MAGGIE

Mit einem starken Kaffee bewaffnet, gab Maggie Catherines Namen in die Suchmaschine ein.

Es gab Bilder von Dans Mutter bei einer Benefizveranstaltung in Manhattan, schlank wie ein Model und die blonden Haare elegant aufgesteckt, passend für einen Auftritt auf dem roten Teppich.

Bedrückt scrollte Maggie durch ein Dutzend weiterer Bilder.

Catherine, wie sie eine fast senkrechte Skipiste in Aspen hinunterfuhr.

Catherine, die auf dem Gipfel des Kilimandscharo triumphierend die Faust in die Höhe reckte und zu Spenden für eine Stiftung gegen Herzkrankheiten aufrief.

Catherine, die in einem figurbetonten schwarzen Kleid zu einem Meeting eilte, den Terminkalender unter den Arm geklemmt.

In einem früheren Gespräch hatte Rosie ihr erzählt, dass Catherines Mann überraschend an einem Herzinfarkt gestorben war, als Dan noch auf dem College studiert hatte. Die Familie war am Boden zerstört gewesen angesichts des Verlusts, doch Catherine hatte sich gezwungen, nach vorn zu sehen.

Maggie vergrößerte das Bild. Diese Frau sah nicht gebrochen aus. Es gab keinerlei Anzeichen von Trauer oder Sorge. Keine Falte auf der Stirn. Kein silbernes Haar. Wie konnte jemand einen solchen Schicksalsschlag erleben und dabei so gefasst aussehen? Ein führendes US-Magazin hatte einen Artikel über sie veröffentlicht mit der Überschrift: »Von der Tragödie zum Triumph.« Maggie las ihn von Anfang bis Ende und erfuhr, dass Catherine Reynolds ihr Hochzeitsgeschäft nach dem Tod ihres Mannes aufgebaut und ihre hausfraulichen Fähigkeiten für ein kommerzielles Unternehmen genutzt hatte.

Dan war achtundzwanzig, was bedeutete, dass Catherine, sofern sie keine medizinische Sensation war, mindestens Ende vierzig sein musste.

Die Frau, die ihr vom Bildschirm entgegenlächelte, sah nicht mal wie vierzig aus.

Maggie zwirbelte die Enden ihrer Haare zwischen den Fingern. Sie ließ sie seit dreißig Jahren im gleichen Salon schneiden und trug immer den gleichen Schnitt. Tatsächlich gab es wenig in ihrem Leben, das sie verändert hatte.

Während Catherine sich neu erfunden und einen Neustart gewagt hatte, indem sie ihr Leben mit neuen Herausforderungen füllte, war Maggies Leben allmählich immer leerer geworden. Erst war Katie aus dem Haus gegangen und dann Rosie. Ihr Terminkalender, der einst voller Schul- und Sporttermine gewesen war, hatte nun große Lücken. Sie tat weiter das, was sie immer getan hatte, machte ihren Job und versorgte den Garten. Sie war daran gewöhnt gewesen, für vier zu kochen, doch daraus waren drei geworden und dann zwei und dann, nachdem das Leben aus ihrer Ehe entwichen war, eine. Statt ein neues Leben aufzubauen, wie Catherine das offenbar getan hatte, lebte Maggie eine verwässerte Version des Lebens, das sie schon immer gelebt hatte.

Nachdenklich schob sie den Laptop beiseite und sah zu der Akte, die geöffnet auf dem Tisch neben ihr lag. Sie war fast voll. Bald würde sie den Ordner nicht mehr schließen können.

Die Lektüre über Catherines entschlossenen Kampf, ihr Leben neu zu erfinden, gab ihr ein Gefühl von Erbärmlichkeit und Nutzlosigkeit. Catherine hatte ihren Mann auf tragische Weise verloren. Maggie ihren durch Achtlosigkeit. Oder war es Apathie? Sie wusste es nicht einmal.

Maggie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass sie ihre Ehe irgendwie vergeudet hatte.

Ein Grund, warum sie den Mädchen die Neuigkeit noch nicht mitgeteilt hatte, war die Tatsache, dass sie sie selbst noch nicht ganz begriffen hatte.

Hätten sie und Nick sich mehr bemühen sollen?

In dem Bewusstsein, dass sie eine Stunde mit trüben Gedanken verbracht hatte, schloss Maggie die Akte und verstaute sie in einer Schublade, damit sie außer Sicht war. Sie wollte nicht, dass Nick sie entdeckte, sonst würde ein Gespräch nötig werden, das sie nicht führen wollte.

Als Nächstes schloss sie ihr Lieblingsrezeptbuch für Weihnachten, das seit einer Woche geöffnet auf dem Tisch lag, und schob es wieder ins Regal. Sie würde es nicht brauchen.

Es war peinlich, es zuzugeben, doch sie plante Weihnachten schon seit September und schrieb seit Oktober Listen. Der erste Hauch von Winter in der Luft ließ sie an Schmortöpfe, herzhafte Suppen und geröstetes Wurzelgemüse denken. Sie hatte sich auf die Feiertage mit ihren kulinarischen Ritualen gefreut: umrühren, köcheln, backen in der warmen, nach Zimt duftenden Küche. Vor allem hatte sie sich auf die Zeit mit ihrer Familie gefreut.

Sie schlang die Hände um ihren Becher und starrte hinaus in den Garten, während sie am Kaffee nippte. Frost funkelte und schimmerte auf dem Rasen, und leichter Bodennebel ließ das Ganze ätherisch wirken. Zu dieser Jahreszeit bildete ein Ilex-Busch mit seinen vollen blutroten Beeren den einzigen Farbtupfer in ihrem Garten. Maggie hatte gehofft, dass die Vögel genug davon übrig lassen würden, damit sie mit den Zweigen das Haus dekorieren konnte, doch das spielte jetzt keine Rolle mehr.

Sie würde keine Beeren brauchen – genauso wenig wie die Mistel, die büschelweise am alten Apfelbaum wuchs. Sie würde Weihnachten nicht hier sein.

Nie zuvor war sie über die Feiertage verreist gewesen. Hatte nie ein Weihnachten erlebt, das nicht ihr gehörte. Sie hatte Freunde, die Weihnachten nur zu gern »flüchteten«, um dem Trubel zu entgehen, doch Maggie liebte den Trubel. Wie würde Weihnachten ohne das alles sein?

Und warum machte sie sich Gedanken um Weihnachten, wenn es doch in Wirklichkeit um Rosies Hochzeit ging? Was stimmte nicht mit ihr?

Sie sah auf die Uhr.

Nick hatte gesagt, dass er um elf käme, und nun war es halb zwölf. Da er grundsätzlich zu allem zu spät kam, was sogar ihre Hochzeit einschloss, überraschte sie das nicht. Früher hatte es sie zornig gemacht, dass er fließend Altgriechisch sprach, aber nicht sagen konnte, wann er nach Hause kommen würde. Er konnte Hieroglyphen entziffern, doch offenbar nicht die Uhr oder eine Textnachricht lesen.

Am Anfang hatte das keine Rolle gespielt. Sie hatte seine Leidenschaft geliebt und dass er so sehr in den Dingen versank, die er liebte. Was ihm an Verlässlichkeit fehlte, machte er durch Spontaneität wieder wett. Den einen Tag wedelte er mit zwei Konzertkarten für das Sheldonian Theatre, am nächsten entführte er sie zu einem Picknick am Fluss, wo sie das Sonnenlicht auf dem Wasser funkeln sahen. Nick hatte die lebenslustige Seite von Maggie zum Vorschein gebracht. Für sie war das eine ebenso große Entdeckung wie das Grab des Tutanchamun. Sie war das Kind älterer Eltern, die ihre Verantwortung ernst genommen und alles in ihre Entwicklung und Erziehung investiert hatten. Ihre Liebe zu erlangen war anstrengend gewesen und die Beziehung zu ihnen steif und belastet. Spaß war kein Teil ihres Lebens gewesen, bis sie in ihren ersten Wochen in Oxford Nick kennengelernt hatte.

Er studierte Ägyptologie und sie Englisch. Sein Ruf und seine akademische Karriere blühten rasant auf. Sie blieben in Oxford, und sie nahm einen Job bei einem Wissenschaftsverlag an und lektorierte Bücher. Wenn ihr durch den Kopf ging, dass sie ihren Job nicht so liebte, wie Nick seinen liebte, ignorierte sie den Gedanken.

Und dann kam Katie zur Welt, und die Heftigkeit ihrer Gefühle und die Macht der Verbindung, die sie fühlte, überraschten sie. Maggie liebte sie mit Leib und Seele und entdeckte, dass ihre Leidenschaft ihrem Kind, ihrem Ehemann und ihrer Familie galt. Dass sie ein Heim schaffen wollte wie jenes, das sie selbst gern gehabt hätte.

Katies Geburt lieferte ihr den perfekten Vorwand, die Arbeitszeit zu reduzieren. Am Ende blieb sie zu Hause, da ihr die Kinderbetreuung mehr Spaß machte als ihr Job.

Als Katie in die Schule ging, fing Maggie wieder bei dem Verlag an, doch als Rosie kam, machte sie eine zweite Karrierepause. Ihre jüngste Tochter war eine Frühgeburt gewesen, ein winziges, zerbrechliches Etwas, das weniger als eine Tüte Zucker gewogen hatte. Als Baby litt Rosie ständig an Husten und Erkältungen, und irgendwann kam es zu ihrem ersten Asthma-Anfall.

Maggie hatte das nie vergessen. Danach kamen die Anfälle öfter, und das Leben wurde zu einer Abfolge schlafloser Nächte und panischer Fahrten ins Krankenhaus.

In den ersten zehn Jahren von Rosies Leben war Maggie ständig erschöpft gewesen.

Sie zogen aus dem Zentrum Oxfords weg und nach Honeysuckle Cottage, in der Hoffnung, dass die Luftverschmutzung dort geringer wäre als in der Stadt. Untersuchungen zeigten, dass Hundehaare ein Auslöser für die Anfälle waren, was bedeutete, dass sie auf den Familienhund, den Nick sich so sehr wünschte, verzichten mussten.

Rosies Kindheit war eine stetige Abfolge von abgesagten Vorhaben und Nottransporten ins Krankenhaus. Dann kam sie ins Teenageralter, und es wurde schwieriger, sie zu kontrollieren. Einen Inhalator bei sich zu tragen war nicht cool. Da sie ihren Zustand ignorierte, landete sie viel zu oft im Krankenhaus. Die Anspannung wirkte sich auf sie alle aus, genauso wie die Ignoranz ihrer Freunde und Bekannten, die Asthma für etwas Harmloses hielten.

Maggie erinnerte sich noch gut an den Tag, als Katie in die Küche gestürmt kam und ihre Bücher auf den Tisch geworfen hatte.

Ich werde Ärztin, weil ich Rosie dann heilen kann.

Maggie hatte oft Schuldgefühle gehabt, dass sie den Großteil ihrer Zeit und Aufmerksamkeit ihrer jüngsten Tochter widmete, doch Katie schien das nicht zu beeinflussen. Sie war ein fröhliches und sehr entschlossenes Kind, das sich zu einer fröhlichen und sehr entschlossenen Erwachsenen entwickelte. Stets setzte sie sich Ziele und führte To-do-Listen, um diese Ziele zu erreichen. Anders als Nick und Rosie, die ihre Entscheidungen impulsiv und intuitiv trafen, tat Katie nie etwas, das sie nicht von hinten bis vorn durchdacht hatte.

Von einem fleißigen, talentierten Kind war sie zu einer fleißigen und engagierten Erwachsenen geworden. Jetzt arbeitete sie als Ärztin, und Maggie war stolz auf sie.

Anders als die sprunghafte Rosie wusste Katie immer genau, was sie wollte, und zauderte nie.

Das Klingeln an der Haustür riss sie aus ihren Gedanken. Sie ging und öffnete.

Nick stand vor ihr. Seinen langen Wollmantel hatte er schon seit Jahren. Er trug ihn mit aufgestelltem Kragen und seinem Lieblingsschal um den Hals. Jetzt schenkte er ihr das gleiche schiefe Lächeln, das vor vielen Jahren ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, und sie spürte Trauer in sich aufwallen. Wo war ihre Liebe geblieben? Es hatte keinen großen Streit gegeben. Keine heimlichen Affären oder Flirts. Wiederholt hatte sie versucht, den Punkt zu bestimmen, an dem ihre Ehe nicht mehr funktioniert hatte, doch sie war nicht in der Lage gewesen, ein spezielles Ereignis auszumachen. Sie und Nick hatten nebeneinanderher und sich dann langsam auseinandergelebt. Keiner von ihnen hatte es bemerkt, bis ihre einstige Verbindung eines Tages nicht mehr da gewesen war.

Sogar die Entscheidung, sich zu trennen, hatten sie einvernehmlich und freundschaftlich getroffen.

Manchmal fragte sie sich, ob sie einander unter dem Druck, eine Familie sein zu müssen, einfach verloren hatten.

Trotz allem war sie erleichtert, dass er hier war. Sie musste mit jemandem sprechen. Irgendjemandem. Sie machte die Tür weiter auf. »Hast du wieder deinen Schlüssel verloren?«

»Ausnahmsweise nicht, aber es ist mir unangenehm, ihn zu benutzen. Das hier ist nicht mehr mein Haus.« Er zögerte und trat dann über die Schwelle.

»Es ist noch immer dein Haus, Nick. Wir haben es gemeinsam gekauft, und wenn wir es verkaufen, teilen wir den Erlös. Du hast ein Recht, hereinzukommen, wann immer du willst.« Sie wollte das Schloss nicht wechseln. Warum sollte sie?

»Ich möchte nicht stören.« Er blickte zur Treppe, und sie lachte kurz auf, als sie begriff, dass er ihre Privatsphäre respektierte.

»Meinst du, da versteckt sich ein Weihnachtself unter meinem Bett? Oder der Weihnachtsmann persönlich? Irgendein muskulöser junger Kerl?«

Eine weitere ernsthafte Beziehung stand nicht auf ihrem Wunschzettel. Und was etwas Oberflächlicheres anging – nun, der Gedanke an eine Affäre war grotesk.

»Es ist kalt hier drin.« Nick berührte den Heizkörper, der ihm am nächsten war. »Ist die Heizung wieder kaputt?«

»Sie wartet auf den ersten Frost, um kaputtzugehen.« Wie gewöhnlich trug Maggie zwei Pullover, sodass sie dicker aussah, als sie war.

»Soll ich jemanden anrufen?« Er bot nicht an, selbst nachzusehen. Nick vermochte einen Vorlesungssaal in seinen Bann zu ziehen, doch einen tropfenden Wasserhahn konnte er nicht reparieren, und Möbel zum Selbstaufbau verwirrten ihn.

»Das habe ich schon getan. Sie kommen nächsten Montag.«

»Du siehst müde aus.«

»Kein Wunder, wenn man um drei Uhr morgens angerufen wird.« Sie wusste, dass Nick vermutlich gleich wieder ins Bett gegangen wäre. Seine Fähigkeit zu schlafen, egal, wie groß die Krise war, war über die Jahre zu einer Quelle des Neids und der Frustration geworden. Sie hätte alles dafür gegeben, einfach abschalten und jemand anderem fünf Minuten lang die Verantwortung übergeben zu können. Vielleicht versetzte ihn nur die Tatsache, dass sie das nicht konnte, in die Lage, selbst abschalten zu können – beruhigt durch das Wissen, dass sie das Kommando übernahm.

»Rosie hätte dich nicht mitten in der Nacht anrufen sollen.«

»Sie war aufgeregt. Sie wollte ihre Neuigkeit loswerden. Und ich freue mich. Sie mag weit weg wohnen, doch ich möchte noch immer Teil ihres Lebens sein.«

»Aber Anrufe mitten in der Nacht machen dir immer Angst. Ich bin sicher, dass du zuerst panisch warst und einen Anfall vermutet hast. Es ist nicht leicht, danach wieder einzuschlafen.« Mitfühlend tätschelte er ihre Schulter. »Setz dich. Ich mache Kaffee, und dann buchen wir die Flüge.«

»Oh.« Ihr Magen schlug einen Purzelbaum. »Warum so eilig?«

»Die Hochzeit ist in etwas über drei Wochen. So, wie es aussieht, können wir froh sein, wenn wir überhaupt Plätze kriegen.« Nick mahlte Bohnen und bereitete zwei Tassen Kaffee zu. Die Maschine war ihr kleiner Luxus gewesen, ein gegenseitiges Geschenk, das ihnen half, wenn der Stress überhandnahm. In diesen ersten Jahren voller Schlafentzug hatte sich Kaffee zu einer gemeinsamen Gewohnheit entwickelt, die geblieben war. Sie tranken ihn beide schwarz, vor allem weil sie zu müde gewesen waren, um nach der Milch zu greifen. »Und dann ist da noch das Problem, dass du einen Grund finden wirst, nicht zu fahren, wenn ich dir Zeit zum Überlegen gebe.«

Dankbar nahm sie den Kaffee entgegen und wusste, dass er recht hatte.

»Ich muss es tun. Ich werde Rosies Hochzeit nicht versäumen.«

»In dem Fall müssen wir buchen.« Er stellte seine Tasse auf den Tisch und wickelte seinen Schal ab.

Der Schal war mit ihm um die Welt gereist. Er hatte ihn in Sand- und Staubstürmen geschützt, und Nick weigerte sich, ihn abzulegen oder ihn zu ersetzen. Sie fand es faszinierend, dass ein so kluger Mann wie er überzeugt war, dass ein Schal Glück brachte. Sie verstand nicht, wie jemand mit seinem Intellekt glauben konnte, dass ein Stück Stoff etwas Magisches hatte.

»Ich kann noch immer kaum glauben, dass Rosie heiratet. Sie ist so jung.« Sie wollte unbedingt mit jemandem darüber sprechen. Gut. Nick war vielleicht nicht ihre erste Wahl als Vertrauensperson, doch er war der einzige Kandidat, also hatte er gewonnen.

»Zweiundzwanzig.« Er löffelte Zucker in seinen Kaffee. »Im alten Ägypten hätte man sie schon ein Jahrzehnt früher verheiratet.«

Kommentare wie dieser, dachte Maggie, sind der Grund, warum Frauen Freundinnen brauchen.

Manchmal wollte sie eine Bratpfanne nehmen und sie ihm über seinen klugen, aber völlig ahnungslosen Kopf ziehen.

»Wir sind nicht im alten Ägypten.« Manchmal steckte er so tief in seinen Studien, dass er das vergaß, davon war sie überzeugt. »Und wir haben ihn noch nicht mal kennengelernt.«

»Na ja, wir heiraten ihn ja auch nicht. Solange sie ihn mag, ist alles andere unwichtig.«

»Ihn mag?« Manchmal stand sie kurz vor der Verzweiflung. »Sie haben kaum Zeit miteinander verbracht. Und wenn, dann nur die rauschhaften, romantischen Momente. Das ist nicht die Realität. Das ist nicht das, worum es bei der Ehe geht.« Ehe bedeutete, dass man sich aneinanderklammerte, während man über unebenen Boden stolperte. Ehe bedeutete, niemals loszulassen.

Sie und Nick hatten einander losgelassen.

Langsam rührte er seinen Kaffee um. »Vielleicht sollte es das. Vielleicht sollte es mehr von dieser romantischen, guten Zeit geben.«

Was wollte er damit sagen? War das eine Spitze in ihre Richtung? »Das Leben hat seine Anforderungen, Nick. Jemand muss sich darum kümmern.«

»He, he …« Überrascht sah er sie an. »Was habe ich gesagt?«

»Du hast angedeutet, dass ich so mit der pragmatischen Seite beschäftigt war, dass ich darüber die romantische vergessen habe.«

»Ich habe gar nichts angedeutet.« Er legte den Löffel zur Seite. »Du weißt, dass ich so nicht denke. Ich arbeite nicht mit versteckten Botschaften oder einem Subtext oder irgendeiner anderen komplizierten Kommunikationsmethode. Ich sage nur, dass die romantischen, berauschenden Zeiten ebenfalls real sein können.«

Reagierte sie über? »Und ich sage nur, dass sie noch immer in dieser schwindelerregenden, stürmischen Phase stecken. Sie streiten sich nicht, wer die Glühbirne wechselt oder das Essen kocht. Auch mussten sie noch nicht mit Fehlschlägen umgehen. Wir wissen beide, dass es Herausforderungen gibt. Das ist das Leben. Sie kennen einander kaum. Ich mache mir Sorgen, dass es die falsche Entscheidung ist.«

»Wenn es eine falsche Entscheidung ist, so ist es ihre.« Er nippte an seinem Kaffee. »Und Menschen, die alles wissen, was es über den anderen zu wissen gibt, können sich ebenfalls scheiden lassen.«

Sie spürte, wie sie errötete. »Das weiß ich natürlich, aber – ach, egal.«

So endeten viele Diskussionen zwischen ihnen – dass sie aufgab. Das war nicht immer so gewesen. Am Anfang hatten sie über alles geredet, doch irgendwann hatte das aufgehört. Aus den tiefgründigen Gesprächen waren immer oberflächlichere, alltägliche geworden.

Kannst du Rosies Medikament auf dem Weg nach Hause abholen?

An irgendeinem Punkt hatte sie aufgehört, sich ihm mitzuteilen, und sie begriff jetzt, dass sie viele Gedanken und Gefühle hatte, von denen er nichts wusste. Sie hatte ihm nie gesagt, dass sie sich neben ihm manchmal minderwertig fühlte, auch wenn sie tief im Inneren wusste, dass sie das nicht war. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie vergessen hatte, sie selbst zu sein.

Sie erinnerte sich an einen Elternabend, an dem die Lehrerin gesagt hatte: »Oh, Sie sind die Mutter von Katie und Rosie.« Als ob das zu ihrer Identität geworden wäre. Damals hatte es sie nicht gestört, denn sie war ihre Mutter. Und ebenfalls Nicks Frau.

Aber wer war sie noch? Diese Frage trieb sie seit Kurzem um.

Nick stellte seinen Becher auf den Tisch. »Du bist verärgert.«

»Ein bisschen, ja. Ich freue mich schon so lange auf Weihnachten. Letzte Woche habe ich den Baumschmuck vom Dachboden geholt und den Kuchen gebacken …« Sie trank ihren Kaffee aus. »Ignorier mich. Weihnachten ist nur ein Tag. Wir können alle irgendwann anders zusammenkommen.«

Nick runzelte die Stirn. »Wir werden in Aspen alle beisammen sein, aber wir wissen beide, dass das nicht der Grund für deine Verärgerung ist.«

Sie stellte ihren Becher auf den Tresen. »Was meinst du?«

»Du bist nicht wegen Weihnachten sauer, sondern weil Rosie einen Amerikaner heiratet. Du befürchtest, dass sie sich entscheiden könnte, auf Dauer dort zu leben. Dort Kinder zu haben. Dort alt zu werden.«

Maggie hatte das Gefühl, als würde ihr die Luft zum Atmen genommen.

Sie hatte versucht, nicht daran zu denken, hatte sich nicht gestattet, über diesen Teil nachzudenken.

Sie hatte kurzfristig gedacht. An Weihnachten. Das war alles, womit sie umgehen konnte. Aber Nick hatte recht. Insgeheim war das ihre Angst, und zwar seit dem Moment, in dem Rosie ihr die Neuigkeit verkündet hatte.

Vielleicht kannte Nick sie besser, als sie glaubte.

Sie spürte etwas in sich aufsteigen, das sich fast wie Trauer anfühlte. Als Rosie in die USA gezogen war, um dort zu studieren, war sie erschüttert gewesen. Sie hatte sich damit beruhigt, dass es nur vorübergehend sei. Nicht einen Moment lang hatte sie gedacht, dass der Umzug für immer sein könnte.

»Ich habe das Gefühl, als hätte ich sie verloren.« Sie würde nicht weinen. Das wäre lächerlich. Wichtig waren nur Rosies Gesundheit und Glück. »Du hältst mich wahrscheinlich für die selbstsüchtigste Mutter auf der ganzen Welt, weil ich wünschte, dass sie nach Hause käme.«

»Ich halte dich nicht für selbstsüchtig. Ich halte dich für eine großartige Mutter, das warst du immer. Vielleicht ein bisschen zu gut.«

»Was soll das heißen?«

»Du hast die Mädchen über alles andere gestellt.«

»Bei dir klingt das nach einem Opfer, aber das war es nicht. Ich war gern für die Mädchen da. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich nichts ändern.« Manche Menschen hatten große Träume und große Ziele, doch Maggie genoss die kleinen Dinge. Die ersten Knospen am Apfelbaum, das leise Kratzen des Füllers auf Papier, wenn Katie ihre Hausarbeiten am Küchentisch machte, der Duft frischer Wäsche, die Freude über den ersten Kaffee des Tages und das pure Vergnügen an einem Buch, das sie an einen anderen Ort und in ein anderes Leben katapultierte.

Doch es stimmte, dass zwei Karriereknicks ihre Wahl eingeschränkt hatten. Dazu kam die Tatsache, dass der Verlag, für den sie arbeitete, ihr wohlgesonnen war. Man vertraute ihr, dass sie ihre Arbeit erledigte, und dadurch war sie flexibel gewesen, wenn sie Zeit für Rosie brauchte. Da sie befürchtet hatte, dass ein neuer Arbeitgeber ihr diesen Spielraum nicht gewähren würde, war es ihr sicherer erschienen, dortzubleiben, wo sie war.

Sie musterte Nick und bemerkte die kleinen Falten um seine Augen. Er sah müde aus.

»Hast du gegessen?«

Sie wusste, dass er das manchmal vergaß, und seiner verlegenen Miene nach zu urteilen, war dies eine der Gelegenheiten.

»Nein. Ich habe vergessen einzukaufen und dachte, ich hole mir was im College.«

»Wenn du Zeit zum Essen hast, mache ich dir was.«

»Wenn du kochst, habe ich immer Zeit.« Er stand auf. »Was kann ich helfen?«

Erstaunt sah sie ihn an. »Das fragst du zum ersten Mal.«

»Das stimmt nicht. Ich räume immer hinter dir auf. Ich bin ein erstklassiger Aufräumer.«

»Aber du hilfst normalerweise nicht beim Kochen.«

»Weil du es so gut kannst. Und du hast mich nie in die Nähe des Herdes gelassen.«

Stimmte das? Vermutlich. Sie hatte etwas nur für sich gewollt und gebraucht. Etwas, in dem sie erstklassig war und das nur ihr gehörte.

Viele Menschen hätten angesichts ihrer fehlenden Karriereambitionen die Augen verdreht, doch Maggie war das egal. Sie war für die Mädchen da gewesen, als sie ihre ersten Schritte gemacht hatten. Sie hatte beiden das Lesen beigebracht. Immer hatte sie das Gefühl gehabt, etwas sehr Wertvolles zu tun.

Erst in den letzten zwei Jahren hatte sie begonnen, unzufrieden zu sein.

Sie beneidete Menschen, deren Leben genauso aussah, wie sie es wollten. Menschen wie Nick und Katie, die eine Leidenschaft hatten und ihr nachgingen. Sogar Rosie schien den Weg zu kennen, den sie einschlagen wollte.

Maggie hatte das Gefühl, als wäre sie völlig planlos durch ihr Leben gestolpert.

»Wenn du helfen willst, könntest du Eier aus dem Kühlschrank holen.« Sie nahm eine große Schüssel aus dem Schrank und einen Schneebesen aus der Schublade.

Als er die Eier neben sie stellte, wählte sie sechs aus und schlug sie in die Schüssel, während er zusah.

»Als ich das letzte Mal Omelett gemacht habe, war es knusprig.«

Sie versuchte, nicht zu lächeln. »Es ist besser, wenn man die Schale nicht mit reinmacht.«

»Ah, das ist das Geheimnis. Ich wusste, es muss eins geben.«

Sie schnitt frische Kräuter von den Töpfen, die sie auf der Fensterbank pflegte, und gab sie in die Mischung. Dann goss sie die Hälfte in die heiße Pfanne und wartete, während es zischte.

»Es geht nicht nur um mich. Ich sorge mich um sie.«

»Du musst aufhören, sie zu beschützen, Mags.«

»Der Tag, an dem ich aufhöre, mein Kind zu beschützen, wird nie kommen.«

»Du weißt, was ich meine. Deine Liebe und deine Unterstützung sind ihr immer gewiss, doch wir müssen sie ihr Leben leben lassen, wie sie es möchte.«

»Auch wenn dieses Leben eine Million Meilen weit weg ist?«

»Du übertreibst.«

»Es könnte ebenso gut so weit sein.« Sie hob eine Ecke des Omeletts an, und als sie zufrieden war, faltete sie es. »Das Leben kann hart sein, das wissen wir beide. Du brauchst Familie um dich herum. Was, wenn sie sich dort niederlässt? Was, wenn sie sich trennen? Was passiert, wenn sie sich nicht trennen und Kinder bekommen? Ich würde helfen wollen, doch ich wäre nicht in der Nähe.«

»Warte – du machst dir Gedanken, dass du nicht mit dem Baby helfen kannst, das sie noch nicht mal haben? Du verschwendest jede Menge Energie, dich um Dinge zu sorgen, die noch nicht mal eingetreten sind.«

»Ich erwarte nicht, dass du das verstehst.« Sie ließ das Omelett auf einen Teller gleiten, streute ein bisschen gehackten Schnittlauch darüber und reichte es ihm. »Ich sage nur, dass es schwer sein wird, sie von hier aus zu unterstützen.«

Er stellte den Teller auf den Tisch und setzte sich. »Das sieht köstlich aus, danke.« Er griff nach einer Gabel. »Und was die Unterstützung angeht – vielleicht werden sie in der Nähe von Dans Mutter wohnen.«

Warum fühlte sich das nicht besser an? Ihre Gedanken überschlugen sich. Catherine bereitete schon die Hochzeit ihrer Tochter vor, und es war sehr wahrscheinlich, dass sie die favorisierte Großmutter sein würde. Maggie wäre die Fremde, die sie ein paar Mal im Jahr sahen.

Wer ist denn da, Kinder? Nein, das ist keine Fremde, das ist eure Granny! Umarmt sie, und gebt ihr einen Kuss.

Sie stellte sich vor, wie sie zurückwichen und das Gesicht verzogen, während sie es über sich ergehen ließen, dass diese beinahe Fremde sie küsste.

In ihrem Hals bildete sich ein Kloß.

Sie wollte Nick erzählen, was sie fühlte, doch sie sah keine Möglichkeit, es auszusprechen, ohne entsetzlich kleinmütig zu wirken. Und vielleicht war sie ja lächerlich. Weil sie sich um Dinge sorgte, die noch gar nicht geschehen waren. Das tat sie oft.

Sie kippte den Rest der Eimischung in die Pfanne, auch wenn sie keinen großen Appetit hatte.

»Wo wir schon beim Thema sind«, sagte Nick, »wir müssen einen Zeitpunkt bestimmen, um den Mädchen die Wahrheit über uns zu sagen.«

»Wir können es ihnen noch nicht sagen, Nick.«

»Warum nicht?« Er spießte ein Stück luftiges Omelett auf. »Keiner von uns beiden hatte eine Affäre, wir hassen uns nicht, wir haben kein Problem, im selben Raum zu sein. Wir werden uns immer noch bei Familientreffen begegnen können, ohne dass es peinlich ist. Es wird nicht viel ändern.«

Meinte er das ernst?

»Es wird alles ändern. Wir sind ihre Eltern, Nick! Sie sehen uns als eine Einheit. Und vielleicht sind die Familientreffen vorerst freundschaftlich, doch mit der Zeit wirst du jemanden kennenlernen. Dann bringst du eine neue Partnerin mit, und wir müssen uns aus dem Weg gehen und …«

Er legte die Gabel beiseite. »Vielleicht bist du diejenige, die jemanden kennenlernt.«

Wo? Wie? Beinah hätte sie die Frage laut ausgesprochen und begriff, wie erbärmlich das geklungen hätte. Sie musste sich ein neues Leben aufbauen. Eines, an dem Nick nicht beteiligt war. Sie musste in einen Chor eintreten oder Italienisch lernen oder so etwas. Irgendwas.

Nach der Hochzeit, nahm sie sich vor. Nach der Hochzeit würde sie sich zusammenreißen. Zuerst würde sie das Haus herausputzen, es dann zum Verkauf freigeben und etwas Kleineres finden.

Der Gedanke, Honeysuckle Cottage zu verkaufen, machte sie körperlich krank. Hier hatte sie die besten Dinge ihres Lebens erlebt. Nick. Katie. Rosie. Sie erinnerte sich noch an den Tag, an dem sie eingezogen waren. Wie Nick den Kopf eingezogen hatte, um den niedrigen Balken auszuweichen. Wie er ein Treppengitter angebracht hatte, damit Rosie nicht hinunterfiel. Und die Stunden, die sie im Garten verbracht hatte, um ihn in jenen ruhigen Hafen zu verwandeln, der er jetzt war.

Es hatte schwere Zeiten gegeben, doch das Haus war voller Lachen und Erinnerungen. All diese Dinge wurden ausgelöscht, wenn jemand anders einzog. Die neuen Besitzer würden eine Kerbe in der Wand sehen und denken, dass sie übertüncht werden musste. Sie würden nicht bei der Erinnerung lächeln, dass dies die Stelle war, wo Rosie an jenem Weihnachtsmorgen, als es so stark geregnet hatte, ihr Fahrrad gegen die Wand gefahren hatte.

Eine neue Geschichte würde sich in diese Wände schreiben.

Doch das war nicht ihre unmittelbare Sorge.

»Hör mir zu.« Sie hob ihr Omelett auf einen Teller und griff nach einer Gabel. »Ob es sich nun als Fehler erweist oder nicht – dies ist Rosies großer Tag. Hier geht es nur um sie und Dan. Eine Feier. Was meinst du, wie es sich auf die Stimmung auswirkt, wenn wir gleichzeitig unsere Scheidung verkünden?«

»Wenn wir es heute tun, wäre es nicht gleichzeitig. Sie hätte dann Zeit, darüber hinwegzukommen.«

»Das ist keine Grippe, Nick. Man kommt nicht darüber hinweg. Eine Scheidung verändert unser ganzes Familiengefüge. Wir alle müssen einen neuen Weg miteinander finden. Damit es passt. Das wird eine große Veränderung.« Es laut auszusprechen machte es irgendwie noch deprimierender. »Und heute wird sie ihr Hochzeitskleid kaufen. Es wäre nicht richtig, ihr diesen Tag zu verderben.«

»Scheidungen gehören zum Leben dazu. So ist das Leben nun mal. Hattest du dieses Argument heute nicht auch schon angeführt?«

»Es muss aber nicht vor dem hoffentlich schönsten Tag im Leben unserer Tochter geschehen.« Sie zwang sich, einen Bissen von ihrem Frühstück zu essen, und stellte den Teller dann ab.

»Was schlägst du also vor?«

»Das wir so tun, als wäre alles beim Alten.«

»Du …« Verwirrt brach er ab. »Du willst, dass wir als Paar zu der Hochzeit fahren? Und so tun, als sei alles in Ordnung?«

»Ja. Wir präsentieren eine geeinte Front. Es wird noch genug Zeit geben, unsere weniger glücklichen Neuigkeiten loszuwerden, wenn die Hochzeitsglocken zu Ende geläutet haben und der Schnee geschmolzen ist.«

»Nur um ganz sicherzugehen: Du schlägst vor, wir sollen so tun, als wären wir noch immer verheiratet?«

»Na ja, technisch gesehen sind wir das ja auch, Nick, also sollte es keine so große Herausforderung sein, eine Woche lang so zu tun.«

Unverwandt sah er sie an. »Du möchtest, dass wir zusammen verreisen, ein Hotelzimmer teilen …«

»Alles, was nötig ist.« Sie würde nicht anbieten, auf das Bett zu verzichten. Nick konnte überall schlafen, ob in einem Zelt in der Wüste oder auf dem harten Boden eines Hotelzimmers. Maggie konnte schon kaum schlafen, wenn sie auf einer guten Matratze lag, da musste sie es sich nicht noch schwerer machen. »Es wird ganz leicht sein, so zu tun als ob. Es ist ja nicht so, als ob wir die ganze Zeit streiten oder so was.«

Er schob seinen Teller beiseite. »Aber es fühlt sich nicht richtig an, sie anzulügen.«

»Wir lügen nicht. Wir halten unsere Neuigkeit nur zurück. Wir haben ihnen nicht gesagt, dass wir seit einer gewissen Zeit getrennt leben. Welchen Unterschied macht es, wenn wir noch ein paar Wochen warten?«

»Wir haben es ihnen nicht gesagt, weil wir uns einig waren, dass wir es lieber persönlich machen wollen, wenn wir alle zusammen sind.«

»Meinst du wirklich, die Hochzeit unserer Tochter sei der richtige Zeitpunkt, um eine Scheidung zu verkünden?«

Er seufzte. »Nein, das meine ich nicht.« Es entstand eine Pause. »Okay«, begann er dann langsam. »Aber sobald sie aus den Flitterwochen zurück sind, sagen wir es ihnen.«

»Einverstanden.« Sie verspürte Erleichterung, die jedoch erstarb, als er ihren Laptop zu sich zog.

»Was ist das hier?«

Warum nur hatte sie den Browser nicht geschlossen? »Ich habe ein bisschen über Dans Familie recherchiert.«

Er sah vom Laptop in ihr Gesicht. »Du meinst, du hast dich selbst gefoltert.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«

»Vor jedem Event am College bist du genauso. Du verfällst in Panik, was du tragen sollst und was die Leute von dir denken werden.«

»Das nennt man menschlich.«

»Du bist wunderbar, Maggie.« Seine Stimme war rau. »Ich wünschte, du hättest mehr Selbstvertrauen.«

Sie war eine Mutter von zwei erwachsenen Kindern, die kurz vor der Scheidung stand und der es nicht gerade gefiel, wie ihr Leben aussah. Sie dachte an die Akte, die sie sicher in der Schublade verstaut hatte.

Was hatte sie schon, worauf sie vertrauen konnte?

Und wenn er sie so wunderbar fand, warum ließen sie sich dann scheiden?

Er tippte auf der Tastatur herum und suchte nach Flügen.

»Wie werden wir all die Weihnachtsgeschenke transportieren?« Sie nahm ihren Kaffee und setzte sich zu ihm. »Ich werde nicht alles tragen können.«

»Nimm die wichtigsten Sachen, und den Rest können sie das nächste Mal mitnehmen, wenn sie hier sind.«

»Ich mache ihnen immer einen Strumpf. Und ich kann mir keinen Baum vorstellen ohne den ganzen Schmuck, den die Mädchen im Lauf der Jahre gebastelt haben. Das gehört zur Tradition.«

»Dann pack ihn ein, und nimm ihn mit.« Er blickte vom Bildschirm hoch und schien etwas sagen zu wollen, änderte dann aber seine Meinung. »Wir zahlen für Übergepäck, wenn es nötig sein sollte.«

Übergepäck. Das könnte auch sie beschreiben.

»Ich kann unseren Weihnachtsschmuck nicht mitnehmen. Das wäre lächerlich.« Angespannt verfolgte sie, wie er Daten eintippte und Preise verglich. »Ist der Flug überbucht?«

»Das hättest du sicher gern, aber nein, es gibt noch zwei Plätze für den frühen Flug. Business Class.« Er holte sein Portemonnaie aus der Tasche.

»Nick, wir können nicht Business Class fliegen.«

»Warum nicht? Wir verdienen eine Belohnung.«

Fliegen? Eine Belohnung? Die Realität, sich in einem Flugzeug anzuschnallen und auf den Start zu warten, rückte näher. Ihr Herz schlug höher. »Das ist purer Luxus.«

»Ich weiß, dass du Angst vorm Fliegen hast, aber wenn ich das jetzt nicht buche, wirst du nicht zur Hochzeit deiner Tochter reisen.«

Maggie stöhnte auf und legte die Stirn auf den Tisch. »Wie konnte Weihnachten nur zu diesem Albtraum werden?«

»In der Business Class bekommst du Champagner umsonst. Ich flöße dir eine Flasche davon ein, bevor wir starten. Du wirst nichts merken.«

Maggie hob den Kopf. »Was hast du zu Rosie gesagt?«

»Letzte Nacht? Ich erinnere mich nicht. Du kennst mich. Ich bin nicht so gut darin wie du, schnell wach zu werden, und hoffe, ich habe das Richtige gesagt.«

Was war das Richtige? Sie war nicht sicher. Hätte sie eine Warnung aussprechen sollen oder Glückwünsche? »Sie ist so jung.«

»Wir waren auch jung.«

Sie war versucht zu sagen: »Und sieh, was daraus geworden ist«, hielt sich jedoch zurück.

Auch wenn sie gescheitert war, war ihre Ehe kein Desaster gewesen. Das zu glauben würde bedeuten, dass die letzten fünfunddreißig Jahre ein Fehler gewesen waren, und das waren sie nicht. Sie hatten viele gute Jahre gehabt, was vielleicht auch der Grund war, warum sie das alles so traurig machte. Es war vertrackt, doch das Leben war nun mal vertrackt, oder? Voller guter und schlechter Dinge, voller Aufs und Abs, voller Triumph und Enttäuschung.

Etwas in ihr sagte ihr, dass sie irgendwie versagt hatten.

»Deine Mutter hat versucht, uns von der Hochzeit abzuhalten. Sie hat unser Vorhaben missbilligt, weil sie dachte, ich wäre zu ernsthaft.«

»Sie hat dich nie nach einer Flasche Gin erlebt. Und ich hatte dich vorgewarnt, dass ihr keine der Frauen gefiel, mit denen ich aus war. Sie hatte Angst, dass man ihr ihren kleinen Jungen wegnimmt.« Er streckte die Beine aus. »Deine war nicht viel besser.«

»Meine Eltern wollten, dass ich jemanden mit einem ordentlichen Job heirate. Sie waren misstrauisch wegen deiner Reisen nach Ägypten und weil dein Haar bis zum Hemdkragen ging. Es scheint so lange her, dass ich mich kaum daran erinnere, auch wenn es eine anstrengende Zeit war.«

»Wir haben das getan, was sich für uns richtig anfühlte. Wir haben nicht auf unsere Eltern gehört, und Rosie und Dan werden auch nicht auf uns hören, insofern hat es keinen Sinn, sich zu fragen, ob wir etwas sagen sollen. Wir haben unsere eigenen Entscheidungen getroffen, und jetzt sollten wir unsere Tochter ihre eigenen treffen lassen.«

»Das ist sehr erwachsen und vernünftig.« Sie goss ihnen beiden Kaffee nach und setzte sich neben ihn. »Apropos erwachsen und vernünftig: Ich habe letzte Woche mit jemandem wegen des Verkaufs des Cottages gesprochen. Ich dachte, wir sollten es nach Weihnachten auf den Markt bringen, doch man riet mir, bis zum Frühjahr zu warten. Das würde uns Zeit geben, einige der nötigen Reparaturen durchzuführen und dafür zu sorgen, dass es gut aussieht. Der Garten blüht im Mai schon üppig.« Das sollte er jedenfalls. Sie hatte Stunden darin verbracht. Er war etwas, das nur ihr gehörte. Ein Ort, an dem sie entspannen konnte. Immer wenn sie gestresst war, ging sie nach draußen und kümmerte sich um den Garten. Der Vorteil ihres angeschlagenen Gemütszustands lag darin, dass ihr Garten fantastisch aussah.

Nick löffelte Zucker in seinen Kaffee und sah sie eindringlich an. »Bist du sicher, dass du es verkaufen willst?«

Nein, sie wollte es nicht verkaufen. Es würde ihr das Herz brechen, es zu verkaufen. »Es ist zu groß für eine Person. Außerdem muss unglaublich viel repariert werden.«

»Erinnerst du dich an das erste Mal, als wir es gesehen haben? Du hast gesagt: ›Das ist es.‹ Dabei hatten wir es noch nicht mal von innen gesehen.«

»Ich wusste es. Ich wusste es sofort.« Sie sah sich in der Küche um, in der so viele Familiendramen stattgefunden hatten. »Du fandest, ein neues Haus würde weniger Arbeit bedeuten.«

»Es hätte weniger Arbeit bedeutet, doch es hätte ihm auch an Charakter gemangelt.«

»Ich glaube allmählich, dass ›Charakter‹ ein Euphemismus für ›alt und reparaturbedürftig‹ ist. Dann bist du also einverstanden, dass ich es auf den Markt bringe, wenn der Zeitpunkt günstig ist?«

Sein Blick war verschleiert. »Wie du willst.«

Sie waren so höflich. So zivilisiert. Es gab keinen Groll, keine Animositäten. Sie waren einfach nur zwei Freunde, denen die Chemie abhandengekommen war. Sie betrachtete seinen Kiefer, die Mulde zwischen Hals und Schulter, in die sie so oft ihren Kopf geschmiegt hatte. Wenn er von einer langen Reise zurückgekehrt war, war es wie in den ersten Tagen ihrer Beziehung gewesen – die Leidenschaft intensiv und alles verschlingend.

Wo sind diese Gefühle geblieben?

Sie erhob sich abrupt, wobei der Stuhl über den Steinboden kratzte. »Dann mache ich das. Es war ein schönes Zuhause für uns, doch es ist Zeit für einen Neuanfang.« Auch für sie war es Zeit für einen Neuanfang. Dieses Haus steckte so voller Erinnerungen, dass sie sie fast erdrückten.

»Was die praktischen Dinge angeht …« Er trank seinen Kaffee aus. »Ich werde ein Taxi zum Flughafen vorbestellen. Du musst nur einen Koffer packen. Das könnte Spaß machen, Mags.«

»Der Flug?«

»Weihnachten in Colorado.«

Vielleicht war sie nicht sehr abenteuerlustig, denn sie wollte Weihnachten zu Hause verbringen. Sie hatte sich ein weiteres Jahr gewünscht, in dem sie ein Feuer im Kamin entfachte und einen großen Baum schmückte.

Nächstes Jahr würde sie in einem kleinen Apartment wohnen oder vielleicht in einem kleinen viktorianischen Reihenhäuschen. Würde Nick überhaupt mit ihnen feiern, oder würde er die Mädchen an einem anderen Tag bei sich haben? Wie auch immer es aussah, sie wusste, dass kein Weihnachten mehr so sein würde wie bisher.

»Du solltest dir mal diese Webseite anschauen. Aspen scheint wunderschön zu sein. Es ist von Wald und verschneiten Bergen umgeben. Wann hatten wir das letzte Mal eine richtige weiße Weihnacht?«

Maggie dachte an die zur Hälfte fertig geschriebenen Weihnachtskarten in ihrem Schlafzimmer. »Schnee könnte nett sein.«

»Und zum ersten Mal überhaupt kannst du dich vielleicht entspannen und dich amüsieren. Du musst nicht kochen.«

Maggie liebte es, zu kochen, zu schnipseln und zu würfeln, zu brutzeln und zu probieren. Sie liebte das Chaos in der Küche zu Weihnachten. Den Klang der Kühlschranktür, die sich öffnete und schloss. Den Geruch von Toast, wenn sich jemand einen Mitternachtsimbiss zubereitete.

Es war die leere Stille, die sie am meisten hasste.

Das Wissen darum, dass niemand auf der Welt sie tatsächlich noch brauchte.

Die Mädchen liebten sie, das wusste sie, doch sie brauchten sie nicht. Sie waren jetzt erwachsen, führten ihr eigenes Leben.

Hatte sie überhaupt noch einen Zweck?

Sie arbeitete noch immer für den gleichen Verlag und wusste, dass man sie dort schätzte, warum also konnte sie nicht mehr Befriedigung aus ihrem Job ziehen?

Trübsinn überkam sie, und plötzlich wünschte sie, Nick würde gehen. Sein Leben hatte sich nicht sehr verändert. Seine Tage waren noch immer voller Arbeit, Vorlesungen, Studenten, Forschung. Für ihn hatte sich nur geändert, wo er nachts schlief.

Forsch und pragmatisch – wie immer, wenn sie gestresst war – sagte sie: »Wir sind uns also einig, dass wir es ihnen erst nach Weihnachten sagen?«

»Ja, aber ich bin kein großer Schauspieler. Was, wenn sie es erraten?«

»Es liegt an uns, das zu verhindern. Wir waren mehr als drei Jahrzehnte verheiratet. Ich denke, da werden wir diese zehn Tage auch noch schaffen.«

Sie hoffte, dass sie sich damit nicht irrte. Sie konnten es doch schaffen, oder?

Wie schwierig war es, so zu tun, als wäre man verliebt?

Sie würden es beide herausfinden.