Maggie lag im Bett und hatte die Decke bis zum Kinn hochgezogen. »Ich kann nicht glauben, dass das gerade passiert ist.«
»Ich auch nicht.« Nick schlug die Kissen auf und machte es sich gemütlich. »Welch Ironie! Die Mädchen haben zwei Jahrzehnte mit uns zusammengelebt und uns nie beim Sex überrascht. Und hier sind wir Tausende Meilen von zu Hause entfernt und haben plötzlich die ganze Familie plus einen Haufen Fremder in unserem Schlafzimmer. Zum ersten Mal bin ich dankbar dafür, dass du immer darauf bestehst, Sex unter der Bettdecke zu haben.«
»Das beschäftigt dich? Der Umstand, dass die Mädchen uns beim Sex überrascht haben?« Sie setzte sich auf und klammerte sich weiter an die Bettdecke. »Nick, das ist ernst. Rosie sah verzweifelt aus.«
»Katie noch schlimmer.«
Maggie war so entsetzt gewesen, von ihren Kindern im Bett überrascht zu werden, dass ihr die Einzelheiten von Katies Körpersprache entgangen waren. »Nach dem, was sie gestern gehört hat, muss das sehr verwirrend für sie sein. Ich verstehe, warum sie uns nicht glauben wollte, aber hat sie wirklich gedacht, dass wir so weit gehen würden, Sex vorzutäuschen?«
»Na ja, um ehrlich zu sein, haben wir alles andere auch vorgetäuscht, Mags. Insofern können wir ihr nicht wirklich vorwerfen, dass sie uns nicht getraut hat.«
»Ich weiß.« Sie vergrub das Gesicht in den Händen und sah dann wieder auf. »Ich hab’s vermasselt. Ich war so sehr mit uns beschäftigt und damit, eine überzeugende Show abzuliefern, dass ich mich nicht auf die Mädchen konzentriert habe. Rosie hatte Zweifel. Unser Baby hatte Zweifel, und ich habe es nicht bemerkt? Und um Katie mache ich mir schon seit einer Weile Sorgen. Ich hätte sie mehr drängen sollen. Mehr Zeit mit ihr verbringen sollen. Mutter zu sein ist schwer, und es wird nie einfacher. Ich habe mir so sehr gewünscht, eine bessere Mutter zu sein als meine.«
»Oh, glaub mir, Liebes, das hast du geschafft.« Er beugte sich zu ihr und küsste sie. »Du kannst niemanden zwingen, mit dir zu reden, Mag. Und wie du sagst, waren wir vollauf mit unserer eigenen Beziehung beschäftigt. Was einen Unterschied bewirkt hat, wenn ich ehrlich bin.«
Sie verspürte Gewissensbisse.
»Du hast recht, und wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren. Aber wie sollen wir das tun, wenn beide Mädchen gerade eine solch schwere Zeit durchmachen?« Sie ließ sich in die Kissen zurückfallen und versuchte, sich zu entspannen. »Wie sollen wir das wieder in Ordnung bringen? Die Hochzeit ist in zwei Tagen.«
»Nach dem, was Dan sagte, wird es keine Hochzeit geben.«
»Du glaubst, er meint das ernst?« Vor ein paar Wochen hätte es Maggie vielleicht sogar erleichtert, aber jetzt nicht mehr.
Sie fühlte sich verantwortlich. Zugegebenermaßen handelte es sich um eine etwas verworrene Ereigniskette, aber dennoch wusste sie, dass die Schuld bei ihr lag. »Warum sollte Katie uns erzählen, dass Rosie Zweifel wegen Dan hat, wenn Dan anwesend ist?« Maggie versuchte, ihre eigene Verlegenheit abzuschütteln und die Fakten zu analysieren. »Was hat sie sich dabei gedacht? Außer Rosie und Dan hätten bereits darüber gesprochen.«
»Er sah genauso überrascht aus wie wir. Und ich bin nicht sicher, ob Katie nachgedacht hat. Was ihr gar nicht ähnlich sieht. Katie durchdenkt immer alles.«
»Das hat sie von mir. Du und Rosie seid die impulsiven Typen.« Sie blickte ihn an. »Entschuldige. Das klang nach Kritik, und so meinte ich es nicht. Ich … ich bin in Panik, nehme ich an. Diese ganze Situation ist zu einem einzigen Albtraum geworden.« Sie griff nach ihrem Bademantel, um ihn unter der Bettdecke anzuziehen, und stand dann auf.
»Nicht die ganze Situation.« Nick griff nach ihrer Hand und zog sie hinunter zu sich. »Letzte Nacht war …«
»Ja.« Sie beugte sich vor und küsste ihn, aber mit den Gedanken war sie ganz woanders. »Und ich weiß, dass wir noch so viel zu bereden und zu klären haben, aber jetzt haben unsere Mädchen erst mal oberste Priorität. Keine Ahnung, zu welcher ich zuerst gehen soll.«
»Vielleicht wollen sie gar nicht, dass wir uns einmischen, und brauchen einfach nur ein wenig Raum. Du hast Katie doch gehört. Sie sind erwachsen und wollen wie Erwachsene behandelt werden. Und das bedeutet, sie ihre Probleme selbst lösen zu lassen.«
»Du meinst, ich soll nicht zu ihnen gehen?«
»Unsere Aufgabe besteht darin, sie zu unterstützen, Mags, nicht, ihre Probleme in Ordnung zu bringen.«
»Aber sie leiden beide.« Und sie würde sich nie an den Umstand gewöhnen, dass sie ebenfalls litt, wenn ihre Kinder litten. Als ob es eine physische Verbindung zwischen ihnen gäbe. Wie konnte sie in einer Zeit wie dieser nicht zu ihnen gehen? »Und was meinte Rosie wegen Jordan, der Katie absichtlich über Nacht bei sich behält, damit sie und Dan zusammen sein können?«
»Ich weiß es nicht. Offenbar geht zwischen den Mädchen etwas vor, von dem wir keine Ahnung haben.«
»Wenn ich jetzt darüber nachdenke, hast du recht. Katie wirkte aufgebracht. Glaubst du, dass zwischen ihr und Jordan etwas passiert ist?«
»Jordan? Was sollte zwischen ihr und Jordan passieren?«
»Ach Nick.« Maggie schüttelte den Kopf. »Du musst die Spannung zwischen ihnen doch auch gespürt haben.«
»Genau. Spannung. Wahrscheinlich ist also nichts passiert, oder? Außer dass der Typ es vermutlich bereuen wird, wenn er sie absichtlich dortbehalten hat.«
»Wie kann jemand, der so klug ist, so ahnungslos sein?«
»Jordan?«
»Du! Ich rede von sexueller Spannung. Willst du mir ernsthaft weismachen, du hättest das Knistern zwischen ihnen nicht wahrgenommen?«
»Knistern?«
»Lass uns einfach festhalten, dass sie einander nicht egal sind. Ich kann nicht glauben, dass du das nicht bemerkt hast.«
»Was soll ich sagen? Mein Hirn war mit meinen eigenen romantischen Problemen beschäftigt, und heimliche Liebschaften sind eindeutig nicht mein Fachgebiet. Ich brauche Kaffee. Vielleicht bin ich dann in der Lage, das hier zu verarbeiten. Besuch die Mädchen.« Er klang müde. »Ich weiß, dass du das möchtest, und es ist gut.« Er verließ das Schlafzimmer, lief die Treppe hinunter und ging in die Küche. Gedankenverloren sah sie ihm nach. Wie viele Male hatte sie den Mädchen Priorität eingeräumt? Die Antwort lautete: immer. Sie hatte nichts für ihre Ehe getan, weil sie in empörender Sorglosigkeit angenommen hatte, dass sie keine Aufmerksamkeit bräuchte und es ihr gut ginge. Völlig vernachlässigt war sie verwelkt, aber offenbar nicht eingegangen. Neue Triebe waren sichtbar, und es gab eindeutig Leben in ihrer Beziehung. Aber nicht, wenn sie einfach so weitermachten wie zuvor.
Sie wollte zu den Mädchen. Sie wollte sie trösten, sie fest in den Arm nehmen und ihnen helfen, sich besser zu fühlen. Sie konnte sich sagen, dass dies eine akute Krise war, dass sie sie jetzt brauchten und dass sie sich beim nächsten Mal zurückhalten würde. Aber es würde immer eine Krise geben, oder? So war das Leben. Egal, welchen Weg man einschlug, es galt immer, Stolpersteine zu überwinden.
Und Nick hatte recht. Die Mädchen waren erwachsen. Sie mussten einen Weg finden, selbst mit ihren Problemen umzugehen. Wenn sie ihren Rat suchten, würden sie zu ihr kommen.
Sie schlüpfte aus dem Bett und ignorierte den fast schon körperlichen Drang, der sie zu ihren Kindern zog.
Und es ging nicht nur um die Mädchen. Was war mit Catherine? Sie hatte so viel Arbeit in die Vorbereitung der perfekten Hochzeit gesteckt, und nun sah es so aus, als würde sie nicht stattfinden.
Sie griff nach ihrem Handy und legte es dann beiseite. Catherine brauchte vermutlich ebenfalls Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten. Es wäre besser, sie später anzurufen.
Schnell zog sie einen Bademantel an, ging die Treppe hinunter und betrat das Wohnzimmer.
»Du hast recht, dieses Mal stelle ich uns an erste Stelle. Wenn die Mädchen uns brauchen, können sie anrufen.«
Mit einem Becher in der einen und der Kaffeekanne in der anderen Hand hielt er inne. »Ich verstehe, wenn du zu ihnen gehen willst, Mags.«
»Will ich nicht.« Jetzt war sie sich sicher. »Sie sind wichtig, doch wir sind genauso wichtig. Ich möchte das hier nicht verlieren, Nick. Ich weiß nicht mal, was das hier ist, aber ich möchte dem Ganzen die Aufmerksamkeit schenken, die es verdient.« Sie musste sicher sein, dass sie alles in ihrer Macht Stehende getan hatte, um diese Ehe, die ihr so kostbar war, zu retten. Wie hatte sie etwas so Besonderes kampflos aufgeben können?
Er erwiderte ihren Blick, und sie las etwas in seinen Augen, das sie schon lange nicht mehr gesehen hatte. Etwas, das nur ihr galt. Etwas, das niemand anders mit ihm teilen konnte. Nach so vielen Monaten, in denen sie keine Verbindung zu ihrem Ehemann hatte herstellen können, hatte sie ihn endlich wiedergefunden. Und sie würde ihn nicht wieder gehen lassen.
»Ich dusche schnell.« Sie drehte sich um und ging ins Badezimmer. Dabei fragte sie sich, wie es möglich war, sich zugleich leicht und schwer zu fühlen. Sie machte sich Sorgen um die Mädchen, doch das trübte nicht die Erinnerung an die vergangene Nacht und ihre Hoffnung für die Zukunft.
Sie sah sich um. Vielleicht sollten sie das Badezimmer von Honeysuckle Cottage renovieren.
Ihr fiel auf, dass sie und Nick das Haus in ihren Gesprächen nicht einmal erwähnt hatten. Es gab so viele Dinge, über die sie nicht gesprochen hatten. Aber das würden sie tun, das wusste sie. Dies war kein Ende, sondern ein Neuanfang.
Dass Katie hereingeplatzt war, als sie über ihre Scheidung gesprochen hatten, hatte sie beide erschüttert.
Einen Moment lang waren sie voller Panik gewesen. Einen Moment, in dem sich beide auf ihre älteste Tochter und ihre Gefühle konzentriert hatten. Als sie begriffen hatten, dass sie nicht ans Telefon gehen und mit ihnen sprechen würde, waren sie gezwungen gewesen, miteinander zu reden. Nicht eines dieser vorgetäuschten Gespräche, wie sie sie seit ihrer Ankunft in Denver gehabt hatten, sondern eine aufrichtige Auseinandersetzung. Sie sprachen über den Tag, an dem er sich entschieden hatte auszuziehen – eine Entscheidung, der sie nicht widersprochen hatte –, und sie verfolgten die losen Fäden ihrer Beziehung zurück, bis sie die ersten Löcher im Stoff ihrer Ehe identifizieren konnten. Sie erkannten, dass eine Reihe falscher Entscheidungen sie hierhergeführt hatte, Entscheidungen, die zu jener Zeit so banal erschienen waren, dass sie sie gar nicht bemerkt hatten. Den späten Tee, den sie aus Müdigkeit ausschlug, wenn er von seinen Reisen zurückkam. Seine Entscheidung, im Gästezimmer zu schlafen, wenn sie die ganze Nacht wegen Rosie auf war. Gemeinsame Abendessen im Restaurant, die sie ablehnte, weil sie Angst hatte, Rosie dem Babysitter zu überlassen. Die Phase, in der sie ihre Kalender synchronisiert hatten, damit alle Alltags- und Familienverpflichtungen berücksichtigt wurden, sie aber keine Zeit für sich reserviert hatten. Jede scheinbar unbedeutende Entscheidung hatte ihre gemeinsame Zeit ausgehöhlt. Irgendwann während ihres Gesprächs hatte er ihre Hand genommen, und sie hatten dennoch weitergeredet. Sie gestand sich ein, dass ihr Leben von den Mädchen diktiert wurde, dass Rosies häufige Nottransporte ins Krankenhaus sie mehr verängstigt hatten, als sie hatte zugeben wollen. Er bekannte sich schuldig, sie mit dieser Angst alleingelassen zu haben, und räumte ein, seine Arbeit über das Familienleben gestellt zu haben. Ihre Berührungen und ihr körperlicher Kontakt waren dabei immer intensiver geworden. Finger, die miteinander verschränkt wurden, eine Hand auf dem Oberschenkel, ein Arm um die Schultern, bis die Berührungen schließlich intimer wurden. Die Vergangenheit geriet in den Hintergrund, als sie sich auf den Moment konzentrierten und nach und nach alle losen Fäden einwoben. Im funkelnden Licht des Weihnachtsbaums hatte er sie die Treppe hinauf und ins Schlafzimmer geführt und auf dem Weg dorthin ausgezogen. Die Art, wie er sie dabei berührte, hatte sich vertraut und dennoch neu angefühlt.
Wäre das alles überhaupt geschehen, wenn Katie nicht hereingeplatzt und ihr Gespräch mit angehört hätte?
Maggie drehte die Dusche auf und trat unter den Wasserstrahl.
Sie war nervös und ein bisschen traurig – wie konnte sie sich da gleichzeitig glücklich fühlen?
Sie dachte an Nicks Hände auf ihrem Körper, als sie ein Geräusch hörte und dann tatsächlich seine Hände auf ihrem Körper spürte.
Sie keuchte auf und öffnete die Augen. »Was? Ich dachte, du machst Frühstück.«
Er strahlte sie an und wischte ihr das Wasser aus dem Gesicht. »Später. Es ergibt keinen Sinn, zweimal Wasser zu verschwenden. Dies ist die Öko-Variante.«
»Es ist mitten am Tag.«
»Was glaubst du, warum ich hier bin? Du siehst süß aus, wenn du nass bist, habe ich dir das schon gesagt?«
»Süß ist für Zwanzigjährige.« Sie fühlte sich lächerlich unsicher.
»Nein, das ist es nicht.« Er senkte den Kopf und küsste erst ihren Hals und dann die Schulter.
Ihr Herz schlug schneller, doch dieses Mal holte die Realität sie auf den Boden der Tatsachen zurück. »Nick, wir können nicht … die Mädchen … wirklich … nach dem, was passiert ist?«
»Die Schlafzimmertür hat keinen Schlüssel, aber zu meinem – und deinem – Glück, hat die Badezimmertür einen. Und den habe ich benutzt. Entspann dich.« Langsam ließ er die Lippen über ihre Schultern gleiten, und sie spürte, wie ihre Knie weich wurden.
»Wenn ich mich entspanne, ertrinke ich. Ich bin zu alt für Sex unter der Dusche.«
»Wieso glaubst du nur, dass du zu alt bist?«
»Vielleicht weil es den Tatsachen entspricht? Genau wie bei dir.«
»Jetzt hast du mein Ego gekränkt.« Er küsste sie langsam und mit Bedacht. »Ich werde dir das Gegenteil beweisen müssen.«
»Wir hatten nie Sex unter der Dusche.«
»Weil das Badezimmer im Honeysuckle Cottage eine niedrige Decke hat und Sex unter der Dusche vermutlich eine ernsthafte Kopfverletzung nach sich ziehen würde, aber diese Dusche …« Mühelos hob er sie hoch, und sie keuchte auf, als sie die Beine um ihn schlang.
»Was machst du?«
»Ich lasse dich abheben. Genieße meine zweiten Flitterwochen. Und ich muss sagen, Mrs. White, bislang machen sie genauso viel Spaß wie die ersten.«
»Das kannst du nicht tun!« Sie wand sich unsicher. »Ich bin zu schwer.«
»Willst du damit sagen, ich bin ein Schwächling? Willst du meine Männlichkeit anzweifeln?«
»Nein, ich sage nur, dass ich zu schwer für dich bin! Und ich möchte nicht um Hilfe rufen müssen, weil du ausgerutscht bist und nackt in der Dusche liegst. Unsere Töchter würden nie wieder mit uns sprechen, falls sie das überhaupt noch tun, und was Catherine angeht … Gott weiß, was Catherine über uns denkt. Das ist verrückt, Nick. Lass mich runter.«
»Hast du noch nie davon gehört?« Er küsste ihren Mundwinkel. »Das Paar, das sich unter der Dusche gemeinsam fast umbringt, bleibt zusammen. Das ist ein Verbindungsritual, das Therapeuten weltweit empfehlen.«
»Das ist nicht die Version, die ich kenne. Nick, ich meine es ernst. Wir können nicht …«
Er küsste sie.
Sein Mund war sanft, und ihre Lippen öffneten sich. Sie spürte die erotisierende Berührung seiner Zunge und wie seine kundigen Hände über ihre nackte Haut strichen.
Überrascht von der Intensität ihrer Reaktion, schmiegte sie sich an ihn.
Verheiratete Paare fühlten sich doch nicht so, oder? Diese verrückte Aufregung, bei der einem das Herz bis zum Hals schlug und sich die Hitze im Bauch ausbreitete, war der Jugend und dem Reiz des Fremden vorbehalten.
Oder vielleicht konnten lang verheiratete Paare doch so fühlen. Nick kannte sie und ihren Körper. Er wusste genau, wie und wo er sie berühren musste. Kein Fummeln, kein ungeschicktes Erkunden. Nur eine Dringlichkeit, die sie nicht kannte, ein Begehren, das sie beide seit langer Zeit nicht mehr empfunden hatten. Sie waren seit Monaten getrennt und hatten davor in unterschiedlichen Zimmern geschlafen. Auf gewisse Weise war dies tatsächlich neu.
Sie erwiderte den Kuss und streichelte seine Schultern, die sie immer geliebt hatte. Auch hatte sie es geliebt, mit der Wange an seiner Brust zu schlafen, hatte ihm gern dabei zugesehen, wenn er die Mädchen auf die Schulter nahm und mit ihnen durch den Garten galoppierte. Die Jahre waren vergangen, doch diese Schultern waren noch immer breit und stark. Sein Job beinhaltete auch physische Arbeit, und außerdem hielt er sich fit.
Sie spürte, wie sich seine Muskeln anspannten, als er sie hinunterließ. Nicht weil er sie nicht mehr halten konnte, sondern weil er ihren Körper erkunden wollte. Sie keuchte auf, als er eine ihrer Brustwarzen in den Mund nahm und daran zu saugen begann, und hätte sich fast an dem Wasser verschluckt.
Sofort schob er sie ein wenig zur Seite, damit ihr das Wasser nicht über das Gesicht lief, und arbeitete sich langsam an ihrem Körper hinunter.
Seine Hände waren noch immer sehr geschickt, genau wie sein Mund. Und tief in ihrem Herzen wusste sie, dass er ihr nicht nur zeigen wollte, dass er wusste, wie er ihr Lust verschaffte. Er wollte ihr zeigen, dass er sie liebte. Jedes Streicheln, jede intime Berührung steigerten ihr Begehren, und als er schließlich in sie eindrang, rief sie seinen Namen und klammerte sich an ihn. Er gab den Rhythmus vor, dem sie folgte, bis die Lust fast unerträglich war und sie beide gemeinsam zum Höhepunkt kamen.
Keiner von beiden rührte sich hinterher. Wie aneinandergeschweißt standen sie unter dem warmen Duschstrahl.
Maggies Atem und ihr Herzschlag rasten. Sie lehnte den Kopf gegen seine Brust und spürte die Antwort seines Herzschlags. Er umfasste ihren Hinterkopf und drückte sie an sich.
»Ich kann nicht glauben, dass ich dich fast verloren hätte.« Seine Stimme war rau. »Ich kann nicht glauben, dass ich dich beinah hätte gehen lassen. Ich liebe dich, Maggie. Gott, ich liebe dich so sehr.«
Sie kniff die Augen zu, weil sie Angst hatte, der Moment könnte verschwinden, wenn sie sie öffnete.
Sie wollte etwas sagen, konnte es aber nicht, und immer noch hielt er sie umschlungen.
»Mir ist klar, dass wir immer noch über einiges sprechen müssen.« Behutsam löste er sich von ihr und strich ihr das feuchte Haar aus dem Gesicht. »Über vieles. Aber ich muss wissen, dass wir einen Weg finden. Ich muss wissen, dass du einen Weg finden möchtest. Wirst du mit mir nach einem Weg suchen?«
»Ja.« Sie legte eine Hand auf seine Wange und spürte seine Bartstoppeln. »Wir finden einen Weg. Ich möchte das ebenfalls.«
Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass sie sich wieder auseinanderlebten.
»Wir sollten uns wohl besser anziehen.« Er küsste sie aufs Haar. »Für den Fall, dass wir noch mehr Besucher bekommen. Das scheint hier öfter vorzukommen.«
»Guter Plan. Gib mir ein Handtuch.«
»Lass mich dich zuerst anschauen. Weißt du, wie lange es her ist, dass ich dich nackt gesehen habe?«
Sie war sich des hellen Sonnenlichts nur zu bewusst. »Nick …«
»Kein Ausziehen im Badezimmer und kein Sex im Dunkeln mehr. Versprich mir das.«
»Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich nackt herumlaufe. Ich habe Dehnungsstreifen. Dieser Körper hat zwei Kinder zur Welt gebracht.«
»Unsere Kinder.« Er murmelte die Worte an ihrem Hals, als er ihren Duft einsog. »Wir haben diese Kinder zusammen gemacht. Und ich liebe deinen Körper. Ich denke, das habe ich schon unter Beweis gestellt. Schließlich habe ich durchgehalten wie ein Pubertierender.«
Sie lehnte den Kopf an seine Brust. »Dies fühlt sich merkwürdig an. Anders. Wie kann es sich anders anfühlen? Wie kann ich verlegen sein, wenn wir einander doch seit so langer Zeit kennen?«
»Ich weiß nicht.« Er drückte sie an sich. »Vielleicht liegt es daran, dass wir neu beginnen. Vielleicht soll es sich anders anfühlen. Schließlich wollen wir ja auch, dass es anders wird.«
»Ich fühle mich schuldig, dass wir die Kinder angelogen haben, doch ein Teil von mir fragt sich, ob dies alles geschehen wäre, wenn wir nicht hierhergekommen wären und Zeit miteinander gehabt hätten.«
»Ich möchte gern glauben, dass es so wäre, aber du hast recht: Es hat uns zusammengebracht. Das und dein Alkohol-Moment.«
»Das wirst du mir auf ewig unter die Nase reiben, oder?«
»Allerdings. Und falls wir unser Ehegelübde erneuern sollten, würde ich dich versprechen lassen, jeden Abend eine Flasche Champagner zu trinken, und das, solange wir leben.«
»Vermutlich würden wir nicht so lange leben, wenn wir jeden Abend eine Flasche Champagner trinken.« Der Gedanke, dass sie ohne Rosies Hochzeit vielleicht nicht an diesem Punkt angekommen wären, machte ihr Angst. Und nun wurde die Hochzeit vielleicht abgesagt. Warum war das Leben immer so kompliziert? »Wir müssen uns anziehen.«
»Ja.« Er küsste sie, trat aus der Dusche, schlang sich ein Handtuch um die Hüften und reichte ihr ebenfalls eines. »Ich schenke den Kaffee ein.«
»Ich würde sterben für einen Kaffee, aber zieh dich erst an. Wir haben unseren Kindern genug Traumata beschert.«
Lächelnd spannte er seinen Bizeps an. »Meinst du nicht, dass es ihnen guttun würde, ihren Vater in so großartiger körperlicher Verfassung zu sehen?«
»Ziehen Sie sich an, Professor.« Sie warf ihm einen strafenden Blick zu, und er reagierte mit jenem schiefen Grinsen, in das sie sich vor all den Jahren verliebt hatte.
Er verließ das Badezimmer, während Maggie das Handtuch um sich schlang und aus dem Fenster in den verschneiten Wald blickte.
Sie würden sich nicht scheiden lassen. Sie und Nick würden verheiratet bleiben.
Danke, danke, danke.
Sie hatte nicht einmal gewusst, dass sie sich diesen Ausgang gewünscht hatte, doch nun begriff sie, dass sie dies die ganze Zeit gewollt hatte. Sie hatte Nick vermisst. Nicht die spröde, sterile und höfliche Beziehung, die sie in den letzten Jahren geführt hatten, sondern die Wärme, Freundschaft und Leidenschaft, die sie davor geteilt hatten.
Ungeduldig wischte sie sich die Tränen fort. Warum weinte sie? Sie wusste es nicht. Vielleicht aus Erleichterung. Oder weil sich endlich ihre emotionale und körperliche Spannung entladen hatte. Oder vielleicht lag es an der Sorge um ihre Kinder.
Voller Dankbarkeit föhnte sie ihr Haar, zog sich rasch an und ging zu Nick in die Küche.
»Also, was sollen wir tun?« Sie nahm den Kaffee entgegen und schlang die Hände um den Becher.
»Wir fangen damit an, über deine Arbeit zu sprechen und darüber, was du machen willst, wenn wir zu Hause sind.«
»Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich zu alt bin. Und ich habe nicht die richtige Ausbildung.«
»Den Teil mit der Ausbildung können wir ändern. Und ich glaube nicht, dass Alter eine Rolle spielt.«
»Doch, das tut es tut. Ich darf nicht eine sichere Anstellung aufgeben, all das Geld und die Zeit auf eine Ausbildung verwenden und dann feststellen, dass mir niemand einen Job geben will.«
»Vielleicht geben sie dir einen Job, wenn du die Ausbildung hast.«
»Aber das wissen wir nicht.«
»Im Leben gibt es keine Sicherheiten, aber eins weiß ich genau: dass wir einiges ändern müssen. Und du solltest zur Abwechslung etwas tun, was du tun möchtest, und keine Kompromisse eingehen. Keine Entscheidung treffen, nur weil sie sich mit der Familie vereinbaren lässt.«
»Du sagst also, ich soll egoistisch sein.«
»Etwas für dich zu tun macht dich nicht zu einer Egoistin. Meine Studenten nennen das Selbstfürsorge. Hast du Hunger? Ich könnte Schinken braten.«
»Sie werden diesen sexy Körper wohl kaum behalten, wenn Sie Schinken essen, Professor.«
»Ich muss bei Kräften bleiben, um dich bei Laune zu halten.« Er schenkte ihr Kaffee nach. »Apropos: Vermutlich sollten wir deine Unterwäsche vom Boden aufheben.«
»Oh mein …« Sie drehte den Kopf und stieß einen spitzen Schrei aus. »Sie müssen sie gesehen haben, als sie reingekommen sind.«
»Man sollte meinen, das hätte ihnen einen Hinweis gegeben. Gut, dass Katie Ärztin und nicht Kommissarin ist. Kriminelle könnten ohne jede Angst vor Strafe ihr Unwesen treiben.«
»Das ist nicht lustig.« Sie hastete durch das Zimmer und hob die verstreute Kleidung auf. »Es ist ein bisschen merkwürdig, dass sie nicht begriffen hat, was vor sich ging.«
»Sie dachte, dass wir es vortäuschen. Vermutlich hat sie angenommen, dass die Töne höchster Seligkeit, die aus deinem Mund kamen, übertrieben waren, obwohl sie doch tatsächlich eine Reaktion auf meine sexuellen Fähigkeiten waren.«
Sie warf ihren BH in seine Richtung, und er fing ihn mit einer Hand auf.
Sie fühlte sich merkwürdig – wie eine Kombination aus aufgedrehtem Teenager und besorgter Mutter. Aber manchmal war das Leben so. Es tischte Gutes und Schlechtes auf einem Teller auf, und es wurde erwartet, dass man alles aufaß. Aus Erfahrung wusste sie, dass man zur gleichen Zeit lachen und weinen, trauern und frohlocken konnte.
Ihr Handy piepte, und sie wirbelte herum, um es zu suchen.
»Das wird eins der Mädchen sein. Wo habe ich es liegen lassen?«
»Schau mal hinter den Sofakissen nach.«
Sie wühlte herum und fand es. »Es sind nicht die Mädchen. Es ist Catherine. Sie lädt mich zum gemeinsamen Frühstück in der Stadt ein. Du bist ebenfalls eingeladen.«
»Ich weiß nicht … Ich kann altertümliche Ruinen ausgraben, aber emotionale Verwicklungen sind was anderes. Das ist dein Spezialgebiet.«
»Offenbar ist das ein Krisentreffen – sie möchte über die Hochzeit sprechen. Vielleicht ist es einfacher, wenn ich allein gehe. Aber ich wollte mit den Mädchen reden.«
»Rosie wird gerade mit Dan sprechen. Zumindest hoffe ich, dass sie das tut.«
»Aber Katie – was ist mit Katie?«
»Ich werde sie suchen und mit ihr reden.«
»Du? Aber du hast nie …« Sie biss sich auf die Lippen. »Tut mir leid. Das steht vermutlich auf der Liste der Dinge, die man nicht zu seinem Partner sagen soll, oder? Ich hab’s nicht so gemeint, es ist nur so, dass ich normalerweise mit den Mädchen rede, wenn es ein Problem gibt.«
»Ich weiß, und ich denke, es ist an der Zeit, das zu ändern. Meinst du nicht? Ich habe vielleicht nicht so viel Übung wie du, und zweifellos werde ich das völlig Falsche sagen, aber zumindest zeige ich ihnen damit, dass sie mir wichtig sind. Ich möchte, dass sie das wissen.«
»Ach, Nick, sie wissen, dass sie dir wichtig sind …«
»Ich habe immer den leichteren Teil übernommen und dir den schweren überlassen. Ich werde das Gespräch mit Katie führen. Und wenn sie schreit, dann schreit sie wenigstens mich an.«
Vielleicht war Maggie mitverantwortlich, dass die Mädchen sich immer an sie wandten. Sie hatte angenommen, dass sie besser in der Rolle war. Sie hatte sie übernommen, ohne darüber nachzudenken, ob man sie vielleicht auch teilen könnte.
»Du hast recht, du solltest es tun. Lass sie reden, Nick. Versuch nicht, es in Ordnung zu bringen.«
»Sollte ich Jordan schlagen?«
»Du hast noch nie jemanden geschlagen. Warum also den armen Jordan?«
»Weil er meiner Tochter wehgetan hat.« Sein Blick war so grimmig, wie sie es noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte.
»Wir wissen nicht, ob er ihr wehgetan hat«, besänftigte sie ihn. »Du bist gut in Form, Nick, aber ich glaube, er wäre dir überlegen. Und dann ist da noch der Punkt, dass ich glaube, dass Katie ihn mag. Wenn sich herausstellt, dass wir Rosies Beziehung zerstört haben, wäre es mir lieber, dass wir nicht auch noch Katies Beziehung kaputtmachen. Nein, ein Gespräch mit deiner Tochter ist alles, was es braucht. Eins, bei dem vor allem sie spricht und du zuhörst.«
»Das kann ich. Viel Glück mit Catherine.«
»Ich weiß nicht, vor welchem Teil mir am meisten graut. Zuzugeben, dass unsere Beziehung nur Show war, oder zu erklären, warum Dan hinausgestürmt ist und die Hochzeit abgesagt hat.«
»Unsere Beziehung ist keine Show mehr. Vielleicht musst du das also nicht erwähnen.«
»Wenn ich ihr nicht erzähle, dass wir Theater gespielt haben, ergibt der Rest keinen Sinn.« Sie strich sich über die Stirn. »Nein, ich muss ihr die Wahrheit sagen. Das ist die einzige Chance, das alles zu entwirren.« Sie seufzte. »Mir hat davor gegraut, sie kennenzulernen, ich fühlte mich so eingeschüchtert, aber tatsächlich mag ich Catherine. Ich mag sie sogar sehr.«
»Ich mag sie auch. Geh, und sprich mit ihr. Ich räume hier auf und sehe dann nach Katie.«
Maggie packte sich warm ein und stapfte durch den Schnee zur Snowfall Lodge.
Als sie Catherine im Wagen warten sah, wurde sie nervös.
Sie wusste, wie viel Arbeit Catherine in die Hochzeitsplanungen gesteckt hatte und wie sehr sie sich den Tag herbeiwünschte. Vermutlich war sie wütend auf sie.
Sie wappnete sich für ein schwieriges Gespräch, öffnete die Wagentür und stieg ein.
Catherine sah tadellos wie immer aus, die Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille verborgen.
»Ich bin so froh, dass du gekommen bist.« Sie wartete, bis Maggie sich angeschnallt hatte, und fuhr dann Richtung Stadt. »Wir müssen reden.«
»Ja, ich weiß.« Maggie lehnte den Kopf gehen die Lehne. »Catherine …«
»Lass uns warten, bis wir im Coffeeshop sind. Ich wollte nicht riskieren, in der Lodge gestört zu werden. Dan ist mit dem Schneemobil abgehauen, aber ich nehme an, dass er irgendwann zurückkommt. Ich wollte nicht, dass er uns vielleicht überrascht.«
»Er ist mit dem Schneemobil weg?« Maggie ließ die Schultern sinken. »Ich hatte gehofft, er und Rosie würden über ihre Probleme reden.«
»Er kommt zurück. Wenn Dan verletzt ist oder über etwas nachdenken muss, nimmt er sich oft eine Auszeit. Sein Vater war genauso. Es gibt so vieles, was ich sagen möchte, aber ich muss mich konzentrieren, und die Straßen sind nach dem gestrigen Blizzard furchtbar. Und ich könnte sterben für einen Soja-Latte.«
Maggie hatte das Gefühl, dass sie etwas viel Stärkeres als einen Soja-Latte brauchten, damit es ihnen besser ging, doch wer war sie, dass sie Catherine widersprach? Und außerdem war Alkohol, wie Nick aufgezeigt hatte, zumindest teilweise für die Situation verantwortlich, in der sie sich befanden.
Sie war verlegen. Sie wollte die Wahrheit sagen, sich entschuldigen, doch Catherine hatte deutlich gemacht, dass sie das Gespräch verschieben wollte. Und zusätzlich beschäftigte sie die Sorge um ihre Töchter. Hoffentlich würde Nick mit Katie sprechen und dabei in kein Fettnäpfchen treten, doch was war mit Rosie? War sie irgendwo allein und außer sich?
»Wie war gestern dein Tag mit Nick?« Catherine fuhr sicher. »Hat die Schlittentour Spaß gemacht? Und war das Dinner romantisch?«
Jedes Wort von Catherine erinnerte Maggie daran, wie viel diese Frau für sie getan hatte. Und wie viel sie zu erklären hatte. »Es war alles wunderbar, danke.«
»Schön zu hören.«
»Die Schlittenfahrt zurück vom Restaurant war magisch.«
»Das glaube ich. Ich hatte mal einen Mann, der der Liebe seines Lebens bei dieser Schlittenfahrt einen Antrag gemacht hat.« Catherine blickte zu ihr, und Maggie bemerkte, wie blass sie war. Als ob sie geweint hätte.
Schuldgefühle stiegen in ihr hoch.
»Catherine …«
»Oh, sieh dir das an – ein Parkplatz direkt vor meinem Lieblingscoffeeshop. Das ist ein Wink des Schicksals.« Catherine parkte vorsichtig ein, und beide bahnten sich ihren Weg durch den Schnee in die Wärme.
Catherine wählte einen kleinen Tisch am Fenster, dicht am Kamin. »Was kann ich dir mitbringen?«
»Einen Cappuccino, bitte.« Maggie griff nach ihrer Tasche, um zu bezahlen, doch Catherine winkte ab.
Während Catherine zum Tresen ging, um zu bestellen, überlegte Maggie, was sie sagen könnte, und entschied dann, dass es keine Optionen gab, eine Lüge zu gestehen. Sie musste es direkt aussprechen.
Als Catherine es sich ihr gegenüber bequem gemacht hatte, atmete Maggie tief durch.
»Ich bin froh über diese Gelegenheit, unter vier Augen zu sprechen. Ich habe ein paar wichtige Dinge zu sagen.«
»Ich auch, aber ich möchte damit anfangen, dir zu danken, dass du mir überhaupt zuhören willst. Ich dachte, du wärst wütend. Vermutlich bist du wütend, und das kann ich dir nicht verübeln. Ich bin selbst wütend auf mich. Danke, dass du mich anhörst.«
Maggie verstand die Welt nicht mehr. »Dich anhören? Ich verstehe nicht.«
»Nein, natürlich nicht. Es gibt so vieles, das ich erklären muss, aber ich dachte, dass wir das am besten irgendwo tun, wo wir nicht gestört werden können. Ich habe mich schon den ganzen Morgen vor diesem Gespräch gefürchtet. Und apropos: Tut mir leid, dass ich einfach so bei euch reingeplatzt bin. Ich wollte meinen Umschlag mit den Vorschlägen für euren romantischen Tag unter der Tür durchschieben und die Croissants draußen lassen, doch die Tür stand offen, und ich habe Stimmen gehört, sodass ich dachte, ihr wärt schon auf.«
»Das ist unser geringstes Problem.« Maggie wollte gern vergessen, dass halb Colorado sie und Nick im Bett gesehen hatte.
Catherine nahm ihren Löffel und rührte im Kaffee herum. »Das ist meine Schuld. Ich weiß nicht mal, wo ich anfangen soll.«
»Fang damit an, mir zu erklären, wie du auf die Idee kommst, dass irgendwas von alldem deine Schuld ist. Wenn jemand die Schuld trägt, sind das Nick und ich.«
Erstaunt sah Catherine sie an. »Warum?«
Maggie verstand nicht, warum Catherine nicht zornig war, bis sie begriff, dass es daran lag, dass sie die Fakten nicht kannte. »Du zuerst. Ich danach.«
»In Ordnung.« Catherine ließ sich in ihren Sessel sinken. »Als mein Mann starb, bin ich … na ja, sagen wir, es war eine schwere Zeit. Es gab Tage, an denen bin ich nicht aus dem Bett gekommen. Ich konnte einfach nicht. Ich lag da und suhlte mich in meinem Elend und Selbstmitleid. Warum er? Warum ich? All die üblichen Gedanken, die man nicht gern zugibt, weil man nicht stolz darauf ist. Dan war im College, und ich wusste, dass er sich um mich sorgte. Also habe ich so getan, als ginge es mir gut. Wenn ich mit ihm sprach, klang ich bewusst fröhlich, und erzählte ihm, ich wäre beschäftigt.«
»Aber das warst du nicht.«
»Nein, und ich glaube, das hat er gespürt. Er bestand darauf, nach Hause zu kommen, sodass ich wusste, ich müsste mich zusammenreißen. Ich hatte ihm all diese Lügen erzählt, wie busy ich wäre, sodass ich etwas finden musste, um mich tatsächlich zu beschäftigen. Ich erzählte einer Freundin davon, und sie schlug vor, ihr bei der Organisation ihrer Hochzeit zu helfen. Es war ihre zweite Ehe, sie hatte einen Vollzeitjob und hasste jede Minute, die sie mit der Planung von Einzelheiten verbringen musste. Also nahm ich ihr alles ab. Ich tat es, damit Dan sich keine Sorgen um mich machen musste, doch innerhalb weniger Wochen ging es mir besser. Plötzlich hatte ich wieder einen Grund, morgens aufzustehen. Etwas, für das es sich zu leben lohnte. Ich redete mir ein, dass ich es täte, damit meine Freundin weiterarbeiten konnte und weniger Stress hätte, doch in Wahrheit tat ich es für mich. Ich hatte mir nie vorstellen können, dass Arbeit Therapie sein könnte, doch so war es. Und es stellte sich heraus, dass ich gut darin war. Es war eine große Hochzeit und sprach sich herum. Ich erhielt Angebote für weitere Aufträge. Was als Hobby anfing, wurde zu einem Geschäft. Bald brauchte ich eine Assistentin. Und ich liebte das, was ich tat. Vorher hatte ich nie einen Beruf. Ich lernte Jonny im College kennen, und dann kam auch schon Dan. Jonny war so beschäftigt, sein Unternehmen aufzubauen, dass ich ihn unterstützen wollte. Ich weiß, viele würden sagen, dass das eine altmodische Haltung war.«
»Es war deine Entscheidung«, sagte Maggie, die an ihr eigenes Leben dachte. »Es war das, was du wolltest.«
»Ja. Ich wollte nichts mehr, als Dans Mutter zu sein, und genauso wollte ich nach Jonnys Tod nichts mehr, als meinem Sohn zu zeigen, dass es mir gut ging. Er ist sehr fürsorglich. Ich wollte nicht, dass er sich um mich sorgt und so etwas Dummes tut, wie alles aufzugeben, um nach Hause zu kommen. Man zieht ein Kind auf, damit es unabhängig wird. Das habe ich verstanden. Man zieht sie auf, damit sie gehen, auch wenn es einem das Herz bricht.« Catherine suchte nach einem Taschentuch und schnäuzte sich. »Entschuldigung.«
»Entschuldige dich nicht. Ich habe wochenlang geweint, nachdem Rosie von zu Hause ausgezogen ist, aber erzähl ihr das nicht.« Maggie beugte sich vor und nahm Catherines Hand. »Ich finde dich inspirierend. Und mutig.«
»Ich weiß nicht. Wie auch immer … Als Dan Rosie zum ersten Mal mit nach Hause gebracht hat, erkannte ich sofort, wie sehr er sie liebte. Er war verzweifelt, als er seinen Vater verlor, und ihn so glücklich zu sehen war eine große Erleichterung für mich. Ich hatte das Gefühl, als würden wir in eine völlig neue Lebensphase eintreten.« Sie entzog Maggie die Hand und griff nach ihrem Kaffee. »Ich erzähle dir das, weil es vielleicht zu meinem Verhalten beigetragen hat.«
»Ich verstehe nicht …«
Catherine setzte den Becher ab. »Von dem Moment an, als Dan ihr einen Antrag gemacht hat, habe ich das Kommando übernommen. Ich schlug vor, dass sie an Weihnachten heiraten sollten. Und ich tat das bei einem großen Familiendinner, ohne daran zu denken, dass die arme Rosie so kaum in der Lage sein würde, ihre Sicht der Dinge auszudrücken.«
»Wenn sie Zweifel gehabt hätte, hätte sie das gesagt.«
»Wir wissen beide, dass sie das wahrscheinlich nicht getan hätte. Sie ist ein rücksichtsvolles, großzügiges Mädchen. Und ich glaube, dass sie Dan liebt, sonst hätte ich niemals so viel Druck gemacht. Ich weiß nicht genau, warum ich das getan habe, außer dass mir eine Weihnachtshochzeit romantisch schien und ich mir wünschte, dass die beiden sofort in ihr glückliches Leben starten.« Tränen schimmerten in ihren Augen. »Ich habe sie fast mitgeschleift in den Brautladen. Wenn ich zurückschaue, erkenne ich, dass sie ein bisschen nervös war, aber habe ich mich zurückgehalten? Nein, ich redete mir ein, dass es normal wäre, vor der Hochzeit nervös zu sein. Ich wollte nicht daran denken, dass diese ganze Sache vielleicht zu schnell voranging. Und ich habe nicht an dich gedacht. Sie ist dein Mädchen. Dein Baby. Und ich habe alles an mich gerissen, was eigentlich eine Mutter tun sollte.«
»Catherine, bitte!« Maggie beugte sich vor. »Hör auf, dich zu quälen. Ich war nicht hier, um diese Dinge zu übernehmen, weshalb ich dankbar war, dass du es getan hast. Und dass du so nett zu unserer Tochter warst.«
»Ich liebe sie. Der Teil steht außer Frage. Aber meine Zuneigung hat vermutlich dazu beigetragen, sie zu überrollen.«
Maggie dachte, dass es nicht leicht war, Kinder zu haben. Es war nicht leicht, die richtige Balance zu halten. Das erkannte sie inzwischen viel klarer. Liebe und Fürsorge konnten schnell in Bevormundung umschlagen, und es war nicht leicht zu entscheiden, wo die Grenze verlief.
Sie setzte sich ein bisschen aufrechter hin. »Ich denke, du bist zu hart zu dir. Wenn sie Zweifel gehabt hätte wegen der Beziehung oder der Hochzeit, hätte sie mit Dan sprechen sollen.«
Catherine schniefte. »Meinst du?«
»Ja«, betonte Maggie, um sie beide zu überzeugen. »Wenn sie alt genug sind, um zu heiraten, sind sie auch alt genug, ihre Probleme selbst anzugehen.«
»Du bist so vernünftig und reif.«
Maggie brach in prustendes Gelächter aus. »Ich wünschte, das wäre ich. Sagen wir mal, ich hatte kürzlich eine Erleuchtung.«
»Dan ist genauso fokussiert und stur wie ich. Wenn er etwas will, tut er alles dafür. Das ist eine Stärke und zugleich eine Schwäche. Vielleicht wollte Rosie mit ihm sprechen, und er hat nicht zugehört. Und jetzt steht er unter Schock.«
Maggie trank ihren Kaffee aus. »Ich mag Dan sehr und bin mir sicher, dass er und Rosie das hinkriegen werden.«
»Und wenn nicht?«
Maggie versuchte, das unangenehme Gefühl in ihrem Bauch zu ignorieren. Würde dieser Drang, nach dem Handy zu greifen, ihre Tochter anzurufen und sie zu fragen, ob es ihr gut ging, jemals aufhören? »Dann werden sie beide etwas daraus gelernt haben. Und wir werden die Scherben zusammenkehren und sie trösten.«
»Ich verstehe nicht, warum heute Morgen alle in eurem Schlafzimmer standen. Und warum alle so angespannt waren. Niemand hat mir etwas erzählt.«
Verlegen spielte Maggie mit ihrem Kaffeebecher. »Das ist jetzt der Teil des Gesprächs, bei dem du sauer auf mich sein wirst.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Wegen unserer zweiten Flitterwochen …«
»Ich finde das so romantisch.«
»Es ist alles bloß Show. Oder zumindest war es das. Nick und ich leben seit Monaten getrennt.« Sie erzählte Catherine alles – von ihrer kriselnden Ehe bis zu der Entscheidung, eine intakte Beziehung vorzutäuschen, um die Hochzeit nicht zu verderben.
Catherine hörte wortlos zu. Als Maggie schließlich fertig war, rührte sie sich. »Dann habe ich euch wieder zusammengebracht?«
»Ja. Es ist Jahre her, dass Nick und ich als Paar Zeit miteinander verbracht haben. Spaß miteinander hatten. Unsere Beziehung hatte sich in etwas verwandelt, das eher einem Arrangement ähnelte. Weil wir diese zweiten Flitterwochen vorgetäuscht haben, waren wir gezwungen, all diese Dinge zu tun, die du freundlicherweise arrangiert hattest. Die Schlittenfahrt. Das romantische Dinner. So etwas hatten wir seit langer Zeit nicht mehr getan.«
»Und es hat sich in etwas Echtes verwandelt. Ihr habt euch wieder ineinander verliebt.« Catherine legte sich die Hand auf ihr Herz. »Du hast keine Ahnung, wie glücklich mich das macht. Aber was hat das mit heute Morgen zu tun?«
»Gestern hat Katie gehört, wie wir über Scheidung sprachen. Sie war natürlich verstört. Sie rannte fort, und das ist der Grund, warum sie die Nacht in Jordans Hütte verbracht hat. Doch sie ist offenbar davon ausgegangen, dass wir es Rosie erzählen. Als sie entdeckte, dass wir das nicht getan hatten … Na ja, sie will ihre Schwester immer beschützen.«
»Natürlich will sie das«, murmelte Catherine. »Sind Schwestern nicht genau dafür da?«
»Sie schien zu glauben, dass Rosie Zweifel hatte und unsere Ehe als Beweis anführte, dass eine stürmische Romanze funktionieren kann. Katie hatte das Gefühl, es läge in ihrer Verantwortung, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich nehme an, dass Rosie ihr nicht geglaubt hat, sodass Katie sie für ein ehrliches Gespräch zu unserem Baumhaus geschleppt hat.«
»Und ihr wart im Bett und habe eure neue Beziehung genossen.« Catherine begann zu lachen, und Maggie spürte, wie sie rot wurde.
»Ich kann dir sagen: Es ist nicht lustig, wenn deine erwachsenen Kinder hereinplatzen, während du Sex hast.«
»Ich weiß, ich weiß.« Catherine wischte sich die Augen. »Ehrlich, so was kann man nicht erfinden. Doch Katie muss sich doch freuen, dass ihr wieder zusammen seid?«
»Ich weiß nicht. Wir haben nicht mit ihr gesprochen. Dan hörte, wie sie Rosie zu überzeugen versuchte, unsere Ehe nicht als Beweis anzusehen, und war verständlicherweise aufgebracht. In dem Moment kamst du.«
»Also wissen die Mädchen, dass du und Nick wieder zusammen seid?«
»Sie sollten es wissen. Zumindest haben wir versucht, es ihnen zu sagen. Aber es war ziemlich chaotisch, und Katie vertraut uns im Moment nicht allzu sehr. Vermutlich wird sie mir nie wieder ein einziges Wort glauben. Du denkst, dass hier sei deine Schuld, aber ich denke, es ist meine. Wenn ich den Mädchen von Anfang an die Wahrheit gesagt hätte, wäre Katie heute Morgen nicht reingestürmt, Rosie wäre ihr nicht gefolgt, und Dan hätte nicht erfahren, dass sie Zweifel hatte.«
»Aber dann wärt du und Nick euch vielleicht nicht wieder nähergekommen. Ich glaube, es ist gut, dass Dan es erfahren hat. Sie müssen einen Weg finden, miteinander zu sprechen. Wenn du zu dem Menschen, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen willst, nicht ehrlich sein kannst, wie soll dann jemals eure Beziehung funktionieren? Dan kann sehr stur und selbstsicher sein, aber vielleicht muss er lernen, mehr zuzuhören.« Catherine trank ihren Kaffee aus. »Ich muss mich bei Rosie entschuldigen, dass ich alles an mich gerissen habe. Dass ich Druck ausgeübt habe. Ich habe es ihr schwer gemacht, für sich einzutreten. Aber diese ganze Geschichte hat mir auch einige Erkenntnisse über mich beschert. Ich muss Menschen mehr Raum zum Atmen geben, damit sie ihre eigenen Entscheidungen treffen können.« Sie straffte die Schultern und sah auf die Uhr. »Wir sollten zurückfahren. Vielleicht muss ich eine Hochzeit absagen. Außer du und Nick würdet euer Gelübde gern erneuern?«
Maggie lächelte schwach. »Ich glaube, das wäre unter den Umständen nicht sehr taktvoll.«
»Oder vielleicht ist es genau das, was alle brauchen. Und es würde Katie definitiv überzeugen, dass ihr dieses Mal die Wahrheit sagt.« Sie stand auf. »Werden wir diese Hochzeit wirklich aufgeben?«
»Es liegt an ihnen. Ich werde mich nicht einmischen, auch wenn es mich fast umbringt, es nicht zu tun.«
»Ich versuche, nicht zum Telefon zu greifen und Dan anzurufen.«
»Wir müssen eine andere Beschäftigung für unsere Hände finden.« Sie sah Catherine anzüglich grinsen und spürte, wie sie errötete. »Catherine Reynolds, du bist schamlos.«
»Stimmt, aber auch sehr stolz – darauf, dass ich dafür verantwortlich bin, dass Nick und du wieder zusammen seid. Das Schicksal geht manchmal merkwürdige Wege, oder? Vielleicht habe ich zu sehr gedrängt, dass diese Hochzeit rasch stattfindet, doch wenn die beiden erst nächstes Jahr geheiratet hätten, wärt Nick und du geschieden gewesen.«
Maggies Herz setzte einen Schlag aus. Ihr gefiel der Gedanke, dass sie irgendwie wieder zusammengefunden hätten, doch vielleicht hätten sie das auch nicht. Sie beugte sich vor und umarmte Catherine. »Was auch immer mit unseren Kindern geschieht, ich hoffe, wir bleiben in Kontakt.«
»Natürlich!« Catherine löste sich. »Ich war so nervös, dich kennenzulernen.«
»Du warst nervös, mich kennenzulernen?« Maggie lachte auf. »Ich hatte Angst, dich kennenzulernen. Du bist so erfolgreich und hast dein eigenes Geschäft.«
»Ich habe mein eigenes Geschäft, weil ich viel zu kompliziert bin, um jemals für jemand anderen zu arbeiten. Niemand würde mich einstellen. Warum starrst du mich so an?«
»Weil … an die Möglichkeit habe ich nie gedacht. Mein eigener Chef sein.« Warum andere entscheiden lassen, ob sie in etwas gut war oder nicht?
»Du solltest darüber nachdenken. Es gibt nichts Besseres, als dein eigener Chef zu sein. Du kannst dir das Gehalt erhöhen und Teepausen machen, wann immer du möchtest.« Catherine nahm ihre Tasche und ihren Mantel. »Wir sollten zurückfahren.«
Sie gingen zur Tür, und Maggie hielt inne. »Ich persönlich bin mir sicher, dass sie sich lieben.«
»Ja, ich mir auch.«
»Sie hat sich verändert. Sie hat mehr Selbstvertrauen. Mit ihm zusammen zu sein hat sie selbstbewusster gemacht.« Maggie hielt die Tür auf. »Sie sind ein tolles Paar. Wir müssen hoffen, dass sie das selbst erkennen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann wird es kein fröhliches Weihnachten.«