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Trudy und Steve hatten ungefähr zwei Autostunden von ihrem neuen Zuhause entfernt eine sehr gut besuchte Diskothek in einem Gewerbegebiet gefunden, indem sie einfach den Lichtkegeln am Himmel gefolgt waren. Ihr tat es gut, mal wieder auszugehen, und sie war froh, dass sie eines ihrer neuen Lieblingskleider angezogen hatte. Ein hautenges rotes Kleid mit einem Ausschnitt bis zum Bauchnabel, der von Rüschen eingefasst war und auf Brusthöhe mit einer silbernen Kette geschlossen wurde. Sie liebte aufreizende und sexy Klamotten.

Auch Steve hatte sich für seine Verhältnisse in Schale geworfen. Er hatte geduscht, sich die Haare ordentlich gekämmt, und trug ein eng anliegendes T-Shirt mit buntem Aufdruck. Wenn sie ihn sich so ansah, war er wirklich hübsch. Viele Frauen drehten sich nach ihm um, als sie in die Disco gingen. Wenn er nur nicht so ein dummer mieser Scheißer gewesen wäre!

Drinnen trennten sie sich, und es dauerte nicht lange, bis sich ein braun gebrannter Sterblicher an sie heranmachte. Er bemerkte weder sie noch ihr gelangweiltes Grinsen, sondern starrte beinahe sabbernd auf ihre großen Brüste. Das war ihr im Grunde zu leicht, aber sie gab ihm dennoch ein Zeichen, ihr unauffällig nach draußen zu folgen und erwartete ihn auf der Rückseite der Disco bei den Müllcontainern. Wer Frauen nur auf das Eine reduzierte, hatte es halt nicht anders verdient.

Er begrapschte sie, kaum dass er bei ihr angekommen war, und als er erkannte, dass sie keine Unterwäsche trug, wurde er sogar noch wilder. Das war sie ja gewohnt. Schon als Sterbliche hatte sie so etwas über sich ergehen lassen müssen. Sie zerrte den braun Gebrannten zwischen zwei große Container, spielte einen Moment mit und nestelte seinen kleinen wild zuckenden Penis aus der Jeans. Sie kniete sich vor ihn, blickte in sein dunkles Gesicht mit dem Machogrinsen und zeigte ihm, wie Vampire es Sterblichen besorgten. Sie wettete, so hatte noch nie eine an seinem kleinen Willi gesaugt.

Als sie ihn zu Boden gleiten ließ, war er nicht tot, aber er würde morgen höllische Schmerzen an einer ganz empfindlichen Stelle haben, sich aber an nichts erinnern.

Steve kam mit seinem Opfer heraus. Sie beobachtete, wie er in seiner ungeschlachten Art der armen Frau fast den Kopf abriss, um von ihr zu trinken. Wie immer ließ er sie danach achtlos zu Boden fallen und wischte sich über den Mund. Er hatte nichts dazugelernt, obwohl alle im Haus es raffinierter anstellten. Sie verabscheute ihn. Er war unnötig brutal und einfach abstoßend, aber sie wusste, für das, was sie vorhatte, war er der Richtige. Obwohl er die kleine dunkelhaarige Vampirin in ihrem neuen Zuhause vögelte, hatte Trudy ihn mit ihren Reizen immer noch in der Hand. Sie schlenderte zu ihm und wiegte dabei betont die Hüften.

»Soll ich dir die Nächste besorgen?«, fragte sie ihn mit rauer Stimme und blieb dicht vor ihm stehen. Sie rieb ihre Brüste unauffällig an ihm, und das verfehlte, wie erwartet, nicht seine Wirkung. Sein berauschter Blick blieb auf ihrem tiefen Ausschnitt wie angeklebt hängen. »Oder willst du es mir mal wieder besorgen?«, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Dafür musste Trudy sich trotz ihrer hochhackigen Schuhe auf die Zehenspitzen stellen, und sie schob ihre Brüste dabei schön heraus. Er grunzte. Sie trat einen kleinen Schritt zurück und öffnete die Kette am tiefen Ausschnitt des Kleides. Mehr brauchte sie nicht tun. Steve packte sie und zerrte sie zum nächsten parkenden Auto, wo er sie auf der Motorhaube in gewohnter Rammelmanier nahm. Sie ließ ihn sich ordentlich verausgaben, damit sie danach bekam, was sie wollte. Es lief immer nach dem gleichen Schema ab, und sie wunderte sich, dass er es immer noch nicht begriffen hatte.

»Das ist so ein Scheißnest hier«, maulte Trudy, als seine Arme endlich kraftlos herabsanken. Sie hatte sich noch nicht wieder richtig angezogen und rekelte sich auf ihm. Er stierte sie so geil an, dass ihm eigentlich die Augen hätten ausfallen müssen. »Können wir nicht bitte wieder zurückfahren?«

»Dann müssen wir uns mit diesem alten Vampir abärgern.«

»Aber das ist doch für dich kein Problem.«

»Nee, ’türlich nich. Aber der is schon ganz schön stark.«

»Aber wenn wir etwas hätten, was er gern haben möchte …«

Steve begriff tatsächlich, worauf sie hinaus wollte. Zumindest teilweise. »Wir müssten ein Geschenk für den Wichser haben. Damit er sieht, dass wir uns nicht mit ihm anlegen wollen. Bringen wir ihm doch einfach ’ne Sterbliche mit oder zwei. Keine Ahnung, wie viel so ’n scheißalter Sack trinkt.«

»Gute Idee. Aber es sollte schon eine besondere Sterbliche sein.«

»Das ist doch wohl scheißegal. Blut ist Blut. Woher soll ’n wir denn wissen, auf was der steht?«

»Wir können ihn ja ein wenig beobachten, vielleicht hat er ja gerade ein Auge auf jemanden geworfen. Was meinst du?«

Steves Miene verfinsterte sich. »Nee, ich weiß nich. Er hat mich doch gesehen. Bestimmt erinnert er sich an mich … Warte mal. Dich hat er nicht gesehen. Wenn ich ihn dir beschreibe, kannst du ihn beobachten gehen.«

»Meinst du wirklich?«, fragte Trudy gespielt ängstlich.

»Das schaffst du schon. Immerhin hab ich dir doch alles beigebracht, was du als Vampir wissen musst«, antwortete Steve gönnerhaft und lächelte selbstzufrieden.

Innerlich verdrehte Trudy die Augen und wünschte ihn zur Hölle. Wo er hoffentlich bald landen würde. Einen Scheiß hatte er ihr beigebracht. Aber so konnte sie morgen ungestört losziehen, denn sie hatte von einem Straßenfest gehört und hoffte, den Alten dort ausfindig zu machen. Eines hatte sie bei ihren neuen Freunden gelernt: In großen Menschenmengen konnte man als Vampir viel leichter ungesehen herumlaufen als in einer Dorfdisco irgendwo im Nirgendwo.

 

*

 

Wie erwartet, hatte James eine schöne Penthousewohnung für mich gefunden, die ich, bevor ich zu Louisa gefahren war, kurz besichtigt hatte. Sie lag zentral, war sehr gemütlich und mit allem Komfort, den man sich wünschen konnte, ausgestattet. James hatte einige meiner Kunstgegenstände und sogar eine ordentliche Auswahl Kleidungsstücke und sonstiger Utensilien in kürzester Zeit dorthin geschafft. Dieser Mann war wirklich bemerkenswert.

Ich kam am Samstag überpünktlich bei Louisa an, klingelte und horchte ungeduldig auf ihre Schritte. Plötzlich wurde die Tür aufgezogen und sie kam heraus. Ich war wie erstarrt. Sie sah zauberhaft aus! Über einem hellen Kleid mit hübscher Spitzenverzierung am Saum trug sie eine kurze taillierte Jacke und hatte sich die Haare hochgesteckt. Eine rote Blume steckte neckisch hinter ihrem rechten Ohr. Mit dieser Hochsteckfrisur wirkte ihr Gesicht noch feiner. Sie sah aus wie ein zauberhafter Porzellanengel. Ich hob die Hände, um sie anzufassen, hielt mich aber im letzten Moment zurück. Plötzlich kam sie mit einem Ruck näher.

Es war nur die Tür, schrie irgendetwas in mir, doch ich umfasste bereits ihr wunderschönes Porzellangesicht und drückte – endlich! – meine Lippen auf ihre. Ganz vorsichtig, aus Angst, sie würde zerplatzen wie eine Seifenblase, wenn ich sie zu fest berührte. Sie legte ihre warmen Arme um mich, hielt mich fest und erwiderte meinen Kuss sofort. Ihr Kuss war eine Mischung aus Unschuld und hemmungsloser Leidenschaft. Ihre Lippen waren so weich und warm, und als sie mit ihrer Zunge in meinen Mund fuhr, stöhnte ich leise auf und hätte sie am liebsten fest an mich gedrückt. Aber ich hielt einfach nur ihr wunderschönes Gesicht in meinen Händen, spürte ihre Wärme und ihren pochenden Herzschlag und ließ mich von unserem Kuss fortreißen.

Ihr Aufkeuchen holte mich jedoch jäh zurück und rief mich zur Besinnung. Was machte ich denn da? Um Himmels willen! Ich versaute noch alles mit so einem Überfall! »Es tut mir leid … Ich wollte nicht …«, flüsterte ich, konnte aber nicht weitersprechen, als sie mich ansah.

Ich ließ die Arme sinken, spürte ihre warmen Hände wie von selbst in meine gleiten und hielt sie schnell fest. Wenn ich ihren zarten Körper schon nicht an mich drücken konnte, so wollte ich wenigstens ihre Hände halten. Sie senkte den Blick und strich mit ihrem Daumen über meine Finger. Ihre Berührung war so warm und zärtlich. Ihre graublauen Augen öffneten sich wieder.

»Deine Finger sind so kalt«, flüsterte sie. Etwas hatte sich in ihren Augen verändert. Ihr Blick war weicher, und sie wirkte verletzlicher als noch am Abend zuvor. Doch da war noch etwas anderes. Es hatte ihr gefallen. Mein überfallartiger Kuss hatte ihr gefallen!

»Louisa«, flüsterte ich ergriffen.

Ein kleines Lächeln umspielte ihre leicht geöffneten Lippen.

Ich führte ihre Hände an meinen Mund und küsste sie. »Eigentlich tut es mir nicht leid«, gestand ich leise. Sie lächelte noch immer, jetzt etwas scheuer und sah mich unverwandt an. Wenn ich bloß wüsste, was in deinem hübschen Kopf vorgeht. Ich drückte ihr noch einen letzten Kuss auf die Finger. »Ich wollte dich nicht so überrumpeln. Möchtest du noch mit mir zu dem Fest?«

»Natürlich.«

Ich lachte befreit auf. Ja, hätte ich ein lebendiges Herz gehabt, es wäre mit Sicherheit vorhin stehen geblieben. Noch einmal. Diese Frau würde mich noch ins Grab bringen! »Dann lass uns los!«

Ich führte sie an einer Hand zu meinem Auto. Dieses Mal hatte ich den Aston Martin genommen, damit James endlich Ruhe gab. Ich hielt ihr die Tür auf und lief ums Auto herum, um einzusteigen. Innerlich dankte ich meinem hartnäckigen Butler, denn der Wagen hatte ein Automatikgetriebe. So ergriff ich Louisas Hand, als ich meine wieder freihatte, und hielt sie die ganze Fahrt über fest. Sie verschränkte ihre zarten schmalen Finger mit meinen, und ich konnte kaum den Blick von ihr lassen. Sie hier neben mir, ihre warme Hand in meiner – gleich würde ich aufwachen und feststellen, dass ich träumte, und sie würde doch zerplatzen wie eine Seifenblase.

Plopp!

Nein, sie saß noch da, aber die unvermeidbare Frage nach meiner kalten Haut ließ nicht lange auf sich warten. Doch ich war vorbereitet. Wenn man so lange am Leben war wie ich, sei es nun auf die eine oder eine andere Weise, hatte man viel Zeit, sich Erklärungen für alles auszudenken, was an einem anders war. Das war auf den ersten Blick natürlich meine blasse und kalte Haut. Meine Augen verfärbten sich nur noch nach extremem Bluttrinken komplett rot, und für den schmalen roten Rand nach ein, zwei Menschenmahlzeiten hatte ich ja bereits eine Erklärung geliefert.

Woran hätte man noch erkennen können, dass ich ein Vampir war? An den Zähnen? Nein. Entgegen der weitläufigen Meinung konnte ich meine Eckzähne nicht wie kleine Dolche herausfahren, um sie zentimetertief in den Hals meiner Opfer zu schlagen. Meine Eckzähne waren von Natur aus eher spitz – zum Glück besaß ich sie noch, als ich zum Vampir wurde, was in der damaligen Zeit nicht immer der Fall war. Sie waren nur ein wenig größer geworden. Das reichte für gewöhnlich schon, um die Haut meiner Opfer für das köstliche Blut zu öffnen. Wenn man wusste, wo man zubeißen musste. Den Rest erledigte der allen Menschen und vor allem allen Vampiren angeborene Saugreflex.

Wenn Erklärungen nicht ausreichten, hatte ich meinen hypnotischen Vampirblick. Damit legte ich für gewöhnlich meine Opfer lahm, machte sie etwas williger. Es war heutzutage unerlässlich, dafür zu sorgen, dass man sich nicht von kreischenden und um sich schlagenden Opfern ernährte, die einem das Gesicht zerkratzten oder gar die Klamotten ruinierten. Um mein Gesicht machte ich mir dabei weniger Sorgen, meine Wunden heilten fast augenblicklich wieder. Aber mich nach jeder Mahlzeit umziehen zu müssen, war mir schlichtweg zu mühsam. Ich vergoss nie auch nur einen einzigen Tropfen Blut, wenn ich trank. Das Gleiche erwartete ich auch von meinen Opfern.

Aber Louisa wollte ich mir natürlich nicht einverleiben. Zumindest nicht auf die Vampirweise. Ich hatte auch nicht vor, auf ihrer mentalen Festplatte herumzuprogrammieren. Außer, es war unbedingt notwendig.

Es gab noch ein, zwei andere Eigenschaften, die mich ganz offensichtlich von den Sterblichen unterschied. Doch ich würde aufpassen. Ich wollte sie nicht belügen. Zumindest nicht lange. Irgendwann würde ich ihr erzählen, was ich war. Bald, nahm ich mir vor. Aber nicht heute Abend. Nicht ohne noch ihr Lachen genossen zu haben und nicht, ohne sie noch das eine oder andere Mal geküsst zu haben – wenn sie mich ließ.

Diese Frau war nicht so leicht zu beeindrucken. Denn obwohl sie meinen Kuss leidenschaftlich erwidert hatte, war sie während der Autofahrt wieder die harte Nuss, an der ich mir hoffentlich nicht meine Vampirzähne ausbeißen würde.

 

*

 

Dorian war mit einem ungeheuer teuer aussehenden mattschwarzen Auto gekommen. Er warf mir immer wieder unergründliche Blicke zu, während er ihn sicher und souverän lenkte. Es fühlte sich gut an, aber auch irgendwie ungewöhnlich. Oder ungewohnt? Als er mich vorhin küsste, nachdem ich die Tür in den Rücken bekommen hatte und ihm förmlich in die Arme geflogen war, war es wie eine Befreiung. Seine Lippen hatten sich genauso weich und sinnlich angefühlt, wie sie aussahen. Ich war zu feige gewesen, ihn nach oben kommen zu lassen, doch in dem Moment hatte ich ernsthaft überlegt, dieses Straßenfest in den Wind zu schießen und ihn stattdessen in meine Wohnung einzuladen. Jetzt war ich froh, mich auch das nicht getraut zu haben. »Deine Hand ist noch immer kalt«, stellte ich nach ein paar Minuten Fahrt fest und blickte auf unsere ineinander verflochtenen Finger.

Seine Finger waren lang und kräftig. Ich war nicht besonders braun, doch seine Haut war sogar noch heller. Fast weiß – und kalt.

»Ich hatte schon immer sehr niedrigen Blutdruck und deswegen Durchblutungsstörungen, deshalb ist meine Haut kälter als bei anderen.«

Die Antwort kam mir irgendwie einstudiert vor. Aber warum sollte er bei so etwas Banalem lügen?

»Du siehst übrigens wunderschön aus mit den hochgesteckten Haaren.«

Dorian trug seine Haare heute offen, und ich musste gestehen, dass es mir gefiel. Es passte zu ihm. Besser als zu vielen anderen Männern. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie er mit kurzen Haaren aussehen mochte. »Danke. Warst du schon öfter bei diesem Straßenfest?«

»Jedes Jahr. Ich liebe diese Musik. Sie klingt fröhlich und unbeschwert. Nach immerwährendem Sommer. Genau die richtige Musik zum Lachen und Tanzen.«

»Kannst du tanzen?« Meine Suche im Internet nach entsprechenden Tänzen war zwar erfolgreich gewesen, aber mir auf die Schnelle den einen oder anderen Schritt zu merken, war mir leider nicht gelungen.

»Nein, ich glaube, dafür bin ich … nicht beweglich genug«, antwortete Dorian lachend, »aber ich schau es mir gern an.«

»Dann sind wir schon zwei«, murmelte ich.

Dorian warf mir einen fragenden Blick zu.

»Ach, nichts.« Ich schwieg einen Moment, bis es zu einem unangenehmen Schweigen wurde. »Das ist ein schönes Auto.«

»Danke, ist ein Aston Martin«, erwiderte er nicht ohne Stolz.

»Aha.« Hoffentlich würde er jetzt nicht anfangen, mir etwas über PS und Zylinder und Spritverbrauch zu erzählen. Für mich war ein Auto nicht mehr als ein Fortbewegungsmittel, das möglichst praktisch sein sollte. »Sieht ziemlich teuer aus. Ist das deiner?«

»Denkst du, ich würde mir ein sündhaft teures Auto leihen, um dich zu beeindrucken?«

»Ist doch möglich«, erwiderte ich achselzuckend und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mir ein bisschen blöd vorkam. Das Auto sah so teuer aus, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass Leute so etwas tatsächlich kauften, um damit durch die Stadt zu fahren. Und dass ich einen dieser Leute kennengelernt hatte.

»Und? Hat’s geklappt?«

»Nein.«

Wir mussten an einer roten Ampel anhalten, und Dorian drehte sich zu mir. »Aber ich durfte dich trotzdem küssen«, sagte er leise und sah mich fest an, wobei seine Augen etwas dunkler schimmerten.

»Da hatte ich dein Auto ja noch nicht gesehen«, erwiderte ich ebenso leise und grinste ihn an.

Dorian lachte, bemerkte die bereits grüne Ampel und fuhr weiter. Ohne den Blick von der Straße zu wenden, hob er meine Hand an seine Lippen und küsste mich auf den Handrücken. »Ich hoffe, ich hab mir damit jetzt nicht alle Chancen auf eine Wiederholung verbaut?«

Ich zuckte nur mit den Schultern und schwieg, konnte mir aber ein Lächeln nicht verkneifen. Diesen verbalen Schlagabtausch hätte ich ewig weiterführen mögen, doch Dorian wurde langsamer und suchte offenbar nach einer passenden Parklücke.

»Ich befürchte, wir müssen etwas weiter weg parken«, sagte er und wendete das große Auto mühelos, um wieder zurückzufahren und in eine kleine Nebenstraße einzubiegen.

Wir hatten Glück. Jemand fuhr weg. Dorian parkte gekonnt ein, stieg aus und hielt mir die Tür auf. Er war so schnell auf meiner Seite angekommen, dass ich keine Zeit hatte, die Tür aufzumachen. Ich stutzte ein wenig. Vielleicht kam es mir nur so schnell vor?

Er holte sich gelassen eine Jacke vom Rücksitz und zog sie an. Am Tag war schönster Sonnenschein gewesen, doch mittlerweile hatte sich der Himmel zugezogen. Hoffentlich würde es nicht noch regnen.

Wir machten uns auf den Weg und hörten bald laute Musik und fröhliches Gelächter. Ich fühlte mich etwas angespannt, neben diesem großen, gut aussehenden Mann mit den schicken Klamotten herzulaufen. Er sah mich immer wieder lächelnd von der Seite an. Die Musik wurde lauter und immer mehr Menschen gesellten sich zu uns, die offenbar dasselbe Ziel hatten. Dorian griff nach meiner Hand. Ich entzog sie ihm nicht.

Wir bogen um eine Ecke und tauchten in eine fremde Welt ein. So kam es mir zumindest vor. Vor uns tat sich eine lange schmale Einbahnstraße auf, die mit unzähligen bunten Girlanden von einer Seite zur anderen reichend geschmückt war. Kleine Geschäfte wechselten sich mit Cafés, Bars und Wohnhäusern ab. Überall dazwischen waren fröhliche Menschen. Sie drängten sich zwischen den Geschäften, saßen an den Tischen, die vor den Cafés standen, und tummelten sich in den Bars, in denen laute Musik gespielt wurde. Die Straßenmitte schien den Tanzenden vorbehalten zu sein. Vor jeder Bar, aus der die Musik laut herausschallte, drängten sie sich windend und hüftschwingend.

Schnell wurden wir von einem Strom Fußgänger erfasst, der uns weiter in diese Welt aus Musik und Fröhlichkeit hineinführte. Die Ausgelassenheit der vielen meist südländisch aussehenden Menschen riss mich mühelos mit sich. Ich bekam fast das Gefühl, als wären wir nicht mehr in derselben Stadt. Es wurde getanzt und gelacht, viele sangen die portugiesischen und spanischen Texte mit, stießen laute Trinksprüche aus und umarmten und herzten sich. Es war fantastisch!

Ich klammerte mich an Dorian, als das Gedränge enger wurde. Er zog mich an seine Seite und legte den Arm um meine Schultern. Genau wie ich lächelte er und schien das bunte Treiben zu genießen. Es wurde noch enger, als wir an einem Café vorbei wollten, dessen Besitzer seine Tische und Stühle bis auf die Straße gebaut hatte. Dorian schob sich vor mich. Ich hielt mich an seiner Hand fest. Er navigierte uns so langsam durch den Pulk hindurch.

Plötzlich tauchte von links ein Tänzer auf, ein kleiner dunkelgelockter Mann mit einem offenen Lächeln, griff nach meiner Hand und wollte mich in die Mitte der Straße ziehen. Er sagte irgendetwas auf Spanisch, das ich nicht verstehen konnte. Ich zuckte lächelnd die Achseln und sah fragend zu Dorian auf. Er nickte mir auffordernd zu und ließ meine Hand los. Der Lockenkopf nahm nun auch meine andere Hand und zog mich hüftschwingend ein paar Schritte in die tanzenden Leiber, die bereitwillig Platz machten, hinein. Er legte einen Arm um meine Mitte und zog mich näher zu sich. »Mach einfach das, was ich mache«, rief er mir mit spanischem Akzent über die laute Musik hinweg zu und lachte.

Ich warf einen Blick zurück auf Dorian. Er stand unbeweglich wie ein Fels in dem sich an ihm vorbei schlängelnden und drängelnden Menschenstrom. Mein Tanzpartner wirbelte mich herum, sodass ich überrascht auflachte. Ich hatte keine Ahnung, was das für ein Tanz war, aber ich bemühte mich, so gut ich konnte, seiner Anweisung zu folgen und seine Bewegungen nachzuahmen.

Diese Art zu tanzen, die Hüfte zu schwingen und einem fremden Mann so nahe zu kommen, hatte etwas überraschend Erregendes. Die ganze Atmosphäre unter den Tänzern schien sinnlich und explosiv aufgeladen zu sein, doch es hatte nichts Sexuelles. Keine der Tänzer und Tänzerinnen fassten sich unsittlich an oder knutschten in eindeutiger Absicht herum. Es wurden Küsschen auf die Wangen verteilt, von beiderlei Geschlecht, viele Frauen wiegten mit geschlossenen Augen ihre Hüften, während die Männer lachten oder mitsangen. Es war eine aufreizend fröhliche Atmosphäre. Wie ein Vorspiel für Sex, den es niemals geben würde.

Mit einem Male sah ich Dorian in meiner Nähe. Offenbar hatte er sich ebenfalls nicht den Tänzern entziehen können. Eine dunkelhäutige Frau mit einem bunten Tuch um den Kopf hatte ihn in meine Nähe gezogen und tanzte mit ihm. Dafür, dass er behauptet hatte, er könne nicht tanzen, machte er sich ziemlich gut. Er schien die Schritte zu kennen, wirkte nur ein wenig steifer und vornehmer dabei. Er entdeckte mich, sagte seiner Tanzpartnerin etwas ins Ohr, die daraufhin zu mir herüberlächelte, und kam auf mich zu. Ich verabschiedete mich ebenfalls von dem Dunkelgelockten und bekam zum Abschied einen dicken Kuss auf die Wange gedrückt.

Dorian stand bereits vor mir und nahm zurückhaltend meine Hand. Ich spürte seine andere Hand im Rücken, die mich behutsam näher an ihn heranzog. Er tanzte anders als mein südländischer Tanzpartner, dem das Tanzen wahrscheinlich in die Wiege gelegt worden war. Aber Dorians Art zu tanzen wirkte um ein Vielfaches betörender auf mich. Wir wiegten uns hin und her und vor und zurück, er wirbelte mich herum und fing mich lachend wieder auf. Es war aufregend, ihm so nah zu sein.

Wir befanden uns schon längst nicht mehr vor dem Café, sondern hatten uns mit der Menge weitertreiben lassen, tiefer hinein in diese tanzende und singende Welt. Mit einem Male wurde die Musik etwas langsamer und Ruhe kehrte ein. Ich wusste nicht, wie lange wir getanzt hatten. Ich war ziemlich aus der Puste und sah viele schweißglänzende Gesichter um mich herum. Dorian wirkte so frisch wie immer. Er zog mich sanft näher zu sich heran, sodass sich unsere Körper berührten, was mein Herz noch höher schlagen ließ. Ich wollte meine Hände in seinem Nacken verschränken und musste sie dafür unter seine Haare schieben. Ohne groß darüber nachzudenken, griff ich hinein. Sie waren erstaunlich weich. Ich lehnte die Wange auf seine Brust und genoss seinen einzigartigen herbsüßen Duft. Er atmete ruhig, während mein Herz raste wie nach einem schnellen Sprint. Er wiegte uns im Takt der Musik hin und her, wurde aber langsamer, bis wir in diese Umarmung versunken stehen blieben und einfach die Nähe des anderen genossen.

Hatte ich davon nicht insgeheim geträumt? Ihm so nahe zu sein? In seine langen Haare zu greifen, fühlte sich so gut an, dass ich nicht mehr nachvollziehen konnte, warum ich Männer mit langen Haaren nicht gemocht hatte. Dorian richtete sich auf und sah mich an. Ich sah ihn ebenfalls an und küsste ihn einfach. Es war nur ein kleiner schneller Kuss, doch was er in mir entfachte, war etwas sehr viel Größeres.

 

*

 

Louisa sah so bezaubernd aus, als sie mit diesem anderen Mann tanzte. Ich hatte sie nur widerwillig gehen lassen, aber ich wollte, dass sie die wahre Atmosphäre dieses Festes kennenlernte, die mitten unter den ausgelassenen Tänzern herrschte. Außerdem konnte ich sie so in Ruhe betrachten. Ihr Rock wiegte sich ebenso aufreizend hin und her wie sie. Sie passte sich perfekt an ihren Tanzpartner an, als hätte sie nie anders getanzt. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und unschuldig-lasziv, was auf mich eine unerwartete Wirkung hatte. Ich wollte sie, begehrte sie mehr als jede andere Frau zuvor. Ihre Wangen glühten und machten sie noch schöner. Vor allem, als sie sich lachend zu mir umdrehte. Ich hätte sie Stunden beobachten können.

Die vergangenen Jahre war ich mittendrin gewesen, und es war ungewohnt, jetzt am Rand zu stehen, aber die Aussicht war um ein Vielfaches besser und berauschte mich weit mehr, als jeder heimlich gestohlene Tropfen Blut es jemals gekonnt hätte. Dennoch ließ ich mich nach einiger Zeit von einer dunkelhäutigen Schönheit ins Getümmel ziehen, um zu tanzen und um zu Louisa zu gelangen. Ich wollte Louisa nicht mehr nur ansehen, ich wollte mit ihr tanzen, sie berühren, sie ganz nah bei mir haben.

Ein alarmierender Geruch, den ich vor kurzer Zeit schon wahrgenommen hatte und von dem ich dachte, er wäre samt seiner Besitzer aus meiner Stadt verschwunden, stieg mir in die Nase. Es war die Vampirin, die mit dem blonden Frischling im R7 gewesen war. Ich konnte sie deutlich riechen. Wie jeder Mensch hatte auch jeder Vampir seine ganz persönliche Note, und es war nicht schwer für meine feine Nase, die Unterschiede zu erkennen. Instinktiv drückte ich Louisa fester an mich und versuchte, diese Vampirschlampe auszumachen. Wenn ich sie spüren konnte, würde ich ihr zeigen, wer hier das Sagen hatte. Ich würde ihr meine Vampirmagie durch den untoten Leib schicken, ohne sie überhaupt anfassen zu müssen. Überrascht musste ich feststellen, dass es mir schwerfiel, mich in Louisas Gegenwart darauf zu konzentrieren.

Diese Frau umnebelte im wahrsten Sinne des Wortes meine Sinne. Ich riss mich zusammen und versuchte, die Vampirin zu finden. Ich folgte mit meinen mentalen Fühlern ihrem Geruch, doch sie musste mich bereits bemerkt haben, denn er wurde immer schwächer und verflüchtigte sich schließlich. Diesem Vampirproblem musste ich unbedingt auf den Grund gehen. Was fiel diesen Schwächlingen ein, sich immer noch hier herumzutreiben?

Ich kehrte zurück zu der Frau in meinen Armen und küsste sie gedankenverloren auf den Scheitel. Selbst ihre Haare rochen köstlich. Sie hatte ihre Hände in meinem Nacken, strich mir zärtlich durch die Haare und wandte mir ihren verträumten Blick zu. Ein kleines Runzeln huschte über ihre Stirn, und ich fragte mich zum wiederholten Male, was in ihrem Kopf vor sich ging, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und mir einen zarten, warmen Kuss auf die Lippen drückte.

Ich war völlig perplex. Das hatte ich nicht erwartet. Sollte ich es etwa geschafft haben? Hatte ich sie tatsächlich erobern können? Ohne Vampirmagie?

Der Wind frischte auf und zerrte an einigen ihrer Haarsträhnen, die sich aus der Hochsteckfrisur gelöst hatten. Sie lächelte, dass es einen Eisberg zum Schmelzen gebracht hätte, und war unglaublich schön. Aus dem schlichten Entlein war ein wunderschöner Schwan geworden.

Um uns herum war es ruhiger geworden. Offenbar war es später, als ich gedacht hatte. Viele der Straßenfestbesucher zerstreuten sich langsam in die umliegenden Bars und Kneipen oder nach Hause. Louisa ließ mich los und rieb sich die Oberarme. »Mir ist ein bisschen kalt geworden.«

Ich zog meine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern.

»Nun wirst du frieren«, wollte sie meine ritterliche Geste abwehren, doch ich schüttelte den Kopf.

»Nein, mir ist warm. Behalt sie an, bis wir einen Platz in einer Bar gefunden haben, okay?«

Sie nickte und zog meine Jacke enger um sich.

Als ich sie wieder in die Arme nehmen wollte, fing es so plötzlich an, zu regnen, als wäre der Himmel aufgeplatzt. Ich schaute nach oben. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Louisa quietschte überrascht auf und flitzte los, dass ich kaum hinterher gekommen wäre, wäre ich ein Sterblicher gewesen. Wir liefen an einer Kneipe vorbei, die hoffnungslos überfüllt war, und drängelten uns zu anderen wasserscheuen Straßenfestbesuchern unter eine Markise. Dicke Tropfen hatten sich zu einem Platzregen zusammengetan, der uns innerhalb kürzester Zeit durchnässte. Louisa lachte und gab mir meine Jacke wieder zurück.

»Du hättest sie doch anbehalten sollen«, sagte sie und versuchte, ihre klatschnassen Haare in Form zu bringen. »Oh, ich hab wohl meine Haarspange mit der Blume verloren.«

Das Gedränge unter der Markise wurde immer schlimmer.

»Lass uns von hier verschwinden«, schlug ich vor und zog mir meine Jacke wieder an.

Ich hob eine Seite an und bedeutete Louisa, darunter zu schlüpfen, was sie auch tat. Wir liefen im Gleichschritt die Straße hinunter, wobei sie sich mit beiden Armen an mich klammerte, und verlangsamten an der Ecke unseren Schritt wieder, weil wir eh schon völlig durchnässt waren. Leider ließ sie mich wieder los. Ach, welch allzu schnell vergangener Hochgenuss!

Als wir beim Auto ankamen, hatte der Regen nachgelassen und hörte schließlich auf, kaum dass ich den Motor startete. Perfektes Timing. Ich drehte die Heizung, vor allem Louisas Sitzheizung, auf höchste Stufe und fuhr los. »Möchtest du noch mit zu mir kommen? Meine Zweitwohnung ist nicht weit weg. Und da könntest du dich ein bisschen aufwärmen«, schlug ich todesmutig vor und warf ihr einen Blick zu. »Und abtrocknen.«

Ich hoffte inständig, damit nicht irgendwelche Grenzen überschritten zu haben. Vielleicht wollte sie lieber nach Hause und sich etwas Trockenes anziehen? Wobei ihr Kleid nicht so viel abbekommen hatte wie mein Hemd, das ziemlich nass war. Aber das störte mich nicht.

Sie sah mich forschend an, als suchte sie in meinem Gesicht nach der Antwort auf eine Frage, die sie nicht gestellt hatte. »In Ordnung«, sagte sie und blickte wieder nach vorn.

Offenbar hatte sie das Richtige in meinem Gesicht gefunden.

 

*

 

Dorians Wohnung war gigantisch. Wir fuhren von der Tiefgarage aus in einem noblen verspiegelten Fahrstuhl, für den er einen Schlüssel brauchte, bis in den achten Stock. Die Fahrstuhltür glitt auf, und vor uns tat sich ein Vorflur auf, der an sich schon so groß war wie meine komplette Wohnung. Dorian nahm mir meine Jacke ab und führte mich durch eine geöffnete Flügeltür.

Wir traten in einen großen Wohnraum in L-Form, wobei sich an dem schmalen Ende eine moderne Küche mit hohem Tresen befand. Die größere Fläche beherbergte den Wohnbereich, der mit edlen Ledermöbeln und Designer Tischchen und Schränkchen eingerichtet war. Der Boden war mit dickem Teppich ausgelegt, der beim Gehen jedes Geräusch verschluckte und ein wenig nachfederte. Ein riesiger Fernseher und eine supermoderne Dolby-Surround-Anlage beherrschten einen Teil der Wand zu unserer Rechten. An den übrigen Wänden waren teuer aussehende Gemälde in hübschen Rahmen mit kleinen Leuchten darüber angebracht. Das Licht aus den zahlreichen Lampen, die überall im Wohnraum verteilt waren, war gedämpft und verbreitete eine wohlige Atmosphäre. Die Außenwände dieser Luxuswohnung waren verglast und die Aussicht fantastisch. Man konnte über die ganze Stadt blicken – ohne gesehen zu werden, wie ich an den getönten Scheiben erkennen konnte.

Ich löste die Spangen aus meinen Haaren, legte sie auf das Tischchen neben mir, und schüttelte meine Haare aus, um sie mit dem Handtuch etwas abzutrocknen, das Dorian mir gebracht hatte, bevor er verschwand, um sich etwas Trockenes anzuziehen.

»Wow, das ist echt eine Wahnsinnsaussicht hier.« Ich sah ihn in der Spiegelung des dunklen Fensters, wie er auf mich zukam.

Er hatte sich ein neues Hemd angezogen, es aber noch nicht zugeknöpft. Beim Anblick seiner blassen Brust und dem festen flachen Bauch schlug mein Herz höher.

»Das stimmt«, erwiderte er leise, den Blick fest auf mein Spiegelbild geheftet.

Er stellte sich dicht hinter mich, nahm mir das Handtuch behutsam aus der Hand und tupfte meine Haare ab. Seine Berührungen waren sanft, und er sah mich dabei an. Er ließ das Handtuch zu Boden gleiten, nahm meine Haare beiseite und küsste mich auf den Hals. Die kühle Berührung seiner weichen Lippen hinterließ ein angenehmes Kribbeln. Ich schloss genüsslich die Augen, als er mir über die Arme streichelte. Es war so schön, dass ich einfach stillhielt und es genoss. Ich fühlte mich in keiner Weise bedroht von ihm, denn ich spürte, er würde nichts tun, was ich nicht wollte. Nein, er würde mich nicht an die Wand drücken und grob zu mir werden – wie Mick es getan hatte. Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte leicht den Kopf, um die Gedanken an Mick aus meinem Kopf zu vertreiben. Daran wollte ich nie wieder denken.

Dorian ließ mich los. »Alles in Ordnung?«

Seine raue Stimme ließ mir einen wohligen Schauder über den Rücken laufen. »Ja.« Es war alles in Ordnung, sah man mal von dem Aufruhr ab, den Dorians Nähe in meinem Inneren auslöste. Ich drehte mich zu ihm um und starrte auf das offene Hemd und seine bleiche Haut darunter.

»Soll ich dich lieber nach Hause fahren?« Wieder diese Stimme. Sanft, liebevoll und eine Spur zaghaft.

»Nein.« Ich hob meine Hände und schob das Hemd langsam auseinander und über seine Schultern. Es glitt ungehindert zu Boden, und ich küsste seine nackte Brust. Sie fühlte sich hart und kalt an. Ich fuhr seine Arme hoch und genoss das Gefühl seiner festen Muskeln. Mein Blick wanderte über seinen Hals zu seinen sinnlichen Lippen und blieb an seinen wunderschönen grünen Augen hängen. Sein Blick war voll Wärme und – Liebe? Nein, das konnte mit Sicherheit nicht sein.

Er beugte sich vor und küsste mich. Von da an konnte ich nicht mehr denken. Sein Kuss riss mich einfach fort. Das Haus hätte einstürzen können. Wenn er mich nur weiter geküsst hätte, mir wäre es egal gewesen. Ich erwiderte seinen Kuss und griff in seine feuchten Haare. Er presste mich fest an sich. Ich spürte seinen Körper und seinen heftigen Atem durch mein dünnes Kleid hindurch. Es raubte mir den Atem. Er hob mich hoch und ging mit großen Schritten auf eine weitere Flügeltür zu. Ich hielt mich an ihm fest und musste lachen, als er versuchte, mit der Hand, die er hinter meinem Rücken hatte, die Tür zu öffnen. Ich half ihm grinsend. Mit einem dankbaren Lächeln gab er mir einen Kuss auf die Stirn und stieß die Tür mit dem Fuß auf.

Behutsam stellte er mich neben einem breiten Bett ab und sah mich fragend an. Er signalisierte mir damit, dass wir jederzeit aufhören konnten. Ich hatte nicht vor, jetzt aufzuhören und küsste ihn stürmisch. Küssend entledigten wir uns unserer Klamotten und sanken in das weiche, duftende Bett.

»Du fühlst dich so kalt an«, flüsterte ich und streichelte Dorian über den Rücken, wo ich jeden einzelnen Muskel fühlen konnte. Zu gern hätte ich einen Spiegel über uns gehabt, um mir das Muskelspiel anzusehen.

»Mach dir keine Gedanken mehr über meine kalte Haut«, flüsterte er und sah mir fest in die Augen. »Louisa. Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen. Und dabei habe ich so lange gesucht. So viele Jahrzehnte …«

Bei den letzten Worten war ich mir nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte, weil seine kühlen Lippen über meine Haut wanderten und bei meiner Brust angekommen waren, was mich wohlig aufstöhnen ließ.

»Willst du das wirklich?«

Ich erwiderte seinen Blick und nickte. Noch nie war ich mir einer Sache so sicher gewesen. Er lächelte glücklich und griff neben sich auf den Nachttisch, von wo er ein Kondom aus der Schublade holte. Ich musste grinsen. Nicht gerade romantisch, aber es sprach auf jeden Fall für ihn, dass er sich um Verhütung kümmerte, anstatt es einfach der Frau zu überlassen. Könnte aber auch bedeuten, dass er das hier öfter machte, aber das war mir in dem Moment egal, und ich schob diesen Gedanken schnell beiseite.

Er war wieder über mir, als wäre nichts gewesen, und streichelte mit einer Hand über meine Wange. Er schien noch etwas sagen zu wollen, küsste mich jedoch stattdessen. Ich spürte sein Gewicht auf mir und konnte kaum atmen, weil mir das Herz bis zum Hals schlug. Als er sich aufrichtete, um sich zwischen meine Beine zu legen, fielen ihm die Haare wirr ins Gesicht. Mir stockte der Atem. Er sah so unmenschlich aus mit seiner weißen Haut und den blitzenden Augen, die mit einem Male viel dunkler erschienen. Ehe ich mich weiter darüber wundern konnte, drang er in mich ein und löschte damit jeden Gedanken aus.

Es war wie ein kalter, berauschender Stromschlag und verschlug mir augenblicklich den Atem. Ich klammerte mich an ihn und drängte ihm meine Hüften entgegen, damit er ja nicht aufhörte. Er küsste mich wieder mit diesen unglaublich weichen Lippen, was meinen Atem derart beschleunigte, dass ich glaubte, mein Herz müsste jeden Moment zerspringen. Es war so unbeschreiblich aufregend, ihn in mir zu spüren. Mein Körper kribbelte und verlangte augenblicklich nach mehr. Immer wieder flüsterte er meinen Namen, während er mich küsste und sich vorsichtig und doch kraftvoll in mir bewegte.

Dorian schien genau zu spüren, was mir gefiel, und bewies eine erstaunliche Ausdauer. Wir wechselten mehrmals die Stellung und konnten nicht genug voneinander bekommen. Als hätten wir einiges nachzuholen. Bei mir stimmte das ja auch, aber bei Dorian konnte ich mir das nicht vorstellen. Er war der beste Liebhaber, den ich jemals hatte und das wird man ja nicht über Nacht.

Ich konnte nicht mehr leugnen, dass ich mich, mal abgesehen vom Körperlichen, sehr von ihm angezogen fühlte. Mein Herz schlug nicht nur so hoch, weil er mich erregte wie kein anderer. Ich fühlte mich wohl bei ihm – und sicher. Und auch das war bei mir lange her.

 

*

 

Es war überwältigend, mit Louisa zusammen zu sein. Sie hatte so weiche Haut und war so begehrenswert, dass ich nicht aufhören konnte, sie anzufassen und überall zu küssen. Ich liebte sie mit jeder Faser meines Körpers. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mit meinen geschärften Sinnen nahm ich jede Berührung unserer Haut und jede Liebkosung ihrerseits viel intensiver wahr. Ihren warmen Körper unter meinem zu spüren, ihn an mich gedrückt zu halten, versetzte mich in einen alles übertreffenden Rausch, und der Vampir kam einen Moment in mir durch. Sie vor Verzücken stöhnen zu hören, ihre fordernden Bewegungen unter mir zu spüren, raubte mir fast den Verstand.

Dennoch hielt ich mich zurück und achtete auf das, was sie wollte. Ich wollte unbedingt, dass es ihr gefiel und sie sich gut dabei fühlte. Wenn Frauen sich Abend für Abend in solche Hochsicherheitstrakte einschlossen, konnte ein Grund dafür sein, dass sie sexuell belästigt worden waren. Natürlich wusste ich es nicht, und ich hoffte, dass es nicht so war, aber ich wollte behutsam vorgehen. Ich hätte jederzeit aufgehört, wenn ich auch nur ansatzweise gespürt hätte, dass es ihr nicht gefiel. Zum Glück brauchte ich das nicht.

Es war ein unvergleichliches Erlebnis, mit der Frau zu schlafen, die ich liebte. Ich wusste nicht, wann mir die Erkenntnis kam, dass sie mein Herz erobert hatte. Als sie in dieser, meiner neuen Wohnung stand, ihre dunkle Mähne ausschüttelte und mich durch die Spiegelung im Fenster anlächelte, da wusste ich, dass ich ihr bereits hoffnungslos verfallen war, und dass ich alles für sie tun würde. Wenn sie es wollte.

Als Vampir hatte ich mich noch nie wirklich verliebt. Ich war oft fasziniert und angetan von jemandem, aber verliebt? Nein. Dennoch war ich kein jungfräulicher Vampir. Ich hatte all die Orgien und Sexspielchen der anderen Vampire mitgespielt, die ich jetzt so verabscheute. Vielleicht verabscheute ich sie genau deshalb? Wenn ich mit einer Sterblichen intim werden wollte, ohne dass sie sich mit Händen und Füßen wehrte und kreischte, sodass ich noch Stunden später ein Klingeln in meinen sensiblen Ohren hatte, musste ich sie mental lahmlegen, sie willenlos machen. Tja, das war allenfalls amüsant, aber nicht das, was ich mir vorgestellt hatte.

Louisa war die erste Frau, die sich mir hingab, ohne zu wissen, was ich war, und ohne dass ich meine Vampirmagie hatte spielen lassen müssen. Sie war sinnlich und leidenschaftlich, schien sich aber dennoch zu beherrschen, als traute sie sich nicht, sich völlig hinzugeben. Zu wissen, dass es noch mehr aus ihr herauszukitzeln gab, spornte mich zu Höchstleistungen an. Ich hätte stundenlang mit ihr schlafen können, aber ich war ein Vampir und sie nur eine zarte Sterbliche.

Irgendwann schlief sie erschöpft in meinen Armen ein. Ich hielt sie eine Zeit lang fest, streichelte ihr über die Wange und genoss das Kitzeln ihrer Haare in meinem Gesicht. Ich war glücklich. Zum ersten Mal seit ungezählten Jahrzehnten war ich wirklich glücklich. Es war ein tiefreichendes, ungemein befriedigendes Gefühl, das nichts mit dem Beischlaf zu tun hatte. Hatte ich tatsächlich gefunden, was ich so lange gesucht hatte?

Vorsichtig stand ich auf und beseitigte die verräterischen Hinterlassenschaften unseres Beisammenseins. Natürlich war ich über Verhütungsmethoden im Bilde. Ich ging nicht davon aus, Kinder zeugen zu können, und eine Krankheit würde ich weder übertragen noch bekommen können. Doch dieses stets aktuelle Thema war Bestandteil meiner bis ins kleinste Detail ausgedachten Fassade der Menschlichkeit, über das ich mir Gedanken gemacht hatte. Ich hatte all diese Maßnahmen noch nie ausprobiert, weil ich ja mehr oder weniger freiwillig seit einiger Zeit abstinent lebte, aber man musste auf alles vorbereitet sein. Ich hatte ja auch ein Bett, in dem ich nie schlief, und eine Küche, in der ich nie aß.

Unangenehmerweise war es so, dass sich unsere Körperflüssigkeiten zu einem großen Teil aus dem Blut zusammensetzten, das wir tranken und das war ja für gewöhnlich rot. Meine Tränen waren nicht blutig, aber sie waren auch nicht so klar, wie sie sein sollten, um noch als Sterblicher durchzugehen. Ebenso mein Speichel und, na ja, andere Sekrete.

Ich musste mir eingestehen, dass ich ein wenig geschummelt hatte. Natürlich fiel ihr auf, dass alles an mir so kalt war wie meine Hände und dass das kaum an einem niedrigen Blutdruck liegen konnte. Wobei ich fand, dass ich damit nicht ganz gelogen hatte. Aber als ich ihr sagte, sie sollte sich keine Gedanken darüber machen, hatte ich möglicherweise aus Versehen ein ganz klein wenig meine Vampirmagie spielen lassen … Gottverdammt! Ich hatte gemogelt. Mit voller Absicht! Ich wollte nicht, dass es schon wieder zu Ende war. Es war einfach zu schön gewesen! Vampir hin oder her – ich war schließlich auch nur ein Mann.

Da lag sie nun, wie eine zerbrechliche, wunderschöne Porzellanpuppe – und hatte gerade, ohne es zu wissen, Sex mit einem Vampir gehabt. Ich deckte sie sorgfältig zu und legte mich wieder zu ihr. An ihren Rücken mit dem Engel. Wie sie da lag, auf der Seite, ein Bein leicht angewinkelt, sah es aus, als hätte der Engel nicht die Hand zur Faust geballt, sondern sie ihr beschützend auf die Taille gelegt und sie damit hinter sich geschoben.

Ich zog ihr die Decke über die Schultern und ließ mich ins Kissen sinken. Hatte ich sie endlich gefunden. Die Frau, die mich so genommen hatte, wie ich war. Ach, nein, ich Mistkerl hatte geschummelt. Ich musste ihr erzählen, was ich war. Darum kam ich nicht herum. Doch wie sollte ich es anstellen? Wie nur?

 

*

 

»Danke«, flüsterte Trudy. Sie lächelte und nahm die Blumenhaarklammer entgegen. »Hier sind deine fünf Mäuse.«

Sie gab dem Kleinen sein Geld. Er trollte sich und verschwand in Richtung der Musik. Das Fest war noch immer im vollen Gange, aber sie musste weg. Er hatte Trudy bereits bemerkt, der Alte, doch sie hatte, was sie brauchte. Es war erstaunlich, wie gut ihre Augen geworden waren. Sie hatte, seit sie auf dem Straßenfest angekommen war, ein komisches Gefühl gehabt. Ein unerklärliches Kribbeln unter der Haut. Doch es war wie immer. Sie konnte nichts damit anfangen. Bis sie ihn, den alten Vampir, in einiger Entfernung mitten im Gedränge sah. Sie konnte nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschen, aber sie erkannte ihn trotzdem. Trudy wusste einfach, dass er der Vampir war. Sie hatte keine Ahnung, woher, aber sie war sich hundertprozentig sicher. Er hatte diese Sterbliche bei sich, die Trudy schon kurz in der Disco gesehen hatte. Er hing also noch immer an dieser farblosen Schlampe. Sie freute sich innerlich. Schnell hatte sie sich zurückgezogen, bevor er sie bemerkt hatte. O ja, sie war viel schneller als sonst. Dem Russen sei Dank.

Trudy drehte die künstliche Blume in der Hand hin und her und hob sie an die Nase. Der Geruch der Sterblichen haftete deutlich an ihr. So würde sie sie finden. Hoffte sie zumindest. Sie konnte so viele unterschiedliche Düfte ausmachen, dass sie sich nicht sicher war, ob sie einem einzigen davon folgen konnte, aber einen Versuch war es wert.

Als es zu regnen anfing, steckte sie die Blume in ihren Stiefelschaft, damit sie nicht nass wurde und sich der Geruch womöglich herauswusch. Sie hatte keine Jacke dabei und klaute sich eine aus einer der überfüllten Bars. Es war ein langer brauner Trenchcoat, vermutlich Größe XL, denn sie konnte sich komplett in ihn einwickeln. Schnell, aber ohne Aufsehen zu erregen, huschte Trudy ungesehen durch die Straßen. Verflixt, hier sah alles gleich aus. Sie konnte sich nicht erinnern, wo sie das Auto geparkt hatte. Plötzlich sah sie ihn wieder. Den Alten. Sie hatte ihn nicht gerochen oder gespürt. Musste am Regen liegen. Schnell verschwand sie in einem Hauseingang und warf einen vorsichtigen Blick um die Ecke. Er und die Sterbliche stiegen in ein teures Auto und fuhren davon. Verdammte Kacke, er war nicht nur alt, er musste auch reich sein. Außer es war ein Mietwagen, obgleich sie das nicht glaubte.

Das machte es noch interessanter. Sie war es leid, in heruntergekommenen Vorstadthäusern oder Abrissbuden zu hausen. Sie hätte sich auch gern viele schöne Kleider zugelegt und Schmuck und Schuhe. Sie und Steve bewegten sich immer am Rande der Gesellschaft. Tja, auch als Vampir war sie nicht weitergekommen als als Sterbliche. Bevor sie Steve begegnet war, war ihr Leben eintönig und von Frust und Pein geprägt. Ihre Mutter war eine Trinkerin, und ihr Vater hatte sie und Trudy schon verlassen, als Trudy noch klein gewesen war. Sie lebten ärmlich, und obwohl Trudy wusste, dass ihre Mutter sich dafür schämte, war sie nicht in der Lage gewesen, etwas daran zu ändern. Sie war eine willensschwache, naive Person, die auf die falschen Männer hereinfiel. Männer, die sie um ihr Geld betrogen, und als sie keines mehr hatte, sie schlecht behandelten und auf andere Weise ausnutzten. Trudy hatte sich nach Kräften bemüht, in der Schule gute Noten zu bekommen und schon als Teenager gemerkt, dass sie dafür nicht zwangsläufig gute Arbeiten abliefern musste. Sie war früh in die Pubertät gekommen, wie sie auch früh die Verantwortung für ihre Mutter übernehmen musste, die sich vor Scham eigentlich täglich betrank. Im Gegensatz zu ihren Mitschülerinnen schämte sie sich nicht ihrer neuen Kurven, sondern zeigte sie offen. Das blieb weder den Lehrern noch dem Rektor verborgen. Letzterer war jedoch nicht so erfreut darüber und sorgte sehr bald dafür, dass sie von der Schule flog.

Von da an arbeitete sie nicht nur am Nachmittag in einem Fast-Food-Laden, sondern übernahm auch mehrere Spätschichten. Sie blieb häufig bis Ladenschluss und ließ sich von dem Manager des Ladens nach Hause bringen. Der verlangte bald eine Gegenleistung dafür und holte sie sich mit Gewalt. Sie war gerade mal fünfzehn, doch das kümmerte den fetten Kerl nicht.

Mit ihrer Mutter, die wieder betrunken auf dem Sofa lag, als sie geschunden und ängstlich nach Hause gekommen war, konnte sie nicht darüber reden. Freundinnen hatte sie keine, weil sie sich für ihr Zuhause schämte und niemanden mit hinnehmen wollte. Da sie und ihre Mutter jedoch das Geld brauchten, das sie in dem Imbiss verdiente, ging sie am nächsten Tag wieder zur Arbeit und ließ sich auch wieder von dem Manager nach Hause fahren.

Als sich der neue Freund ihrer Mutter immer häufiger in ihr Kinderzimmer stahl, nachdem ihre Mutter eingeschlafen war, begann Trudy, sich damit abzufinden. Es hatte keinen Sinn, ihrer Unschuld nachzuweinen. Sie versuchte, es nicht zu nah an sich herankommen zu lassen und Spaß dabei zu empfinden. Was sie schnell und schmerzhaft lernte, war, je mehr sie sich wehrte, umso schlimmer wurde es. So ließ sie es geschehen. Jedes Mal. Kaum war sie volljährig, setzte sie ihre Reize gezielt ein und hoffte, irgendwann jemanden zu treffen, der mehr als Brüste und eine Vagina in ihr sah.

Das hatte sie bei Steve gehofft. Er hatte sie zwar lüstern angesehen, sich aber nett mit ihr unterhalten. Er hatte ihr Drinks spendiert und ihr versprochen, er würde sie mitnehmen. Steve kam selbst aus schlechtem Elternhaus und war dabei, die Welt zu entdecken, wie er es nannte. Trudy war sofort fasziniert von der Vorstellung, ein Road-Trip-Leben zu führen mit einem Mann, der sich um sie kümmerte und sie liebte. Es kam alles anders. Besser, wie Trudy mittlerweile fand. Und es würde noch besser werden, wenn sie den Alten auf ihrer Seite hatte.

 

*

 

Ich musste eingeschlafen sein, denn ich erwachte zugedeckt. Es war so unglaublich schön mit Dorian gewesen, dass ich ihn noch in mir spüren konnte, wenn ich die Augen schloss. Was für eine wunderbare Nacht! Ich drehte mich um. Dorian lag auf dem Rücken neben mir und schlief. Er sah so gut aus! Dieses hübsche Gesicht und dann die festen Muskeln. Leise stand ich auf, um ihn nicht zu wecken. Ich blickte mich um und sammelte dabei meine Kleidung zusammen.

Diese Wohnung war riesig, und alle Möbelstücke sahen unglaublich teuer aus. Wie im Fernsehen bei einer dieser »Reich und schön«-Sendungen. Auch das Badezimmer war riesig im Vergleich zu meinem, hatte eine Eckbadewanne und eine separate große Dusche, in der bequem mehr als zwei Leute Platz gehabt hätten, und zwei blank polierte Waschbecken. Ich wusch mir die Hände mit einer Seife, die sich zart wie Butter anfühlte. DF stand darin eingeprägt. Vielleicht seine Initialen? Dorian …? Ich trocknete mir die Hände in einem weichen Handtuch ab, auf dem das gleiche Monogramm prangte, und sah in den Spiegel.

Was tat ich hier eigentlich? Herrgott, was war bloß in mich gefahren? Ich hatte mit einem Mann geschlafen, den ich nicht kannte. Und diese Wohnung. Sie war Luxus pur, sie strotzte vor Geld. Genau wie das Auto, das Dorian fuhr. Ich sah mich im Spiegel, ein Kind aus der Mittelschicht mit einer im Gegensatz zu hier winzigen Wohnung, einem mittelmäßigen Job bei einer kleinen Firma und einer Paranoia so groß wie Frankreich. Ich passte hier genauso wenig hin, wie ein Schneemann auf eine Südseeinsel. Dorian lebte in einer ganz anderen Welt. Nein, das hier war eine Nummer zu groß für mich. Dorian war eine Nummer zu groß für mich. Er war gut aussehend, reich, gebildet und irgendwie anders als die Männer, die ich normalerweise traf. Das würde nicht gut gehen. Das passte einfach nicht zusammen.

Schnell zog ich mich an. Wenn ich Glück hatte, schlief er noch. Ich könnte einfach in mein mittelmäßiges Zuhause schlüpfen und das alles hier vergessen. Vielleicht würde ich ihm eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht war ihm das auch völlig egal. Ich öffnete leise die Tür und trat wieder ins Schlafzimmer. Leider hatte ich kein Glück. Das Bett war leer, und ich fand Dorian im überdimensionierten Luxuswohnzimmer. Er trug einen Seidenmorgenmantel, den er nur nachlässig zugebunden hatte, und lächelte mich an. Er sah so umwerfend aus, dass mir für einen Moment die Luft wegblieb. Dorian fügte sich perfekt in diese Umgebung, seine Umgebung, ein, dass ich noch mehr das Gefühl bekam, hier nicht herzugehören. Schnell sammelte ich meine Haarspangen ein und hechtete förmlich zum Fahrstuhl. Ich murmelte ein paar Entschuldigungen vor mich hin, doch es klang alles irgendwie hohl. Er stand da und sah mir erschrocken zu.

»Es war wunderschön mit dir, aber deine Welt ist nichts für mich«, sagte ich zu ihm, bevor sich die Fahrstuhltür vor mir schloss.

Er hielt mich nicht auf, wirkte einfach nur überrumpelt. Ich schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch. Auf dem Weg ins Erdgeschoss kämpfte ich gegen die Tränen an, die sich brennend einen Weg nach draußen bahnen wollten. Es war unglaublich schön gewesen, zu schön. Es war Unsinn zu glauben, dass dieser Mann Interesse an jemandem wie mir haben konnte. Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und ich trat in eine goldglänzende Eingangshalle.

Ein Portier in schwarzem Anzug blickte geschäftig von seinem Monitor auf. »Guten Morgen, Mrs. Fitzgerald. Soll ich den Wagen vorfahren lassen?« Er stand auf, den Telefonhörer in der Hand.

Ich starrte ihn an.

»Kommt Mr. Fitzgerald auch noch?«, fragte er und sah mich zuvorkommend an, weil ich nicht antwortete.

»Ich bin nicht Mrs. Fitzgerald«, erwiderte ich dumpf.

Sein beflissenes Lächeln verblasste, und er warf mir einen Blick zu, der mich davon abhielt, ihn darum zu bitten, mir ein Taxi zu rufen. Ich eilte nach draußen, wechselte schnell auf die andere Straßenseite und lief förmlich davon. Es war bereits morgen, wenn auch noch sehr früh. Wieder spürte ich dieses Kribbeln im Nacken und ahnte, dass Dorian mir von seiner Penthousewohnung aus nachsah. Ich drehte mich nicht um. Nein, hier passte ich wirklich nicht rein.