»Collin, was machst du hier?«
»Ich bin dein Verlobter, verfluchte Scheiße.« Mit wutverzerrter Miene stößt er das Tor auf und funkelt den Mann an, der neben mir steht.
»Warst. Du warst mein Verlobter.«
Tobias mustert ihn von oben bis unten, während ich mich in Bewegung setze, um Collin abzufangen, der nun schnurstracks und mit vorwurfsvoll verengten Augen auf uns zukommt.
Ich sehe die Belustigung in Tobias’ Blick, während er Collin immer noch abschätzend anschaut.
»Collin, halt!« Ich stelle mich ihm in den Weg und lege ihm eine Hand an die Brust. »Was machst du hier?«
Er deutet mit dem Kinn zu Tobias. »Was macht der hier?«
»Wir haben uns nur unterhalten.«
Collin stürmt an mir vorbei und baut sich vor Tobias auf.
Ich habe Angst, aber ich bemühe mich, so schnell wie möglich zwischen die beiden zu treten.
Tobias grinst hämisch. »Hab viel von dir gehört.«
»Merkwürdigerweise hab ich bis vor Kurzem kein Wort über dich gehört«, kontert Collin herablassend.
Tobias’ Grinsen wird breiter, und er zwinkert ihm genüsslich zu. »Ich bin ihr größtes Geheimnis.«
»Collin«, unterbreche ich, »bitte geh ins Haus. Ich komme gleich nach.«
Collin dreht sich zu mir um. »Meinst du, ich hab Angst vor diesem … diesem«, er schnaubt, »Gangster im Anzug?«
Tobias’ Lachen klingt wie das eines Wahnsinnigen. »Ich verstehe, was du an ihm findest. Er ist witzig.«
»Hört sofort auf!« Ich dränge mich zwischen die beiden, auch wenn ich weiß, dass es vergeblich ist.
»Ich wollte ohnehin gerade gehen«, sagt Tobias, der nun einen Schritt nach hinten macht und einen vielsagenden Blick auf den Ring an meinem Finger wirft. »Du bist am Zug, Cecelia.«
Ich bin am Zug. Nun ist es an mir, mich an meinen Teil der Abmachung zu halten. Ich soll abhauen.
Auf keinen Fall.
»Wir sind noch nicht fertig mit unserer Unterhaltung«, versetze ich und drehe mich zu Collin um. »Bitte warte drinnen auf mich.«
»Nicht nötig, sie gehört ganz dir«, entgegnet Tobias, womit er das Messer in meiner Wunde dreht.
Collin löst seinen Blick von mir und ruft Tobias hinterher, der gerade an ihm vorbeigegangen ist: »Den Spruch kannst du dir auf deinem Weg nach Hause aufsagen. Oder besser noch: Schreib’s dir auf. Falls du schreiben kannst.«
»Tobias, nein«, rufe ich, doch da drückt er den ächzenden Collin bereits auf einen der mit Schnee bedeckten Liegestühle.
Er hebt eine Faust vor Collins Gesicht und rammt sie ihm fast spielerisch auf die Nase.
Hellrotes Blut tropft heraus.
Ich zerre an Tobias’ Schultern. Er hat Collin mit einer einzigen grausamen Bewegung vollkommen lächerlich gemacht.
Tobias schüttelt meine Hände mühelos ab und beugt sich so weit hinunter, dass er nur noch zwei Zentimeter von Collins blutender Nase entfernt ist. »Wie fühlt es sich an zu wissen, dass deine Verlobte an mich gedacht hat, wenn du sie gefickt hast?«
Collins Augen treten hervor und tränen. Panisch sieht er mich über Tobias’ Schulter hinweg an.
Wütend trommele ich auf seinen Rücken ein. »Verdammt, lass ihn los!«
»Sie will meinen Schwanz.« Tobias grinst hämisch und fährt mit seinem Schritt an Collins Bauch entlang.
Als er sich wieder vorbeugt, reiße ich erneut verzweifelt an seinen Schultern.
»Schaffst du es, sie mit nur einem Finger und einem Flüstern zum Orgasmus zu bringen? Das hab ich perfektioniert.« Er sieht sich mit brennendem Blick zu mir um, ehe er wieder Collin anschaut, ihn von der Liege zieht und ihm die Jacke richtet. »Wenn du Tipps brauchtest, hättest du nur fragen müssen.« Tobias’ Blick verdunkelt sich, und jeglicher Anflug von Humor, und sei er noch so grimmig gewesen, ist verschwunden. Er klopft Collins Schultern ab.
Collin sieht ihn wütend an; seine Nase blutet immer noch.
»Beleidige mich nicht noch mal, Schönling, denn ich kann auch anders«, fährt Tobias fort. Dann lässt er ihn los und wendet sich mir zu. »Bring ihn nach Hause, und wenn du schon mal da bist, bleib dort.«
»Du bist so ein verdammtes Arschloch.«
»Ich hab nie behauptet, nett zu sein.« Mit großen Schritten geht er auf das Tor zu. »Noch nie. Das ist reines Wunschdenken von dir.«
»Ich gehe nirgendwo hin«, rufe ich ihm hinterher, als er durch das Tor marschiert.
»Oh doch!«
Wie aus dem Nichts fährt ein Wagen vor, und Tobias steigt auf der Beifahrerseite ein. Im nächsten Moment verlassen sie die Einfahrt durch den dichten Schnee und sind verschwunden.
Ich drehe mich wieder zu Collin um, der immer noch dasteht und mich wütend anfunkelt. Seine blutende Nase bedeckt er mit der Hand.
Fuck.
Ich beiße mir auf die Lippe, um ein Grinsen zu unterdrücken, während ich einen Tampon in Collins Nase schiebe. Er ist der krasse Gegensatz zu Tobias, mit seinen federweichen blonden Haaren, den dunkelblauen Augen und dem Körper eines Läufers – schlank und muskulös, aber kein Vergleich zu der brutalen Kraft, der er vorhin ausgesetzt war.
Und dafür liebe ich ihn nur noch mehr. Mit seinem charmanten Lächeln, seinen britischen Eigenarten und seiner treuen Freundschaft hat er sich langsam einen Weg in mein Herz gebahnt. Und ich liebe seine Geduld, seine Fürsorge, sein Verständnis, einfach den Mann, der er ist, und den Freund, der er mir gewesen ist.
Ich dagegen war egoistisch.
Er sieht vollkommen verblüfft zu mir auf. »Das ist nicht witzig.« Sein englischer Akzent klingt gedämpft und nasal durch die Tampons.
»Ich weiß. Tut mir leid, dass du das abbekommen hast, aber ich hab dir ja gesagt, leg dich nicht mit ihm an.«
»Wer zur Hölle ist das?«
»Mehr als ein Gangster im Anzug jedenfalls.« Ich grinse schon wieder.
»Das ist der Mann, den du angeblich immer noch liebst?« Ungläubig mustert er mich.
Ich nicke langsam, auch wenn ich weiß, dass ihn die Wahrheit verletzt.
»Warum?«
»Das wüsste ich auch gern. Ich würde sofort damit aufhören und mit dir vor den Altar treten, wenn ich könnte. Aber ich verdiene dich nicht.«
»Aber er hat nicht um dich gekämpft, kein bisschen. Er hat dir gesagt, du sollst verschwinden.«
Er hat für mich getötet und Deals mit seinem Feind für mich ausgehandelt. Er hat mich beschützt und dabei seinen Bruder verloren, wobei er sich sein eigenes Glück verwehrt hat.
»Er hat für mich mehr Opfer gebracht, als es ein Mann tun sollte.«
»Inwiefern?«
»Das ist eine lange Geschichte, und ich bin nicht diejenige, die etwas darüber preisgeben darf.« Ich sammele die vollgebluteten Taschentücher auf und säubere den Tisch, wobei ich Collins Blick auf mir spüre.
»Wieso kannst du mir die Geschichte nicht erzählen?«
»Weil ich erst dazugekommen bin, als sie schon lange begonnen hatte.«
»Wir waren die besten Freunde, bevor wir zusammengekommen sind«, erinnert er mich. »Und du hast mir nie was davon erzählt. Nur dass dein Vater gestorben ist und dass ihr keine enge Bindung hattet. Wie kann es sein, dass du hier ein vollkommen anderes Leben geführt hast und ich nichts davon wusste? Du hast diese Vergangenheit, über die du noch nicht mal eine Andeutung gemacht hast. Ich dachte, ich kenne dich, Cecelia.«
Meine Schuldgefühle sind unerträglich, als ich ihn ansehe. Noch ein Opfer meiner beschämenden Geschichte. »Es war ein Jahr. Nur ein Jahr, aber für mich hat sich danach alles verändert. Manchmal – oft sogar – wünsche ich mir, nichts davon wäre passiert, aber letztendlich hat all das mich zu der gemacht, die ich heute bin.« Ich knie mich vor ihn hin. »Es tut mir so leid. Wirklich. Ich wollte nicht, dass du von ihm erfährst. Oder von den anderen Dingen. Aber nun weißt du, wer ich bin. Ich bin aber auch die Frau, die du kennengelernt hast. Ich habe nur mehr erlebt, als ich erzählt habe, und ich habe es satt, meine anderen Seiten zu verbergen.«
»Weil du hier mit mehreren Männern geschlafen hast?«
»Das ist nicht alles, das ist nicht …« Ich seufze.
»Und ihn willst du?«
»Ja. Aber Collin, was wir beide hatten, du und ich, das war etwas Besonderes. Es basierte auf den richtigen Dingen – Freundschaft, Vertrauen, gegenseitigem Respekt. Es war eine gesunde Beziehung, für die ich unendlich dankbar bin. Und für dich. Ich habe deinen Heiratsantrag nicht auf die leichte Schulter genommen, und ich hätte glücklich sein sollen in unserer Beziehung, aber das war ich nicht. Ich habe mich dahinter versteckt.«
»Und weshalb bist du hier? Um ihn zurückzugewinnen?«
»Ich will dich nicht noch mehr verletzen, als ich es ohnehin schon getan habe.« Ich nehme seine Hand. »Ich will dir nicht noch mehr Dinge sagen, für die du mich hassen wirst.«
»Und wenn er dich zurückweist?«
»Das hat er längst getan, und er wird es auch weiterhin tun. Damit muss ich leben, aber ich werde nie wieder jemanden in die Lage bringen, in die ich dich gebracht habe. Dich zu verletzen war unter aller Sau, aber jetzt leugne ich meine wahren Gefühle nicht mehr länger.«
»Ist er ein guter Mensch?«
»Er ist ein sehr komplizierter Mensch, das steht fest. Aber trotz allem will ich ihn immer noch.«
»Dann willst du die Sache mit mir also wirklich für einen Typen beenden, den du vielleicht nie bekommen wirst?«
Ich stehe auf, fahre mit einer Hand durch seine Haare und umfasse sein Kinn. »Ich hoffe, du weißt, dass unsere Trennung nicht nur egoistisch ist. Ich habe die Beziehung beendet, weil du eine Frau verdienst, die ihre Vergangenheit vergessen und ganz dir gehören kann. Und ich will wirklich, dass du glücklich bist.«
»Was ist mit deinem Glück?«
»Ich weiß es nicht, Collin. Wahrscheinlich …« Ich beschließe, Tobias’ Worte zu wiederholen. »Wahrscheinlich bekomme ich kein glückliches Ende. Nur ein Ende.«
Nach vielen Stunden, in denen wir unser gemeinsames Leben auseinandergenommen, viele Tränen vergossen, gestritten haben, und einem letzten Versuch von Collin, mich mit nach Hause zu nehmen, zieht er niedergeschlagen seine Jacke über.
Als ich ihn zu seinem Wagen begleite, wird mir bewusst, dass es tatsächlich vorbei ist. In einer quälenden Verhandlung haben wir beschlossen, dass er aus unserer Wohnung ausziehen und meine Sachen in einem Miet-Container einlagern wird. Wenn ich Triple Falls verlasse, will ich nach vorn schauen, nicht zurück. Es gibt nichts, zu dem ich zurückkehren kann. Das Leben, die Lüge, die ich jahrelang gelebt habe, ist vorbei.
Als er mit meinem Ring in seiner Tasche davonfährt, sehe ich ihm noch mehrere Minuten hinterher, traurig darüber, dass ich ihn verloren habe, angekommen in der Wahrheit.