7
Zum Glück regnete es nicht mehr. Als ob auch der Himmel sich freute, dass ich Dorians hartnäckige Rufe erhört hatte. Ich hatte wunderbar geschlafen und ging am Freitagabend zu meiner Selbsthilfegruppe ins Gemeindehaus. Mit dem Wissen, dass ich dieses Treffen zukünftig nicht mehr brauchen würde. Ich hatte das Gefühl, meine Angst überwunden zu haben. Da mir ihre Geschichten so viel gebracht hatten, fühlte ich mich einfach verpflichtet, es ihnen zu erzählen. Vielleicht half es den anderen, wenn sie mal eine Erfolgsgeschichte hörten. Danach würde ich Dorian treffen, den Mann, der mir, ohne es zu wissen, dabei geholfen hatte, mich meinen Ängsten zu stellen.
Als Dorian völlig ungeniert in seiner ganzen nackten Pracht in meiner Wohnung stand und mich anlächelte, wusste ich, dass ich das Richtige getan hatte, als ich ihn in meine Wohnung gelassen hatte. Und in mein Herz.
Um zum Gemeindehaus zu gelangen, das neben der St. Michaels Kirche und dem Haus des Küsters lag, musste ich eine schmale Straße mit Kopfsteinpflaster und vielen großen Pfützen hochgehen. Am Rand parkten Autos halb auf dem Gehweg, sodass ich immer gleich die Straße nahm. Hier kamen nicht viele Autos vorbei, weil es eine Sackgasse war. Ich passte auf, um nicht in eine der zentimetertiefen Pfützen zu treten, da ich mich nicht noch einmal umziehen wollte. Zwei schmutzige Stiefel traten in mein Sichtfeld, und ich stockte.
»Hoppla«, hörte ich eine Stimme wie ein Reibeisen überrascht ausrufen.
»Entschuldigung«, sagte ich mit gesenktem Kopf und wollte an dem Sprecher vorbeigehen.
Er packte mich am Arm. »Nun mal nicht so eilig«, sagte er und wirbelte mich herum.
Vor mir stand ein Mann wie ein Schrank mit schäbigen Klamotten und ungewaschenen Fingern, die meinen Arm wie einen Schraubstock festhielten. Ich schrie auf. Er wollte meinen anderen Arm ergreifen, doch ich drehte mich weg und versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien.
»Lassen Sie mich los«, sagte ich laut und mit kräftiger Stimme, wie ich es in einem Selbstverteidigungskurs gelernt hatte.
Laut genug, dass mich andere Passanten hören konnten, und mit so fester Stimme, wie es mir trotz der Panik, die verspürte, möglich war. Doch es waren keine anderen Fußgänger in der Nähe. Der Weg lag einsam und verlassen da. Die Straßenlaternen waren noch nicht angegangen, und es herrschte ein unheimliches Zwielicht, während die Sonne hinter einer dünner werdenden Wolkendecke unterging.
»Halt die Schnauze!«
Der Mann drehte mir den Arm schmerzhaft auf den Rücken. Er packte mich an den Haaren und wollte mich auf die andere Straßenseite zerren. Ich drückte mit aller Kraft dagegen an und trat immer wieder hinter mich, in der Hoffnung, sein Schienbein zu treffen. Der Griff um meine Haare wurde so fest, dass ich befürchtete, er würde sie mir samt Kopfhaut abreißen.
Ein Auto kam die Straße hinauf und blieb in einiger Entfernung stehen und ich rief um Hilfe. Ich konnte den Wagen zwar nicht sehen und hörte auch niemanden aussteigen, aber trotzdem schrie ich, so laut ich konnte. Mein Angreifer ließ meine Haare los und hielt mir grob den Mund zu und zerrte mich in Richtung des laufenden Motors. Die Hand auf meinem Gesicht war kalt und so groß, dass er meine Nase mit zudrückte, und ich kaum Luft bekam. Ich packte das Handgelenk und wollte die Hand wegzerren, aber es war vergeblich. Seine andere Hand hatte meinen linken Arm hinter meinem Rücken so schmerzhaft nach oben verdreht, dass ich das Gefühl hatte, er müsste jeden Moment brechen. Ich konnte mich kaum aufrecht halten, so weh tat es. Er zog mich unerbittlich auf das Motorengeräusch zu.
Wer auch immer hinter dem Steuer saß, würde mir nicht helfen. Panik stieg in mir hoch. Ich versuchte mich auf das zu besinnen, was ich im Selbsthilfekurs, den ich kurz nach dem Überfall besucht hatte, gelernt hatte. Ich hatte keine Ahnung, wer der Kerl war oder was er von mir wollte, aber er durfte mich auf keinen Fall in dieses Auto bekommen. Er zerrte mich noch immer grob rückwärts weiter. Das Motorengeräusch wurde immer lauter. Wir waren gleich da.
»Nun mach schon«, hörte ich eine weibliche Stimme ungeduldig aus der Richtung des Autos rufen.
Wahrscheinlich die Fahrerin. Oh, mein Gott! Schlagartig fiel mir alles wieder ein. Alles, was ich monatelang so wütend und verbissen gelernt hatte. Ich ergriff den kleinen Finger der Hand, die mir den Mund zuhielt, und zog ihn ruckartig von mir weg. Ich hörte, wie es knackte, und die Umklammerung meines Angreifers lockerte sich etwas. Ich bekam meinen Arm fast wieder frei, stieß ihm aber zuerst mit aller Kraft meinen freien Ellenbogen in den Solarplexus. Blitzschnell drehte ich mich um und entwand mich so aus seinem Griff. Jetzt ein Schlag auf den Kehlkopf, hörte ich die Stimme des Trainers in meinem Kopf. Doch seine Hand war schneller. Er packte mich brutal am Handgelenk und drückte meinen Arm mit unglaublicher Kraft nach unten. Bevor er auch meine andere Hand ergreifen konnte, griff ich nach seinem Gesicht. Ich drückte ihm meinen Daumen ins Auge und krallte mich mit meinen anderen Fingern an seinem Gesicht fest. Er schrie vor Schmerz und Wut auf und warf den Kopf nach hinten, sodass meine Fingernägel über seine Haut kratzten und blutige Spuren hinterließen.
»Verdammtes Miststück«, brüllte er und schlug mir mit der Faust ins Gesicht.
Ich merkte noch, wie mein Kopf von der Wucht des Aufpralls nach hinten geworfen wurde, dann wurde es dunkel um mich.
Meine Wange brannte von einer weiteren Backpfeife. Das holte mich wieder zurück in die schreckliche Gegenwart.
»Nun wach schon auf, Miststück!«, hörte ich die Reibeisenstimme sagen.
Ich spürte einen weiteren Schlag im Gesicht. Der Schlag war nicht mehr ganz so hart, aber meine linke Gesichtshälfte brannte und schmerzte trotzdem. Die rechte war kalt.
»Wenn du sie totschlägst, bringt sie uns nichts mehr«, sagte die weibliche Stimme vor mir.
Ich öffnete die Augen und versuchte mich zu orientieren. Ich saß auf dem Rücksitz eines fahrenden Autos, das Gesicht an die Scheibe gepresst. Meine Hände waren hinter meinem Rücken schmerzhaft zusammengehalten. Ich drehte vorsichtig den Kopf und erkannte den Schrank neben mir. Er hielt mit einer Hand meine Arme fest, mit der anderen griff er mir gerade ans Kinn und zog meinen Kopf schmerzhaft nach hinten.
»Nun rede schon, Mistschlampe, oder soll ich dir noch eine verpassen?«
Sein bösartiges Grinsen, bei dem er zwei erstaunlich spitze Eckzähne entblößte, sagte mir, dass er nur zu gern weitergeschlagen hätte. Ich schüttelte den Kopf und warf einen Blick nach vorn. Hinter dem Steuer saß eine Frau mit kurzen dunklen Haaren. Sie hatte ein eng anliegendes, langärmliges knallrotes Kleid an. Als sie sich während der Fahrt kurz umdrehte, konnte ich erkennen, dass sie blass und sehr stark geschminkt war.
»Nun sach schon, wo wohnt er?«, fragte sie ungeduldig und blickte wieder nach vorn auf die Straße.
»Wer denn?«, nuschelte ich, weil der Blonde mein Kinn so fest umklammerte, dass ich kaum sprechen konnte.
Er hob mein Gesicht ein weiteres Stück an. Würde er mir gleich den Kopf abreißen? Ich saß fürchterlich verbogen auf dem Rücksitzpolster und meine Wirbelsäule und meine Muskeln waren auf das Äußerste gedehnt.
»Na, dein Freund, der Blutsauger. Dein Stecher«, antwortete der Blonde und starrte mich gierig an.
»Dorian?« Was sollte er hiermit zu tun haben?
»Heißt der so? Ist mir scheißegal. Wo wohnt er?«
Der Blonde verstärkte seinen Griff um meinen Kiefer. Er würde ihn jeden Moment zermalmen! Ich konnte ein schmerzerfülltes Wimmern nicht zurückhalten. Was wollten die von Dorian? Wieso wussten sie überhaupt, dass wir zusammen waren? Das wusste ich ja noch nicht einmal. Wollten sie ihn etwa um Geld erpressen? »Steilschüschte«, brachte ich mühsam hervor und hoffte, damit richtig zu liegen.
Ich hatte keine Ahnung, ob er da sein würde. Geschweige denn, wo genau das Haus lag. Wo das Penthouse war, wusste ich noch viel weniger, da ich bei meiner Flucht sehr schnell ein Taxi gefunden und nicht zurückgeblickt hatte.
»Hä?«
»Lass sie los, so kann man ja nichts verstehen«, sagte die Dunkelhaarige ungeduldig, und mein Peiniger ließ mein Kinn los und stieß meinen Kopf brutal gegen die Scheibe.
»Riesenanwesen an der Steilküste«, erwiderte ich schnell, bevor er mich wieder schlagen konnte, und versuchte, mich noch kleiner zu machen. Die Muskeln meiner Oberarme schmerzten und meine Finger waren bereits taub. Ganz im Gegensatz zu meinem Gesicht, das überall fürchterlich brannte und pochte.
»Wo soll das denn sein?«
»Ich weiß, wo das ist«, antwortete die Fahrerin leise und wendete den Wagen. »Verbinde ihr das Maul und versuch, sie dabei nicht umzubringen.«
Der Blonde ließ meine Arme los und knurrte mich animalisch an. »Wenn du dich einen Zentimeter bewegst, wird dich dein Dorian nie wieder flachlegen.«
Er sah mich interessiert an und presste mir plötzlich seine Lippen auf den Mund und küsste mich roh. Er biss mir schmerzhaft auf die Lippe, bis sie blutete. Seine widerliche Zunge wühlte in meinem Mund, als würde sie einen Acker umgraben wollen. Er grapschte mit seiner großen Hand nach meiner Brust und knetete sie heftig. Alles in mir krampfte sich zusammen, und mir würde speiübel. Am liebsten hätte ich ihn weggestoßen, aber das würde alles wahrscheinlich noch schlimmer machen. Also kniff ich die Augen zusammen, unterdrückte ein Würgen und hoffte, er würde bald aufhören.
»Herrgott, nun lass die Finger von ihr, Steve!«
Er ließ von mir ab, nicht, ohne mich vorher fies anzugrinsen. Seine Augen funkelten rot, aber das kam wahrscheinlich nur vom Licht der Straßenlaternen, die, wenn auch spät, angegangen waren. »Keine Ahnung, was er an der Schlampe findet«, sagte er mit seiner abstoßenden quäkenden Stimme. »Die schmeckt nicht mal gut.« Er zog ein Halstuch aus seiner hinteren Hosentasche und verband mir damit grob den Mund. »Rühr dich nicht, sonst zeig ich dir mal, wie es ist, von einem richtigen Kerl gefickt zu werden«, flüsterte er mir ins Ohr und leckte mir über das Gesicht.
Steve ließ sich entspannt gegen die Rückenlehne fallen und stieß ein hässliches Lachen aus. Den Rest der Fahrt starrte er mich mit seinen sonderbaren Augen an, als wäre ich nackt.
So fühlte ich mich auch.
*
Das Wasser rauschte an mir vorbei und ich glitt lautlos hindurch. Ich spürte die Strömung an meinem Körper wie eine sanfte Ganz-Körper-Massage. Ich liebte es, zu schwimmen. Deshalb hatte ich mir das Schwimmbad mit einer einzigartigen High-Speed-Gegenschwimmanlage bauen lassen. Ohne diesen Gegenstrom hätte ich die zwanzig Meter wahrscheinlich in zwei Zügen durchschwommen. Zwei hin, zwei zurück, zwei hin – ach, da wäre der Spaß schnell vorbei gewesen. Nun musste ich mich immer noch nicht anstrengen, aber es fühlte sich wie Schwimmen an.
Ich war den Tag bestens gelaunt gewesen und hoffte, beim Schwimmen einen klaren Kopf zu bekomme, denn ich hatte immer noch keine Ahnung, wie ich Louisa sagen sollte, dass ich ein Vampir war. Leider war ich mit meinen Überlegungen noch nicht weiter gekommen als die vergangenen sechshundert Jahre. Alle Szenarien, die mir einfielen, hatte ich sofort wieder verworfen. Mir blieb die Hoffnung, dass mir aus der Situation heraus etwas einfallen würde, aber man weiß ja, wie das mit dem Hoffen läuft.
Ich stieg aus dem Wasser, schaltete die Anlage aus und zog mir gerade meinen Bademantel über, als ich James’ Stimme aus der Vorhalle hörte. Er wusste, dass ich ihn hören konnte, auch wenn die Türen geschlossen waren. »Wir bekommen Besuch, Sir.«
Etwas an der Art, wie er das Wort Besuch betonte, ließ mich aufhorchen. Innerhalb eines Lidschlags war ich neben ihm und starrte auf den Monitor, der mit der Kamera an dem äußeren Tor verbunden war. Ein tiefes Grollen bahnte sich wütend einen Weg aus meiner Brust, und ich musste mich beherrschen, um nicht loszubrüllen und mich auf der Stelle nach draußen und auf diese »Besucher« zu stürzen. »Sie können gehen, James.« Ich versuchte die unbändige Wut, die in mir hochgestiegen war, herunterzudrücken.
Mein Butler antwortete nicht, aber ich hörte, wie er sich entfernte. Ich starrte voller Abscheu auf den Bildschirm, der mir zwei Vampire zeigte. Sie hatten Louisa in ihrer Gewalt. Der blonde Frischling aus dem R7 hatte sie grob an den schönen Haaren gepackt und grinste bescheuert in die Kamera. Dabei kam er ganz nah an ihr Gesicht heran und tat so, als wolle er ihr in den Hals beißen. Sie blutete aus der Nase und an der Stirn und war mit einem dreckigen Tuch geknebelt. Ihre Augen spiegelten Todesangst wider. Eine dunkelhaarige Vampirin stand gelassen daneben. Was wollten diese kleinen Scheißer von mir? Wie waren sie auf Louisa gekommen? Wir hatten uns doch erst gestern versöhnt. Es kam nur das Straßenfest infrage, da hatte ich die Frau gespürt. Ich hatte sie zwar nicht gesehen, aber es war dieselbe, die da draußen stand und auf eine Antwort wartete. Wie hatten sie Louisa gefunden? Ich hatte sie nie wieder in unserer Nähe gespürt. Im Grunde war es egal. Sie hatten Louisa in ihrer Gewalt, und ich durfte mir nicht anmerken lassen, wie viel sie mir bedeutete. Das würde mir schwerfallen, aber so schwer nun auch nicht. Solche kleinen Pisser aß ich zum Frühstück.
Meine Überlegungen hatten keine dreißig Sekunden in Anspruch genommen, nach zwei weiteren Sekunden drückte ich die Sprechtaste. »Was kann ich für euch tun?«, fragte ich gelangweilt und ballte die freie Hand zur Faust. Sie konnten mich ja nur hören, nicht sehen.
»Mach das Tor auf, du Arschloch, wir ham deine Hure«, hörte ich den Blonden mit seiner unangenehmen Reibeisenstimme in die Kamera, anstatt in die Gegensprechanlage, sagen.
Ich musste die Augen verdrehen über so viel Dummheit.
Zur Demonstration riss er Louisa an den Haaren, bis sie vor Schmerz wimmerte. Alles in mir krampfte sich zusammen, als ich das sah.
Offenbar war seine Vampirfreundin ein wenig schlauer, denn sie sprach klar und deutlich in den Lautsprecher neben der Klingel. »Lass uns rein, oder wir töten sie und du darfst zusehen«, sagte sie, als ob sie mir ein verführerisches Angebot machte.
»Ihr könnt vorfahren«, erwiderte ich und drückte auf den Knopf, der das Tor öffnete.
Vielleicht hätte ich sie länger hinhalten, den Gleichgültigen spielen sollen. Ich war schnell, aber ich wusste nicht, ob ich so schnell bei ihr sein würde, sollten diese Idioten sich entschließen, ihr etwas anzutun. Ich beobachtete, wie die Frau sich hinter das Steuer eines glänzenden Mittelklassewagens setzte, der wahrscheinlich gestohlen war. Der andere Vampir schleuderte Louisa unsanft auf den Rücksitz und setzte sich neben sie. Mordlust kam in mir hoch, und ich unterdrückte sie mühsam.
Ich öffnete die Tür und erwartete sie in der Halle. Ich hatte mich wieder völlig unter Kontrolle und blickte ihnen betont gelangweilt entgegen. Der blonde Grobian hielt Louisa noch immer mit einer Hand an den Haaren gepackt. Mit der anderen hielt er ihre Arme brutal auf dem Rücken und stieß sie vor sich her. Er veranstaltete einen fürchterlichen Lärm. Jeder seiner Schritte war ein Poltern. Offenbar wusste er nicht, dass man sich als Vampir lautlos bewegen konnte.
Was er wohl auch nicht wusste, war, dass er viel stärker war als meine kleine Porzellanpuppe. Oder es machte ihm einfach Spaß, Schwächere zu quälen. Es war nicht nötig, sie so brutal anzufassen. Sie sträubte sich nicht, sondern ging, so schnell und so gut sie konnte, vor ihm her.
Ich stellte voller Genugtuung fest, dass sein linkes Auge blutunterlaufen war und wild zuckte, und dass er Kratzspuren im Gesicht hatte. Sie hatten schon begonnen zu verheilen, waren aber für mich noch deutlich sichtbar. Louisa hatte sich gewehrt. Das erklärte auch die blutigen Stellen in ihrem schönen Gesicht. Tapferer, kleiner Engel. Ich hätte sie am liebsten in den Arm genommen.
Louisa starrte mich an, und ihre Augen weiteten sich noch mehr. Ich wusste, was sie sah. Ich kam frisch aus dem Schwimmbad, trug nur meinen samtenen Bademantel, und hatte noch nicht getrunken. Meine Haut war noch blasser, als sie sie kannte. Und ich war so wütend, dass meine Augen mittlerweile komplett schwarz sein mussten. In dieser Verfassung färbte das mächtige Blut auch meine Adern schwarz und ließ sie dick anschwellen. Wahrscheinlich hatte sie vor mir genau so viel Angst wie vor ihren Entführern. Mir zerriss es fast das Herz, aber ich durfte mir nichts anmerken lassen. Die beiden Scheißer sollten nicht wissen, wie verletzbar mich das machte.
»Das ist ja mal ne geile Hütte, die du hier hast, Alter«, sagte der Blonde und sah sich um.
Ich hatte mich vor die Tür zum Wohnbereich gestellt und wollte alles beenden, bevor sie überhaupt richtig hereingekommen waren.
Die Dunkelhaarige kam katzengleich hinterher. Sie trug ein billiges signalrotes Nuttenkleid und Stiefel mit Pfennigabsätzen, die bis über die Knie reichten, und grinste selbstzufrieden, während sie sich ebenfalls umsah. Ich horchte auf das Klicken meiner Sicherheitstür, die sie achtlos ins Schloss fallen ließ. Bevor die beiden überhaupt begriffen, wie ihnen geschah, hatte ich meine ganze Wut auf das miese Schwein, das meine Louisa hielt, konzentriert und brachte sein Blut innerhalb weniger Sekunden zum Kochen. Er jaulte vor unsäglichem Schmerz auf und fasste sich mit seinen dreckigen Fingern an die Schläfen. Die Handflächen dagegen drückend, krümmte er sich unter der Pein zusammen. Blut schoss ihm aus den weit aufgerissenen Augen.
Als der Frischling losschrie, setzte sich die Dunkelhaarige kreischend in Richtung Louisa in Bewegung. Mit einem einzigen Satz war ich bei ihr und packte sie an der Kehle. Ich hob sie brüllend hoch und schmetterte sie, ohne sie loszulassen, auf den Boden zu meinen Füßen. Ihr Kopf schlug dumpf auf dem Marmor auf, und sie hörte auf zu schreien. Ich warf einen schnellen Blick auf Louisa.
Sie war blitzschnell herumgewirbelt und trat dem schreienden Frischling mit solcher Kraft in die Weichteile, sodass ich beinahe zusammengezuckt wäre. Dann schlug sie ihm mit solcher Wucht von unten gegen die Nase, dass ich hören konnte, wie das Nasenbein in seinen Schädel eindrang. Doch da hatte ich ihn bereits aus seinem untoten Dasein gerafft, indem ich seine Innereien zerplatzen ließ.
Louisa sprang von ihm weg, ehe sie das Blut treffen konnte, das ihm aus Mund und Nase schoss. Ich traute meinen Augen nicht. Was für eine Kämpferin! Sie drückte sich ängstlich an die Wand und starrte voll Furcht auf mich und die Vampirin.
Das alles geschah blitzschnell. Ich zerrte die Vampirschlampe an der Kehle wieder hoch. Leider hatte ich ihr nicht den Schädel zertrümmert, aber ich ließ mein mentales Feuer in ihren Innereien auflodern. Sie schrie gellend auf. Blut trat ihr aus Augen und Ohren und sie wand sich in meinem Griff. Ich lief blitzschnell mit ihr an die nächste Wand und drückte sie dagegen. Ihr Kopf knallte gegen die Mauer, und sie verlor für einen Moment das Bewusstsein.
Wütend starrte ich sie an. Mein Blick fiel auf eine Blume, die sie im Ausschnitt trug. Ich stutzte. Das war doch die Blume, die Louisa auf dem Fest verloren hatte. So hatten sie sie also gefunden. Über ihren Geruch. Ich brüllte laut auf vor Zorn und ließ eine weitere Feuerwelle durch ihren billig verhüllten Körper lodern. Die Vampirin kam sofort wieder zu Bewusstsein und schrie ein weiteres Mal auf. Endlich sah ich die Angst in ihren Augen, auf die ich gewartet hatte. Das spornte mich noch mehr an. Ich schickte eine quälende Welle nach der anderen durch ihren schmutzigen, stinkenden Leib und fand Gefallen daran, wie sie sich unter Schmerzen wand und wimmerte. Wehren konnte sie sich nicht mehr. Aber das hätte ihr auch nichts gebracht, da ich um ein Vielfaches stärker war.
Es war jedoch erstaunlicherweise schwieriger als bei dem blonden Vampir, meine Kräfte in ihr toben zu lassen. Sie war ein billiges, kleines Vampirflittchen, ein Frischling. Von dem mittlerweile von uns gegangenen blonden Mistkerl erschaffen, da war ich mir sicher. Doch sie war stärker als er. Noch lange nicht so stark wie ich, aber stärker, als ein verdammter Frischling sein sollte. Sie musste von einem älteren Vampir getrunken haben.
Da draußen trieben sich also noch andere herum und einer von ihnen war stark. Natürlich stellte er keine Gefahr für mich da, aber er würde stärkere Vampire erschaffen, als diese Schwächlinge hier. Das konnte ich auf keinen Fall dulden. Das hier war mein Territorium. Ich wollte diese verfluchten Vampire nicht in meiner Nähe haben! »Was hat dieser Aufstand hier zu bedeuten?«, fragte ich sie und ließ meine Augen noch finsterer erscheinen.
»Bitte tu mir nichts«, wimmerte sie schmerzerfüllt. »Er hat sie geschlagen. Ich wollte das nicht. Ich wollte dir … einen Handel vorschlagen.«
Ich hielt sie ungefähr dreißig Zentimeter über den Boden fest an die Wand gedrückt und ließ sie noch ein wenig meine Macht spüren. Sie schrie, und ihr Körper versteifte sich. Die ersten Äderchen platzten unter ihrer weißen Haut, nicht mehr lange, und es kämen die kleineren Organe dazu. Ihre Muskeln waren aufs Äußerste angespannt und dehnten die Haut darüber stark, sodass sie an einigen Stellen bereits einriss. Sie schrie und jaulte, doch ich hätte sie ewig so halten können. Das passierte einem, wenn man sich mit mir, Dorian, dem Killer, anlegte. »Ich verhandel nicht mit euresgleichen.«
»Wir wollten ihr nichts tun. Ehrlich nicht. Ich wollte nur mit dir reden.«
Ich sah sie an. Was sollte diese billige kleine Frischlingsschlampe mit mir zu bereden haben? Wie konnte sie auch nur ansatzweise auf die Idee kommen, ich hätte irgendein noch so geringes Interesse an dem, was sie von sich gab? Fast hätte ich die Beherrschung verloren, aber ich wollte die anderen. Ich konnte sie riechen. An ihr haftete der Geruch von mindestens drei anderen Vampiren. Es war widerwärtig. Mir war es egal, ob die anderen wussten, was diese beiden Schwächlinge hier veranstalteten. Ich würde sie töten. Alle. Und die hier würde mich zu ihnen führen. Schneller, als wenn ich nach ihnen anhand ihres Gestanks suchen müsste. »Rede!«
»Ich hab gehört, dass du einer der Alten bist«, sagte sie mühsam, da ich sie noch immer an der Kehle gepackt hatte. Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Krächzen, aber mir reichte es. »Ich möchte von dir lernen. Ich will, dass du mir so was hier beibringst.«
Das war ja wohl der Gipfel! Ich knurrte sie wütend an. Sie taten meinem wunderbaren, kleinen Engel weh, entführten sie, schleppten sie hierher und jagten ihr damit eine Höllenangst ein – damit ich ihr etwas beibrachte? Sah ich aus wie ein verdammter Vorschullehrer für Vampirschwächlinge? Ich hätte sie am liebsten sofort in Stücke gerissen, und atmete mühsam ein paar Mal tief durch, um es nicht zu tun.
Ich hörte die Tür zu James’ Reich leise aufgehen, während ich meinen tödlichen Zorn zügelte. James kam heraus. Er trug eine dieser Jacken für Sprengstoffexperten, die einen extrem hohen Kragen und gepolsterte Armschoner hatten. In der Hand hielt er ein Gewehr und hatte ein grimmiges entschlossenes Gesicht aufgesetzt, das nicht zu seiner normalen englischen Reserviertheit passen wollte. Ich blickte ihn überrascht an.
Mit einem Male fiel mir Louisa wieder ein. Sie stand immer noch wie erstarrt an der Wand und hatte sich das dreckige Tuch vom Mund gerissen und zu Boden geworfen. Sie warf dem verkümmerten Leichnam ihres Peinigers ängstliche Blicke zu. Die Blicke, die sie mir zuwarf, waren noch angsterfüllter und schnürten mir fast die Luft ab. Diese verdammten hirnlosen Frischlinge versauten mir alles!
»James, unser Besuch will gehen«, brachte ich mühsam beherrscht hervor und ließ eine weitere Feuerwelle durch den Körper der Blutsaugerin laufen.
Ich warf James einen Blick zu. Er schritt bereits, einen weiten Bogen um uns machend und die Flinte die ganze Zeit auf die Dunkelhaarige gerichtet, zur Tür und öffnete sie.
Ich ließ die Vampirin fallen. »Halt dich von mir und von ihr«, ich wies auf Louisa, »fern, Miststück. Ansonsten wird dich das gleiche Schicksal ereilen wie deinem Freund hier. Nur langsamer. Viel langsamer.« Ich zeigte auf den leblosen in sich zusammengefallenen Körper, der in seinem Blut am Boden meiner Eingangshalle lag. Die Haut des ehemals Untoten hatte sich grau verfärbt und wirkte schlaff und faltig, wie ein alter Luftballon, der zu lange aufgeblasen gewesen war und jetzt sein Leben ausgehaucht hatte. Das Gesicht war blutüberströmt und seine Kleidung ebenfalls nass vor Blut und sonstigen Körperflüssigkeiten. »Und nun verschwinde von hier.«
Sie wischte sich das Blut aus dem Gesicht und rappelte sich stöhnend auf.
Es kostete mich große Überwindung, sie nicht zu töten. Aber ich würde es nachholen. Noch heute Nacht würde ich sie mir alle holen, doch vorher musste ich mich um jemand anderen kümmern. Ich trieb die Vampirschlampe zur Tür und sah ihr nach, wie sie zum Auto stolperte und einstieg. Als sie den Wagen anließ, schloss ich die Tür, achtete auf das Klicken, das mir sagte, dass sie fest verschlossen war, und warf noch einen Blick auf den Monitor, um sicherzugehen, dass die Schlampe auch wirklich verschwand.
»Was soll der Aufzug, James?«, fragte ich ihn leise, als er neben mich trat.
»Ich dachte, sie könnten vielleicht Hilfe brauchen, Sir.«
Dieser Butler hatte es wirklich in sich. »Mit dem Ding«, sagte ich und wies auf das Gewehr, »hätten Sie sie nicht töten können. Sie hätten nur ein paar schmerzhafte Löcher in sie geschossen. Ist das eine Schrotflinte?«
»Es ist eine Benelli M4, Sir. Und genau das war mein Plan, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf«, antwortete er, als wäre es das Natürlichste der Welt, dass man sich gegen Vampire wehren musste. Er schien sich ein Grinsen verkneifen zu müssen.
»Gut gemacht«, flüsterte ich ihm zu und drehte mich zu Louisa um.
Ihre Peinigerin war weg. Der andere Vampir lag verschrumpelt und blutig am Boden. Ich ließ ihn mit einem einzigen flüchtigen Gedanken komplett zu Asche zerfallen. Solange noch Blut durch die Adern dieser Untoten floss, konnte ich es mittels meiner Gedanken entzünden. Gegen mein Feuer konnte dieser sich nicht mehr wehren.
An der Wand stand Louisa und starrte mich mit panischem Blick an. Das Tuch hatte einen breiten roten Abdruck auf ihren Wangen hinterlassen. Sie hatte sich das Blut von der Nase gewischt. Auch ihre Lippe blutete und war sogar schon etwas angeschwollen. Sie hatte sich bestimmt wie eine Löwin gewehrt. Ich spürte einen tiefen Stich in mir und ging langsam auf sie zu.
Ihre Augen wurden noch größer. »Dorian?« Sie wich noch ein Stück weiter zurück. Es sah aus, als wollte sie in die Wand kriechen. »Was …?«
»Alles in Ordnung? Geht es dir gut?« Schon als ich es aussprach, wusste ich, wie bescheuert diese Fragen waren. Natürlich ging es ihr nicht gut, und es war nichts in Ordnung. Der Mann, den sie tapfer in ihre Wohnung gelassen und mit dem sie geschlafen hatte, hatte sich gerade als Vampir entpuppt. Das allein hätte schon gereicht, aber wenn ich so in Rage war wie eben, wurde auch meine ganze Erscheinung, meine Aura, oder wie immer man das nennen sollte, finster, schwarz und todbringend.
»Deine Augen …«, flüsterte sie und runzelte die Stirn. »Was bist du?«
Nein, so sollte sie es nicht erfahren. Sie sollte nicht vom ersten Moment an Angst vor mir haben. »Es ist alles in Ordnung«, sagte ich leise und ging weiter auf sie zu. »Beruhige dich, Louisa, alles ist gut. Du musst keine Angst haben.«
Sie beruhigte sich, atmete etwas ruhiger, und ihr ramponiertes Gesicht entspannte sich. Ich ging zu ihr, und sie ließ sich von mir in die Arme nehmen. Sie seufzte leise und schmiegte sich an mich, als wäre nichts geschehen. Mein hypnotischer Blick war Segen und Fluch zugleich.
»Es tut mir so leid, Louisa«, flüsterte ich und führte sie zum Sofa. »Es tut mir so schrecklich leid. So sollst du es nicht erfahren.« Ich drückte sie in die Polster. Sie sah so zerbrechlich aus, als sie vertrauensvoll zu mir aufblickte. Diese verdammten Frischlinge! Ich setzte meinen hypnotischen Blick weiter ein. »Louisa, alles ist gut. Du wirst jetzt ruhig schlafen und dich an nichts erinnern. Es war alles nur ein Traum. Wenn du aufwachst, wirst du dich daran erinnern, dass wir essen waren und einen schönen Abend zusammen hatten. Ich habe dich nach Hause gebracht, weil du Kopfschmerzen hattest. Dir wird nichts Ungewöhnliches auffallen. Schlaf, mein wunderschöner Porzellanengel. Schlaf jetzt.«
Sie legte sich bereitwillig hin und lächelte mich an. Ich breitete eine Wolldecke über ihr aus und sah sie traurig an. Das hatte ich nicht gewollt.
Es dauerte nicht lange, und sie war eingeschlafen. Ich biss mir in den Finger und verteilte etwas von meinem Blut auf ihre Wunden, die sich augenblicklich schlossen. Dieses Schwein hatte so fest zugeschlagen, dass es Schwellungen geben würde. Dagegen konnte mein Blut vielleicht nichts ausrichten, dennoch träufelte ich ihr ein wenig in den Mund. Sie war eine zerbrechliche, kleine Sterbliche – und hatte sich so tapfer gegen einen Vampir gewehrt. Ich war unheimlich stolz auf sie und todunglücklich, dass sie so etwas hatte erleben müssen. Aber es war vorbei. Sie würde denken, dass sie schlecht geträumt hatte. Wenn überhaupt. Für alles andere würde ich mir eine Erklärung ausdenken. Später.
Ich hob sie hoch und trug sie in meine Privatgemächer hinter den Bücherregalen. »James?«
»Ja, Sir?«
Mein Butler hatte zu seiner gewohnt gelassenen Art zurückgefunden. Er trug noch immer diese Jacke und die Waffe. Der Gedanke dahinter war eigentlich gut. Wie lange er diese Ausrüstung wohl schon hatte?
Darüber konnte ich mir später Gedanken machen. Jetzt würde ich erst einmal ein paar Vampiren zeigen, mit wem sie sich angelegt hatten. Gegen meine geballte Wut gab es keine Schutzjacken. »Kühlen Sie die Wunden. Ich will nicht, dass sie anschwellen. Ich muss noch etwas erledigen. Wenn ich zurück bin, werde ich Louisa nach Hause bringen. Schauen Sie bitte, ob sie einen Haustürschlüssel dabei hat, und lassen ihn nachmachen.«
Natürlich wollte ich den Schlüssel nicht für mich, aber ich konnte sie nicht hier behalten. Ich hatte zu viel Angst, sie würde sich an alles erinnern, wenn sie hier aufwachte. Das wollte ich auf keinen Fall. Deshalb würde ich sie später nach Hause bringen und musste sichergehen, dass sie keinen Verdacht schöpfte, wenn die Türen ihres Fort Knox nicht verschlossen waren.
»Ich werde mich um sie kümmern«, erwiderte er und sah mich an. »Sie können sich auf mich verlassen, Sir.«
Ich hielt einen Moment inne und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Danke«, sagte ich schlicht. »Zielen Sie auf den Kopf, wenn sich einer von denen blicken lässt.«
»Das hätte ich sowieso getan. Sir«, sagte er und grinste für ihn äußerst untypisch breit.
Offenbar schien ihm der Gedanke zu gefallen, einem Vampir den Schädel wegzublasen. Ich hoffte nur, er würde nie auf die Idee kommen, auf mich zu schießen. Natürlich würde mich das nicht töten, aber es tat höllisch weh. Vor allem, die Geschosse wieder herauszupulen.