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JACK

Meine Hände zitterten. Ich fragte mich unwillkürlich, ob ich wegen der Kosten für ein Hotelzimmer nervöser war als wegen eines Treffens mit einem Fremden, aber ich muss ehrlicherweise doch zugeben, dass es wohl eher an den Kosten lag.

Ich hatte mich schon öfter mit Fremden über eine App verabredet, also war das nicht mehr ganz so nervenaufreibend. Aber andererseits war es etwas beunruhigend, weil ich bisher noch nicht einmal ein Foto von dem Typen gesehen hatte, um sicherzugehen, dass es sich nicht um einen Kommilitonen handelte. Oder noch schlimmer, einen meiner Professoren.

Mein Magen drehte sich um sich selbst. Wie groß war denn bitte die Wahrscheinlichkeit, dass es einer meiner Professoren sein würde? Null. Absolut gar keine Chance. Erstens waren zwei meiner Professoren Frauen. Zweitens war einer der anderen kurz vor der Pensionierung und schien mit seiner Frau seit einer Million Jahren glücklich verheiratet zu sein.

Drittens: Der einzige andere Professor, der noch infrage kam, war Professor Henry. Und er war definitiv nicht der Typ, der auf so eine Annonce auf einer App reagieren würde. Er war ganz sicher nicht jemand, der auf eine Bitte um Trost antworten würde.

Ich spürte, wie ich mich wieder entspannte. Der Gedanke, dass Professor Henry einem Studenten eine Umarmung anbietet, war geradezu lächerlich. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sein Körper überhaupt entspannt genug für eine Umarmung war, und ich wusste ganz genau, dass sein Verhalten so freundlich und tröstlich war wie das eines Krokodils, das gerade einen sehr schlechten Tag hinter sich hatte.

Ich verkniff mir ein Lachen, als ich mir vorstellte, wie Professor Henry reagieren würde, wenn er mich auf der anderen Seite der Tür sähe. Als der Fremde auf meinen Beitrag geantwortet hatte, hatte er lediglich geschrieben: Ich hatte auch einen schlechten Tag und wusste nicht, wie sehr ich eine Umarmung brauche, bis ich deine Annonce las .

So etwas wurde definitiv nicht von einem meiner wissenschaftlichen Professoren geschrieben. Aber wenn es einer gewesen wäre, hätte Professor Henry lediglich einen Blick auf mich geworfen, verächtlich die Nase hochgezogen und ohne ein Wort auf dem Absatz kehrtgemacht.

Arschloch.

Allein der Gedanke an ihn brachte mein Blut in Wallung. Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass er es das ganze Semester über auf mich abgesehen hatte. Ich musste mich bewusst daran erinnern, dass es da draußen in der Welt auch nette Menschen gab, die Studenten unterstützten. Leute wie Dr. Malley, die mich von der Royce Universität kontaktiert hatte, um sich zu erkundigen, ob ich einen Wechsel in Erwägung ziehen würde, um an ihrem Forschungsprojekt über die Entwicklung von Infektionskrankheiten in der lokalen Schwarzkopfmeisen-Population mitzuarbeiten. Oder Professor Jin von der Dalhousie Universität, der mich per E-Mail über eine bevorstehende Expedition nach Nova Scotia im folgenden Semester informierte, bei der noch ein Platz für einen weiteren Forschungsstudenten zur Verfügung stand.

Nachdem ich die Absage von Raintree erhalten hatte, wurde mir klar, dass ich mir erst einmal etwas Zeit nehmen musste, um zu überlegen, was ich als Nächstes tun sollte. Vielleicht sollte ich besser nicht hier in Barrington bleiben, wenn Professor Henry ein solches Hindernis für meinen akademischen Erfolg darstellen würde.

Das feste Klopfen an der Tür ließ mich zusammenzucken. Wenigstens musste ich mir im Moment keine Gedanken über meine akademische Karriere machen. Im Moment musste ich nur eine Umarmung und körperliche Zuneigung von einem dahergelaufenen Fremden annehmen.

Ich holte tief Luft und öffnete die Tür.

Als mein Gehirn versehentlich das Gesicht von Professor Henry auf das Gesicht des armen Fremden von der Heart2Heart-Annonce setzte, blinzelte ich mehrfach schnell, um es wieder wegzuzaubern.

Es klappte nicht.

„Mr. Wilde“, sagte er mit seiner vertrauten tiefen Stimme. Die Stimme, die weit in meinen Bauch hineinschallte und mich dazu brachte, mich verstecken zu wollen.

Ich konnte nicht mehr atmen. Das hier war nicht richtig. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich blinzelte noch einige Male und flehte mein Gehirn im Stillen an, diese schreckliche Fehlfunktion zu beheben.

Als ich versuchte, einen Atemzug zu machen, gab ich nur noch ein asthmatisches Geräusch von mir und wusste ohne jeden Zweifel, dass ich gleich ersticken würde.

„Tut mir leid“, keuchte ich und ließ die Tür los, um wieder zurück ins Zimmer zu gehen. Luft . Ich brauchte Luft. Ich bekam keine Luft. Vielleicht das Fenster ...

„Was ist ...? Verdammt ... Jack? Jack!“ Sein fester Griff um meinen Ellbogen erschreckte mich und bewirkte, dass mein Zeh auf dem Teppich hängen blieb. Ich fiel zur Seite um, aber Professor Henrys Arme legten sich um mich und verhinderten, dass ich mit dem Gesicht voran auf das Bett fiel.

Ich bekam immer noch keine Luft, und die Angst, dass ich tatsächlich ersticken würde, machte alles noch viel schlimmer. Trotzdem hatte ein Teil von mir immer noch das Gefühl, dass dies ein Traum sein musste, denn ich konnte mir keine Realität vorstellen, in der Professor Henry mich beim Vornamen anredete.

„Kann nicht ... atm ... atm ...“

Er schob mich zum Fußende des Bettes und setzte mich hin, bevor er sich zwischen meine Knie hockte und mein Gesicht in seine großen, warmen Hände nahm. „Sieh mich an.“

Ich blinzelte wieder. Bitte lass dies ein Albtraum sein. Bitte sag mir, dass das hier nicht gerade wirklich passiert. Als ich dachte, ich hätte schon den tiefstmöglichen Grad an Demütigung erreicht, erkannte ich, dass ich doch noch weiter fallen konnte.

„Jack“, befahl er. „Hör mir jetzt zu und tu, was ich sage. Alles ist in Ordnung. Es ist alles in Ordnung. Sieh genau hierher, auf die Stelle zwischen meinen Augen. Schau hin. Da ist ein kleines sommersprossiges Muttermal, genau da. Meine Schwester behauptet immer, es hat die Form eines Tennisschlägers.“

Ich konnte nicht anders, als zu tun, was er von mir verlangte. Seine Stimme war schon immer tief und dominant gewesen. Wenn er sprach, hörten ihm die Leute zu, und das war bei mir nicht anders.

Ich konzentrierte mich auf den Tennisschläger.

„Langsam atmen“, wies er mich an, senkte dabei seine Stimme und verlangsamte sie. Meine Augen weiteten sich vor Überraschung über den sanften Ton, aber ich war immer noch zu panisch, um irgendetwas sagen zu können.

Seine Daumen strichen über meine Wangenknochen. „Schhh. Langsam ... so ist es gut ... einatmen ... ausatmen ... alles ist okay. Alles ist in Ordnung.“

Ich spürte, wie heiße Tränen der Verlegenheit meine Augen füllten und dann überschwappten, noch bevor ich sie wegblinzeln konnte. „Tschuldigung“, stammelte ich und versuchte immer noch, Luft zu bekommen. „D-d-das d-darf nicht ...“

„Schhh. Versuch erst einmal, nicht zu sprechen. Ich bin hier. Ich werde nirgendwo hingehen.“ Er zögerte einen Moment lang, bevor er mir ein leichtes Lächeln schenkte, etwas, das ich noch nie zuvor auf seinem Gesicht gesehen hatte. Es war wie die Sonne, die hinter einer dunklen Regenwolke hervorguckte.

Dieses verdammte Lächeln erleuchtete den ganzen Raum und ließ mein Herz gegen meine Rippen springen.

„Außerdem“, fuhr er fort. „Wenn ich mich nicht irre, schuldest du mir noch eine Umarmung.“

Ich drückte meine Augen vor Scham zusammen und spürte, wie weitere Tränen herausflossen. Dies war der absolut schlimmste Moment in meinem Leben.

Und es geschah direkt vor den Augen von Professor Henry.

Wie sollte ich mich jemals davon erholen?