»Als Catherine sagte, das Restaurant liege in den Bergen, war mir nicht klar, dass wir mit einer Pistenraupe herkommen müssen.« Maggie ging die paar Schritte bis zur Hütte, trat in die einladende Wärme und sog den Duft ein. »Kräuter und Knoblauch. Riecht gut.«
»Und zurück fahren wir mit dem Pferdeschlitten. Ich weiß nicht, ob das besser oder schlechter sein wird.« Nick überreichte dem Personal seinen Mantel und den Schal, wobei Schnee zu Boden fiel. »Ist dir kalt?«
»Nein. Die Decken, die sie uns gegeben haben, waren warm.« Und sie hatte auf der Bank nahe an ihn heranrücken müssen, um Platz für andere zu machen. Ihr Schenkel hatte sich an seinen gedrückt, ihr Arm an seinen – zwei Hälften, die zusammengepresst wurden, als seien sie ein Ganzes. Sie musste sich in Erinnerung rufen, dass sie kein Ganzes mehr waren. Dass sie sich getrennt hatten. Doch ihr Kopf hatte nicht mitspielen wollen und sie zurückgeführt zu dem Moment im Baumhaus. Von innen aufgeheizt, hatte sie die Kälte kaum bemerkt.
Sogar jetzt, als er ihr aus dem Mantel half, registrierte sie die leichte Berührung seiner Finger in ihrem Nacken. Es war, als ob ihr Körper plötzlich höchst empfänglich für seine Berührungen wäre.
Er reichte den Mantel dem Personal. »Offenbar ist es möglich, auch mit Schneeschuhen hier oben hinzukommen.«
»Ich bin froh, dass wir uns für die Pistenraupe entschieden haben. Meine Abenteuerlust hat Grenzen, und ich möchte mich für mein Abendessen nicht so sehr anstrengen müssen. Fahren wir wirklich mit einem Pferdeschlitten zurück? Wird das Pferd friedlich sein?«
»Solange es uns sicher den Berg runterbringt, ist mir seine Persönlichkeit ziemlich egal.«
»Du wirst vermutlich sagen, dass Kamele schlimmer sind.«
»Kamele sind eindeutig schlimmer.«
Sie wurden zu ihrem Tisch geleitet, und Maggie setzte sich auf den Stuhl am Fenster. Auch wenn ihre Gefühle sie beunruhigten und verwirrten, war es unmöglich, nicht von der Atmosphäre verzaubert zu sein. Als sie den Berg in der Pistenraupe hinaufgefahren waren, hatte sie sich gefragt, ob sich die Mühe lohnte, doch schon der erste Blick überzeugte sie, dass es sich mehr als gelohnt hatte. Das im alpinen Stil gehaltene Restaurant lag versteckt zwischen den Bäumen auf halber Höhe des Berges. Es bot eine gemütliche Zuflucht vor der vereisten Welt dort draußen. Die Holzwände waren mit Lichterketten geschmückt, und die Luft roch nach Kaminfeuer und herzhafter Küche.
Draußen war es dunkel, sodass man wenig sah, doch die Lichter der Hütte erhellten den umgebenden Wald und die Wege.
»Es ist hübsch.« Hinter dem Fenster schwebten Schneeflocken zu Boden, sanft, aber unermüdlich. »Meinst du, wir schneien ein?«
Er setzte seine Brille auf und öffnete die Speisekarte. »Ich weiß nicht. Aber in einem Restaurant eingeschlossen zu sein wäre nicht das Schlimmste auf der Welt. Die Weinkarte sieht gut aus, und zumindest werden wir nicht verhungern.«
Sie sah sich um. Alle Tische waren besetzt. »Das ist offenbar ein angesagter Ort, um einen romantischen Abend zu verbringen.«
»Das dürfte der Grund sein, warum Catherine ihn ausgesucht hat.«
Maggie fühlte sich wie eine Hochstaplerin. Sie waren von Paaren umgeben, die ihre Beziehung feierten. Sie und Nick täuschten ihre nur vor.
»Champagner im Namen von Mrs. Reynolds.«
Zwei Gläser wurden ihnen serviert, zusammen mit einem kleinen Teller Appetithäppchen. Maggie wartete, bis sie wieder allein waren, bevor sie Nicks Blick suchte. »Sag nichts.«
»Was?«
»Du wolltest gerade auf das letzte Mal anspielen, als ich Champagner getrunken habe.«
»Wollte ich nicht. Das hier ist ein Glas, Mags. Im Flugzeug hast du den ganzen Getränkewagen geleert. Tatsächlich könnte jetzt in Frankreich der Champagner knapp sein.«
»Danke für dein Feingefühl und dass du meinen Wunsch, es zu vergessen, so respektierst.«
»Warum willst du es vergessen?«
»Weil ich die ganze Familie in Verlegenheit gebracht habe. Okay, nicht Katie, weil sie nicht dabei war, aber zweifellos hat Rosie ihr die ganze Peinlichkeit inzwischen geschildert.« Sie war immer froh gewesen, dass die Mädchen einander hatten. Sie selbst hätte gern ein Geschwister gehabt.
Sie studierte die Speisekarte und legte sie dann nieder, wobei sie bemerkte, dass Nick sie anlächelte. »Was?«
»Ich fand dich hinreißend.«
»Hinreißend?«
»Als du den Champagner getrunken hast. Du hast deine Hemmungen verloren.«
»Du meinst, ich habe dich vor meiner Tochter und ihrem zukünftigen Ehemann sexuell belästigt. Und ich habe ihnen erzählt, dass dies unsere zweiten Flitterwochen sind. Wenn der Champagner nicht gewesen wäre, würden wir jetzt nicht hier sitzen.«
»Ich wüsste nicht, wo ich lieber wäre.« Er hob sein Glas. »Auf uns.«
Ihr Herz machte einen Satz. »Es gibt kein uns, Nick. Wir lassen uns scheiden, erinnerst du dich?«
»Nicht heute Abend. Heute Abend genießen wir unsere zweiten Flitterwochen. Obwohl ich darauf hinweisen muss, dass wir in unseren ersten Flitterwochen kein Geld hatten, sodass Essen und Trinken nicht ansatzweise so eindrucksvoll waren. Diese Version ist deutlich luxuriöser.«
Er wirkte ausgesprochen locker, während sie sich gehemmt und niedergeschlagen fühlte.
In der Öffentlichkeit etwas vorzutäuschen war eine Sache, doch das hier war etwas anderes. Das hier fühlte sich echt an.
»Niemand sieht zu.«
»Das wissen wir nicht. Möchtest du, dass Catherine zugetragen wird, wie wir ihre Gastfreundschaft mit einem Streit vergelten?«
»Wir streiten nicht.« Sie war erschöpft. Es konnte an der körperlichen Aktivität liegen, doch sie glaubte, dass es etwas anderes war. Etwas, an das sie nicht denken wollte.
»Du hast recht. Das tun wir nicht.« Er musterte sie. »Und warum tun wir es nicht?«
»Ich schätze, nach all den Jahren, die wir zusammen sind, haben wir gelernt, was funktioniert und was nicht.« Die Ehe war wie ein Tanz, bei dem man versuchte, sich zum Rhythmus des Lebens zu bewegen, und dabei nach einer Geschwindigkeit und einer Richtung suchte, die für beide passend waren. Manche stolperten, doch das war ihnen nicht passiert. Sie hatten sich nur voneinander entfernt.
Sie hob das Glas. Allerdings wollte sie nicht auf sie beide trinken, genauso wenig wie auf die Zukunft, denn im Moment wusste sie nicht, ob sie den Ausblick mochte. Auf die Vergangenheit zu trinken würde sie vermutlich traurig machen. Das Einzige, worauf sie noch trinken konnte, war die Gegenwart. »Auf jetzt. Diesen Abend. Dass das Pferd nachher nicht mit uns durchgeht.«
»Das klingt wie eine Metapher auf das Leben.« Er stieß mit ihr an. »Auf einen Abend voller Spaß.«
»Vorgetäuschten Spaß.«
»Der Spaß muss nicht vorgetäuscht sein.« Er klappte die Speisekarte zu. »An unserer Schneeballschlacht war nichts vorgetäuscht. Mir hat sie Spaß gemacht. Wahrscheinlich habe ich gewonnen.«
Maggie verschluckte sich fast an ihrem Champagner. »Nein. Ich habe gewonnen!«
»Das erinnere ich aber anders.«
»Dann trügt dich deine Erinnerung.«
»Der letzte Wurf, der dir direkt vorn reinging? Das war ein Winner.«
»Nächstes Mal werde ich dich nicht schonen. Mach dich darauf gefasst, geschlagen zu werden, Professor.«
»Du zielst nicht gut genug, um mich zu schlagen.« Er schob seine Brille hoch, und die vertrauliche Geste versetzte ihr einen Stich.
Das vermisste sie. Sie vermisste die kleinen Wortwechsel bei den Mahlzeiten. Sie vermisste diese kleinen, für ihn so typischen Gesten, die sie so gut kannte.
Lächelnd schob er den Teller mit den Appetithäppchen in ihre Richtung. »Warum siehst du mich so an?«
»Ich habe meine Strategie für die nächste Schneeballschlacht entworfen.« Sie klappte ihre Speisekarte ebenfalls zu und griff nach einem Häppchen mit Räucherlachs und frischem Schnittlauch.
»Egal, wie deine Strategie aussieht, ich bin bereit. Du wirst verlieren. Hast du dir was ausgesucht?«
»Ich nehme den Ziegenkäse.«
»Das geht nicht. Ich nehme den Ziegenkäse.«
»Wir dürfen beide das Gleiche essen.«
Er runzelte die Stirn. »Wir essen nie das Gleiche im Restaurant. Wir teilen immer. Auf die Art und Weise probieren wir mehr als ein Gericht.«
Als sie jung gewesen waren und kein Geld gehabt hatten, um öfter auswärts essen zu gehen, hatten sie ihre Bestellungen geteilt. Auf diese Weise versuchten sie, so viele Gerichte wie möglich von der Speisekarte zu probieren. Versuch dies. Schmeck das. »Nicht immer. Erinnerst du dich an den Hummer?«
»Natürlich. Dieses Abendessen hat sich für immer in meine Seele gebrannt. Du hast dich geweigert zu teilen. Zum ersten und einzigen Mal.«
»Der Hummer war gut.«
»Das erzählst du mir jetzt? Hast du kein Herz?«
Sie hatte eindeutig ein Herz. Es war verletzt und wund, als hätte jemand in ihre Brust gegriffen und es zusammengequetscht. Und diese Reise, die alles andere als eine Atempause darstellte, machte es noch schlimmer.
»Warum nimmst du nicht den geräucherten Fisch, wenn du teilen möchtest?«
»Gute Idee.«
Sie bestellten, und sie nippte an ihrem Champagner. »Er schmeckt nach Feiern, was unter diesen Umständen ein bisschen ironisch ist. Was feiern wir?«
»Unsere schauspielerischen Fähigkeiten vielleicht. Sicherlich nicht deine Treffsicherheit mit Schneebällen.«
Sie war dankbar für seinen Humor. »Mit meiner Treffsicherheit ist alles in Ordnung. Ich war nachsichtig mit dir. Ich wollte nicht, dass du auf der Fahrt nach Hause klatschnass bist.«
»Das glaube ich dir. Du bist wirklich alles andere als rücksichtslos. Die Frau bei den Schlittenhunden erzählte mir, dass du die erste Kundin warst, die je gefragt hat, ob sie für die Hunde zu schwer sein könnte.«
»Mir schien das eine sehr vernünftige Frage zu sein. Hunde sind nicht so groß. Ich hab mir Sorgen um sie gemacht, das ist alles. Trotzdem hatte ich viel Spaß.«
»Ich auch. Ich werde nie dein Gesicht vergessen, als die Hunde losgestürmt sind. Sie schienen wenig Schwierigkeiten zu haben, dich zu ziehen.« Er lachte, und plötzlich lachte sie ebenfalls.
»Sie sind nicht einfach losgestürmt. Ich hatte sie die ganze Zeit unter Kontrolle.« Plötzlich bemerkte sie, dass eine Frau am Nebentisch zu ihnen herübersah. »Wir sind zu laut.«
»Ist mir egal. Es ist schön, dich lachen zu hören.« Er hielt inne. »Wir hatten heute Nachmittag viel Spaß miteinander.«
»Den hatten wir. Es war entspannend. Im Wald zu sein, nur die Geräusche der Hunde und die kalte Luft im Gesicht …« Und Nick als Gesellschaft. Den Mann, den sie einst geliebt hatte und noch genauso liebte. Obwohl sie sich im Laufe der Jahre auseinandergelebt hatten, liebte sie ihn noch immer.
Die Erkenntnis traf sie wie ein Schock.
Er hielt ihren Blick fest. »Wann haben wir aufgehört, Spaß miteinander zu haben, Mags? Wann haben wir aufgehört, Dinge zusammen zu unternehmen?«
Bevor sie antworten konnte, kamen ihre Vorspeisen, und sie nahm ihre Gabel.
Er beugte sich vor. »Lass mich die Frage anders stellen: Warum haben wir aufgehört, Dinge zusammen zu unternehmen?«
»Ich weiß es nicht. Du warst beschäftigt. Arbeit. Reisen. Ich habe mich auf die Mädchen konzentriert. Das passiert. So ist das Leben.«
»Spaß hätte ebenfalls passieren sollen. Wir hätten uns die Zeit nehmen sollen. Kreativ sein sollen. Lass uns ehrlich sein: Hätten wir daran gedacht, irgendetwas von diesen Dingen zu tun, wenn Catherine sie nicht für uns geplant hätte?«
»Nein. Weil dies alles Aktivitäten für Paare sind und wir kein Paar mehr sind. Das sind wir schon seit einiger Zeit nicht mehr. Wir sind nur zusammen hier, weil unsere Tochter heiratet.«
»Genau das ist der Punkt. Selbst wenn wir ein Paar wären, hätten wir diese Dinge nicht getan.«
Maggies Handy vibrierte. Dankbar für die Ablenkung, griff sie in ihre Tasche. Wollte sie wirklich die Vergangenheit unter die Lupe nehmen? Wie sollte das helfen?
Nick seufzte. »Musst du unbedingt aufs Handy schauen? Dies soll eigentlich ein romantisches Dinner sein.«
»Ein vorgetäuschtes romantisches Dinner. Und Catherine wird uns wohl nicht über die Schulter sehen, oder? Eins der Mädchen könnte mich brauchen.« Sie blickte auf das Display.
»Sie sind erwachsen, Mags. Sie können ihr Leben fünf Minuten ohne dich leben. Wenn es ein Asthma-Anfall wäre, würden sie dich anrufen und keine Nachricht schicken.«
Maggie ignorierte ihn. Katie hatte ihr ein Foto geschickt, auf dem sie beide ihre Kleider trugen, sich umschlungen hielten und lächelten. Ihre Mädchen. »Sie hatten heute Nachmittag eine Kleideranprobe.« Während sie mit Nick mit dem Hundeschlitten unterwegs gewesen war. Sie spürte einen Stich, als hätte sie etwas verloren, das sie nie wieder zurückbekam. »Catherine muss das Foto gemacht haben. Sieh nur.« Sie zeigte ihm das Display, und er lächelte kurz.
»Sie sehen toll aus. Glücklich.«
»Ja. Und heute Abend gehen sie tanzen. Das ist gut. Ich mache mir Sorgen wegen Katie. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr.«
»Sie ist vermutlich müde. Jetlag. Und sie hat einen harten Job.«
»Ich weiß, aber den hat sie schon seit zehn Jahren und …« Sie hielt inne, weil sie nicht in der Lage war, ihren Mutterinstinkt zu erklären. »Ich spüre, dass etwas nicht stimmt.«
»Du machst dir zu viele Sorgen. Vermutlich ist gar nichts.«
Sie hoffte, dass er recht hatte und Katie nichts auf der Seele lag. Ihre Gedanken wanderten zu ihrer jüngeren Tochter. »Ich mag Dan sehr. Er ist freundlich und zugewandt, hat einen tollen Sinn für Humor, und er scheint Rosie gut zu kennen. Aber hältst du es für einen Fehler, dass sie so früh heiraten?«
»Ich war einmal im Leben verheiratet, und das habe ich vermasselt. Insofern glaube ich nicht, dass ich für die Antwort qualifiziert bin.«
Sie steckte ihr Handy zurück in die Tasche. »Du hast es nicht vermasselt, Nick. Ehen gehen zu Ende. Das ist eine Realität des Lebens.«
»Es ist ebenfalls Realität, dass es einen Grund dafür geben muss, warum sie zu Ende gehen.« Er leerte sein Glas. »In letzter Zeit frage ich mich oft, ob sich die Dinge anders entwickelt hätten, wenn ich einen anderen Job gehabt hätte.«
»Nick, das ist verrückt. Was hättest du sonst tun sollen?«
Er zuckte die Achseln. »Vielleicht einen Job im Museum, mit geregelter Arbeitszeit.«
»Jobs im Museum bedeuten meist schlechte Arbeitszeiten und sind mies bezahlt. Und du liebst das, was du tust.«
»Aber ich war so viel weg, dass das Familienleben praktisch ohne mich stattgefunden hat.«
Sie runzelte die Stirn. »Wovon sprichst du?«
»Selbst jetzt, wenn wir beim Abendessen sitzen, nimmst du Nachrichten von den Mädchen entgegen. Ihr seid wie ein untrennbares Trio, und nur gelegentlich bin ich auch mal dabei.«
Ihre Hauptspeise kam, doch keiner von ihnen rührte das Essen an.
Gegenseitig sahen sie einander in die Augen.
»Willst du damit sagen, dass du dich ausgeschlossen gefühlt hast?« Sie spürte Frustration in sich aufwallen und etwas, das an Schuld grenzte. »Ich habe mich nie wegen deines Jobs beklagt, Nick. Ich habe mich nie beklagt, wenn du wochenlang fort warst und mit dem ganzen Wüstensand in der Tasche wieder zurückgekommen bist. Ich hatte Verständnis, dass es das war, was du tun musstest. Das war das Leben, das du wolltest. Aber du kannst nicht mir die Schuld geben, dass ich mir ein Leben aufgebaut habe, das für mich funktionierte. Ein Leben, das ich wollte. Du weißt, wie meine Kindheit war. Steril. Einsam. Meine Eltern waren gleichgültig. Ich dachte immer, sie liebten mich, wussten aber nicht, wie sie es zeigen sollten. Inzwischen bin ich nicht mehr sicher, dass das stimmt. Ich glaube, dass ich das vielleicht denken möchte, weil ich damit besser leben kann als mit der Alternative. Es gab nichts Gemütliches in unserem Zuhause. Keine Wärme, keine Geborgenheit. Ich wollte für unsere Familie etwas anderes schaffen. Und ich bin stolz auf das, was wir geschaffen haben und was wir so lange Zeit hatten.«
»Was du geschaffen hast.« Er griff nach seiner Gabel. »Du hast unsere Familie zu dem gemacht, was sie war.«
Dass er die Vergangenheitsform benutzte, war wie ein Schlag in die Magengrube. »Das stimmt. Du warst auch Teil dieser Familie.«
»Ich bin nur gelegentlich vorbeigekommen.«
»Ich habe dir deine Arbeit nie geneidet, Nick. Du bist deiner Leidenschaft nachgegangen, und ich folgte meiner.«
»Aber deine bestand darin, unsere Familie funktionieren zu lassen.«
»Bei dir klingt das nach Selbstaufopferung, aber das war es nicht. Ich wollte die Umgebung für unsere Familie schaffen, von der ich geträumt habe, als ich aufwuchs. Ich wollte Wärme und Liebe, gutes Essen, Lachen. Ich habe es für mich getan.«
»Ich war egoistisch. Das sehe ich jetzt ein.« Kopfschüttelnd legte er die Gabel nieder. »Ich denke an das eine Mal, als ich gerade dabei war, für eine Reise zu packen, und Rosie einen Asthma-Anfall hatte. Erinnerst du dich?«
Natürlich erinnerte sie sich. Mittlerweile konnte sie darüber lächeln, doch zu der Zeit war ihr nicht nach Lachen zumute gewesen. »Du hast mich gefragt, wo die Stiefel sind.«
»Und du hast mir entgegengeschleudert, wohin du diese Schuhe schieben würdest, wenn du wüsstest, wo ich sie gelassen habe.«
Unschuldig klimperte sie mit den Wimpern. »Ich bin sicher, dass ich nie so etwas Vulgäres gesagt hätte.«
»Kein Problem. Ich hatte es ja verdient. Eigentlich hätte ich noch viel Schlimmeres verdient gehabt. Unsere Tochter konnte nicht atmen, und ich habe für meine Reise gepackt.« Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Das hieß nicht, dass es mir egal war und dass ich mir keine Sorgen machte.«
»Das weiß ich.« Hatte sie das gewusst? War sie nie verzweifelt und wütend gewesen, dass er die Prioritäten falsch zu setzen schien?
Er ließ die Hand sinken. »Du hast diese Situationen viel besser und würdevoller gemeistert, als ich es je hätte tun können. Du hast nicht nur Rosie beruhigt, wenn sie nicht atmen konnte, sondern uns alle. Du warst nie panisch.«
»Doch. Ständig. Innerlich war ich ein Wrack.«
»Das hat man dir aber nicht angemerkt.«
»Nein. Ich habe es nie jemanden sehen lassen.«
»Ich hatte das Gefühl, unzulänglich zu sein.«
»Ich fühlte mich ebenfalls unzulänglich.«
»Wann?«, wollte er wissen. »Wann warst du jemals unzulänglich? Nenn mir ein Beispiel, weil ich mich an kein einziges Mal erinnern kann.«
»Die meiste Zeit meines Lebens, denke ich.« Sie trank ihren Champagner aus. »Ich war nie so, wie meine Eltern mich wollten. Als wir beide zusammengekommen sind, fühlte sich das so richtig an, dass nichts anderes zählte. Doch als du dann Karriere gemacht hast, haben sich die Dinge verändert. Menschen beurteilen einen danach, was man tut. All diese Dinnerpartys, bei denen ich als Professor Whites Ehefrau vorgestellt wurde. Als ob ich ohne dich nicht existieren würde. Obwohl ich wusste, dass es vermutlich die wichtigste Aufgabe in meinem Leben sein würde, die Mädchen großzuziehen, fühlte ich mich …« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »… nicht ebenbürtig. Ich fühlte mich nicht ebenbürtig.«
Er zog die Brauen zusammen. »Ich hatte niemals das Gefühl, dass du nicht ebenbürtig bist, und habe dich das auch niemals spüren lassen.«
»Nein, aber deine Kollegen haben es getan. Sobald sie entdeckt haben, dass ich keine von ihnen war, war ich uninteressant. Außer als Eintrittskarte zu dir.«
»Akademiker sind schon ein merkwürdiger Haufen.«
»Andere Menschen auch.« Ihre Zehen waren warm, ihr ganzer Körper entspannt. »Wenn mich die Leute gefragt haben, was ich tue, habe ich über wissenschaftliches Publizieren geredet, als ob mir das die nötige Berechtigung verlieh, in der Gruppe akzeptiert zu werden. Dabei war mein Job nur etwas, um Geld dazuzuverdienen. Du hattest den Erfolg.«
»Wie ich neulich schon sagte, ich mag in manchen Dingen Erfolg gehabt haben, aber was unsere Ehe angeht, bin ich gescheitert.«
»Niemand hat Schuld, Nick.« Sie sprach leise. »Vielleicht sind wir irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten. Ich weiß es nicht. Ich wollte nicht, dass die Mädchen deine Abwesenheit allzu sehr spüren, weshalb ich mich doppelt angestrengt habe, um Spaß miteinander zu haben, wenn du fort warst. Ich wollte die Zeit nicht damit verbringen, die Tage zu zählen und zu warten, bis du nach Hause kommst.«
War das der Grund, dass sie sich auseinandergelebt hatten? War es ihre Schuld?
Am Anfang hatte seine Abwesenheit keine große Rolle gespielt. Im Gegenteil, sie hatte ihrer Beziehung eine aufregende Note verliehen. Seine Heimkehr war immer von großer Leidenschaft und Wertschätzung füreinander begleitet gewesen.
Sie griff nach ihrer Gabel. »Ich schätze, das Leben wurde komplizierter. Die Anforderungen wurden größer. Mein Fokus lag immer darauf, dass die Familie stabil und glücklich ist. Wir waren ein Dreier- und manchmal ein Viererteam, doch nur sehr selten ein Zweierteam. Tatsächlich hätte es einige Anstrengung erfordert, zu zweit zu sein, und ich hatte nicht viel Energie übrig.«
»Mir ging es genauso. Arbeit und Familie gingen vor, und dann blieb nicht mehr viel für uns beide. Wenn wir mehr Dinge getan hätten, wie wir sie heute getan haben, wären wir vielleicht immer noch ein Paar.«
Daran wollte sie nicht denken. Daran konnte sie nicht denken. Wenn das stimmte, war es herzzerreißend. »Es ist nicht so einfach, in Oxford eine Schneeballschlacht zu veranstalten. Und Hundeschlittenfahrten durch die Bodleian-Bibliothek würden sicherlich große Missbilligung hervorrufen.«
Sein Blick wurde weich. »Wir hatte heute echt Spaß, Mags.«
»Ich weiß.«
»Wir hatten gemeinsam Spaß. Wir waren ein Paar.«
»Nein, wir haben so getan als ob.«
»Mag sein, aber der Spaß war echt.« Seine Stimme wurde rau. »Rosie ist vor vier Jahren ausgezogen. Die letzten vier Jahre waren unsere Chance, uns wieder näherzukommen. Stattdessen haben wir uns immer mehr voneinander entfernt.«
Sie aß die Hälfte des Ziegenkäses, ohne etwas davon zu schmecken, danach tauschten sie die Teller.
»Ich bin sicher, dass wir nicht das erste Paar sind, das sich auseinandergelebt hat.«
Er legte die Gabel nieder. »Hasst du mich, Mags?«
»Was? Ob ich …« Die Frage erstaunte sie. »Nein! Wie kannst du das überhaupt fragen?«
»Weil das bei allen geschiedenen Paaren, die ich kenne, so ist. John und Pamela sprechen nicht mehr miteinander. Ryan und Tracy leben nicht mal mehr im selben Land.«
»Sie ist umgezogen?«
»Nein, er. Hat eine Stelle in Frankfurt angenommen.«
»Oh.« Sie sann über diese neue Information nach. »Ich schätze, manche Menschen finden das einfacher.« Aber nicht sie. Sie mochte das Leben, das sie aufgebaut hatte, und das gemütliche Nest von Erinnerungen, das sie in schweren Zeiten umgab. War dies ein guter Zeitpunkt, zu sagen, dass sie Honeysuckle Cottage nicht verkaufen wollte? Nein. Das Gespräch sollte lieber zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden. Vermutlich wenn sie einen Weg gefunden hatte, es allein zu unterhalten. Vielleicht konnte sie ein Zimmer an einen Studenten vermieten. Die Nachfrage war da.
»Ich fühle mich verantwortlich.«
»Dafür, dass Ryan eine Stelle in Frankfurt angenommen hat?«
In seinen Augen glomm etwas auf. »Für das Scheitern unserer Ehe.«
Sie knabberte an ihrer Hälfte des Fischs. »Daran sind wir beide schuld.«
»Ist das so? Denn ich sehe viele Dinge, die ich falsch gemacht habe, Dinge, die ich bedauere, aber ich sehe nichts, was du getan hast.«
»Du hast angedeutet, dass ich dich ausgeschlossen habe.«
»Nein. Ich sagte nur, dass ich mich nicht immer zugehörig gefühlt habe. Das ist nicht das Gleiche. Manche Dinge würde ich ändern, wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten.«
»Mm?« Sie versuchte beiläufig zu klingen. Wollte sie das alternative Szenario hören? Das Szenario, das vielleicht nicht zu einer Scheidung geführt hätte? Nein, nicht wirklich. Der Zeitpunkt für diese Art von Gespräch war längst vorbei.
»Zum Beispiel würde ich bemerken, dass du deinen Job nicht magst. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist es ziemlich offensichtlich. Du bist gern draußen. Warst du schon immer. Du liebst die Natur. Ich hätte sehen sollen, dass jeder Job, bei dem du drinnen gefangen bist, der falsche ist.«
»Ich habe meine Entscheidungen selbst getroffen. Und ich bin nicht wie du. Ich habe keine brennende Leidenschaft. Ich habe mich für viele verschiedene Jobs beworben und den genommen, der mir angeboten wurde. Ich bin sicher, dass Millionen Menschen so handeln. Wo wir landen, hat ebenso viel mit Zufall wie mit Planung zu tun.«
Sie beendeten ihr Mahl, obwohl Maggie das Essen kaum schmeckte.
»Statt hier Kaffee und Dessert zu bestellen – warum fahren wir nicht zurück zum Baumhaus? Wir können uns vor den Kamin setzen und unser Gespräch fortführen, ohne dass die halbe Welt mithört.«
Sie hatte ebenfalls daran gedacht. »Vermutlich ist das Pferd vor dem Schlitten weniger müde, wenn wir früher gehen.«
Sie packten sich warm ein und stapften hinaus in die Kälte.
Für den kurzen Weg hinunter ins Dorf hatten sie den Schlitten ganz für sich. Von dort aus würden sie einen Wagen zurück zur Snowfall Lodge nehmen.
Maggie kuschelte sich unter die dicke Decke, und Nick legte seinen Arm um sie und zog sie enger an sich. Vielleicht hätte sie von ihm abrücken sollen, doch das wollte sie nicht.
Sie redete sich ein, dass es wegen der Wärme sei. Nur wegen der Wärme, das war alles.
Plötzlich wurde ihr bewusst, wie selten man auf diese Weise reiste – ohne Abgase, ungeduldige Fahrer und Stop-and-go-Verkehr. Das Pferd und der Schlitten hinterließen keinen CO2-Fußabdruck, und das war irgendwie magisch.
Sie hätten allein sein können auf der Welt. Die einzigen Geräusche waren die Pferdehufe im Schnee und das gelegentliche Schlagen des Schweifs, während sie den Weg zum Dorf hinunterfuhren. Sie kuschelten sich unter der Decke aneinander und betrachteten das stetige Wirbeln der Schneeflocken, die lautlos vom Himmel fielen.
Maggie war froh über die verschiedenen Schichten, die sie angezogen hatte, und auch froh über Nicks Stärke und Wärme.
Seufzend lehnte sie den Kopf an seine Schulter, während sie die frische eisige Luft genoss und die Bäume, die den Weg säumten.
Viel zu früh waren sie im Dorf angekommen, und als sie in den wartenden Wagen stiegen, war sie enttäuscht.
Zurück im Baumhaus, lief Nick direkt in die Küche, während sie sich auszog und vor das flackernde Kaminfeuer stellte.
»Hier.« Nick reichte ihr einen Becher heißen Kaffee. »Der wird dich aufwärmen. Es schneit wieder – kannst du das glauben? Und für morgen ist ein Blizzard angesagt.«
»All diese Jahre habe ich von einer weißen Weihnacht geträumt, und plötzlich gibt es so viel Schnee, dass wir vielleicht sogar einschneien.«
»Gefällt es dir nicht? Vermisst du Honeysuckle Cottage und unsere üblichen Weihnachtsrituale?«
Maggie ging zum Fenster und blickte hinaus zu den Bäumen. Bäume beruhigten sie immer. »Nein. Ich liebe es. Ich war noch nie an einem perfekteren Ort.«
»Genießt du es?«
»Ja. Das echte Leben scheint weit entfernt.«
»Aber in einer Woche kehren wir zurück in unser normales Leben. Und du machst wieder einen Job, den du nicht magst. Kündige, Mags. Tu das als Erstes, wenn du nach Hause kommst.«
»Ohne eine andere Stelle zu haben?« Er war schon immer impulsiver und abenteuerlustiger gewesen als sie. »Nur gut, dass einer von uns vernünftig ist.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich da zustimme. Nicht wenn vernünftig sein dich in einem Leben gefangen hält, das du nicht magst. Gönn dir einen Neustart.«
Sie pustete über den Kaffee, um ihn abzukühlen. »Ich habe schon ungefähr fünfzig Absagen bekommen. Es ist offensichtlich, dass ich nicht die Qualifikation oder die professionelle Ausbildung habe, um den Job zu machen, den ich machen möchte. Wenn ich kündige, bekomme ich Geldsorgen. Was soll daran gut sein?«
»Der Job, der dir gefallen würde, ist Gartengestaltung?«
»Ich habe einige meiner glücklichsten Momente im Garten verbracht, und ich bin stolz auf das, was ich geschaffen habe. Den Garten zu verlieren gehört, glaube ich, zu den schlimmsten Dingen, die ein Hausverkauf mit sich bringt. Ein Garten ist nichts, das einfach geschieht. Er reift und verändert sich mit der Zeit.« Sie blickte ihn an. »Wie eine Ehe, nehme ich an.«
Er erwiderte ihren Blick. »Mach die Ausbildung. Hol dir die Qualifikation.«
»Ich bin zu alt.«
Er hob eine Augenbraue. »Wenn du lernen kannst, einen Hundeschlitten zu steuern, kannst du auch Gartengestaltung lernen, da bin ich sicher. Dieser Leithund war nicht einfach.«
»Er war bezaubernd.«
Nick setzte sich aufs Sofa und stellte seinen Becher auf den niedrigen Tisch. »Du brauchst keine Rücksicht mehr auf die Kinder zu nehmen, Maggie. Sie haben ihr eigenes Leben. Katies Karriere läuft gut, und Rosie hat gerade erst ihr Doktorandenstipendium begonnen und wird heiraten. Zeit, an dich zu denken.«
»Was ist mit den Kosten? Ich würde nicht nur mein Einkommen verlieren, ich müsste draufzahlen. Diese Art Ausbildung kostet ein Vermögen.«
»Wir haben das Geld, Mags. Wir können uns das leisten.«
Sollte sie darauf hinweisen, dass sie kein »wir« mehr waren? »Eine Scheidung ist teuer. Anwälte. Zwei Wohnungen. Zweimal Lebenshaltungskosten.«
Seine Augen verdunkelten sich. »Wir finden schon das Geld für die Ausbildung. Es geht um Prioritäten.«
Ihr Herz wurde weich. Jeder andere Mann hätte hart gekämpft, um so viel wie möglich von seinem Vermögen zu behalten. Nick wollte, dass sie eine Ausbildung machte, die für ihn keinerlei Nutzen hatte.
»Und was, wenn ich die Ausbildung mache, das Zertifikat habe und dann keinen Job bekomme? Was für eine Geldverschwendung wäre das denn bitte?!«
»Vielleicht hättest du Spaß daran, dann wäre das Geld nicht verschwendet. Und vielleicht würdest du einen Job bekommen. Es gibt keine Garantien. Außer wenn du es nicht tust, dann ist fast garantiert, dass du keine Gartengestalterin wirst. Versprich mir, dass du darüber nachdenkst.«
»Okay.« Sie trank ihren Kaffee aus. »Ich schätze, wir sollten ein bisschen schlafen, wenn wir für die morgige Romantik-Herausforderung bereit sein wollen.«
Er trank ebenfalls seinen Kaffee aus und erhob sich. »Ich habe den heutigen Abend sehr genossen, Mags.«
»Ich auch.«
»Ich bereite das Sofa vor. Außer du denkst, dass die Mädchen uns einen spontanen Besuch abstatten könnten, bevor wir schlafen gehen. Meinst du, wir sollten uns das Bett teilen, um auf Nummer sicher zu gehen?« Eine merkwürdige Anspannung lag in der Luft, und für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Ihre Haut kribbelte, und sie dachte an den Moment nach der Schneeballschlacht.
Noch vor ein paar Tagen waren die Zukunft und ihre Gefühle klar gewesen, doch jetzt war alles plötzlich verwickelt und undurchsichtig. Und es fühlte sich nicht sicher an.
Sie hatte das Ganze angefangen. Sie hatte darauf bestanden, dass sie die Täuschung aufrechthielten, und zuerst schien das keine Mühe gekostet zu haben. Doch sie hatte nur an die Mädchen gedacht, und jetzt konnte sie plötzlich nur noch an sich selbst denken.
Etwas in ihr hatte sich verändert. War in Bewegung geraten.
»Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Wir haben uns bereits für zehn Uhr morgen Vormittag drüben in der Lodge zum Frühstück verabredet. Sie haben keinen Grund, heute noch rüberzukommen. Ich hole das Bettzeug«, sage sie. »Ich habe es oben in den Korb gestopft, damit die Mädchen es nicht sehen.«
Sie machte die Couch zurecht, schlug die Kissen auf und strich das Laken glatt. In diesen Sachen war sie gut. Praktische Dinge fielen ihr leicht. Sie beruhigten und besänftigten sie.
»Gute Nacht, Nick.« Sie lächelte und ging ins Schlafzimmer, wobei sie hoffte, dass sie gefasster wirkte, als sie sich fühlte.
Als sie im Badezimmer fertig war, hatte er das Licht im Wohnzimmer schon gelöscht.
Von ihrem Aussichtspunkt auf der Galerie sah sie seinen auf dem Sofa zusammengerollten Körper.
Plötzlich beschlich sie ein Gefühl, das sie nicht ganz verstand. In diesen letzten Tagen hatten sie mehr aufrichtige Gespräche geführt als in den ganzen vergangenen Jahren. Hätte es etwas geändert, wenn sie diese Gespräche früher gehabt hätten?
Sie redete sich ein, dass es keine Rolle gespielt hätte, legte sich ins Bett und stopfte sich ein Extrakissen unter den Kopf, um die Schneeflocken besser sehen zu können. Dieses stille Schneegestöber hatte etwas Beruhigendes und Hypnotisches, das die Welt da draußen verschwimmen ließ.
Irgendwann fielen ihr die Augen zu, und sie träumte davon, Hand in Hand mit Nick durch den Schnee zu gehen.
Als sie erwachte, war das Feuer aus, und es hatte aufgehört zu schneien. Sonnenstrahlen suchten sich ihren Weg durch die Bäume. Das köstliche Aroma von frischem Kaffee sagte ihr, dass Nick bereits auf war.
Maggie zog einen Bademantel über, ging hinunter in die Küche und schenkte zwei Becher Kaffee ein.
Als Nick aus dem Badezimmer kam, reichte sie ihm einen davon.
»Hast du gut geschlafen?«
»Nicht so gut, wie ich erwartet hätte nach all der körperlichen Betätigung. Danke.« Er nahm den Kaffee entgegen. »Und du?«
»Nicht schlecht. Was hat dich wach gehalten?«
»Unser Gespräch. Diese Situation.« Er ging hinüber zum Sofa, stellte seinen Kaffee ab und entfachte ein Feuer im Kamin. »Es fühlt sich irgendwie falsch an.«
Meinte er ihre Trennung?
Ihr Herz machte einen Satz. Wollte er vorschlagen, dass sie es noch einmal versuchten?
Die Anziehung war noch immer da. Dessen war sie sich in den letzten paar Tagen bewusst geworden. Auch ihre Liebe war noch immer da. Aber konnten sie wirklich neu anfangen?
Er hatte sich auf das Sofa gegenüber von den Bücherregalen gesetzt, nicht auf das mit Blick aus dem Fenster. Sie nahm neben ihm Platz, mit dem Rücken zur Tür.
Wenn er vorschlug, es noch einmal zu probieren, was sollte sie antworten?
Sie drehte den Becher in ihren Händen und trank langsam, um sich Zeit zu verschaffen. »Worauf genau willst du hinaus?«
»Ich weiß nicht.« Er sah so verwirrt aus, wie sie sich fühlte. »Aber ich denke, wir sollten über die Scheidung reden, meinst du nicht?«
Maggie hörte ein entferntes Geräusch hinter sich, nur Sekunden bevor sie die Stimme ihrer Tochter hörte.
»Scheidung? Ihr lasst euch scheiden?«
Starr vor Schreck drehte Maggie sich um und sah Katie ein paar Meter vor sich stehen. Sie hielt eine Schachtel mit Croissants in der Hand und starrte sie an, als wären sie Fremde.
Sie musste nicht fragen, wie lange sie schon dort stand oder wie viel sie gehört hatte. Die Antwort stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie hatte offenbar alles gehört, und weder Maggie noch Nick hatten überhaupt bemerkt, dass die Tür geöffnet worden war.
Maggie zwang sich aufzustehen. Ihre Beine zitterten, genau wie ihre Hände. Der Kaffee schwappte auf ihr Bein, doch sie ignorierte die Hitze. Sie hatte größere Sorgen. Monatelang hatte sie überlegt, wie sie es den Mädchen am besten erzählen sollte. Sie hatte über das Wann und das Wie gebrütet. Nicht ein einziges Mal hatte sie an ein Szenario wie dieses gedacht.
Sie wollte Nick die Schuld geben, doch sie wusste, dass es nicht an ihm lag. Wenn sie auf ihn gehört hätte, hätten sie es schon vor langer Zeit getan – gemeinsam.
Ein Teil von ihr fragte sich, was genau Nick hatte sagen wollen, als Katie ihn unterbrochen hatte, doch sie ignorierte ihn. In diesem Augenblick hatte ihre Tochter Priorität.
Katie sah aus, als stünde sie unter Schock. Als hätte sie etwas gesehen, das sie noch nicht verarbeiten konnte.
Maggie wusste, dass sie den Gesichtsausdruck ihrer Tochter nie vergessen würde. »Du hättest uns sagen sollen, dass du rüberkommst.«
»Warum?« Katie blickte auf das Bettzeug auf der Couch. »Damit ihr beide ins Bett klettern und so tun könnt, als wärt ihr noch zusammen?«
»Wir müssen miteinander reden. Setz dich, Katie.«
»Ich will mich nicht setzen.« Ihre stabile, verlässliche, ruhige und unerschütterliche Tochter wirkte aufgelöst. »Ich will wissen, was mit euch los ist. Ihr habt allen erzählt, dass dieser Aufenthalt wie zweite Flitterwochen für euch ist. Seit eurer Ankunft klebt ihr so sehr aneinander, dass es offen gestanden ein bisschen peinlich ist. Und plötzlich sitzt ihr hier und lasst euch scheiden? Ich verstehe das nicht.« Sie wirkte so verletzt und verwirrt, dass Maggie auf sie zulief, um sie in die Arme zu nehmen.
»Katie …«
»Nein!« Katie stieß sie zurück. »Ich will keine Umarmungen, ich will Antworten. Es war alles nur gespielt, oder? Die ganze Wir-lieben-uns-so-sehr-Show zwischen dir und Dad. Alles nur gespielt.«
Maggie ahnte, dass ihr Gesicht so rot war wie ein Weihnachtsmannkostüm. »Wir hätten es dir vermutlich früher sagen sollen, doch es war nicht leicht, und ich habe versucht, den richtigen Zeitpunkt zu finden, und dieser Zeitpunkt war nicht unmittelbar vor der Hochzeit deiner Schwester.«
»Wie konnte ich so dumm sein? Ich fand es seltsam, dass ihr beide auf einmal so demonstrativ verliebt getan habt, aber ich nahm an, dass ihr einfach das Beste aus dem gemeinsamen Urlaub machen wolltet.«
»Wir …« Maggie sah zu Nick. »Ich dachte, es wäre das Beste, abzuwarten und es euch nach der Hochzeit zu sagen.«
»Weiß Rosie es? Nein, natürlich weiß sie es nicht.« Katie ging in die Küche und stellte die Schachtel mit Croissants auf den Tresen. »Sie nimmt euch als ihr Vorbild. Sieht euch als Beispiel einer perfekten Ehe. Wie geht es also weiter? Zieht Dad aus? Oder habt ihr Honeysuckle Cottage zweigeteilt oder so was?«
Maggie schluckte. »Dad ist schon ausgezogen. Er hat ein Zimmer im College. Wir leben schon seit einer Weile getrennt.«
»Wie lange ist eine Weile?«
»Seit dem Sommer.«
Entgeistert starrte Katie sie an. »Seit Sommer? Oh mein …« Sie brachte die Worte kaum heraus. »Ich kann nicht …«
»Katie …« Maggie trat einen Schritt vor, doch Katie lief Richtung Tür.
»Fass mich nicht an. Ich brauche Luft. Abstand. Zeit zum Nachdenken.« Sie stolperte.
Maggie hatte das Gefühl, als ob ihr Herz entzweibräche. »Bitte, Katie …« Doch ihre Tochter war schon die Treppe hinunter und lief den verschneiten Weg entlang, als wäre der Teufel hinter ihr her.
Maggie wirbelte zu Nick herum, der stumm neben dem Sofa stand und seiner Tochter hinterhersah. »Warum hast du nichts gesagt? Warum hast du nichts getan?«
»Du hast sie gehört. Sie will Abstand. Am besten geben wir ihr diesen Abstand, und dann können wir später vernünftig und in aller Ruhe reden.«
Sie wollte ihm die Schuld geben, doch sie wusste, dass die Schuld bei ihr lag. Sie hatte darauf bestanden, mit der Neuigkeit zu warten.
»Das ist alles meine Schuld. Du wolltest es ihnen schon vor Monaten sagen.«
»Und du wolltest warten.«
»Ja, aber das war offensichtlich die falsche Entscheidung.«
»Das glaube ich nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Die letzten paar Tage hatten wir mehr Spaß als die Jahre davor. Und wir haben wieder mehr miteinander geredet. Du bist mir viel näher als in den letzten Jahren. Es tut mir leid, dass Katie in unser Gespräch geplatzt ist, aber um den Rest tut es mir überhaupt nicht leid.«
Alles, was er sagte, stimmte. Aber was bedeutete das? Was änderte es?
»Was willst du damit sagen?«
»Ich weiß nicht.« Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Ich weiß nicht, was ich sagen will.«
Sie verstand seine Verwirrung, weil sie sie ebenfalls empfand. »Es spielt keine Rolle. Wichtig ist nur Katie.«
Verärgerung huschte über sein Gesicht. »Meinst du wirklich, hier geht es um Katie? Was ist mit uns? Wir müssen über uns sprechen, Mags …«
»Das werden wir, aber zuerst müssen wir nach unserer Tochter sehen. Ich mache mir Sorgen um sie.« Sie griff nach ihrem Telefon und wählte Katies Nummer, doch wie zu erwarten war, meldete sich nur die Mailbox. »Ich kann mich auf nichts konzentrieren, bis ich weiß, dass es ihr gut geht, verstehst du das?«
Er schwieg einen Moment. »Ja«, sagte er. »Ich verstehe das.« Sein Tonfall sagte, dass er es verstand, es ihm aber nicht gefiel, und sein Körper sagte dasselbe, als er zur Tür stapfte und mit hängenden Schultern nach seinem Mantel griff. Er sah geschlagen aus, und sie fühlte sich hin- und hergerissen.
Sie hatte Verlustängste, gefolgt von Panik. »Wo gehst du hin?«
»Unsere Tochter finden. Das willst du doch, oder?« Er zog sich den Mantel an und griff nach seinem Schal. Während er mit seiner Kleidung kämpfte, kämpfte sie mit Schuldgefühlen und Zweifeln, ob sie die richtigen Prioritäten setzte.
»Vermutlich ist sie zurück zu ihrem Baumhaus, um es Rosie zu erzählen.« Sie alle beschützten Rosie. Und nun war Katie – ihre starke, entschlossene, verlässliche Katie – verletzt und allein. Selbstverständlich sollten sie Katies Bedürfnisse obenan stellen.
»Katie ist nicht der Typ, der sich bei jemandem ausheult. War sie nie. Und sie wird Rosie schützen wollen. Das tut sie nun mal. Das hat sie immer getan. Ich schätze, dass sie losgelaufen ist, um erst mal Dampf abzulassen.«
Sie sprachen über die Mädchen, doch sie dachte über ihn nach. Über sie beide. Über ihren gemeinsamen Abend. Und nun war die Nähe vorüber. Sie wollte sie so gern zurück, doch es war, als griffe man nach dem Dampf, von dem er eben gesprochen hatte.
Sie fühlte sich taub. Wenn Katie nicht in ihr Gespräch geplatzt wäre, worüber würden Nick und sie jetzt reden? Hätte die Intimität angedauert?
Hatte es je ein schlechteres Timing gegeben?
Und was würde er Katie sagen, wenn er sie fand?
Sie ließen sich scheiden. Das war eine Tatsache, und diese Tatsache blieb bestehen, egal, wer das Gespräch führte.
»Nick …«
»Ich weiß, du machst dir Sorgen, und ich sollte mich beeilen.« Er zog die Tür auf, und sie spürte einen Anflug von Verzweiflung. Sie konnte ihn aufhalten, und vielleicht würden sie irgendwie zu dem Punkt zurückfinden, an dem sie gewesen waren, als Katie hereingekommen war.
Aber was war dann mit Katie?
Sie öffnete den Mund, doch bevor sie entscheiden konnte, was sie sagen wollte, schlug Nick die Tür zu und stapfte in den verschneiten Wald, um nach ihrer Tochter zu suchen.