MAGGIE

Maggie erwachte mit dem Gefühl, als ob in ihrem Kopf eine Großbaustelle den Betrieb aufgenommen hätte.

Einen Augenblick lang konnte sie sich nicht erinnern, wo sie war und woher dieser Schmerz herrühren konnte. Sie erinnerte sich, dass Nick ihr in der Abflug-Lounge einen Drink gegeben hatte, und daran, ihm nicht gebeichtet zu haben, dass sie bereits vor der Abfahrt zwei Gin mit wenig Tonic getrunken hatte, um während des Flugs keine Kommentare über ihren Alkoholkonsum zu hören. Der Rest der Reise war wie in Nebel gehüllt.

Selbst in ihren besten Zeiten hatte sie nie viel Alkohol vertragen. Zusätzlich hatte sie drei Wochen gehungert, um in ihren Kleidern besser auszusehen. Die Kombination von Gin, Champagner und einem leeren Magen war keine gute Idee gewesen.

Sie stöhnte und vergrub den Kopf im Kissen. Es war das weichste, fluffigste Kissen, auf dem ihr Kopf jemals gelegen hatte, und die Bettdecke umhüllte sie wie eine Wolke. Sie wollte sich nicht bewegen, doch sie wusste, dass sie Wasser brauchte. Und Schmerztabletten. Außerdem wahrscheinlich einen Arzt und Zugang zu einer Notaufnahme.

Das konnte nicht nur der Alkohol sein, oder? Vielleicht hatte sie sich im Flugzeug eine Grippe eingefangen.

Sie fühlte sich, als hätte sie nur noch Stunden zu leben.

»Guten Morgen.« Nick erschien im Türrahmen, ein Glas Wasser in der einen und einen Becher in der anderen Hand. Der Duft von frischem Kaffee reichte, damit sie ihren Kopf vom Kissen hob.

Die Bewegung war qualvoll.

Er stellte den Becher neben ihr ab. »Wie fühlst du dich?«

»Würdest du bitte nicht schreien?« Selbst das ultraweiche Kissen konnte den Schmerz in ihrem Kopf nicht neutralisieren.

»So schlimm?«

»Schlimmer. Ich glaube, ich brauche vielleicht einen Arzt. Und einen Notar, damit ich mein Testament machen kann.«

Er setzte sich auf die Bettkante und reichte ihr das Glas Wasser. »Was du brauchst«, erwiderte er, »sind Flüssigkeit und ein ordentliches Frühstück.«

Ihre Eingeweide zogen sich zusammen. »Mein Magen sagt etwas anderes.«

»Vertrau mir, das ist das Beste. Ich bereite es zu, während du unter der Dusche bist.«

War sie in der Lage, ins Badezimmer zu gehen?

Vorsichtig setzte sie sich auf – und bemerkte, dass sie nackt war.

Mit einem peinlich berührten Aufschrei zog sie die Bettdecke vor ihre Brust. »Warum bin ich nackt?«

»Du hast darauf bestanden, dass du so schlafen willst. Du sagtest, dass du dich dann sexy und eins mit der Natur fühlst.«

»Was?« Sie schlief nie nackt. Stattdessen zog sie kuschlige Pyjamas vor, um die Winterkälte abzuwehren. »Wie bin ich ins Bett gekommen?«

»Ich habe dich reingesteckt.«

»Oh, das ist schlecht.« Sie nahm das Glas in beide Hände und trank einen Schluck. Warum war es ihr peinlich, dass er sie nackt gesehen hatte, wo sie doch mehr als dreißig Jahre zusammen gewesen waren? »Habe ich … Ich erinnere mich, dass wir Dan kennengelernt haben.«

»Ja. Und du mochtest ihn. Du mochtest ihn sogar sehr.«

Sie starrte ihn an. »Was soll das heißen?«

»Nichts.«

»Sag nicht nichts. War ich unhöflich zu Dan?«

»Nein, du warst sehr – liebevoll und einladend.«

»Es gefällt mir nicht, wie das klingt. Und was ist mit uns?« Ein furchtbarer Gedanke durchzuckte sie. »Haben sie erraten, dass wir uns scheiden lassen? Habe ich was gesagt? Ich wollte ihnen zeigen, wie sehr wir uns lieben.«

»Das hast du eindeutig getan.« Nicks Augen funkelten schalkhaft, und er steckte die Hand in die Tasche und holte zwei Schmerztabletten hervor. »Ich dachte, die könntest du brauchen.«

Sie schluckte sie ohne Widerrede. »War ich peinlich?«

»›Unterhaltsam‹ wäre eher das Wort, das ich verwenden würde. Ich habe bei Dans Mutter eine Kiste Champagner bestellt. Für den Rest unseres Aufenthalts trinken wir jeden Abend eine Flasche.«

Wie konnte er darüber Witze machen? Und wie konnte er nach diesem langen Flug so abscheulich gut aussehen? Offenbar hatte er nicht so viel getrunken wie sie.

Er trug einen marineblauen Grobstrickpullover und ein Paar strapazierfähige Wanderhosen, die die Unbilden seines Jobs überlebt hatten. Egal, wo er war, Nick sah überall heimisch aus.

Sie gab ihm das Glas zurück. »Den musst du dann allein trinken. Ich werde mein ganzes Leben lang keinen Alkohol mehr anrühren.«

Nach ein paar Schlucken Kaffee fühlte sie sich ein bisschen mehr wie ein Mensch. Mensch genug, um ihre Umgebung zu inspizieren. Sie befand sich in einem Baumhaus. Einem richtigen Baumhaus. Das Schlafzimmer lag auf einer Galerie über dem Wohnbereich, und durch die offene Struktur hatte man von hier den gleichen Ausblick durch die bodentiefen Fenster. Die anderen drei Wände bestanden aus Glas. Sie waren von zerklüfteten Gipfeln umgeben, und überall um sie herum standen hohe Bäume, deren Äste sich unter dem Gewicht des Schnees bogen. Als sie hinaussah, fiel ein Schneeklumpen von einem Ast und zog in einer kleinen weißen Lawine vor ihrem Fenster vorbei.

Alles in dem Raum passte zur Umgebung – von dem geschnitzten hölzernen Bettrahmen bis zu dem schweren cremefarbenen Überwurf. Die federweiche Bettdecke hatte sie vermutlich warm gehalten, während sie nackt geschlafen hatte.

»Dieser Ort ist unglaublich.« Sie sah zu Nick und bemerkte nun, dass seine Augen müde waren und er sich nicht rasiert hatte. »Wo hast du geschlafen?«

»Auf der Couch. Purer Luxus im Vergleich zu manchen Orten, wo ich schon genächtigt habe.« Er stand auf. »Das Badezimmer ist unten.«

»Danke. Wo ist mein Koffer?«

Er hielt inne. »Du erinnerst dich nicht?«

»Woran soll ich mich erinnern?«

»Die Airline hat deinen Koffer verloren.«

»Was? Nein! Die Geschenke. Meine Geschenke für die Mädchen waren da drin.« Und nicht nur die Geschenke. Maggie dachte an all die Einkaufstrips, sie sie unternommen hatte, um endlich das richtige Kleid für die Hochzeit zu finden. Was sie gefunden hatte, gefiel ihr nicht richtig, doch von allen Optionen, sie die anprobiert hatte, war es das Beste gewesen. Und jetzt war es weg, und wenn es nicht wieder auftauchte, würde sie wieder von vorn anfangen müssen. Aber nicht nur das! Laut ihrer Recherche würde alles, was sie hier in Aspen kaufte, ein Vermögen kosten.

Doch nicht nur das Kleid war ein Problem. Abgesehen von den Klamotten, die sie während der Reise getragen hatte, befand sich praktisch alles in dem Koffer. Ihr roter Lieblingspullover, den sie immer zu Weihnachten trug. Ihre Pyjamas.

»Ich habe dir ein Hemd und ein Sweatshirt ins Badezimmer gelegt. Zieh das erst mal an, und wir kümmern uns später darum, wie wir dein Gepäck ersetzen.«

»Ersetzen? Warum können wir nicht warten, bis es ankommt?«

Er zögerte. »Ich habe die Airline vor einer Stunde angerufen. Bisher konnten sie noch nicht feststellen, wo sich dein Gepäck befindet.«

»Wie kann das sein? Ich dachte, heutzutage ist alles elektronisch. Können sie es nicht nachverfolgen?«

»Irgendwas ist mit der Nachverfolgung schiefgegangen. Wir wissen nicht, ob und wann es auftaucht.«

Manche Frauen gingen gern shoppen. Maggie verabscheute es. Bei dem Gedanken, es noch mal tun zu müssen, noch dazu an einem unvertrauten Ort wie Aspen, hätte sie sich am liebsten wieder im Bett verkrochen. »Was soll ich denn anziehen, wenn ich losgehe, um neue Klamotten zu kaufen?«

»Rosie kommt gleich mit ein paar Dingen, von denen sie hofft, dass sie dir passen. Sie und Dan haben heute Morgen ein Treffen mit der Floristin, deshalb hat Catherine angeboten, mit dir shoppen und zum Lunch zu gehen.«

»Catherine? Kommst du auch mit?«

Er lächelte schief. »Ich bin nicht eingeladen. Offenbar ist es eine Mädels-Tour.«

Dieser Tag wurde mit jeder Minute schlimmer. Sie war kein Mädel, schon seit einigen Jahrzehnten nicht mehr. Und mit jemandem shoppen zu gehen, der so selbstsicher und elegant war wie Catherine, würde ihrem fragilen Selbstwertgefühl nicht gerade guttun. »Und was machst du in der Zwischenzeit?«

»Dans Onkel will mir auf dem Schneemobil einige der Wege zeigen, die von der Snowfall Lodge in den Wald führen.«

»Wieso darfst du die coolen Sachen machen? Können wir tauschen? Eine Fahrt mit dem Schneemobil klingt nach viel mehr Spaß als Shopping.«

Er hob eine Braue. »Sogar bei deinen Kopfschmerzen?«

Sie stellte sich vor, über den gefrorenen Boden zu holpern. »Vielleicht nicht. Aber Shopping verträgt sich auch nicht mit Kopfschmerzen.« Doch ihr fiel keine Entschuldigung ein. Und sie brauchte Kleidung. »Ich schätze, aus der Nummer komme ich nicht raus.«

»Warum solltest du das wollen? Das ist doch der perfekte Anlass, vor der Hochzeit Zeit mit Dans Mutter zu verbringen.«

»Ernsthaft? Ich dachte, du kennst mich.«

Er runzelte die Stirn. »Ja, das tue ich.«

»Wieso weißt du dann nicht, dass ich als Letztes auf der Welt Dans Mutter kennenlernen möchte, wenn ich einen Kater und keine Kleidung habe?«

»Der Kater geht vorüber, und Klamotten werden wir dir leihen.«

»Klamotten, in denen ich nicht gut aussehen werde.«

»N…na ja …«, stotterte er. »Solange sie passen, wirst du sicherlich gut aussehen. Und seit wann brauchst du Kleidung für dein Selbstvertrauen?«

»Seit die Schwiegermutter meiner Tochter sich als diese supererfolgreiche, schlanke, elegante und perfekte Person entpuppt hat.« Irgendwie sprudelten ihre Gedanken ungefiltert aus ihr heraus. »Und wenn du mich wirklich kennen würdest, wüsstest du, dass erfolgreiche Menschen mich einschüchtern! Wie kannst du das nicht wissen, Nick? Wie kannst du das nicht wissen?«

Sie erlebte selten, dass Nick um Worte verlegen war, doch jetzt war er es.

»Aber …« Nervös fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. »Du bist eine erfolgreiche Person, Mags.«

»Ich? Wo bin ich denn erfolgreich? Ich führe kein eigenes Unternehmen, bin keine weltbekannte Universitätsprofessorin. Ich habe mir kein Geschäft aufgebaut, nachdem ich meinen Mann verloren habe. Ich bin keine Ärztin wie Katie oder eine Studentin in Harvard wie Rosie. Ich … ich weiß nicht, wer ich bin. Ich bin jemand, der sich treiben lässt, von den immer selben Oberflächen den Staub abwischt, an demselben Schreibtisch sitzt, an dem ich fast mein ganzes Arbeitsleben gesessen habe, um dieselbe Arbeit zu machen, die jeder tun könnte. Und ich bin nicht mal schlank.« Als sie den letzten Satz herausschleuderte, sah sie pure Panik in Nicks Augen aufblitzen. Er hatte den Gesichtsausdruck eines Mannes, der plötzlich begreift, dass er eine gefährliche Flüssigkeit in den Händen hält.

»Zufällig mag ich, wie du aussiehst.«

»Wir lassen uns scheiden, Nick. Also kannst du mein Aussehen nicht so sehr mögen.« Sie ließ sich zurück in die Kissen fallen und wünschte sofort, sie hätte sich nicht für eine so abrupte Bewegung entschieden. Und nicht für ein Gespräch wie dieses. Sie würde nie wieder Alkohol trinken. »Vergiss es. Vergiss, dass ich etwas gesagt habe.«

Er fuhr sich mit der Hand über den Nacken. »Das ist nicht leicht zu vergessen.«

»Okay, aber versuch es wenigstens. Und jetzt lass mich allein, ich möchte duschen.«

Er rührte sich nicht. »Du sagst, Dans Mutter schüchtert dich ein?«

»Bis später, Nick.«

»Aber du hast sie noch gar nicht kennengelernt. Sie ist ein Mensch und hat vermutlich genauso Probleme wie wir alle anderen.«

Maggie setzte sich auf. »Du kapierst es nicht, oder? Ich bin der Typ Frau, bei dem jemand wie Catherine Reynolds die Augen verdreht.«

»Warum sollte sie die Augen verdrehen?«

»Weil ich die meiste Zeit meines Lebens damit verbracht habe, ein Zuhause aufzubauen. Ich nähe Vorhänge und ziehe Gemüse. Ich kenne hundert verschiedene Arten, wie man Karotten zubereiten kann. Glaubst du wirklich, dass sie das beeindrucken wird? Sie wird denken, dass ich das weibliche Geschlecht verraten habe, weil ich keine steile Karriere gemacht habe.«

Er blinzelte. »Meinst du nicht, dass du da ein bisschen zu hart zu dir bist?«

»Nein, bin ich nicht. Weil man davon ausgeht, dass Frauen heutzutage all das machen können, vorausgesetzt, sie sind zielstrebig und haben einen Terminplaner.«

Er lachte erstickt. »Mags, was, zum Teufel, ist los mit dir?«

»Nichts ist los mit mir. Vermutlich weil ich total planlos bin. Vielleicht hätte ich mehr in mein Leben reinstopfen können, wenn ich einen Terminplaner gehabt hätte.«

»Ist das das Ziel?« Er sah amüsiert aus. »Mehr reinzustopfen? Geht es hier um Arbeit? Ich dachte, du liebst es, dein Heim zu gestalten. Du sagtest, du wolltest, dass die Kinder in einer anderen Umgebung aufwachsen als du.«

»Das habe ich. Das wollte ich.« Warum also stellte sie plötzlich alles in Frage? Warum fühlte sie sich verloren und – bedeutungslos? Wenn Catherine es geschafft hatte, ihr Leben neu zu erfinden, warum sollte sie das nicht auch können?

»Wenn du es liebst, kann es nicht falsch sein.«

»Du verstehst es einfach nicht.«

»Nein, du hast recht. Das tue ich nicht.« Er klang entnervt. »Warum musst du sie überhaupt irgendwie beeindrucken?«

»Diese Frage kann auch nur ein Mann stellen.«

»Warte wenigstens, bis du sie kennengelernt hast, bevor du ein Urteil fällst. Du könntest sie mögen.«

Aber würde Catherine sie mögen?

»Könntest du bitte den Raum verlassen?«

»Warum?«

»Weil ich mich jetzt gern anziehen würde.«

»Ich habe dich schon früher nackt gesehen.«

»Aber seit langer Zeit nicht mehr.«

»Du scheinst dich nicht sehr verändert zu haben.«

»Was sich aber verändert hat, ist die Tatsache, dass wir nicht mehr zusammen sind.« Sie wusste, dass es lächerlich war, sich peinlich berührt zu fühlen, doch es war so. Ein Teil von ihr hatte sich zurückgezogen. Hatte sich schützen wollen. Kleidung war Schutz, was den Umstand, dass sie im Moment keine zu besitzen schien, noch schrecklicher machte.

Er schüttelte den Kopf und murmelte etwas, das sie nicht ganz verstand, aber für wenig schmeichelhaft hielt, und ging dann hinaus.

Maggie wartete, bis sie ihn in der Küche herumkramen hörte, und stand dann vorsichtig auf. Sachte ging sie die Stufen hinunter, wobei sie sich an dem gewundenen Holzgeländer festhielt, das aus einem Ast geschnitzt schien. Wenn sie mehr Vertrauen darin gehabt hätte, dass ihre Beine sie trugen, hätte sie sich vielleicht die Zeit genommen, es zu bewundern.

Sie betrat das Badezimmer und empfand es als äußerst angenehm, dass die Bodenheizung ihre nackten Füße wärmte. Ganz anders als im Honeysuckle Cottage, wo ein nächtlicher Ausflug ins Badezimmer das Risiko von Erfrierungen barg.

Sie erblickte eine große Wanne und eine von Glas umschlossene Dampfdusche.

Als sie zehn Minuten später das Badezimmer verließ, bereute sie ihren Ausbruch zutiefst.

Eingehüllt in einen weichen weißen Bademantel, ging sie in die Küche zu Nick. »Ich nehme an, dass ich das hier nicht für den Rest unseres Aufenthalts tragen kann?«

»Es könnte für verwunderte Blicke sorgen. Auf der anderen Seite habe ich immer daran geglaubt, dass es wichtig ist, die eigene Individualität auszudrücken.« Nick briet Speck, und das Brutzeln und der Duft machten ihr bewusst, wie hungrig sie war.

Wann hatte sie zuletzt etwas gegessen? Vermutlich im Flugzeug.

Er servierte den Speck auf einem Teller mit getoastetem Sauerteigbrot und Rührei dazu. »Iss.«

Sie setzte sich auf den Stuhl am Küchentresen und nahm die Gabel in die Hand. »Es tut mir leid.«

»Was?«

»Die Dinge, die ich gesagt habe. Ignorier mich einfach.«

»Das werde ich nicht tun, aber den Rest des Gesprächs müssen wir verschieben, weil Rosie geschrieben hat, dass sie auf dem Weg ist.«

Sie hatte schon mehr gesagt, als sie hatte sagen wollen, und nahm einen Bissen. »Dieser Speck schmeckt so gut.«

»Laut der Packung hier vor Ort mit Ahorn geräuchert.«

Sie aß ihre Portion auf und bemerkte, dass er sie beobachtete. »Was ist los?«

»Ich finde, dass du wie zwanzig aussiehst in diesem Bademantel und mit feuchtem Haar.« Er trank seinen Kaffee. »Wo sind nur die Jahre geblieben, Mags?« War das eine ernst gemeinte Frage? Und was sollte sie antworten?

»Werd nicht sentimental. Mit einem Kater kann ich damit nicht umgehen. Gibt’s noch Toast?« Sie hatte seit drei Tagen keine Kohlenhydrate mehr gegessen und war so hungrig, dass sie bereit war, alles zu verschlingen, was ihr in die Finger kam.

Er schnitt zwei Scheiben vom Brotlaib. »Wenn wir das nächste Mal allein und ungestört sind, würde ich auch gern darüber reden, was gestern im Wagen passiert ist …«

»Wir waren uns einig, dass wir so tun, als wären wir verliebt. Keine Panik, ich habe nicht versucht, dich zu verführen.« War es möglich, jemanden zu verführen, mit dem man seit dreißig Jahren verheiratet war?

»Ich meine nicht das Flirten.« Er stellte ihr den Toast hin, zusammen mit einem Stück cremiger Butter und einem Glas hausgemachtem Pflaumenmus. »Ich meine den Umstand, dass du deinen Job nicht magst.«

Maggie steckte den Löffel in das Mus. Hatte sie das gesagt? Ihre Gefühle bezüglich ihres Jobs äußerte sie normalerweise nicht.

»Du solltest nicht so viel auf das Gerede einer alkoholisierten Frau geben.«

»Das habe ich mir auch gesagt – bis heute Morgen.«

»Auch auf das Gerede einer verkaterten Frau solltest du nicht so viel geben.«

Er schenkte sich Kaffee nach. »Dann hasst du deinen Job doch nicht?«

Sie nahm einen Bissen Toast. Kaute. »Er ist okay.«

»Das klingt nicht gerade begeistert. Warum hast du dir keinen anderen gesucht, wenn du ihn nicht magst?«

Sie legte die Toastscheibe nieder. »Weil er zu unserem Lebensstil passte. Einer von uns beiden musste für die Mädchen da sein. Deine Arbeit beinhaltete so viele Reisen. Du warst nicht immer da zum Schullauf, zum Elternabend und bei all diesen nächtlichen Notfällen.«

»Aber Rosie ist seit vier Jahren fort. Wenn du etwas anderes hättest tun wollen, hättest du es tun können.«

Sie zerdrückte Brotkrumen mit dem Zeigefinger. Sollte sie es ihm sagen? »Einen Monat bevor sie ging habe ich mich für einen Job beworben. Ich dachte, es würde mir guttun, mit etwas beschäftigt zu sein.«

Er starrte sie an. »Du hast dich für einen Job beworben? Warum hast du mir nichts davon erzählt?«

Maggie zuckte die Achseln. »Weil ich Angst hatte, dass ich ihn nicht bekommen würde. Und ich habe ihn nicht bekommen.«

»Aber du hast mir nicht einmal gesagt, dass du dich bewerben willst. Warum?«

»Was meinst du?« Sie spielte mit der Kruste ihres Toasts. »Ich wollte mich vor der Blamage schützen.«

»Wir sind verheiratet, Mags. Ich liebe dich. Warum sollte es eine Blamage sein, mir davon zu erzählen?«

Sie entschied sich, nicht darauf hinzuweisen, dass er gesagt hatte: Ich liebe dich, obwohl er gemeint hatte: Ich habe dich geliebt.

»Weil du immer mit allem Erfolg hattest. Du hast jede Beförderung bekommen und jeden Job, für den du dich beworben hast.«

»Aber …« Verwirrt sah er sie an. »Was war das für ein Job? Etwas anderes im Verlagsbereich?«

»Nein. Ich habe mich als Gartenarchitektin beworben.« Jetzt klang es lächerlich. Wie hatte sie jemals glauben können, dass sie auch nur den Hauch einer Chance hatte, diesen Job ohne entsprechende Qualifikationen zu bekommen? Und dennoch war sie so voller Hoffnung gewesen, als sie sich beworben hatte. Sie hatte eine Mappe mit Fotos ihres Gartens und von Gärten von Freunden zusammengestellt, die sie gestaltet hatte, und war sicher gewesen, dass sie sich in einem Vorstellungsgespräch bewähren würde. Doch man hatte sie nicht eingeladen. Stattdessen hatte sie eine unpersönliche Mail erhalten, dass sie nicht über die Erfahrung verfüge, nach der man suche.

Sie hatte die Mail ausgedruckt und abgelegt. Und die ganze Sache bis heute niemandem gegenüber erwähnt.

»Ich weiß, dass du den Garten liebst. Du hast Honeysuckle Cottage verwandelt. Kannst du dich erinnern, als wir eingezogen sind? Der Garten war völlig verwildert.«

Sie erinnerte sich. Und sie erinnerte sich, wie viel Freude sie daran gehabt hatte, die Wildnis in einen Traumgarten zu verwandeln. »Ein Hobby qualifiziert einen noch lange nicht dazu, es auch als bezahlten Job auszuüben.«

»Nur sehr wenige Menschen bekommen den ersten Job, auf den sie sich bewerben. Heutzutage bewerben sich die Leute auf mehrere Jobs.«

Sie schob den Teller von sich. »Ich habe mich auf mehrere Jobs beworben.«

»Was? Ich kann kaum glauben, dass du mir das nicht erzählt hast.«

Sie zuckte die Achseln. »Es gab nichts zu erzählen. Ich habe kein Vorstellungsgespräch bekommen, geschweige denn einen Job. Vielleicht wirke ich nicht wie der Typ Mensch, der einen Terminplaner benutzt.«

»Ich wusste nicht, dass du unglücklich warst mit deinem Leben.«

»Das war ich nicht, aber mein Leben hat sich verändert, Nick. Es hat sich verändert, nachdem Rosie ausgezogen war. Ich brauchte jemanden, aber es ist nicht so leicht, wie es in den Filmen aussieht. So funktioniert das echte Leben nicht.« Ihr Kopf pochte. Wer von ihnen hatte dieses Gespräch begonnen?

»Bis gestern Abend im Auto habe ich nie an die Opfer gedacht, die du gebracht hast.«

»Zu Hause zu bleiben war kein Opfer, sondern eine Entscheidung. Und du hast recht, ich war gern für die Mädchen da.«

»Aber es hat dazu geführt, dass du dich unterlegen fühlst. Und ich verstehe nicht, warum es das sollte.«

»Denk doch mal nach, Nick! Hast du je einen Artikel über eine Frau gelesen, die ihr Leben der Pflege eines behinderten Kindes oder eines Elternteils mit Alzheimer widmet? Nein, hast du nicht. Wenn jemand von Erfolg redet, dann sind immer Gehalt und Status gemeint, nicht der Umstand, dass du es geschafft hast, zu duschen und deine Kleidung zu wechseln, nachdem du zwei Nächte lang mit deinem Kind im Krankenhaus warst, obwohl das – das kannst du mir glauben – ein Erfolg ist. Man liest von Hedgefonds-Managern, die um drei Uhr morgens aufstehen, damit sie ihr Trainingsprogramm absolvieren, ins Fitnessstudio gehen, ihre Mails bearbeiten und ein gesundes Frühstück für die ganze Familie zubereiten, bevor sie einen langen Tag im Büro arbeiten und rechtzeitig zurückkommen, um Gutenachtgeschichten vorzulesen, und dann noch ein paar Stunden arbeiten, bevor sie perfekten Sex haben, dann drei Stunden ungestörten Tiefschlaf und aufwachen und wieder von vorn anfangen. Man liest von Frauen, die zu Hause bei den Kindern waren und plötzlich erkannten, dass sie, wenn sie all die Cupcakes, die sie für Schulfeiern und die Freunde ihrer Kinder gebacken haben, berechnen würden, ihre Backkünste zu einem lukrativen Geschäft machen könnten. Und die Frau, von der ich las, sah übrigens nicht so aus, als hätte sie je einen Cupcake in ihrem Leben gebacken, und sie hat mit Sicherheit keinen gegessen. Wovon du nie etwas liest, sind die Millionen normaler Frauen, die sich bemühen, alles zusammenzuhalten, und die keinen Terminplaner benutzen, weil wir nicht genau wissen, was wir da reinschreiben sollten!«

»Maggie, hol zwischendurch mal Luft!«

Sie atmete tief durch und bemerkte, dass er sie ansah, als wäre sie eine Fremde. »Tut mir leid. Es ist ein bisschen mit mir durchgegangen.«

»Ein bisschen?«

»Ignorier mich einfach. Ich bin ein bisschen gekränkt wegen all der Absagen, das ist alles. Meine Akte ist voll.«

»Du hast eine Akte? Wo?«

»Spielt keine Rolle. Ich habe akzeptiert, dass es nicht so einfach ist, eine neue Richtung einzuschlagen, wie es aussieht. Oder ich dachte, ich hätte es akzeptiert, und dann las ich von Catherine, die es so einfach aussehen lässt.« Sie hob ihren Becher Kaffee. »Nun sieh nicht so erschrocken drein. Vielleicht habe ich keinen Job, den ich liebe, aber ich vergöttere meine Familie. Das Leben besteht immer aus Kompromissen.«

»Aber du bist diejenige, die Kompromisse gemacht hat.« Seine Stimme war rau. »Ich bin um die Welt geflogen und habe dich zurückgelassen, um die Stellung zu halten.«

»Und du hast die Zeit mit den Mädchen verpasst. Du warst nicht da, als Rosie ihre ersten Schritte gemacht hat oder als Katie zum ersten Mal eine ganze Seite gelesen und begriffen hat, dass Worte miteinander verbunden sind. Das war ein magischer Moment.« Bei der Erinnerung stellte sie den Kaffee ab. »Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es genauso wieder machen.« Aber vielleicht hätte sie sich ein bisschen mehr bemühen können, einen anderen Job zu finden. Sie war auf Nummer sicher gegangen und war dort geblieben, wo man sich ihrer familiären Situation anpasste. Vielleicht hätte sie sich ein bisschen mehr bemühen sollen, die eine Sache zu finden, die sie gern gemacht hätte. Aber sie war nicht wie Nick, der mit fünf den Garten seiner Eltern umgegraben und mit neun an den Direktor des Britischen Museums geschrieben hatte. Sie hatte nicht diese eine glühende Leidenschaft.

»Was du eben gesagt hast – ich habe nicht in allem Erfolg«, gab er stirnrunzelnd zurück.

»Doch, den hast du, und das ist in Ordnung. Ich bin stolz auf dich, Nick. Das war ich immer.«

»Du sprichst von meiner Arbeit.«

»Es ist mehr als deine Arbeit. Es ist deine Leidenschaft. Es ist das Wichtigste für dich, und das wissen wir alle.«

»Familie ist ebenfalls wichtig. Darin hatte ich keinen Erfolg.« Er klang traurig. »Ich hatte keinen Erfolg mit unserer Ehe.«

Sie hob den Kopf und sah ihn an. Stille breitete sich aus.

Er setzte an, etwas zu sagen, hielt dann aber inne, als er ein Klopfen an der Tür vernahm.

»Rosie ist da. Schlechtes Timing. Sieht so aus, als hätte sie Kleidung für dich dabei.«

Vielleicht war es ein gutes Timing. Das Gespräch hatte sich von unangenehm bis verwirrend entwickelt.

Und dann wurde Maggie bewusst, dass sie vergessen hatte, dass sie eine Rolle spielten. »Das Sofa …«

»Ich habe das Bettzeug weggepackt, mach dir keine Sorgen.« Erneut warf er einen Blick zur Tür. »Mags, bist du sicher, wir sollten …«

»Ja, bin ich«, unterbrach sie ihn. »Wir sind hier zu einer Hochzeit, Nick. Man spricht bei einer Hochzeit nicht über Scheidung. Selbst der unsensibelste Mensch sollte das einsehen.«

»Willst du damit sagen, dass ich unsensibel bin?«

»Nein, aber wenn du wirklich glaubst, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, es ihr zu sagen, dann bist du es vielleicht.« So schnell, wie ihre Kopfschmerzen es ihr erlaubten, ging sie zur Tür und öffnete sie. Vor ihr stand Rosie. Sie sah schick aus in ihrer schnittigen Skijacke, die Jeans hatte sie in die Schneestiefel gesteckt.

Maggies Herz quoll schier über vor Liebe. Warum erkannten die Menschen nicht, dass nicht alle nach Geld und Status strebten? Manche wurden von der Liebe angetrieben. Die Entscheidungen, die sie getroffen hatte, hatte sie aus Liebe getroffen.

Auch jetzt erschien Rosie ihr immer noch verletzlich. Vielleicht weil sie in all diesen schwierigen Momenten, in denen sie gekämpft hatte, an ihrer Seite gewesen war. Es war schwer, nicht das kleine Mädchen in ihr zu sehen, das sie einst gewesen war. Oder vielleicht lag es daran, dass Rosie so offen war für das Leben und alles, was es zu bieten hatte. Sie hatte keine Grenzen, und das war sowohl etwas Gutes als auch etwas Schlechtes.

»Guten Morgen, Liebling. Komm raus aus der Kälte.«

Rosie trat ein und sah sie besorgt an. Sie trug eine Wollmütze, und ihre Wangen waren rosig von der Kälte. »Wie geht’s dir?«

»Es geht mir gut, und es tut mir leid, wenn ich dich in Verlegenheit gebracht habe. Nächstes Mal besorge ich mir eine Vollnarkose für den Flug, keinen Alkohol.« Sie umarmte ihre Tochter. »Verzeihst du mir?«

»Da gibt es nichts zu verzeihen.« Rosie küsste sie und zog dann ihre Stiefel aus, wobei sie überall Schnee verteilte. »In der Nacht hat es wieder ein paar Zentimeter geschneit. Dan und Jordan sind früh los, um die ersten Spuren zu ziehen.« Sie sah das verständnislose Gesicht ihrer Mutter. »Die erste Skifahrt des Tages. Im frischen Pulverschnee. Sie werden unten sein, bevor die Touristenhorden fertig gefrühstückt haben und auf den Gipfel stürmen.«

Maggie konnte sich nicht vorstellen, die eisigen Pisten eines Berges ihrem gemütlichen, warmen Bett vorzuziehen. »Wer ist Jordan?«

»Dans bester Freund. Sie kennen sich, seit sie als Kinder hier die Sommer verbracht haben, und Jordan lebt und arbeitet noch immer im Tal. Er hat sich hier ein Haus gebaut. Er wird der Trauzeuge sein.«

»Er hat ein Haus gebaut? Dann ist er Bauunternehmer?«

»Nein. Aber er ist handwerklich begabt. Praktisch. Er ist Baumpfleger. Baumchirurg.«

»Hier gibt es jede Menge Bäume, das ergibt Sinn.« Maggie freute sich. Es würde interessant sein, mit jemandem zu sprechen, der sich mit Bäumen auskannte. »Ich frage mich, ob er vielleicht weiß, was ich mit unserem alten Apfelbaum tun sollte?«

»Frag ihn. Jordan weiß alles. Natur und Gespräche sind seine großen Leidenschaften.« Rosie küsste ihren Vater. »Hallo, Dad. Gut geschlafen? Ist dieses Bett nicht das bequemste, in dem du je gelegen hast?«

Nicks Miene verriet nichts. »Als ob man auf einer Wolke schliefe.«

»Wie geht es deinem Kopf, Mum?« Rosie grinste, als sie die große Tasche, die sie dabeihatte, aufs Sofa stellte. Das Sofa, auf dem Nick ein paar Stunden zuvor übernachtet hatte.

»Meinem Kopf geht es gut«, log Maggie. »Will Dan dich immer noch heiraten, oder hat das Zusammentreffen mit deiner Familie ihn abgeschreckt?«

»Dan fand es sehr amüsant, zu sehen, wie ihr beide euch wie ein frischgebackenes Ehepaar aufgeführt habt. Besser als Eltern, die streiten, oder? Catherine sagt immer, dass es ganz furchtbar sein kann, geschiedene Eltern bei der Hochzeit zu haben.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Maggies Lachen fiel schriller aus als beabsichtigt. »Es tut mir schrecklich leid, dass wir das Dinner mit Dans Familie versäumt haben. Ich hatte mich darauf gefreut.«

»Kein Problem. Du verbringst den Vormittag mit Catherine, insofern lernst du sie dann kennen.« Rosie öffnete die Tasche. »Ich habe ein paar Sachen mit, die dir passen könnten. Dans Tante hat sie an Thanksgiving zurückgelassen, weil sie wusste, dass sie zur Hochzeit wiederkommt. Probier sie an. Vermutlich entsprechen sie nicht ganz deinem Stil, doch sie werden reichen, bis du etwas gefunden hast.« Sie zog einen pinkfarbenen Pullover hervor, dessen paillettenbesetzter Halsausschnitt in der Sonne glitzerte.

Maggie verspürte einen stechenden Kopfschmerz.

War Dans Tante Showgirl in Vegas?

»Danke.«

»Und Jeans.« Rosie warf sie ihr zu. »Du hast dieselbe Schuhgröße wie ich, insofern leihe ich dir mein zweites Paar Schneestiefel.«

Maggie hatte seit zwei Jahrzehnten keine Jeans mehr getragen.

Sie versuchte, nicht an die sorgfältig ausgesuchten Outfits zu denken, die sie im Koffer hatte.

»Okay. Ich zieh das mal an, während du dich mit deinem Vater unterhältst.« Mit der Reserve-Unterwäsche, die sie vorsorglich ins Handgepäck gesteckt hatte, verschwand sie im Badezimmer und zog die Sachen an.

Die Jeans war zu eng, doch wenn sie den Bauch einzog, bekam sie sie trotzdem zu.

Sie ging zu Rosie und Nick hinaus, die über die Hochzeit sprachen.

»Katie kommt mit dem Nachmittagsflug, aber Dan muss irgendwohin, und ich habe eine letzte Anprobe mit dem Hochzeitskleid. Meinst du, es macht ihr etwas aus, wenn Jordan sie abholt? Er hat angeboten, zum Flughafen zu fahren.«

»Sie wird dankbar dafür sein, da bin ich sicher.« Was Katie anging, war sich Maggie neuerdings nicht mehr vieler Dinge sicher. Sie freute sich darauf, sie endlich wieder persönlich zu sehen. »Das ist nett von ihm. Ist er verheiratet?«

Rosie warf ihr einen Blick zu. »Denk nicht mal dran. Du weißt, wie Katie ist. Und ehrlich gesagt, kann ich mir keine zwei Menschen vorstellen, die schlechter zusammenpassen als Jordan und meine Schwester.«

»Warum? Was ist falsch an deiner Schwester?«

»Nichts. Ich liebe sie. Aber du musst zugeben, dass sie ein Workaholic ist.«

»Sie hat einen wichtigen Job.« Katie hat leider auch nicht alles, dachte Maggie traurig. Sie hatte die Arbeit, aber sehr wenig Zeit für irgendetwas anderes.

»Außerdem ist sie ein Stadtmensch. Jordan kann nach zwei Stunden in der Stadt nicht mehr atmen.« Rosie trat einen Schritt zurück. »Du siehst hübsch aus in der Jeans.«

»Sie sitzt wie ein Druckverband. Durch den unteren Teil meines Körpers fließt kein Blut mehr. Und ich bin zwanzig Jahre zu alt, um sie zu tragen.«

»Ich finde, du siehst toll aus.« Rosie reichte ihr Handschuhe und eine Mütze. »Bist du bereit für einen Einkaufsbummel? Ich setze dich auf meinem Weg in die Stadt in der Snowfall Lodge ab.«

Da sie wusste, dass sie nach ihrem alles andere als eindrucksvollen Auftritt gestern Abend keine Ausflüchte machen konnte, zog Maggie ihren Mantel an.

Egal, was passierte, sie würde versuchen, ihre Tochter nicht in Verlegenheit zu bringen.

Rosie wandte sich an ihren Vater. »Dan und Jordan holen dich hier in einer halben Stunde ab, und wir treffen uns alle später. Sie bringen dir etwas zum Überziehen mit, das dich trocken und warm hält.«

Auch wenn sie es gestern Abend mit ihrer Rolle übertrieben hatte, wusste Maggie doch, dass sie noch immer das gleiche Stück spielten, und ging hinüber zu Nick, um ihm einen Abschiedskuss zu geben. Zu ihrer Überraschung nahm er ihr Gesicht in seine Hände und erwiderte ihren Kuss. Seine Lippen waren warm und weich, und sie spürte, wie sie leicht erschauerte.

Vielleicht bin ich noch ein bisschen betrunken, dachte sie, während sie sich löste.

Sie fragte sich, was er hatte sagen wollen, bevor Rosie aufgetaucht war.

Rosie verdrehte die Augen. »Ihr beiden! Das ist echt eine hohe Messlatte, die ihr da auflegt.«

Maggie ging zur Tür, ohne Nick anzusehen.

Vermittelte sie Rosie eine falsche Vorstellung von der Ehe, indem sie nicht aufrichtig war?

Nein. Sie tat das Richtige. Hier ging es um Rosie und Dan, nicht um sie.

Gemeinsam mit ihrer Tochter verließ sie das Baumhaus. Gestern Abend hatte sie den Wald und den Nachthimmel wegen des Alkohols wie durch einen Nebel wahrgenommen, doch heute war ihr Blick so klar wie der makellos blaue Himmel. Neuschnee bedeckte die Bäume, und sie spürte die eisige Luft an ihren Wangen. Als Erstes fiel ihr auf, wie ruhig und friedvoll es hier war. Einen Moment stand sie da, umgeben vom dichten Wald, und lauschte dem leisen Knacken von Ästen und dem sanften Rieseln des Schnees. Sie erblickte einen zugefrorenen Teich mit Nadelbäumen auf der einen und hohen Espen auf der anderen Seite.

Catherine wartete draußen vor der Snowfall Lodge, schlank und elegant in ihren Jeans, einem Mantel mit Fellbordüre und mit einer großen Sonnenbrille.

Maggie hatte nicht erwartet, sie so zwanglos gekleidet zu sehen, und fühlte sich sofort besser, auch wenn Catherine wirkte, als würde sie ihr halbes Leben im Fitnessstudio verbringen, und Jeans an ihr wie Haute Couture aussahen.

Immerhin hatte sie keinen Terminplaner unter den Arm geklemmt.

Rosie stellte sie einander vor, und Maggie stieg rasch in den Wagen zu der zukünftigen Schwiegermutter ihrer Tochter. Die Jeans schnitt sie am Bund fast in zwei Teile. Vielleicht sollte sie darum bitten, sich auf der Rückbank hinlegen zu dürfen.

»Ich möchte mich entschuldigen, dass wir gestern Abend nicht zum Dinner gekommen sind.«

»Kein Problem! Der Flug bringt einen um. Ich sollte vermutlich bedauern, dass die Fluggesellschaft deinen Koffer verloren hat, aber ehrlich gesagt ist das eine tolle Entschuldigung, um einkaufen zu gehen.« Catherine bebte vor Energie, sodass Maggie sich ihres pochenden Kopfes und des benommenen Gefühls, das Nick ihr als Jetlag bescheinigte, noch stärker bewusst wurde.

»Ich fliege nicht gern.«

»Ich auch nicht. Mein bester Freund auf einem Flug ist der Alkohol.«

Maggie lachte. Vielleicht hatten sie und Catherine mehr gemeinsam, als sie dachte. »Reist du viel?«

»Früher ja. Als ich das Geschäft aufgebaut habe, bin ich auf all die großen Hochzeitsmessen gegangen, aber jetzt haben wir so viel Mund-zu-Mund-Propaganda, dass wir kaum nachkommen mit der Arbeit. Insofern bleibe ich meist in der Gegend. Die meisten meiner Zulieferer kommen direkt hier aus dem Tal. Ich arbeite mit einem Fotografen, der in der Stadt eine Galerie betreibt, einem ansässigen Floristen, und dann gibt es noch einen Brautmodenshop, der von einer Modedesignerin betrieben wird, die unsere Berge dem Glitzer von Manhattan vorzieht. Sie hat ein wunderbar erlesenes Kleid für Rosie, und ich kann kaum erwarten, es dir zu zeigen.«

»Es ist sehr großzügig von dir, Rosie so zu unterstützen.«

»Ich bete Rosie an. Sie ist so warmherzig und natürlich. Als Dan sie uns vorgestellt hat, dachte ich im gleichen Moment: Lass sie die Richtige sein. Die ganze Familie ist von der Hochzeit begeistert. Du auch?«

War sie begeistert? »Dan ist entzückend«, antwortete sie diplomatisch. Sie war noch immer nicht sicher, was sie gestern Abend zu ihm gesagt hatte. »Aber es ging alles ziemlich schnell.«

»Ich weiß. Als Dan zu Thanksgiving den Antrag machte, hätte ich fast geweint.«

Maggie hatte ebenfalls fast geweint, auch wenn sie vermutete, dass dies einen anderen Grund gehabt hatte. »Dann war es eine Überraschung für dich?«

»Du machst dir keine Vorstellung. Es war sowieso eine besondere Familienzusammenkunft, weil Rosie bei uns war, doch ich hätte nie gedacht, wie besonders es würde. So romantisch und bedeutsam, denn mein Dan ist nicht impulsiv. Ist Rosie es?«

Ja, dachte Maggie. Ändert ihre Meinung schneller, als ein Schweinchen blinzelt. »Sie scheinen sehr verliebt zu sein.«

Waren sie das? Auch in der Beziehung konnte sie sich an wenig von gestern erinnern, doch es schien richtig zu sein, es zu sagen.

Wie hatte Rosie heute Morgen gewirkt? Ziemlich normal, auch wenn Maggie sich wieder mehr darauf konzentriert hatte, die eine Hälfte eines liebenden Ehepaares zu spielen. Und wer war sie schon, das zu beurteilen? Es war ihr nicht gelungen, die eigene Ehe am Laufen zu halten. Selbst wenn sie nachsichtig mit sich war, war sie mindestens zu fünfzig Prozent dafür verantwortlich.

Vielleicht hatte Nick recht. Vielleicht war es albern, die Wahrheit zu verbergen.

Es war noch nicht zu spät, sich eines Besseren zu besinnen. Katie kam heute Abend. Sie und Nick konnten sich mit den Mädchen hinsetzen und die Dinge erklären: Sicherlich würden sie bestürzt sein, doch das wären sie sowieso, egal, wann sie es ihnen sagten, und die Hochzeit war erst in einer Woche. Sie konnte sogar eine Ablenkung sein.

Catherine fuhr in Richtung Stadt. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie erfrischend es ist, dass die Brauteltern noch verheiratet und verliebt sind. Wenn wir mehr Zeit haben, erzähle ich dir von den letzten beiden Hochzeiten, die ich mit organisiert habe. Ein Albtraum! Die Brauteltern befanden sich in der Trennungsphase, und es war, sagen wir mal, nicht harmonisch. Ich weiß, dass du Dan erzählt hast, dass dies wie zweite Flitterwochen für euch sind.«

Hatte sie das gesagt?

Maggie wollte aus dem Wagen springen und so schnell wie möglich in die andere Richtung rennen, doch die Jeans machten das unmöglich.

Abgesehen von dem Schwur, den Rest ihres Lebens keinen Alkohol mehr zu trinken – was konnte sie tun?

Auf keinen Fall konnte sie Catherine oder den Mädchen die Wahrheit sagen.

Das Timing wäre völlig falsch. Nick hatte recht. Sie hätten es vor Monaten tun sollen, statt abzuwarten. Das war alles ihre Schuld.

»Wir sind sehr lange verheiratet«, sagte sie schließlich. Zumindest entsprach das der Wahrheit. »Ich bin nicht sicher, ob ich so weit gehen würde, dies als zweite Flitterwochen zu bezeichnen.«

»Jetzt bist du verlegen, aber das brauchst du nicht.« Catherine blickte kurz zu Maggie. »Ehrlich? Ich beneide dich.«

Maggie starrte sie an, diese schlanke, selbstbewusste, erfolgreiche Superfrau, die von ihren Jeans eindeutig nicht in zwei Hälften gequetscht wurde. »Du beneidest mich?«

»Ja. Du hast noch immer deinen Seelenpartner. Rosie erzählte mir, dass ihr euch im College kennengelernt habt. Jonny und ich ebenfalls.«

»Dein … dein Verlust tut mir leid.«

»Mir auch.« Catherine umklammerte das Steuer fester. »Aber das Leben geht weiter, oder? Man läuft weiter, auch wenn die Füße bluten und man sich kaum aufrecht halten kann. Aber es macht mich glücklich, zu wissen, dass ihr noch immer eure Gemeinsamkeit genießt. Manche Menschen sind sich nicht bewusst, was sie haben, bis sie es verlieren, aber ihr wisst es. Ich wünschte, Jonny und ich hätten mehr Zeit miteinander verbracht, einfach einander genossen, aber wir waren immer beschäftigt und haben uns auf das nächste Ziel konzentriert, weißt du?«

Maggie war eine Betrügerin und diese Jeans ihre Strafe. »Die meisten Menschen vergessen, aus den kleinen Momenten das Beste zu machen.«

»Aber ihr nicht.« Catherine berührte Maggie am Arm. »Wir kennen uns kaum, aber ich würde das sowieso sagen, und ich hoffe, du findest es nicht merkwürdig … Du inspirierst mich.«

»Ich?«

»Ja, du! Warum so überrascht? Du hast eine wunderbare Tochter, die offen, liebenswürdig, intelligent und warmherzig ist. Ich weiß, wie wichtig Weihnachten für dich ist, weil mir Rosie alles über eure Traditionen erzählt hat und wie sehr ihr alle diese Jahreszeit liebt. Die meisten Frauen wären empört und unglücklich, zu einer solch besonderen Zeit verreisen zu müssen, doch stattdessen hast du dich entschieden, es als zweite Flitterwochen zu betrachten. Ich möchte auf jede erdenkliche Weise helfen, also sag mir gern, wie ich diese Reise zu etwas Besonderem machen kann. Dinner bei Kerzenschein? Vielleicht zu klischeehaft. Das könnt ihr auch zu Hause machen.« Catherine runzelte die Stirn. »Schneeschuhwandern kann romantisch sein. Lass mich darüber nachdenken, aber ich verspreche dir, Maggie, dass dies ein Weihnachten wird, an das ihr euch immer erinnern werdet.«

Dem würde Maggie nicht widersprechen.

Sie hatte keine Ahnung, wie sie das verworrene Chaos, das sie angerichtet hatte, wieder auflösen sollte.

Zeit für Zweisamkeit. Ach Maggie, Maggie …

»Du bist sehr freundlich.« Weil sie keine Ahnung hatte, in welche Richtung sie das Gespräch steuern sollte, konzentrierte sie sich auf die Landschaft. Überall um sie herum erhoben sich Berge, und frischer Schnee glänzte unter dem makellos blauen Himmel.

»Ich liebe es, dass Rosie aus so einer warmherzigen, stabilen Familie kommt. Wie ich schon sagte, bei über der Hälfte der Hochzeiten, die ich arrangiere, spricht mindestens eines der Elternpaare nicht miteinander. Das macht Probleme beim Sitzplan, das kann ich dir sagen. Und die Hochzeitsbilder sehen schrecklich aus, wenn Menschen sich böse anfunkeln. Letzten Monat hatte ich ein Paar aus Texas, bei dem sich beide weigerten, nebeneinanderzustehen – die Eltern, nicht Braut und Bräutigam. Mit der Familie würde ich nicht Thanksgiving und Weihnachten verbringen wollen.«

Würde Nick und ihr dasselbe passieren?

Würden sie allmählich anfangen, sich zu hassen?

Vielleicht wäre es einfacher, wenn sie sich hassten. Vielleicht würde es dann wenigstens Sinn ergeben.

Im Moment lag sie oft im Dunkeln da, starrte an die Decke und dachte darüber nach, wann und warum es schiefgelaufen war. Es war ein Puzzle, das sie nicht lösen konnte, und das machte es irgendwie noch schwerer, es zu akzeptieren.

»Finden die Hochzeiten in der Lodge selbst statt?«

»Manchmal. Im Winter ist es magisch, weil wir den hinteren Raum haben, und mit den Lichtern und dem Glas ist das ein intimer Veranstaltungsort. Im Sommer ziehen die Leute es oft vor, draußen zu feiern. Wir können das Catering für eine elegante Hochzeit ausrichten, doch wenn jemand etwas Rustikaleres möchte, buche ich manchmal eine von den örtlichen Ranches.«

»Rustikal?«

»Ja, aber dann wollen sie oft Tiere – nicht, dass ich Tiere nicht lieben würde, denn das tue ich, aber grundsätzlich bevorzuge ich es, dass die Menschen am Tag der Tage tun, was ich sage, damit alles reibungslos funktioniert, und Tiere tendieren dazu, ihren eigenen Kopf zu haben.«

Maggie lachte. Sie hatte nicht erwartet, dass Catherine so amüsant war.

Und sie hatte nicht erwartet, über Hochzeitsgeschichten lachen zu können, während ihre Ehe den Bach hinunterging.

»Die Leute wollen Tiere bei ihrer Hochzeit? Was für Tiere denn?«

»Manchmal ein geliebtes Haustier der Familie. Im letzten Sommer wollte ein Paar, dass ihr Hund die Ringe bringt. Unglücklicherweise war der Hund viel zu aufgeregt wegen all der Menschen und rannte mit den Ringen davon. Wir mussten improvisieren.«

Sie befanden sich nun am Rande des Städtchens, und Maggie hatte nie zuvor etwas Hübscheres gesehen. Winzige Lichter umrahmten die Dächer und Fenster, sodass jedes Gebäude zu glitzern schien. Selbst die Laternenmasten, die aus dem Schnee aufragten, waren mit Lichterketten umwickelt und mit großen roten Schleifen verziert.

»Das ist hübsch. So festlich.«

»Ach, das ist noch gar nichts. Ich kann es kaum erwarten, dir morgen mehr von dem Ort zu zeigen. Wir werden hier parken und dann zu Fuß gehen. Du wirst es lieben. Es mag nicht wie zu Hause sein, aber wir feiern Weihnachten sehr schön, denke ich. Es ist schwer, nicht in Weihnachtsstimmung zu kommen, wenn man meterhohen Schnee hat. Die Stadt bietet viele Aktivitäten an. Vom Backen eines Lebkuchenhäuschens bis zum Jazzkonzert kann man alles Mögliche tun. Die Leute halten dies für einen glamourösen Ort, aber es gibt auch einen Hauch von Landleben. Wir sind Bergleute.«

Reiche Bergleute, dachte Maggie, als sie aus dem Wagen stieg und die vielen Designerläden registrierte. Verkauften sie überhaupt Kleidung an Menschen mit einem normalen Einkommen? »Wie improvisiert man Hochzeitsringe?«

»Ich habe immer Ersatzringe dabei«, erklärte Catherine. »Und ich musste sie schon öfter einsetzen, als du dir vorstellen kannst. Aber das ist das Geschäft. Es gibt immer Herausforderungen. Die eine Braut hatte ein eigenes Pferd und wollte es auf den Bildern haben. Das funktionierte besser als erwartet. Und das Pferd passte perfekt in den Farbrahmen. Und dann gibt es da natürlich noch die Lama-Hochzeiten.«

»Lama-Hochzeiten?«

»Ja, das liegt immer mehr im Trend. Einerseits sind Lamas sehr beruhigend, was hilfreich sein kann, vor allem wenn kleine Kinder dabei sind. Auf der anderen Seite haben sie die unangenehme Angewohnheit, alles zu fressen, was sich in Reichweite befindet, das eine Mal sogar den Hochzeitskuchen.«

»Was passiert auf den Bildern?«

»Man hat eine Braut, einen Bräutigam und zwei Lamas.«

»Sind die Lamas auch verheiratet?«

Catherine lachte und verschloss den Wagen. »Nein, aber sie sind eindeutig in einer Beziehung. Ich bin die Erste, die zugibt, dass das Ganze mehr country als classy ist, aber für manche funktioniert’s.«

Maggie dachte an Rosies Asthma. »Bitte sag mir, dass Rosie und Dan keine Lama-Hochzeit haben werden.«

»Nein. Rosie hat sich etwas Einfaches gewünscht.«

Das klang überhaupt nicht nach Rosie. Sie war sehr romantisch. Maggie hätte etwas Ausgefallenes erwartet. Natürlich keine Lamas, aber etwas Verträumtes. Aber vielleicht hatte der Zeitrahmen das nicht zugelassen.

»Es ist wirklich nett von dir, dies alles so kurzfristig zu organisieren.« Sie kam sich dumm vor, dass sie je ein Gefühl von Eifersucht verspürt hatte. Rosie hatte Glück, in eine so bezaubernde Familie hineinzuheiraten.

»Es ist mir eine Freude, und das meine ich auch so. Nichts macht mir mehr Spaß, als eine Hochzeit auszurichten, und wenn mein Sohn das Mädchen seiner Träume heiratet, dann ist das auch mein Traum.« Lächelnd hakte sie sich bei Maggie unter. »Was für eine Hochzeit hattet du und Nick?«

Der Schmerz in ihrer Brust war zurück. »Eine einfache. Nur wir beide, in einer kleinen Kirche in Oxford, mit meiner besten Freundin als Trauzeugin und Nicks engstem Freund als Trauzeugen. Wir haben im Winter geheiratet, und es war eiskalt in der Kirche, sodass wir unser Ehegelübde so schnell wie möglich ablegten, bevor wir uns Frostbeulen holten.« Und sie hatten die ganze Zeit gelacht und sich geküsst. Nick hatte versucht, ihre eiskalten Hände zu wärmen, indem er sie unter seine Jacke zog, und dann unanständige Vorschläge gemacht, wie sie sich beide aufwärmen könnten. »Hinterher sind wir mit seinen Kollegen in den Pub gegangen.«

»Eure Familien waren nicht dabei?«

»Nicks Mutter war da, auch wenn ich mich nicht erinnern kann, dass sie viel gelächelt hätte. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Meine Eltern waren mit der Hochzeit nicht einverstanden, deshalb wollten sie nicht kommen. Damals fühlte ich mich schlecht deswegen, doch rückblickend denke ich, dass es vermutlich das Beste war. Ein paar Menschen mehr hätten vielleicht die Kirche ein bisschen wärmer gemacht, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass sie viel zu der Zeremonie beigetragen hätten.«

»Warum waren sie nicht einverstanden?«

»Sie dachten, wir wären zu jung. Und sie hatten Probleme mit Nicks Beruf. Sie hielten ihn für zu lässig und abenteuerlustig und fanden, dass er einen richtigen Job braucht. Er ist Ägyptologe.«

»Ich weiß. Rosie sagt, dass er sehr klug ist. Sie hat uns ein Video mit einem Vortrag von ihm auf YouTube gezeigt. Sie ist sehr stolz auf ihren Vater. Waren deine Eltern nicht stolz?«

»Sie starben kurz nach unserer Hochzeit, sodass sie ihn nur kannten, bevor er sich einen Namen gemacht hat, doch sie verstanden seine akademische Karriere nicht. Sie dachten, es wäre etwas Belangloses. Kein richtiger Job. Sie waren besorgt, dass er mich nicht ernähren könnte.«

»Und du? Hast du nicht gearbeitet?«

Sie spazierten gemeinsam durch den Schnee, und selbst mit pochendem Kopf und einem Sack voller Ängste war Maggie entzückt.

Die ganze Reise entwickelte sich besser als erwartet, wenn man von dem Unbehagen absah, dass sie Catherine nicht die Wahrheit gesagt hatte.

»Ich habe bei einem Wissenschaftsverlag gearbeitet. Tue ich immer noch.«

»Was für ein kluges Paar ihr seid. Kein Wunder, dass er dich geheiratet hat.«

Maggie fühlte sich nicht klug, erst recht nicht neben Nick. Sie hörte eher zu, als selbst zu sprechen, weil sie überzeugt war, dass alles, was sie sagte, im Vergleich zu seinen Wüstengeschichten langweilig war. Er war von Natur aus ein guter Geschichtenerzähler und besaß die Fähigkeit, jede Anekdote auszuschmücken und die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu fesseln. Aus diesem Grund waren seine Vorlesungen immer bis auf den letzten Platz gefüllt.

»Wir verstanden einander. Wir wollten beide die Art von Familie schaffen, die keiner von uns als Kind gehabt hat.«

»Rosie erzählte mir, dass ihr in dem allerhübschesten Cottage lebt.«

»Ja.« Maggie dachte daran, wie das Cottage über Weihnachten dunkel und leer sein würde. Sie empfand fast so etwas wie Schuld und kam sich albern vor. Ein Haus konnte sich nicht einsam fühlen. Sie war nostalgisch wegen all der wundervollen Weihnachtsfeste, die sie im Cottage verbracht hatten. »Es ist ein besonderer Ort. Hoffentlich kommt ihr mal zu Besuch.« Sie sagte es aus Höflichkeit, nicht weil sie tatsächlich glaubte, dass es geschehen würde. Wie konnte es auch? Sie würde nächstes Jahr nicht mehr dort wohnen.

»Was hattest du an?«

»Zu meiner Hochzeit? Wir hatten nicht viel Geld, und meine Eltern weigerten sich, für etwas zu zahlen, das in ihren Augen ein Fehler war. Also fand ich etwas in einem Secondhandladen und sagte mir, es sei Vintage. Wo wir beim Thema sind: Du musst mir sagen, wie viel du für Rosie ausgegeben hast, damit ich es dir zurückzahlen kann.«

»Ganz und gar nicht. Diese Hochzeit ist mein Geschenk für sie. Sag mal, hast du dein Gepäck absichtlich verloren?«

»Wie bitte?«

»Absichtlich. Verlorenes Gepäck ist eine fabelhafte Ausrede für einen Einkaufsbummel, oder?«

Was sollte sie darauf antworten? Maggie entschied, dass sie vielleicht wegen ihrer Ehe lügen mochte, doch wegen anderer Dinge würde sie nicht die Unwahrheit sagen. »Ich gehe nicht so gern shoppen. Ich finde nie Dinge, die mir gefallen, und die ganze Prozedur erscheint mir oft demütigend.«

»Dann wirst du froh sein, mit mir unterwegs zu sein. Einkaufen ist meine Leidenschaft, und wir stehen vor meiner Lieblingsboutique.«

Maggie sah einmal ins Schaufenster und wusste, dass sie sich dort nicht mehr als ein Paar Handschuhe würde leisten können. »Ich glaube, das könnte mein Budget sprengen.«

»Keine Sorge. Ich schicke so viele Leute hierher, dass sie mir die Kleidung zum Selbstkostenpreis überlassen.«

Sie steuerte Maggie in die einladende Wärme und begrüßte die Frau, die im Laden stand. »Dies ist meine gute Freundin Maggie. Sie ist Rosies Mutter – siehst du die Ähnlichkeit? Die gleichen Augen und die gleiche schöne Haut. Sie braucht eine komplett neue Garderobe, weil die Fluggesellschaft ihr Gepäck verloren hat.«

Die Miene der Frau hellte sich auf, wohingegen Maggie das Herz in die Hosen rutschte. Sie würde Honeysuckle Cottage verkaufen müssen, um das hier bezahlen zu können.

»Mein Koffer kommt vielleicht nach. Ich brauche nur ein paar Dinge.«

»Wir schauen mal, was uns ins Auge springt, oder?« Catherine durchforstete die Kleidung, als hätte sie einen Auftrag, griff hier nach einem Kleid und dort nach einem Pullover. Schwarze Hosen, ein paar Blusen, ein Kaschmir-Poncho, ein Mantel mit einer Kunstfellkapuze. Sie war eine Kraft, mit der man rechnen musste. Glaub mir, du wirst gut darin aussehen.

Mit beträchtlicher Mühe befreite sich Maggie aus ihrer Jeans und schlängelte sich in die schwarze Hose und einen eng anliegenden Rollkragenpullover in einem völlig unpraktischen Cremeton. Nichts davon hätte sie selbst ausgesucht. Sie trug meistens Tuniken, die alle Teile von ihr bedeckten, die sie nicht mochte. Sie versuchte ein weiches, leicht glitzerndes Wollkleid abzulehnen, doch Catherine bestand darauf, dass es perfekt sei zu Weihnachten. Ihre Überzeugungskraft war größer als Maggies Widerstand.

War sie auch so gewesen, als sie mit Rosie das Hochzeitskleid gekauft hatte?

Maggie atmete tief ein und zwang sich, in den Spiegel zu sehen.

»Oh.«

»Was?« Catherine öffnete die Tür zur Umkleide. »Oh, hallo, umwerfend. Der Pullover ist perfekt.«

»Normalerweise trage ich keine engen Pullover. Ich bin zu fett.«

»Fett? Sei nicht albern. Du siehst toll aus. Auch wenn du deine Haare ein bisschen abschneiden könntest. Oder vielleicht binden wir sie zu einem unordentlichen Knoten …« Sie fuhr mit den Fingern durch Maggies Haar, drehte es zusammen und steckte es mit Klammern, die sie aus ihrer Handtasche nahm, hoch. »Mir gefällt’s. Dazu noch ein wenig Make-up.«

»Ich habe keins.«

»Oh, das ist schade. Ist es in deinem verlorenen Koffer?«

»Nein, ich trage normalerweise keins. Gelegentlich Lippenstift.«

»Wie bitte?« Catherine wirkte verblüfft. »Das müssen wir ändern. Weißt du, was wir machen, während du hier bist? Einen Wellness-Tag. Haare. Nägel. Make-up. Frauengespräche. Vielleicht ein oder zwei Gläser Champagner, während wir uns besser kennenlernen.«

Maggies Kopf pochte noch immer von dem letzten Glas Champagner. »Ich habe noch nie einen Wellness-Tag gemacht.«

»Wirklich?« Catherine schien nicht nur verblüfft zu sein, sondern kurz vor der Ohnmacht zu stehen, doch sie erholte sich rasch. »Wie verwöhnst du dich denn normalerweise?«

»Ähm … ich lese in der Badewanne?«

»Das zählt nicht. Ich kann nicht glauben, dass du noch nie einen Wellness-Tag genossen hast. Das werden wir ändern.« Catherine strahlte sie an und gab ihr den Mantel. »Probier mal diesen. Dein Gesicht wird so süß aussehen, umrahmt von dem Fell.«

Maggie, die sicher war, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie süß ausgesehen hatte, zog den Mantel an. »Was meinst du?«

»Perfekt. Und er wird dich warm halten während deines Aufenthalts hier. Wenn du mit dem Schneemobil rausfährst oder mit dem Hundeschlitten, werden wir dir etwas Wärmeres geben.« Sie nahm den Mantel zurück. »Du brauchst sowieso nicht viel Make-up, du hast wunderbare Haut. Offenbar benutzt du Sonnencreme.«

»Ich arbeite die Hälfte der Zeit in einem fensterlosen Büro, das ist also meine spezielle Form von Sonnencreme.«

»Ich beginne zu verstehen, warum du deinen Job nicht magst. Jetzt lass uns noch ein paar Sachen anprobieren.«

Jedes Outfit, das Maggie anprobierte, musste Catherines Prüfung bestehen, doch man musste fairerweise sagen, dass sie ein gutes Auge hatte.

Bevor sie es sich anders überlegen konnte, bezahlte Maggie mit ihrer Kreditkarte.

Einkaufen hatte nie Spaß gemacht, aber das hier hatte Spaß gemacht.

Was vermutlich an Catherine lag.

»Was ist mit Nachtwäsche? Wenn das hier deine zweiten Flitterwochen sind, solltest du dich entsprechend anziehen.« Catherine musterte Maggie einen Moment und griff dann nach einer Garnitur aus dem Regal. »In Schwarz wärst du blass. Versuch es mit Elfenbein.« Kurzerhand reichte sie ihr ein Stück Seide mit zwei gekreuzten Bändern im Rücken.

Maggie hatte noch nie Reizwäsche getragen. Honeysuckle Cottage zu überleben war nur möglich, wenn man statt Seide feste Baumwolle trug.

»Das ist nicht praktisch.«

»Was man im Schlafzimmer anzieht, sollte nie praktisch sein.«

Maggie schloss die Tür und zog sich erneut aus.

Wenn sie das hier kaufte, würde Nick sie für verrückt halten.

Sie würde auf jeden Fall Nein sagen.

Sie zog es über den Kopf und hinunter bis zum Oberschenkel. Dann starrte sie sich im Spiegel an.

Mit ihrem zerzausten Haar und den roten Lippen sah sie … sie sah …

»Oh Mann, du siehst supersexy darin aus.« Catherine lächelte, als sie durch den Türspalt linste. »Nick wird nicht in der Lage sein, dir zu widerstehen.«

Maggie war ziemlich sicher, dass Nick kein Problem damit hatte, ihr zu widerstehen. Falls er das hätte, wäre er nicht ausgezogen. Wie lange hatten sie keinen Sex mehr gehabt? Dass sie sich nicht einmal daran erinnern konnte, sagte viel aus.

Was, wenn er das Negligé sah und dachte, dass sie ihn verführen wollte?

Das wäre unglaublich peinlich.

Sie brauchte kein verführerisches Nachthemd, und sie würde es Catherine direkt zurückgeben.

Es zu behalten wäre einfach nur albern.