WANN HABEN SIE DAS LETZTE MAL GEDACHT …

Claudia Filker

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Wann haben Sie das letzte Mal gedacht: „Es ist mir alles zu viel“ – „Die Aufgaben wachsen mir über den Kopf“ – „Ich habe Elan und Freude an meinen Aufgaben verloren“ – „Lasst mich doch alle in Ruhe“ – „Ihr könnt mir mal den Buckel runterrutschen“?

Jeder dieser Sätze kommen aus dem Mund eines Autors oder einer Autorin dieses Buchs. Es sind typische Burn-out-Seufzer.

Vielleicht sind es nicht Ihre Sätze, aber Sie kennen diese Worte nur zu gut aus dem Mund Ihres Partners, eines guten Freundes, der Kollegin, mit der Sie schon lange im Gespräch sind. Sie machen sich Sorgen: „Hat mein Mann etwa ein Burn-out? Oder sehe ich nur Gespenster, weil Burn-out in aller Munde ist?!“

Machen Sie mit diesem Buch Ihre persönliche Entdeckungsreise. Auch und gerade, wenn Sie sich fragen, ob das Burn-out-Syndrom überhaupt eine Krankheit ist oder doch nur ein Modewort. Sie werden Menschen begegnen, die versuchen, ein Phänomen zu beschreiben, das auch Krankenkassen und Versicherungsanstalten inzwischen ernste Sorgen macht: das Gefühl einer großen Erschöpfung. „Es geht nicht mehr!“ – „Ich schaffe es nicht!“

Menschen mit Burn-out-Erfahrungen erzählen in diesem Buch ihre ganz persönliche (Leidens-)Geschichte: wie sie in einen Burn-out hinein- und – zu ihrem großen Glück – auch wieder herauskamen.

Geschichten anderer sind ein Fenster ins Leben. In das Leben einer Person, die den Mut gefunden hat, andere in ihr Leben hineinschauen zu lassen. Den Mut, ehrlich zu werden, zu erzählen, was falsch gelaufen ist, manchmal jahrzehntelang. Solche Geschichten öffnen aber auch ein Fenster in das Leben dessen, der sie liest. Da wird ein Blick möglich, der zu Aha-Erlebnissen verhilft: „Dass so jemand krank wird, hätte ich nie gedacht!“, oder: „Das kommt mir aber bekannt vor!“ Der Leser erfährt von körperlichen und seelischen Problemen: von Enge in der Brust, Angstzuständen, Schlafstörungen, Schweißausbrüchen beim Klingeln des Telefons und von dem Gefühl, getrieben zu sein. „Manche inneren Antreiber kommen fromm daher.“ Das sind die freimütigen Worte einer Diakonisse. Ja, sagen wir es gleich zu Beginn ganz ehrlich: Vielleicht ist es sogar so, dass falsch verstandener Glaube manchmal krank macht. „Gott war der kontrollierende Vorgesetzte, der zu neuen Hochleistungen mahnt“, schreibt eine Autorin, die schon von Berufs wegen glauben musste – keine ungefährliche Angelegenheit, wie auch aus anderen Beiträgen zu erfahren ist.

Die Frauen und Männer, die hier schreiben, haben nicht nur falsches Denken und eingefahrene Gewohnheiten, sondern auch ihren Glauben auf den Prüfstand gestellt und lassen uns nun am Ergebnis Anteil nehmen. Lernen am Modell. Die Geschichten können Warnschilder vor dem gefährlichen Abgrund sein.

Und das Beste: Fast alle Autoren und Autorinnen haben schon wieder eine lange Strecke im „Danach“ zurückgelegt. Manch ein durchlittener Burn-out liegt bei einigen Autoren sogar Jahrzehnte zurück. Selbstkritisch fragen sie sich: „Welche Veränderung habe ich langfristig durchgehalten?“ Im Tiefsten geht es bei der Burn-out-Therapie und -Prävention ja darum, ob ein Mensch aus alten Mustern aussteigen kann. Diese Erkenntnis findet sich in allen Beiträgen: Falsches Denken führt zu falschem Handeln, in falsche Lebensmuster und macht am Ende krank. Äußere Dinge wie pflegebedürftige Angehörige, Überlastung im Beruf, die vielbeschworene Schnelllebigkeit unserer Zeit, die Sehnsucht nach einem Partner kommen hinzu, sind aber nicht die eigentlichen Verursacher.

Ein Grundmuster lautet: „Ich bin, was ich leiste. Ich bin, was ich darstelle. Ich bin, was andere über mich denken.“ Diese „Glaubenssätze“ finden sich in Abwandlung in nahezu allen Beiträgen. Dementsprechend breitet sich die Angst aus, nicht zu genügen. Gern will man es allen recht machen. Und nur das Beste ist gerade gut genug. Um von diesem Muster loszukommen, bleiben niemandem schmerzhafte Selbsterkenntnisprozesse erspart. Aber so werden Lebenslügen entlarvt, die Lust und Leidenschaft aus dem Leben vertrieben haben, sodass nur noch Pflicht und Anstrengung den Ton angaben. Es ist sehr mutig, wenn erfolgsverwöhnte Männer gestehen: „Ich war von Anerkennungssucht geplagt, und das hat mich krank gemacht.“

Dieses Buch hat eine Botschaft: Es geht auch anders. Veränderung ist möglich. Es gibt nicht den „Schalter“, der sich „einfach umlegen“ lässt, aber es können neue „Leitungen“ gelegt werden. „Es ist so hart, der Wahrheit ins Auge zu sehen!“, sagt ein Autor. Aber es lohnt sich. Sich selbst auf die Spur zu kommen ist möglich, Umdenken und Umlernen auch. Es ist faszinierend zu lesen, wie oft die Autoren und Autorinnen in ihren Beiträgen erzählen, dass sie nicht nur sich selbst, sondern auch Gott und den Glauben neu entdeckt haben.

Nicht zuletzt verraten die Betroffenen auch Strategien für das „andere Leben“: was ihnen ganz persönlich geholfen hat, wie sie das neue, andere Denken ganz praktisch in ihren Alltag eingebaut haben.

Umrahmt werden die Beiträge von Fachartikeln: Andreas v. Heyl betrachtet das Phänomen Burn-out aus wissenschaftlicher Sicht. Gisela Ana Cöppicus Lichtsteiner zeichnet in ihrem Beitrag die Geschichte einer Burn-out-Therapie nach – aus ihrer Sicht als Psychotherapeutin. Ulrich Giesekus schließlich bringt einen unerwarteten Aspekt ein: Er spricht vom Bore-out – dem Langeweilekollaps, dem Krankwerden durch Unterforderung. Denn auch ein Zuwenig kann unerträglich werden.

Ich danke allen Frauen und Männern, die ein Fenster in ihr Leben geöffnet haben. Ihnen verdanken wir diese Sammlung von Geschichten, die Mut machen.