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Ich wusste nicht, wie ich diesen verfluchten Tag überstanden hatte. Gegen Abend fand mich mein Butler James auf dem Sofa liegend, den riesigen Fernseher und die Anlage mit lauter Musik angeschaltet, und alle viere von mir gestreckt. Eine Blutkonserve lag halb leer neben mir auf dem Marmorboden. Keine Ahnung, warum zum Teufel ich so viel von dem Zeug getrunken hatte. Ich brauchte es nicht. Es hatte mir nicht einmal geschmeckt. Was für eine Verschwendung.

Sie war mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen. Der Fernseher hatte mich nicht ablenken können. Deshalb hatte ich zusätzlich die Musik auf volle Lautstärke gedreht, sodass mir der Kopf geschmerzt hatte. Die Bässe und die durch die Lautstärke verzerrten Beats hatten das Bild von ihr langsam aus meinem Kopf gedröhnt, und ich war erschöpft aufs Sofa gefallen, wo ich liegen geblieben war, bis James die Musik ausdrehte. Ich stöhnte, als ihr Lachen wieder auferstand, als wäre es nie weg gewesen.

James wusste natürlich, was ich war. Wir hatten nie darüber gesprochen, das Wort Vampir nie ausgesprochen, aber er war ja nicht dumm. James hatte die Ausbildung an einer englischen Schule für Butler mit Auszeichnung absolviert. Die Schule, die ich bezahlt hatte. Ich hatte ihn als Jungen von der Straße aufgelesen und ausbilden lassen. Dass er nun mein Butler war, war nicht mein vorrangiger Plan gewesen. Ich traf ihn in einer, sagen wir mal, großzügigen Minute wieder. Er konnte sich an mich erinnern, als er bei mir anfing – und ich war keinen Tag gealtert. Doch James war ein Profi: korrekt, vertrauenswürdig, kompetent. Bedingungslos loyal und absolut verschwiegen. Er war meine rechte Hand, mein Kontakt zur Außenwelt. Ein bisschen wie Batmans Alfred. Nur dass er James hieß, und nicht so alt war. Er wohnte in einem Extraflügel in meiner Villa und genoss das gute Leben, das er sich dank meines großzügigen Gehaltes leisten konnte. Er hatte mir viel zu verdanken. Ich konnte mich auf seine Diskretion voll und ganz verlassen. »N’ Abend, Alfred, äh, James.«

»Guten Abend, Sir«, sagte James gestelzt. »Hatten Sie einen angenehmen Tag?«

Ich brummte nur. Nee, der Tag war …, ach, einfach nicht daran denken.

»Welchen Wagen soll ich Ihnen vorfahren lassen?«, fragte er wie jeden Samstagabend und räumte meine Hinterlassenschaften weg.

Ich stöhnte und versuchte, nachzudenken. Von dem Konservenblut war mir übel. Ich hatte es zu lange in der Hand behalten. Es war klumpig gewesen und hatte abgestanden geschmeckt. James räusperte sich, als wollte er mir damit sagen, er hätte noch wichtigere Dinge zu tun, als hier zu stehen und auf eine Antwort zu warten. Ich musste schmunzeln. Die berühmt berüchtigte englische Affektiertheit. »Ich weiß nicht. Suchen Sie einen aus.«

»Da Sie gestern den Audi fuhren, würde ich für heute Abend den Aston Martin vorschlagen. Geht es Ihnen gut, Sir?«

Ich lachte leise. James schlug immer den Aston Martin vor. Vielleicht sollte ich ihm einen zu Weihnachten schenken. »Ja, ist schon in Ordnung.«

»Sakko oder sportlich?«

»Sak…«, wollte ich antworten, als sie wieder deutlicher in meine Gedanken trat. »Sportlich.«

»Dann vielleicht doch lieber den Shelby GT?«

»Perfekt!« Ich sprang in einer einzigen blitzschnellen Bewegung vom Sofa auf die Füße und strahlte James an. »Und besorgen Sie mir ein Haarband, oder was Männer heutzutage so benutzen.« Ich hatte ihre Unterhaltung im R7 belauscht und meinte mich zu erinnern, dass sie keine langen Haare mochte.

»Jawohl, Sir.« James nickte beflissen und machte sich an die Arbeit.

Mein persönlicher Alfred. Ich fühlte mich tatsächlich ein bisschen wie Bruce Wayne, als ich singend unter der Dusche stand. Ich hatte einen Plan. Wenn ich einen Plan hatte, erweckte das stets meine Lebensgeister. Auch ich würde mich heute Nacht maskieren und sie vor dem bösen kurzhaarigen Turnschuhträger retten. Ich konnte mir ein ausgelassenes Lachen, das die Wände zum Beben brachte, nicht verkneifen.

James hatte mir eine Auswahl Haargummis und Klammern und anderer Dinge, die ich noch nie gesehen hatte, zusammen mit Ausdrucken dazugehöriger Frisuren hingelegt. Er war wie ich ein Perfektionist. Ich probierte einiges aus, band dann aber nur den oberen Teil meiner Haare zurück. Keine Ahnung, warum sie nicht auf lange Haare stand, aber nun sah ich ein bisschen aus wie dieser Fußballer auf dem Foto. Nur blasser. Und ich konnte kein Fußball spielen. Aber dafür war ich unsterblich. Ich würde sagen, eins zu null für den Vampir.

Perfekt gestylt mit Bluejeans und dunkelblauem langärmligen Pulli und neuer Frisur – meiner Maskerade – machte ich mich auf in die nächtliche Innenstadt.

Es war Samstagabend, und ich schlenderte gelassen durch die Einkaufsstraße und warf hier und dort einen Blick in die Fenster der bereits geschlossenen Geschäfte und schon geöffneten Bars. Nicht, dass ich in einem dieser Warenhäuser jemals etwas gekauft hätte oder kaufen würde. Ich betrachtete einfach mein Spiegelbild. Natürlich haben Vampire ein Spiegelbild. Wir sind ja nicht unsichtbar.

Ich war etwa einen Meter zweiundachtzig groß und schlank, hatte schulterlange mittelblonde Haare, klare grüne Augen mit gepflegten Augenbrauen und einer Denkerfalte in dem ansonsten faltenlosen Gesicht. Mein Teint war nicht zu blass, aber immer noch weit entfernt vom Menschlichen. Mein Kinn war weich aber eckig mit einem kleinen Grübchen in der Mitte, meine Unterlippe eindeutig sinnlicher als meine nicht ganz so volle Oberlippe. Und ich achtete immer auf tadellose Garderobe. Alles in allem sah ich recht ordentlich aus und diese neue Frisur, ja, konnte sich sehen lassen. Ach, was soll die falsche Bescheidenheit. Ich sah umwerfend aus. Ach, ich hätte mich in mich verlieben können. Und ich war bestens gelaunt. Hatte ich doch einen Plan … sie! Durch mein mattes Spiegelbild hindurch sah ich sie plötzlich.

Das schlichte Geschöpf saß in einer Bar, trank einen Cocktail und unterhielt sich mit seiner Freundin. Ich trat rückwärts aus dem Lichtkegel der Straßenlaterne heraus und hastete auf die andere Straßenseite, bevor sie mich entdecken konnte. Es gab doch einen Gott. Und der hatte mich ein zweites Mal direkt zu ihr geführt. Ich musste unbedingt James beauftragen, der Gemeinde hier, keine Ahnung, wem die geweiht war, eine Spende zukommen zu lassen. Eine Große. Konnte ja nicht schaden.

Mein Gehör übertraf alle menschlichen Vorstellungen, aber ich musste genau hinhören, um sie zu verstehen, so sehr nahm mich ihr Anblick gefangen. Dabei sah sie wieder irgendwie schlicht aus. Die langen Haare offen und ordentlich gekämmt und so voll, dass ich am liebsten sofort hineingegriffen hätte. Dezent geschminkt, kein Lippenstift. Sie nahm einen Zug aus dem Strohhalm in ihrem Cocktailglas und sah aus dem Fenster zu mir herüber. Es war dunkel. Ich stand im Schatten der gegenüberliegenden Häuserwand. Sie konnte mich nicht sehen. Aber ich hätte schwören können, dass sich ihr Blick durchdringend und forschend auf mich heftete. Wäre mein Herz nicht bereits vor so vielen Jahren stehen geblieben, jetzt hätte es das nachgeholt.

Verzückt beobachtete ich sie weiter, achtete kaum auf das, was sie sprachen. Bis plötzlich zwei Männer an ihrem Tisch standen und sich zu ihnen setzten.

Moment mal, wo kamen die denn her? Mist, was war bloß los mit mir? Ich hatte nicht zugehört. Nicht ein einziges Wort. Hatte sie nur angestarrt. Diese Annie machte sich gleich über einen der Kerle her. Sie sprach mit dem anderen. Ich konnte mich kaum auf ihre Worte konzentrieren, so geschockt war ich, dass sie sich mit einem anderen Kerl traf.

Aber: Endlich hatte ich einen Namen und er klang wie Musik in meinen Ohren, als ich ihn ganz leise aussprach. Louisa. Ihr schönes Gesicht überzog eine leichte Röte und sie blickte wieder genau in meine Richtung, ohne mich zu sehen. Zumindest hoffte ich, sie würde mich nicht sehen. Sie drehte den Kopf wieder dem Tölpel zu und lachte, wobei sie das Kinn leicht anhob. Dieses Lachen, und welche Wandlung es in ihrem sonst so ernsten Gesicht vollzog, war hinreißend.

Dieser sterbliche Volltrottel machte alles richtig, wie ich wütend feststellen musste. Und was machte sie? Sie lächelte geschmeichelt. Lachte nicht zu laut und wirkte völlig entspannt. Sie wandte ihm immer wieder das Gesicht zu, sodass ich ihr schönes Profil betrachten konnte. Mist, sie flirtete mit ihm und ihre Augen funkelten dabei wie Diamanten in einer graublauen Auslage aus reiner Seide. Das war ihr Geheimnis. Ihre geheime Anziehungskraft. Wenn sie wollte, strahlte ihr Gesicht wie das eines Engels. Aber sie wusste es nicht.

Wie unglaublich bezaubernd!

 

*

 

Annie ließ sich auf den leeren Stuhl vor mir fallen. »Kleine Planänderung für heute Abend.«

»Was denn für eine Planänderung?«

Annie zog sich die Jacke aus und nahm einen Schluck von meinem Sex on the Beach. Ironischerweise hatte ich den bestellt. Wenn ich schon keinen Sex hatte, wollte ich wenigstens davon kosten. Ich grinste bei dem Gedanken.

»Kannst du dich noch an die Typen erinnern, die wir gestern Nacht kennengelernt haben?«

»Ehrlich gesagt, nee«, antwortete ich und machte ein bedauerndes Gesicht. Ich war mit einem fürchterlichen Kater aufgewacht und sah meine Befürchtungen bestätigt, dass ich wieder einmal ein bisschen zu viel getrunken hatte. Das passierte mir am Wochenende immer öfter.

Annie verdrehte die Augen. »Ist ja auch egal. Auf jeden Fall hat Joshua, das war der eine, gefragt, ob wir nicht heute alle zusammen ins Kino gehen wollen.«

»Wer ist denn ‚wir alle‘?« Ein feines Kribbeln, wie wenn man von jemandem angeguckt wird, ließ mich nach draußen blicken. Da war niemand. Dennoch hielt das Kribbeln an. Ich versuchte, das Dunkel auf der anderen Straßenseite zu durchdringen. War da nicht ein heller Schimmer, als würde sich jemand im Dunkeln verstecken?

»Hörst du mir überhaupt zu?« Annie berührte mich am Arm.

»Sorry, ich hätte schwören können … Aber, egal. Kino, heute Abend, du, ich und … wer?«

»Joshua und sein Kumpel. Mit dem du gestern rumgeknutscht hast.«

Also hatte ich tatsächlich rumgeknutscht, und ich hatte mir diesen Nachgeschmack von Bier und Aschenbecher nicht eingebildet.

»Bist du dabei?«

»Ja, okay. Wird schon nicht so schlimm werden.« Kino war unkommunikativ. Wenn er mir nicht mehr so gut gefiel wie vergangene Nacht, musste ich wenigstens nicht mit ihm reden. Wenn er mir doch gefiel, konnte ich ihm ja vorweg ein paar Minzdragees kaufen.

»Sie kommen übrigens vorher hierher.«

»Ach so.« Dann würde ich doch mit ihm reden müssen.

»Da sind sie auch schon«, rief meine Freundin und winkte zwei Typen, die von draußen hereinschauten. »Ich hoffe, das macht dir nichts aus?«

»Wenn doch, wär’s jetzt eh zu spät.« Ich guckte nach draußen und beugte mich ein bisschen zur Seite, um noch einen Blick auf sie werfen zu können, ehe sie hereinkamen. »Geiler Hintern.«

»Das hast du gestern auch gesagt«, erwiderte Annie und grinste mich an. »Er heißt übrigens Eric, falls du das auch nicht mehr weißt.«

Wir lachten, als die beiden an unserem Tisch ankamen. Annie umarmte den schmalen Dunkelhaarigen zur Begrüßung. Das musste dann wohl Joshua sein. Sein Freund war glücklicherweise ein gut aussehender Kerl mit kecker Kurzhaarfrisur – sehr schön – und einem freudigen Lächeln. Etwas peinlich berührt gab ich ihm die Hand. Ich hatte den Kerl nie zuvor gesehen. Sie zogen sich zwei Stühle heran und setzten sich zu uns. Eric rückte etwas um den kleinen runden Tisch herum, beugte sich zu mir und fragte mich leise nach meinem Namen.

»Hey, tut mir leid, das ist sonst wirklich nicht meine Art. Aber ich weiß nicht, ich hatte wohl zu viel getrunken und ’nen kleinen Filmriss. Aber du … ich meine … ich hab dann wohl … vergessen …«

»Kein Problem.« Ich grinste. Dass es mir ebenso ging, musste ich ihm ja nicht auf die Nase binden. »Fangen wir einfach von vorn an. Ich bin Louisa.«

»Eric. Hi.«

Wir gaben uns die Hand und lächelten uns an. Große Hände, fester Händedruck – sehr sympathisch.

»Kann ich dir was zu trinken bestellen?«, fragte er, als die Kellnerin an unseren Tisch kam.

»Ja, ich hätte gern Sex … äh, einen Sex on the Beach

Wir lachten, und ich war froh, dass Eric sich zu der Kellnerin umdrehte, um die Bestellung weiter zu geben. Sonst hätte er mein rot angelaufenes Gesicht gesehen. Denn als er mich so vornübergebeugt mit seinen blauen Augen angesehen hatte, die kräftige große Hand auf den Oberschenkel gestützt, wollte ich plötzlich genau das. Oder besser, ich fragte mich, wie es mit ihm sein würde. Überrascht von mir, wandte ich mich leicht ab und guckte aus dem Fenster. Ich war tatsächlich rot geworden, und ich spürte noch immer dieses Kribbeln, als würde ich von draußen beobachtet. Doch ich sah nichts. Aber es war auch schon ziemlich dunkel. Es war lange her, dass jemand so etwas wie Begierde in mir geweckt hatte. Bedeutungsloser Sex war eigentlich nichts für mich, auch wenn die Kerle, die ich in letzter Zeit kennengelernt hatte, an kaum mehr interessiert zu sein schienen.

»Hier, dein Sex.« Eric grinste breit und schob mir meinen Cocktail hin. Ich griff nach meiner Tasche, um zu bezahlen, doch er winkte ab. »Ich lad dich ein.«

»Danke schön. Das ist aber nett.«

»Dafür, dass ich deinen Namen vergessen habe, ist das ja wohl das Mindeste.« Er grinste und prostete mir zu.

Was müsste ich dann dir spendieren? Meine Gedanken gingen eindeutig in eine Richtung. Ich warf einen Blick auf Annie und Joshua. Die beiden waren auf dem besten Weg genau dorthin, denn völlig ungeachtet unserer Anwesenheit knutschten sie wild miteinander. Na, toll! Ich warf meine Haare mit einer gewohnten Handbewegung nach hinten, ehe sie mir in den Cocktail fielen, und trank einen großen Schluck.

»Du hast sehr schöne Haare«, sagte Eric und lächelte. Er zwinkerte mir über den Hals der Bierflasche hinweg zu.

Seine strahlend blauen Augen waren wunderschön und standen im starken Kontrast zu den dunklen Haaren und den langen schwarzen Wimpern. Ich lächelte und blickte unauffällig an ihm herunter. Er trug ein T-Shirt, und ich konnte seinen angespannten Bizeps sehen. Auch die enge Jeans spannte stark am Oberschenkel. Er wirkte ziemlich durchtrainiert. Wahrscheinlich hatte er sogar ein Sixpack, überlegte ich und merkte, wie mir ganz warm bei dem Gedanken wurde. Warum konnte ich mich nicht an vergangene Nacht erinnern? Okay, ich hatte, nachdem wir das R7 und diesen komischen Kerl hinter uns gelassen hatten, noch den einen oder anderen Cocktail getrunken. Aber so viele? Vielleicht konnte er auch einfach nicht küssen. Das konnte natürlich alles kaputtmachen. »Du treibst wohl viel Sport?«, fragte ich ihn und warf noch einen Blick auf seinen prallen Oberarmmuskel.

»Ja, ich hab Rugby gespielt, aber musste wegen der Arbeit aufhören«, antwortete Eric. »Hatte einfach keine Zeit mehr. Ich arbeite jetzt bei der Feuerwehr und hab dort Schichtdienst. Was machst du denn beruflich? Ich hoffe, ich hab das nicht vergangene Nacht schon gefragt?« Er sah mich ein wenig zerknirscht an.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich arbeite als Sekretärin bei einer kleinen Handwerksfirma. Ja, klingt nicht so spannend, macht aber Spaß.«

Eric zündete sich eine Zigarette an. Das war wohl der Grund, warum ich mich nicht mehr an unsere Küsse erinnern konnte – oder wollte.

Die nächste Runde spendierte ich. Ich wollte ungern das Gefühl haben, in seiner Schuld zu stehen. Annie und Joshua wechselten ab und zu einige Worte mit uns, bis sie sich wieder einander zu wandten. Wir ignorierten sie und unterhielten uns über alles Mögliche. Eric war ein paar Jahre zur See gefahren und hatte viele lustige Geschichten zu erzählen. Ab und zu warf er mir so einen Blick zu, als würde er darauf warten, dass ich ihm irgendein Signal gab. So, als hätte er gern da weitergemacht, wo wir am Abend zuvor aufgehört hatten. Ein-, zweimal war ich auch drauf und dran, ihm einfach mal meine Hand auf seine zu legen, doch dann zündete er sich eine weitere Zigarette an, und der Moment war vorbei. Im Laufe des Abends störte es mich so sehr, dass er rauchte, dass er mir regelrecht unsympathisch wurde. Ich versuchte kein weiteres Mal, unserer Unterhaltung eine andere Dynamik zu geben. Er jedoch auch nicht.

Plötzlich standen Annie und Joshua auf. Sie wollten woanders hin. Annies Augenzwinkern nach zu urteilen, konnte ich mir auch gut vorstellen, was sie in diesem »woanders« vorhatten. Der Plan mit dem Kino war offenbar gestorben. Mir stand eh nicht mehr der Sinn danach. Ich hatte Kopfschmerzen bekommen. Vielleicht von den vielen süßen Cocktails, vielleicht auch vom Zigarettenrauch.

»Wir haben übrigens Karten für das Konzert nächstes Wochenende. Vielleicht wollt ihr beide mitkommen?«, schlug Joshua vor, als er sich seine Jacke anzog.

Annie nickte begeistert und sah mich bedeutungsvoll an. Ich hatte zwar keine Ahnung, von welchem Konzert sie sprachen, und war außerdem der Meinung, sie hätte da auch allein mitgehen können, stimmte aber zu.

»Okay, dann besorg ich euch auch noch Karten. Bis Samstag dann, mach’s gut, Louisa.«

»Ja, viel Spaß noch«, erwiderte ich.

»Euch auch.« Annie grinste mich noch breiter an, ehe sie mit Joshua an der Hand die Bar verließ.

Mit einem beklommenen Gefühl sah ich Eric an. Er machte keine Anstalten, zu gehen. »Ich werde auch nach Hause gehen. Ich glaube, es ist genug für heute«, sagte ich deshalb und stand auf.

Eric erhob sich ebenfalls und kam mit nach draußen. »Soll ich dich nach Hause bringen?«

»Nein, danke. Ich ruf mir ein Taxi.«

Er nahm zögerlich meine Hand und gab mir einen schnellen Kuss auf die Wange, wobei mir wieder diese Wolke aus kaltem Rauch in die Nase stieg. Warum störten mich eigentlich immer die kleinen Dinge? Warum wurden sie so groß, dass man alles andere nicht mehr sah? Eric war ein hübscher Kerl, lustig, nett und vor allem sehr sexy mit seinem offensichtlich durchtrainierten Körper. Es tat mir ein bisschen leid, als ich ihn da stehen ließ. Aber ich ahnte, warum ich mich an diesen Kleinigkeiten festhielt. Weil ich Angst hatte. Ich hatte Angst, dass mir wieder so etwas zustoßen könnte wie vor acht Monaten und zweiundzwanzig, nein, dreiundzwanzig Tagen. Vielleicht wurde es Zeit, endlich daran zu arbeiten und diese Angst ein für alle Mal loszuwerden.

 

*

 

Ich quälte mich noch eine Weile, indem ich sie, Louisa, beobachtete, wie sie mit einem anderen flirtete, der ihr offensichtlich gut gefiel. Meine Wut brandete auf, sodass ich die Hände zu Fäusten ballte und wünschte, ich könnte auch Menschen durch die Kraft meiner Gedanken zu Asche verbrennen lassen. Ich hätte diesen Eric hoch auflodern lassen! Leider funktionierte das nur bei Vampiren. So beschränkte ich mich darauf, reglos im Dunkeln zu stehen und meinem Widersacher Pest und Teufel an den Hals zu wünschen.

Bewegung kam in die kleine Gruppe. Und Louisa wollte nach Hause. Mit grimmiger Genugtuung hörte ich, dass sie nicht vorhatte, diesen Eric mitzunehmen. Ich konnte mir ein breites Grinsen voll Häme nicht verkneifen. Sie rief sich ein Taxi, stieg ein und ließ den armen Drops stehen. Tja, das Gefühl durfte ich bereits kennenlernen. Dieses schlichte Geschöpf entpuppte sich als wahre Herzensbrecherin. Nehmt euch in Acht!

Als alle weg waren, ging ich in die Bar und zu dem Stuhl, auf dem sie gesessen hatte. Befühlte das Glas, aus dem sie getrunken hatte, und nahm ihren Duft auf. Sie roch köstlich! Nun kannte ich die Adresse, die sie dem Taxifahrer genannt hatte, und hatte ihren Duft, den ich überall wiederfinden würde. Ich konnte sie jederzeit wiedersehen, wenn mir danach war. Doch jetzt war mir nach etwas ganz anderem. Ich musste jagen! Ich wollte mir ein Opfer aus der Menge ausgucken, es anlocken, betören und meine unauffälligen aber messerscharfen Fangzähne in seinen Hals schlagen und mir, hm, sein köstliches Blut in den Mund laufen lassen.

Zu Beginn meines Vampirdaseins hatte mich die Jagd fasziniert. Die Angst in den Augen meiner Opfer war erregend, und das heiße Blut köstlicher als alles, was ich als Sterblicher jemals gekostet hatte. Was ohnehin nicht viel war. Stets verfiel ich in einen extremen Rausch, der erst endete, wenn das Herz meiner Mahlzeit aufhörte zu schlagen. Noch Stunden später floss das Blut warm durch meinen ansonsten kalten Körper, schärfte meine Sinne, befriedigte mich und ließ mich menschlicher wirken. Im Gegensatz zu anderen Vampiren war ich nach dem Trinken nicht mehr berauscht. Keine Ahnung, warum das bei mir anders war. Aber dieser kurze Blutrausch während des Trinkens war besser als jeder Sex.

Eine Zeit lang hatte ich mich diesem Rausch hingegeben, doch im Laufe der Zeit wurde ich so stark, dass die Herzen meiner Opfer aufgaben, bevor ich überhaupt richtig angefangen hatte. Nach einigen Hundert Jahren exzessiven Bluttrinkens brauchte ich es plötzlich nicht mehr unbedingt. Das war frustrierend! So blieb mir zumindest die Diashow auf ihr jämmerliches Leben erspart. Die bekam ich jedes Mal zu sehen, wenn ich meinen Opfern das Blut aussaugte. Es war wie Kino zum Abendessen, doch den Film konnte man sich nicht aussuchen – und man konnte das Kino auch nicht verlassen, ohne mit dem Abendbrot aufzuhören. Da ich stets ein großes Prozedere veranstaltete und mir Zeit ließ, um das geeignete Opfer zu finden, war ein vorzeitiger Abbruch inakzeptabel.

Im Gegensatz zu meinen Artgenossen ging ich stets unauffällig und in Anbetracht der Tatsachen sanft vor. Viele meiner Opfer spürten nicht einmal, dass sie zu meinem Dinner oder Dessert geworden waren. Andere schon, aber die würden es nicht mehr erzählen können. Selbst bei denen wies nichts darauf hin, dass ein Vampir am Werk gewesen war. Ich hatte genügend Krimiserien gesehen, um alles perfekt zu vertuschen. Meinem mächtigen Blut und seiner heilenden Wirkung sei Dank.

Ernähren konnte ich mich aus allen möglichen Quellen. Die bequemste war tatsächlich eine Blutbank. Es war wie ein Pizza-Lieferservice. Nur ohne Pizza. Vor einigen Jahren hatte ich deshalb hier in der Stadt ein großes Blutspendezentrum eröffnet. Ausgestattet mit den teuersten und besten Gerätschaften und bestückt mit professionellem Personal. Natürlich bekam jeder Freiwillige auch eine großzügige Spende als Dankeschön für sein Lebenselixier. Geiz konnte man mir nicht nachsagen.

Doch heute brauchte ich frisches Blut, keine Konserve. Ich verließ die Bar wieder und machte mich auf in die dunklen Gassen voll zwielichtiger Gestalten, die es in jeder Großstadt gab. Wie in jeder Großstadt dieser Erde waren diese Viertel ein Paradies für Vampire und andere Kreaturen der Nacht. Halleluja!

 

*

 

In einem kleinen Nest, ungefähr drei Autostunden von der Stadt, in dem der alte Vampir herrschte, entfernt, trafen Steve und Trudy auf eine kleine Gruppe Vampire, die ein altes Haus in Beschlag genommen hatten. Das zweistöckige Holzhaus lag abgeschieden in einem Waldstück und hatte keine Nachbarn in Sichtweite. Eine perfekte Lage für einen Vampirunterschlupf. Wie lange und ob die eigentlichen Besitzer schon weg waren, konnte man nicht erkennen. Alles wirkte recht ordentlich. Sie wurden misstrauisch beäugt, aber dennoch eingelassen. Es waren mehrere Vampire und Sterbliche im Haus. Auch sie hatten von dem alten Vampir gehört und trauten sich nicht in seine Nähe.

»Erbärmliche Schisser!« Steve warf die Tür zu dem Zimmer, das sie beziehen durften, hinter ihnen zu.

Als hätte er vor zwei Nächten nicht die gleiche Angst gehabt. Trudy verdrehte die Augen. Er warf seine Tasche auf das Doppelbett, das einzige Bett im Raum. Sie hätte gern allein geschlafen, aber das Zimmer hatte ein eigenes Badezimmer und das brauchte sie auch.

Bei ihrer letzten Jagd hatte es wieder Komplikationen gegeben, als eines der Opfer plötzlich ein Messer gezogen und es Steve in den Bauch gerammt hatte. Steve suchte sich als Nachtisch oft Nutten, die ihn erst auf die eine und dann auf die andere Weise befriedigten. Diese war die Erste, die sich gewehrt hatte. Bis Trudy begriffen hatte, was geschehen war, war Steve schon total ausgeflippt. Er hatte wie ein Tier gebrüllt und auf sein Opfer eingeschlagen wie auf einen Sandsack. Trudy hatte ihn zurückreißen wollen, hatte aber aufpassen müssen, dass er nicht auf sie losging. Er hatte geschrien und geheult und immer wieder nach dem blutigen Fleischklumpen getreten, der einmal eine Frau gewesen war. Wenn er so weitergemacht hätte, wäre mit Sicherheit die Polizei aufgetaucht. Als sie ihm das in seinem zugedröhnten Schädel einhämmern konnte, hatte er sich soweit beruhigt, dass Trudy ihn hatte überreden können, sich ins Auto zu setzen. Schnell hatte sie sich um die menschlichen Überreste gekümmert und sie in den Kofferraum geworfen. Ihr neues fliederfarbenes Minikleid war durchtränkt von dem Blut der Prostituierten, als sie sich hinters Steuer gesetzt hatte und fluchend weggefahren war.

Nach ungefähr zwei Stunden Irrfahrt auf der Suche nach einer geeigneten Bleibe hatte Steve endlich aufgehört, zu keifen und zu fluchen. Er blutete schon lange nicht mehr, und die Heilung hatte bereits eingesetzt. Sie hatten das Auto mit der Leiche stehen gelassen und ein anderes geklaut. Nach einiger Zeit waren sie an diesem Haus vorbeigekommen. Trudy hatte sofort gespürt, dass dort Vampire hausten und erzählte Steve, der immer noch auf das Loch in seinem Bauch gestarrt hatte, sie hätte einen hineingehen sehen.

»Ich fühl mich scheiße«, sagte er und ließ sich neben seine Tasche aufs Bett fallen.

»Dann geh ich zuerst ins Bad.« Sie schnappte sich ihre Tasche, schloss die Tür hinter sich und genoss die heiße Dusche. Es war herrlich. Selbst das Duschen fühlte sich als Vampir viel prickelnder und erfrischender an. Nach einer Weile stieg sie aus der dampfenden Wanne und trocknete sich ab. Sie warf das Handtuch über den Wannenrand und machte sich daran, ihr neues Kleid zu waschen. Sie hoffte, die Blutflecken wieder herauszubekommen. Verdammtes Arschloch. Dass der immer so ausflippen musste.

Trudy erinnerte sich, einen Kleiderschrank im Zimmer gesehen zu haben, und öffnete die Badezimmertür einen Spaltbreit, um einen Blick auf Steve zu werfen. Er schlief bereits. Nackt schlich sie aus dem Bad und warf noch einen Blick auf ihn. Sein Gesicht war völlig entspannt, und er sah wirklich hübsch aus. Daran konnte sie ohne Zweifel erkennen, dass er schlief. Nur dann entspannte sich sein Gesicht derart, und die grausamen Züge verschwanden.

Sie öffnete den Kleiderschrank und fand Teenagerklamotten darin. Ja, klar, rosa Wände, Poster von pubertierenden Jungstars an den Wänden. Trudy seufzte. Glücklicherweise war sie zwar groß, jedoch superschlank. Bis auf ihre Oberweite. So eine hätte ein Teenager mit Sicherheit noch nicht gehabt. Sie wühlte ein bisschen in den farbenfrohen Klamotten herum, bis sie eine hellblaue Longbluse und einen schwarzen Stretch-Mini fand. Unterwäsche brauchte sie nicht. Die Bluse ging ihr fast bis über den Po und war vorn komplett geknöpft. Sie bekam sie bis zur Mitte der Brust zu. Na ja, besser als die alten Klamotten, die sie alle dringend waschen musste. Trudi sah sich im Spiegel an und war zufrieden. Sie packte ihre restlichen Kleidungsstücke aus, ließ erneut Wasser und Seife ins Waschbecken laufen und wusch sie schnell einmal durch, um sie zum Trocknen neben das fliederfarbene Kleid zu hängen.

Steve schlief noch immer. Es war besser, ihm jetzt nicht zu nahe zu kommen. Barfuß verließ sie das Zimmer. Unten war ein Fernsehgerät eingeschaltet. Vielleicht konnte sie sich dazu setzen und einfach mal abschalten und ihren Gedanken nachhängen? Auf dem Weg nach unten kam sie an einer halb geöffneten Tür vorbei. Sie spähte vorsichtig hinein. Das war vermutlich das Elternschlafzimmer, worin sich jetzt ein Vampirpärchen mit einem Sterblichen vergnügte. Sie waren nackt, der Sterbliche nahm die blonde Vampirin von hinten, während der ebenfalls blonde Vampir ihm schmatzend das Blut aus dem Hals saugte und dabei seine Brust streichelte. Der Sterbliche hatte bereits mehrere Bisswunden, aber sie hatten wohl nicht vor, ihn zu töten. Die Vampirin sah zu Trudy auf, starrte auf ihren tiefen Ausschnitt und leckte sich über die Lippen. Sie machte ihr mit ihren rotgeränderten Augen ein eindeutiges Angebot. Trudy zuckte nur bedauernd mit den Schultern und ging weiter. Vielleicht ein anderes Mal.

Bevor sie die Treppe nach unten erreichte, kam sie an einer weiteren Tür vorbei und spähte auch hier hinein, neugierig, welche Orgien sich dort abspielen mochten. Ein Kinderzimmer. Im Bett lag eine Sterbliche und schlief friedlich als wäre sie in ihrem behüteten Heim und nicht in einer Vampirhöhle. Trudy schüttelte den Kopf und ging leise die Treppe hinunter und ins Wohnzimmer, von wo sie den Fernseher hörte. Auf dem breiten Sofa hockte eine dunkelhaarige kleine Vampirin in einem kurzen Morgenmantel und saugte an dem Hals eines Halbwüchsigen. Sie ließ ihn eben achtlos zu Boden gleiten, wo er leblos liegen blieb, seufzte und lehnte sich zufrieden zurück.

Daneben lag auf einem dieser Relaxsessel, an denen sich automatisch eine Fußbank ausklappte, wenn man sich zurücklehnte, ein Hüne von einem Vampir mit einer breiten hohen Stirn und eckigem Gesicht und starrte auf den Fernseher. Eine Sterbliche in einem schmuddligen Blümchenkleid hockte neben ihm und streichelte ihm den Bauch. Sie hatte mehrere Bisswunden an den Armen und am Hals. Trudy blieb unsicher im Türrahmen der breiten Schiebetür stehen.

»Komm rein«, sagte der Hüne gelangweilt mit starkem russischem Akzent. »Setz dich. Wie heißt du?«

»Trudy«, antwortete sie und wollte sich auf den anderen Sessel direkt vor ihn setzen.

Er warf ihr einen schnellen Blick zu. »Willst du Sex?«, fragte er, den Blick wieder auf den Fernseher gerichtet. »Oder Blut?«

Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er die Hand der Sterblichen gepackt und ihre Haut mit dem langen Fingernagel seines Daumens aufgeritzt. Trudy schüttelte den Kopf und überlegte, ob sie nicht doch wieder nach oben gehen sollte. Der Russe war ihr unheimlich. »Nein. Danke.«

Die kleine Vampirin auf dem Sofa lachte dreckig. »Die is wählerisch.«

Der Russe schob die Frau unwirsch beiseite und sah Trudy an. Zuerst sah er ihr in die Augen, sodass sie seinem Blick kaum standhalten konnte, dann auf ihre Haare. Sein Blick verharrte einen Moment auf ihrem Dekolleté und noch länger auf dem Minirock. Er hob einen Arm und hielt ihn ihr hin. »Willst du das?«

Sie ging zögernd zu ihm. Wollte er etwa, dass sie von ihm trank? Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Eigentlich ist es mir scheißegal und es geht mich auch nichts an. Aber vielleicht willst du deinem Freund da oben ja mal zeigen, was du drauf hast«, sagte er mit leiser monotoner Stimme und hatte sich bereits wieder dem Fernseher zugewandt, wo eine Quizshow lief. »Dann trink!«

Trudy ließ sich nicht noch einmal bitten und biss vorsichtig in das dargebotene Handgelenk. Sein Blut schmeckte sehr herb, und es schoss mit einer Kraft durch ihren Körper, dass sie aufkeuchte und augenblicklich mehr wollte. Viel mehr. Es war stark und mächtig, das spürte sie sofort. Ganz anders als Steves Blut. Sie hörte die kleine Blutsaugerin hinter sich kichern. Plötzlich packte sie eine Eisenfaust an der Kehle. Sie riss die Augen auf. Trudy war völlig versunken in den Blutrausch gewesen.

»Genug!« Der Russe hatte sich nicht einmal vom Flimmerkasten abgewandt.

Sie ließ von ihm ab, und er ließ sie wieder los.

»Danke«, flüsterte sie und wischte sich den Mund ab. Sein Blut pulsierte dickflüssig in ihren Adern, und sie spürte, dass es viel mehr Kraft in sich hatte, als alles, was sie bisher getrunken hatte. Sie fühlte sich leicht und ihr war ein wenig schwindlig. So einen Rausch hatte sie noch nie erlebt. Sie hatte das Gefühl, ihre Adern würden bersten, als sich das Blut immer weiter in ihr ausbreitete. Mit einem Mal kraftlos sank sie auf das Sofa.

Die kleine Vampirin kicherte wieder und drehte sich geräuschvoll auf die Seite, um Trudy anzusehen. Sie schubste den Leichnam des jungen Mannes mit ihrem nackten Fuß beiseite. »Is’ geil, näh?«

Trudy spürte ihren gierigen Blick auf ihren unzureichend verhüllten Brüsten und sah die kleine Vampirin an. Sie grinste. Ihre Augen waren fast ganz rot, und Trudy starrte fasziniert hinein. Sie spürte ihre Hand auf ihrer Brust, die ihr langsam die Bluse aufknöpfte. Sie keuchte, als die andere ihre Brüste aus dem engen Gefängnis befreite und ihren Mund um eine Brustwarze legte.

Mit ihrer weichen und starken Hand fuhr die kleine Vampirin ihren Oberschenkel entlang und unter ihren Minirock.

»Das hier wird noch geiler«, flüsterte sie Trudy zu, ohne die Lippen von ihrer Brustwarze zu nehmen, schob ihre Beine sanft auseinander und streichelte sie.

Es war das Aufregendste, was sie jemals erlebt hatte, und Trudy ließ sich einfach fallen.

 

Sie musste Stunden auf dem Sofa gelegen und eine orgastische Welle nach der anderen erlebt haben. Ihr Gesicht glühte – und sie wollte mehr. Mehr von dem Blut und mehr von zarten Fingern, die sie sanft zum Höhepunkt brachten. Sie löste sich von der kleinen Vampirin, küsste noch einmal ihre kleinen weichen Brüste und ging nach oben. Trudys Sinne waren um ein Vielfaches schärfer, als sie vor dem Zimmer mit den beiden blonden Vampiren anhielt.

Der Mensch schlief, doch die Vampirin blickte auf, kaum dass Trudy im Türrahmen erschienen war.

»Da bist du ja wieder«, flüsterte sie mit samtweicher Stimme und ging zu ihr.

Sie führte sie zum Bett. Dort schubste sie das Menschlein mit einer achtlosen Geste beiseite und legte sich rücklings neben ihn. Trudy kniete sich zwischen ihre Beine, küsste die weichen Innenschenkel und spürte plötzlich den blonden Vampir hinter sich. Sie lächelte. Ja, so etwas hätte Steve nie mit ihr gemacht.

 

*

 

Ich stand vor einem hübschen Altbau, ordentlich restauriert und hellgelb gestrichen. Das war die Adresse, die Louisa dem Taxifahrer gesagt hatte. Ihre Adresse. Meinen Wagen hatte ich in einer Tiefgarage in der Altstadt abgestellt, wie ich es immer tat. Ich wollte vermeiden, dass jugendliche Randalierer aus Neid oder purer Zerstörungslust den Lack zerkratzten. Ja, bei meinen Autos war ich empfindlich. Heute hatte ich meinen – natürlich – mattschwarzen BMW M6 gefahren. Ich war ja nicht auf der Jagd, ich wollte beobachten.

Drei Tage lang hatte ich mich mit der köstlichen Vorfreude auf diese Mittwochnacht gequält. Die Haustür war nicht ins Schloss gefallen, ich schob sie auf und suchte ihren Duft die Treppe hinauf. Ganz oben fand ich ihn. Es war die letzte und einzige Tür auf der Etage. Ich verließ das Haus wieder und begab mich auf das Dach. Flog förmlich hoch, denn ich war ja nicht Spiderman, der die Wände hochklettern konnte.

Hatte ich erwähnt, dass ich gegen die Schwerkraft anspringen und beinahe fliegen konnte? Verrückt, aber es funktionierte. Ich hatte es irgendwann aus einer Laune heraus ausprobiert. Wenn ich mit so viel Kraft aus dem Liegen hochspringen konnte, dass ich genügend Zeit hatte, mich in der Luft aufzurichten und katzengleich auf den Füßen zu landen, müsste es doch mit entsprechend mehr Kraftaufwand möglich sein, höher zu springen und sogar zu fliegen. So meine Theorie. In der Praxis erforderte es einen enorm viel größeren Kraftaufwand. Ich holte mir etliche Prellungen und brach mir jeden einzelnen Knochen mehrmals bei ungezählten Versuchen. Alles nicht so schlimm, bei uns Vampiren verheilte so etwas schnell wieder. Ich hatte ja Zeit. O ja, wenn ich irgendetwas im Überfluss hatte, waren es Zeit und Durchhaltevermögen. Irgendwann hatte ich den Dreh raus. Es war atemberaubend! Fliegen konnte ich zwar nicht, aber sehr hoch springen. Ich fühlte mich wie Superman. Vampirsein hat durchaus seine guten Seiten.

Ich wollte nur einen Blick auf ihre schlafende Gestalt werfen. Es war weit nach Mitternacht, deshalb konnte ich getrost davon ausgehen, dass sie schlafen würde. Ich landete auf einer kleinen Dachterrasse mit Metallgeländer, zwei Gartenstühlen und einer herrlichen Aussicht über die Stadt. Vorsichtig lugte ich ins Innere der Wohnung. Die Jalousie der Terrassentür war nicht heruntergelassen, alle anderen schon. Drinnen war es stockdunkel. Unnötig zu erwähnen, dass ich im Dunkeln genauso gut sehen konnte wie bei Tageslicht. Es war eine schöne in weiß gehaltene Maisonettewohnung. Auf dem oberen Absatz, in dessen hinterer Ecke, schlief sie in einem riesigen Bett. Ich warf einen Blick die Treppe entlang nach unten. Wohnzimmer, offene Küche, Tür, die wahrscheinlich ins Bad führte. Haustür mit mehreren Schlössern. Ich sah genauer hin. Meine Güte, hier sah es ja aus wie in Fort Knox. Sicherheitsschlösser, Alarmknopf, Scheinwerfer, wahrscheinlich mit Bewegungsmelder. Alle Jalousien heruntergelassen. Wovor hatte dieses hübsche Geschöpf Angst? Und wieso ließ sie ausgerechnet die Jalousie der Terrassentür oben?

Die Antwort bekam ich, als ich versuchte, sie leise aufzustemmen. Es tat sich nichts. Ich versuchte, einen Blick auf den Griff zu werfen. Tatsächlich, ein Schloss, und der Schlüssel steckte. Mist. Auch wenn es im Film immer dargestellt wird, als wäre das für Vampire kein Problem, sich nachts in fremde Häuser zu schleichen, ich kam nicht rein. Ich war ein Blutsauger, kein Einbrecher. Früher konnte ich die Riegelchen an den Fenstern mit einem langen Fingernagel hochschieben und geräuschlos in jedes Schlafgemach schlüpfen. Aber heutzutage? Alles Sicherheitsglas und in diesem Fall sogar abgeschlossen. Da kam ich nicht rein, ohne einen Höllenlärm zu veranstalten und dann wäre die ganze Heimlich-im-Dunkeln-Beobachten-Aktion, tja, nicht mehr ganz so heimlich. Ich stand da wie ein armer Schlucker vor der Auslage eines Juweliers und drückte mir die Nase an der Scheibe platt, um einen Blick auf das Objekt meiner Begierde zu werfen. Das hatte sich gerade von mir weggedreht und sich die Decke über die Schultern gezogen, sodass ich nur noch ein rotbraunes Haarbüschel sah. Na, bravo!

Ach, wie vermisste ich die guten alten Holzfenster mit Einfachverglasung. Ich brauchte einen Plan B. Behände sprang ich auf das Geländer, hockte mich in die Ecke und besah mir die Fenster und die Tür genauer. Keine Chance. Da kam ich nicht rein, ohne etwas zu zerstören. Ich konnte mich lautlos bewegen, doch Glas splitterte für gewöhnlich nicht ohne Lärm. Wahrscheinlich müsste ich darauf warten, dass sie mal ein Fenster über Nacht offen ließ, aber da sie ihre Wohnung wie das Pentagon gesichert hatte, würde sie selbst bei vierzig Grad im Schatten kein Fenster offen lassen. Wovor hatte sie nur Angst?

Sie drehte sich wieder herum und schlug die Augen auf. Ach du Schreck! Schnell sprang ich auf den Dachfirst. Das war knapp. Ich hatte mich so darüber gefreut, ihr ein bisschen beim Schlafen zuzusehen, dass ich jetzt wirklich enttäuscht war. Die Welt konnte so ungerecht sein! Ich wanderte den Dachfirst entlang, schwang mich hoch in die Lüfte und genoss die eiskalte Zugluft. Morgen Abend würde ich zeitiger herkommen. Vielleicht hatte ich da mehr Glück und ich konnte ungesehen hineinschlüpfen, wenn sie die Tür zum Lüften geöffnet hatte. Vorher musste ich ein paar Dinge herausfinden.

 

Ich fuhr wieder nach Hause, schrieb James eine Nachricht, dass ich die nächsten Tage nicht im Lande sein würde, und machte mich laut stöhnend auf in meine Betthöhle. Ich würde einfach ein bisschen schlafen, sonst würden mich diese Gedanken an Louisa und ihr bezauberndes Lachen noch verrückt machen. Ich hatte Kriege erlebt, Frauen und selbst Kinder sterben sehen, Folter und Grausamkeiten gesehen und begangen, Menschen getötet, viele Menschen – auch Unschuldige. Nichts davon hatte mir schlaflose Tage bereitet. Eine Sterbliche namens Louisa schaffte es mit einem Blick.

Unter meinem sichtbaren Domizil hatte ich mir eine zweite Zuflucht eingerichtet. Zu erreichen über einen Fahrstuhl, der getarnt hinter einer Bücherwand und mit weiteren Zugangscodes gesichert war. Hatte man diese Hürde überwunden, fand man sich vor einer massiven Betonwand wieder, die weder Mensch noch Vampir, der nicht mindestens so stark war wie ich, bewegen konnte. Ich schaffte es nur unter Aufbietung all meiner vampirischen Superkräfte. Dahinter standen verhältnismäßig schlicht mein antikes Himmelbett aus Kirschbaumholz mit weißen Volants, ein kleines Nachtschränkchen mit einer Lampe darauf und einige Bücherregale, in denen sich meine Taglektüre stapelte. Meine kleine Betthöhle. Ein bisschen spießig. Aber hier kam eh niemand herunter. Das war auch besser so.

Im Schlaf fiel ein Vampir in eine todesähnliche Starre. Das war der einzige Moment, in dem unsere Sinne tatsächlich aufhörten, Signale zu senden, und anfingen, zur Ruhe zu kommen. Wenn ich schlief, schaltete ich mich quasi aus. Ich zog nicht den Stecker, ich war im Stand-by-Modus. Ich ruhte, aber meine Reflexe waren jederzeit einsatzbereit. Sofern man die Taste betätigte. Und die Taste waren Berührungen oder Störungen jeglicher Art. Ohne, dass ich bewusst darauf Einfluss nehmen konnte, wehrte mein Körper jede Annäherung präzise und absolut todbringend ab. Störe niemals den Schlaf eines Vampirs, denn das wird das Letzte sein, was du tust.

Ich hätte nicht schlafen müssen, aber es war erholsam, abzuschalten und was verpasste ich schon?

Nur mit dem Schlafen war das so eine Sache. Es war leider nicht so, dass ich herzhaft gähnend feststellte, ich wäre müde genug, um zu Bett zu gehen, mich hinlegte und einfach einschlief. Es hatte mich Jahre gekostet, bis ich mich so weit konzentrieren konnte, dass ich tatsächlich schlief. Selbst als ich ein junger Vampir war. Junge Vampire schliefen für gewöhnlich noch sehr viel, und ihre Sinne schärften sich erst mit der Zeit. Bei mir war das etwas anders, da ich von einem starken, alten Vampir erschaffen wurde. Ich musste alle meine Sinne manuell ausschalten, um schlafen zu können. Jedes kleinste Geräusch, jeden Geruch und jede noch so feine Reaktion meiner sensiblen Haut aus meinem Bewusstsein verdrängen. Gegen die Geräusche hatte ich mein Schlafzimmer schalldicht isoliert. Das half zumindest ein bisschen. Mein Grundstück war riesengroß und lag außerhalb der Stadt, die nächsten Nachbarn waren weit weg. Spaziergänger verirrten sich eher selten hier her. Gerüche sollten mich da unten nicht belästigen, außer die vertrauten, und die war ich ja gewohnt auszublenden. Alle sonstigen Eindrücke von außen bekam ich in den Griff. Das größte Problem war, die Gedanken aus meinem Bewusstsein zu verbannen. Damit hatte ich schon immer Schwierigkeiten. Es gab immer irgendwelche Dinge, die ich ausprobieren wollte, oder Filme, die mich nachhaltig beschäftigt hatten, oder Gedichte, die ich versuchte, auswendig zu lernen. Manchmal dachte ich auch über banale Dinge nach. Welches Auto ich mir noch zulegen könnte, oder ob ich nicht mal wieder verreisen sollte. Oder wie lange ich dieses Dasein noch führen wollte. Es war immer eine Mordsarbeit, diese Gedanken gebündelt aus meinem Kopf zu bekommen. Manchmal brauchte ich Stunden dafür.

Louisa hatte sich so fest in meinem Kopf eingenistet, dass ich mir nicht sicher war, ob ich sie daraus würde verbannen können. Und sei es auch nur für ein paar Stunden oder Tage. Eines war sicher, klappte es nicht, würde ich nicht schlafen können und dann würde ich entweder verrückt werden oder jede Nacht vor ihrem Fenster kleben, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Beides passte nicht zu meinem Böser-Vampir-Image.