren«, stellten Marks und Nesse fest, »dementsprechend wurden ihre Störungen, ihre ›Hypophobien‹ bisher noch nicht formal beschrieben.«

Granville Stanley Hall ging 1897 in einem Essay davon aus, dass die Angst für unsere Evolution die wichtigste Emotion darstellte: Die Fähigkeit, Schmerz vorherzusehen, machte es uns erst möglich, Gefahren vorauszusehen und so zu vermeiden. Marks und Nesse weisen außerdem darauf hin, dass Tiere, die isoliert auf Inseln ohne natürliche Feinde leben, sich zu Hypophobikern entwickeln und die Fähigkeit zu fliehen, sich zu verteidigen oder zu verstecken verlieren können. Wenn Menschen auf solche Inseln feindliche Arten bringen, sind die eingeborenen Tieren diesen schutzlos ausgeliefert. »Der Satz: ›Tot wie ein Dodo‹«, so Marks und Nesse, »bringt die Sache auf den Punkt.«

Siehe auch: Pantophobie