9
James hatte an alles gedacht. Der Kühlschrank war prall gefüllt mit allem, was das sterbliche Herz begehrte. Da ich jedoch seit geraumer Zeit nicht mehr in diesem Sinne genossen hatte, war ich mir bei der Hälfte der Lebensmittel nicht sicher, um was es sich handelte und ob man es zum Frühstück aß. Verdammt! Okay, Dorian, halt dich an das, was du kennst.
Einige Zeit später hatte ich dann das Internet zu Hilfe rufen müssen und ein paar interessante Dinge gefunden, die mir nicht so kompliziert erschienen, und machte mich an die Arbeit. Irgendwann hörte ich, wie Louisa aufstand und ins Badezimmer schlich. Nach einigen Minuten kam sie leise ins Wohnzimmer. Ein Blick auf ihr ertapptes Gesicht zeigte mir, dass sich meine Befürchtungen bestätigten.
»Suchst du die hier?«, fragte ich sie und hielt ihre Hose hoch. Aus einem Impuls heraus hatte ich sie mitgenommen, nachdem ich aufgestanden war.
»Äh, ja«, antwortete sie und sah mich schuldbewusst an.
Ich seufzte. Das konnte doch nicht wahr sein! Wollte sie wieder einfach so verschwinden? Nach allem, was passiert war? Okay, an vieles erinnerte sie sich im Moment nicht, aber es blieben genügend andere Erinnerungen. Obwohl ich mich fragte, ob meine Vampirmagie mehr aus ihrem Bewusstsein getilgt hatte. Aber, nichts da, dieses Mal würde ich sie nicht einfach gehen lassen. Ich hatte lange darüber nachgedacht. Ich musste wissen, was sie für mich empfand. Ob ich ihr Herz bereits erobert hatte. Vielleicht war es noch ein bisschen zu früh, aber ihre im Halbschlaf gemurmelten Worte hatten mir klar gemacht, dass sie sich jederzeit an das erinnern konnte, was geschehen war. Und wenn das geschah, ohne dass sie wusste, was ich für sie empfand, würde ich sie verlieren. »Du wolltest schon wieder verschwinden?«
Ihr Schweigen war mir Antwort genug. Ich ging langsam zu ihr und hielt ihr die Hose hin, ließ sie aber nicht los, als sie danach griff. Sie sah fragend zu mir auf. »Ich will nicht, dass du gehst.«
Sie antwortete nicht, sah mich nur mit hochgezogenen Brauen an.
Ich konnte absolut nicht erkennen, was sie dachte, aber es musste raus. Jetzt oder nie. Ich war so oder so verloren. »Louisa, ich liebe dich.«
Ihre Augenbrauen schossen noch ein Stückchen höher und ihr Blick wurde skeptisch. Nicht die Reaktion, die mein romantisches, untotes Herz erhofft hatte. Verzweiflung ergriff mich.
»Wie kannst du das jetzt schon wissen?«, fragte sie ruhig und legte neugierig den Kopf schief.
»Ich weiß es eben«, antwortete ich, weil mir schlichtweg nichts Besseres einfiel. Was war das denn auch für eine Frage?
»Du kennst mich doch nicht«, erwiderte sie prompt, und aus Neugier wurde Argwohn.
Ich atmete tief durch. Diese Art von Schlacht war ich nicht gewohnt. Ich wusste, dass ich mich auf sehr dünnes Eis begeben hatte. Hauchdünnes. »Nein, viel kenne ich noch nicht von dir«, sagte ich und suchte nach den richtigen Worten, »aber meinem Herzen reicht das.«
»Und wenn ich nicht so empfinde?«
Dann bin ich am Arsch. Ich machte mich innerlich auf den Einbruch in eiskaltes Wasser gefasst, das mich in noch eisigere Tiefen zerren würde, aus denen ich nie wieder auftauchen würde. »Dann mach ich mich hier gerade ziemlich lächerlich«, antwortete ich und entlockte ihr damit ein winzig kleines amüsiertes Lächeln. »Aber es würde nichts an meinen Gefühlen für dich ändern. Ich liebe dich, Louisa. Seit ich dich das erste Mal gesehen habe.«
Ich ließ ihre Hose los. Sie nahm sie in beide Hände und blickte konzentriert darauf.
»Empfindest du überhaupt nichts für mich?«, fragte ich vorsichtig und auf das Schlimmste gewappnet.
»Doch«, sagte sie mit leiser aber fester Stimme, ohne aufzusehen.
Ich wartete auf das Aber, doch sie schwieg und starrte auf ihre Hose, als würde sie das Webmuster faszinieren.
»Aber …?« Jetzt oder nie. Himmlische Freuden oder ewige Verdammnis.
»Kein aber«, erwiderte sie und sah mich an.
Ihr Blick war ernst, herausfordernd und eine Spur ängstlich. Es war ihr nicht leichtgefallen, das zuzugeben, das sah ich. Sie war nicht der Typ, der mit seinen Gefühlen hausieren ging oder seine Zuneigung leichtfertig verschenkte. »Kein aber?«
Sie lächelte scheu und schüttelte den Kopf.
»Dann gehst du nicht?«
»Nein, ich bleibe gern bei dir«, antwortete sie, ihre Worte sorgfältig wählend, und blickte mich mit ihren ernsten graublauen Augen so tief an, dass mir die Luft wegblieb.
Das war wohl die schönste Liebeserklärung, die sie mir machen konnte! Halleluja! Fast hörte ich die Engel singen! Ich nahm ihr die Jeans aus der Hand und ließ sie zu Boden fallen, trat einen Schritt näher an sie heran und nahm sie fest in die Arme. Nicht zu fest, man wusste ja nie. Vielleicht war doch alles nur ein Traum.
Sie befreite sich vorsichtig aus der Umarmung. »Tut mir leid, dass ich gestern so betrunken war«, sagte sie und blickte zerknirscht auf. »Das ist mir peinlich. Ich hatte überhaupt nicht vorgehabt, zu gehen. Ich wollte nur nicht halb nackt hier herumlaufen.«
»Oh«, erwiderte ich und trat vorsichtig aus dem Fettnäpfchen heraus. »Ich hoffe ja, dass wir noch viele schöne Abende zusammen verbringen werden, und wenn’s nicht zur Gewohnheit wird, dass ich meiner Freundin beim Erbrechen zugucken muss, ist das schon in Ordnung. Wie wäre es denn jetzt mit Frühstück?«
Ich wollte sie sanft in Richtung Küche ziehen, doch sie hielt mich zurück. »Freundin?«, fragte sie, sah mich kurz an und küsste mich.
Sie musste sich dafür auf die Zehenspitzen stellen. Es war nur ein sanftes Lippenaufeinanderlegen, aber es fühlte sich an, als wollten unsere Lippen miteinander verschmelzen. Alles in mir regte sich, schrie förmlich nach dieser Sterblichen. Sie hatte sich ganz leicht mit ihren Händen auf meinen Schultern abgestützt, und ich spürte, wie ein Schauder durch ihren Körper lief und sich durch ihre warmen Hände auf mich übertrug. Sie sank zurück auf die Fersen, sah mich an und dieser Blick war die zweite wundervolle Liebeserklärung an diesem Tag. Ich sah alles darin. Ihre Angst, ihre Zweifel und ihre Liebe. Ich sah auch noch etwas anderes. Das ließ mich sie stürmisch küssen. Ich hob sie hoch, und sie umklammerte mich mit ihren nackten Beinen. Vergessen war das Frühstück. Wir würden uns aneinander laben – bildlich gesprochen natürlich.
*
Mir stockte der Atem und ich hätte schwören können, mein Herz setzte für einen Moment aus. Niemals hätte ich den Mut gehabt, in solch einer Situation die magischen drei Worte zu benutzen. Wie konnte Dorian das jetzt schon wissen? Wie konnte er sich da so sicher sein? Ich sah es ihm an, dass es ihm todernst damit war, und beneidete ihn darum. Ich war mir meiner Gefühle nicht so sicher. Oder, doch, im Grunde wusste ich genau, dass ich ihn ebenfalls liebte, aber ich traute meinen Gefühlen nicht. Es konnte ebenso gut eine vorübergehende Schwärmerei sein. Weil er gut aussah, nett und liebevoll war, und wir wohl den besten Sex hatten, den sich die Welt vorstellen konnte. Oder, weil es Zeit wurde, dass ich mich in jemanden verliebte. Aber Liebe? Das war so ein schwerwiegendes Wort.
Auf der anderen Seite hatte ich mich noch nie von einem Mann so angezogen gefühlt. Natürlich hatte mein Herz auch schon für andere höhergeschlagen. Aber in Dorians Gegenwart nahm das andere Dimensionen an. Es waren schon kleinste Berührungen, die mich kaum noch atmen ließen. Ich hätte stundenlang dasitzen können, wie am vergangenen Abend, um ihn einfach über den Tisch hinweg anzusehen. Wir hatten uns vergangene Nacht nicht ein einziges Mal geküsst. Das war überhaupt nicht nötig, wir waren uns trotzdem nahe. Mein Herz hatte mir von dem Moment an, als er gestern Abend im Adam’s zu uns an den Tisch kam, bis zum Hals geschlagen und hatte bis jetzt nicht damit aufgehört.
Ein weiterer Blick in seine strahlenden Augen genügte mir. Er war nicht in mein Leben gekommen, um mich zu verletzen oder zu demütigen. Dorian war genau so verletzlich wie ich. Aber viel mutiger, denn ich traute mich nicht, ihm zu sagen, dass ich ihn liebte. Ich konnte es ihm nur zeigen und hoffen, dass er auch diese Sprache verstand.
Lachend zog er mich mit ins Bad und stellte die Dusche an. Ich beneidete ihn darum, dass er sich nackt so ungeniert bewegte. Er ignorierte meine Scheu und zog mich an den Händen unter den Wasserstrahl.
Unter dem warmen Wasser wurde seine Haut wärmer. Ich hatte mich schon an seine kühlen Berührungen gewöhnt, sodass es fast unheimlich war, von so warmen Händen angefasst zu werden. Ich musste immer wieder hinsehen, um mich zu vergewissern, dass es wirklich Dorian war, mit dem ich duschte. Es war eine Freude, ihn zu betrachten. Er war athletisch gebaut mit langen, schlanken Gliedmaßen und festen Muskeln. Seine Brust war nicht so schmächtig wie bei den meisten schlanken Männern, sondern perfekt ausgeformt und seinen Bauch zierte wohl das härteste Sixpack, das ich jemals angefasst hatte.
Ich beobachtete, wie er den Kopf in den Nacken legte und ihm das Wasser über das Gesicht lief. Er hatte die Augen geschlossen und seine dichten Wimpern lagen wie kleine schwarze Halbmonde auf seinen bleichen Wangen. Es sah aus wie ein Wasserfall, der über weißes Gestein fließt. Er neigte den Kopf leicht zu mir, und das Wasser änderte seinen Verlauf, lief seine gerade Nase entlang und tropfte von seiner Nasenspitze auf meine Brust. Ohne die Augen zu öffnen, lächelte er, als ob er genau wusste, dass ich ihn anblickte. Dabei entblößte er unnatürlich spitze Eckzähne. Er hatte schöne weiße Zähne. Wie alles an ihm schön und weiß war. Bis auf seine Augen, die er langsam öffnete, und die für einen winzigen Moment schwarz aussahen. Aber das musste an dem Licht unter der dampfenden Dusche liegen.
»Ich hab von dir geträumt.« Ich strich mit einer Hand die langen Muskeln seines Rückens hinunter.
»Hast du das?«
»Ja. Du hattest Flügel und sahst aus wie ein Engel.«
Dorian lachte leise und vergrub sein Gesicht an meinem Hals. Ich spürte seine Zunge kühl meine Haut entlangfahren.
»Nur mit schwarzen Augen«, brachte ich mühsam hervor und schloss genüsslich die Augen.
Er hielt für einen winzigen Moment inne. »Das ist aber ungewöhnlich«, flüsterte er. »Und was hab ich getan?«
»Du hast mich vor Eric beschützt.«
»Hm, ich hab doch gesagt, ich pass auf dich auf.«
»Du hast ihn zu Asche verbrennen lassen«, erzählte ich schaudernd weiter.
»Das ist aber wirklich ungewöhnlich«, erwiderte er und sah mich mit einem Blick an, den ich nicht recht deuten konnte.
Ich winkte ab und strich ihm die nassen Haare aus dem Gesicht. Wie oft ich das bereits getan hatte! »Das war nur ein Traum, alles Blödsinn aus meinem Unterbewusstsein«, sagte ich und lachte. »Ich wollte dir einfach nur erzählen, dass ich von dir geträumt habe. Also, dass ich … dich …« Herrje, ich wollte ihm ein Kompliment machen. Ich wollte ihm sagen, was ich für ihn empfand. Aber nein, ich war zu feige. Ich brachte es nicht über die Lippen.
*
Dieses Mal gab sie sich mir ganz hin. Ohne Zurückhaltung. Es war, als wären all ihre kleinen Schutzwälle eingestürzt. Als hätte sie, so wie ich, nichts mehr zu verlieren, denn sie war bereits genau wie ich verloren. Sie währenddessen meinen Namen flüstern zu hören, und hinterher mit ihren kleinen, warmen Fingern verträumt über meine Brust streichen zu fühlen, den Kopf auf meine Schulter gebettet, war wie im Paradies. Das war mein Stück vom Himmel. Wäre ich in dem Moment gestorben, also richtig gestorben, ich hätte froh und beglückt vor meinen Schöpfer treten können, denn ich hatte gefunden, wonach ich so lange gesucht hatte. Doch auch wenn meine Suche beendet schien, war es nicht vorbei. Das Schwierigste stand mir noch bevor. Die Enthüllung der Wirklichkeit, aber das hatte bis morgen Zeit oder übermorgen. Ich wollte erst einmal auskosten, was ich gefunden hatte. Bevor ich es womöglich wieder verlor.
Vorher musste ich dafür sorgen, dass mein kleiner wunderbarer Porzellanengel bei Kräften blieb. Ich konnte sehr wohl von Luft und Liebe leben, aber sie, meine kleine Sterbliche, nicht. So präsentierte ich ihr stolz das erste Frühstück, das ich jemals für einen Menschen zubereitet hatte. Das sagte ich ihr natürlich nicht. Nein, diese unwichtigen Details wollte ich ja zu einem anderen Zeitpunkt erörtern.
Die Auswahl des Frühstücks war mir nicht leichtgefallen. Weder wusste ich, was sie gern mochte. So gut kannten wir uns einfach noch nicht, und ich war nicht so frech gewesen, in ihren Küchenschrank zu schauen, als ich bei ihr war. Noch war ich mir sicher, was die Menschen heutzutage aßen. Natürlich sah ich viel fern und kam um die vermeintlichen Werbepausen nicht herum, aber weder Kindercornflakes in bunten Farben, verdauungsfördernder Joghurt oder Margarine mit steinhartem Brot erschienen mir angebracht. Ich musste gestehen, dass ich an einigen Rezepten, die ich im Internet fand, kläglich gescheitert war. Dennoch konnte ich ihr nach einigen Stunden Arbeit, in denen sie ruhig und entspannt ihren Rausch ausgeschlafen hatte, ein Frühstück präsentieren, das es in dieser Form nicht noch einmal gab.
Ich hatte Brötchen aufgebacken, das war einfach, und Rührei gebraten. Ich hatte kleine Pfannkuchen gebacken, die irgendwie nicht so aussahen wie auf der Abbildung, Obst für einen Salat geschnippelt, wobei ich mir nicht sicher war, ob diese knallgelbe Frucht wirklich in Stücken mit hineingehört. Aber sie stand in der Zutatenliste, den Rest hatte ich mir nicht mehr durchgelesen, dafür war keine Zeit. Auch wenn James sehr umfangreich eingekauft hatte, fehlten einige Zutaten, die ich einfach wegließ. Bei acht und mehr Bestandteilen war es wohl nicht so schlimm, wenn eins fehlte.
Ganz ehrlich, kochen war nichts für mich, doch ihr erstaunter Gesichtsausdruck war die Mühe wert.
*
»Erwartest du noch jemanden zum Frühstück?«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Dorian und grinste. »Ich wusste nur nicht, was du gern isst.«
Ich warf einen eingehenden Blick auf die Vielzahl Schüsseln und Teller, die auf dem Tresen, der die Küche vom Wohnbereich trennte, aufgereiht waren. »Deshalb hast du einfach alles gemacht, was dir so einfiel?«
Er zuckte gelassen die Schultern.
Ich ging um den Tresen herum zu ihm, um zu sehen, was sich noch auf dem Herd befand. »Baconstreifen und Rührei brät man besser getrennt«, stellte ich fest und grinste.
»Der Gedanke kam mir auch schon«, erwiderte er und grinste ebenfalls.
Dorian hatte anscheinend noch niemals gekocht. Dass er es versucht hatte, fand ich sehr schmeichelhaft, und ich schnappte mir einen leeren Teller und füllte mir so viel wie möglich auf. Um ihm zu zeigen, dass ich seinen Versuch zu schätzen wusste, und weil ich wie ausgehungert war. Ich setzte mich auf einen der Barhocker und probierte artig alles, obwohl manches etwas sonderbar schmeckte.
Bei dem Obstsalat mit den großen Zitronenstücken musste ich jedoch passen. Ich hatte keine Ahnung, wo Dorian herkam, aber bei mir musste ein Obstsalat süß sein. Von dem Kaffee würde ich wahrscheinlich nie wieder schlafen können, so stark war er, aber ich trank ihn trotzdem. Es war einfach zu süß, wie er mich die ganze Zeit beobachtete, kaum etwas aß, und auf eine Reaktion von mir wartete. »Vielen Dank für das üppige Frühstück«, sagte ich, als ich mich auf dem dicken Teppich niederließ, das Sofa als Rückenlehne missbrauchend.
Ich hatte mir einige Klamotten von Dorian heraussuchen dürfen, weil ich nicht im Bademantel herumlaufen und auch die nach Rauch stinkenden Klamotten von gestern Abend nicht noch einmal anziehen wollte. Es war ein seltsames Gefühl gewesen, zwischen seinen gut sortierten und ordentlich gefalteten Klamotten herumzustöbern. Er schien keine Geheimnisse vor mir zu haben, zumindest nicht im Schrank.
»Hat’s dir denn geschmeckt?«
Ich wiegte den Kopf hin und her. »Es war auf jeden Fall interessant«, antwortete ich lachend und brach noch ein Stück von dem Gebäck ab, das mich stark an französische Madeleines erinnerte, aber viel zu groß war und irgendwie anders schmeckte.
»Das nächste Mal kannst du ja das Frühstück machen.« Dorian hatte sich an den Sessel neben dem Sofa gelehnt und seine langen Beine ausgestreckt. Es klang so selbstverständlich, dass es ein nächstes Mal geben würde, dass ich schmunzeln musste.
»Oder wir lassen uns Frühstück machen«, fügte er dann mit einem Augenzwinkern hinzu. »Also, es sei denn, mein Reichtum schreckt dich immer noch ab.«
Ich warf einen Blick durch den großen Raum mit seiner getönten Fensterfront, den antiken Gemälden und teuren Ledermöbeln und einem Kamin so groß, dass Kinder darin hätten spielen können. »Es ist schon etwas befremdlich. Diese Wohnung, deine teuren Autos. Dein Vorschlag gestern, mir einen Wagen zu schicken, der mich ins Adam’s bringen sollte. Dieses große Anwesen draußen an der Steilküste, das deiner Familie gehört. Lebst du tatsächlich da?«
Dorian grinste nur.
»Der Portier hat mir deinen Namen gesagt«, fühlte ich mich genötigt zu erklären, woher ich das über ihn wusste. »Ich hab nicht gefragt. Er hat mich fälschlicherweise für deine Frau gehalten.« Ich hatte keine Ahnung, warum mir das peinlich war. Wir hatten bisher noch nicht darüber gesprochen, ob einer von uns jemals fest liiert war oder womöglich noch immer in einer Beziehung steckte, oder sich gerade getrennt hatte, was auch nicht besser war. Ich fand jedoch, dass man so was zumindest einmal aussprechen sollte. Nur fürs Protokoll, quasi.
Ehe er etwas erwidern konnte, hörten wir die Tür aufgehen und ein vornehm gekleideter Mann mit ordentlich nach hinten gegelten Haaren und einem geschäftsmäßigen Gesichtsausdruck kam mit einigen Tageszeitungen in der Hand herein. »Sie sind nicht nach Hause …«, sagte er in einem Ton, der tiefste Missbilligung ausdrückte. Er hielt inne, als er uns entdeckte. »Oh, bitte entschuldigen Sie, Sir, ich wusste nicht, dass wir Besuch haben.«
Ich sah erstaunt zu ihm auf. Er stand mit leicht vorgeneigtem Oberkörper und fest zusammengepressten Hacken da, als würde er jeden Moment salutieren wollen, und trug einen maßgeschneiderten Anzug und ein altmodisches Hemd mit Vatermörderkragen.
»Guten Morgen, James«, sagte Dorian gut gelaunt und zwinkerte mir zu.
»Es ist fünf Uhr nachmittags, Sir«, kam die anklagende Antwort.
»Tja, dann halt guten Abend. Sie können die Zeitungen auf den Tisch legen.«
James tat, wie ihm befohlen, und warf einen skeptischen Blick in die Küche. Dann ging er an uns vorbei, ohne uns eines weiteren Blickes zu würden, und marschierte wie selbstverständlich ins Schlafzimmer, wo ich ihn das Bett aufschlagen hörte. Ich starrte ihn überrascht an, als er wieder herauskam und eine kleine schwarze Mülltüte in der Hand hielt, die mir aus dem Badezimmereimer bekannt vorkam.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Sir?«
Sein Blick verriet nichts darüber, was er über meine Anwesenheit und die offensichtliche Tatsache, dass ich die Nacht hier verbracht hatte, dachte. Dennoch war es mir unangenehm. Vielleicht, weil James maximal zehn Jahre älter sein musste als ich.
»Brauchst du noch irgendwas?«, fragte mich Dorian.
Ich blickte ihn überrascht an und schüttelte schnell den Kopf. Was sollte ich denn jetzt brauchen? Vielleicht jemanden, der mich aus diesem merkwürdigen Traum aufweckte?
»Ich glaube, der Kühlschrank muss wieder aufgefüllt werden«, antwortete er an den Butler gewandt. »Ich werde mit Louisa eine Liste der Dinge zusammenstellen, die wir brauchen.«
»Sehr wohl, Sir«, erwiderte James mit einer angedeuteten Verbeugung. »Wenn Sie vorhaben, jetzt öfter hier zu sein, schlage ich vor, ein Zimmermädchen einzustellen.« James hob mit spitzen Fingern die Mülltüte hoch.
Dorian sah mich einen Moment nachdenklich an und dann wieder zu James hoch. »Machen Sie das. Sie kann morgen Mittag auch gleich die Küche sauber machen. Danke, James, das wär dann alles.«
»Sehr wohl, Sir. Miss Louisa«, sagte James und deutete eine kleine Verbeugung in meine Richtung an. »Ich wünsche den Herrschaften einen angenehmen Abend.«
»Danke, Ihnen auch, James. Wir sehen uns morgen zu Hause«, rief Dorian ihm fröhlich hinterher.
»Du hast sogar einen Butler?«, fragte ich, als ich die Fahrstuhltür zugehen hörte.
Dorian lachte. »Ist James nicht großartig? Wie einer dieser Butler im Fernsehen, oder? So steif und vornehm. Und wie er immer redet! Stets zieht er ein Gesicht, als hätte er Magenschmerzen oder Verstopfungen. Findest du nicht?«
Ich starrte Dorian an, der sich köstlich darüber amüsierte. Jetzt hätte er mich fragen sollen, ob ich von seinem Reichtum eingeschüchtert war. Die Antwort hätte ganz klar Ja gelautet. »Und er macht hier sogar die Betten?«
»Eigentlich nicht. Aber ich mag’s nicht so gern, wenn fremde Leute in meinen Sachen rumwühlen. Deshalb hab ich James. Er ist meine rechte Hand und genießt mein vollstes Vertrauen. Aber er hat einen ganz schönen Schreck gekriegt, weil du hier bist.«
»Dann hast du nicht oft Frauenbesuch?«, fragte ich schnell und bemühte mich, es so belanglos wie möglich klingen zu lassen.
»Nie«, erwiderte Dorian wie selbstverständlich und sah mich offen an. »Denkst du das denn?«
»Da du ja scheinbar alles hast, warum solltest du dann nicht auch eine Frau haben?«
»Hm. Ich bin aber nicht verheiratet, war es nie und hätte auch nicht gedacht, dass ich es jemals sein werde.«
Dorian blickte mich an, und ich merkte, wie mir unter seinem Blick die Hitze ins Gesicht stieg, und sah schnell in meinen Kaffeebecher.
»Ich hab keine feste Freundin«, fuhr er fort und zog damit meinen Blick wieder auf sich. »Außer dir. Vielleicht.«
»Ich bin auch noch nicht vergeben.«
»Das hab ich auch nicht angenommen.«
»Ach so?«
»Nein, obwohl ich nicht annehme, dass es dir an Auswahl gemangelt hätte. Aber du bist nicht die Sorte Frau, die spontan fremdgehen würde. Ich denke, würdest du dich in einen anderen verlieben, wärst du so fair, die bestehende Beziehung erst zu beenden.«
Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen, aber es war erstaunlich zu hören, dass es so offensichtlich war. Zumindest für ihn. »Erzähl mir, wie du so lebst«, forderte ich ihn auf.
»Okay. Wo soll ich anfangen?« Dorian hielt inne und grinste mich an.
Ich zog nur auffordernd die Augenbrauen hoch, immerhin hatte ich mich vor nicht langer Zeit in der gleichen Situation befunden.
»Wie lebe ich?«, begann Dorian nachdenklich. »Ich habe einen sehr geregelten Tagesablauf. Nichts ist schlimmer, als Leute, die in den Tag hinein leben. Ich stehe auf, lese die Tageszeitung, werfe einen Blick in meine Post, wobei eigentlich James das meiste erledigt, und kümmere mich darum, dass die Geschäfte gut laufen. Gott sei Dank ist mein Unternehmen, die Gerald Group, recht erfolgreich. Ich muss nicht ganz so viel arbeiten wie andere und kann meine Zeit frei einteilen. Außerdem habe ich vertrauenswürdige und fähige Manager und Geschäftsführer eingestellt, die mir fast alles abnehmen. Wenn ich arbeite, dann in meinem Büro von zu Hause aus. Mein Unternehmen besteht aus mehreren Firmen in verschiedenen Ländern. Da muss ich glücklicherweise nicht ständig hinfahren. Das Internet macht’s möglich. Ich lebe in meiner Strandvilla ziemlich zurückgezogen. Ich gehe auf keine Dinnerpartys oder sonstige Schickeriaveranstaltungen und bin auch nicht im Golfklub. So ein Leben führ ich nicht. Ich hab zu Hause so ziemlich alles, was ich brauche, und hab gern meine Ruhe. Nur James ist immer da. Und am Wochenende geh ich natürlich aus. So wie die meisten Leute.«
»Also lebst du tatsächlich in dieser Strandvilla?«
»Natürlich! Wenn du willst, nehme ich dich mit hin.«
»Und diese Wohnung hier ist dein Zweitwohnsitz?«
»Dieses Penthouse hab ich nur für dich gekauft«, antwortete Dorian und lächelte.
»Wie bitte?«
»Nein, nicht so, wie du denkst«, wehrte Dorian schnell ab. »Ich dachte nur, das wäre weniger verschreckend als mein Haus am Strand. Für den Fall, dass du dich von mir einladen ließest. Ich war mir nicht sicher, ob du überhaupt jemals mit mir ausgehen würdest. Ganz ehrlich, wenn ich an unseren ersten Morgen hier denke, bin ich froh für dich, dass ich es gekauft habe. Aus meiner Villa hättest du nicht so einfach flüchten können. Und selbst wenn, wäre es ein langer Fußmarsch bis nach Hause gewesen.«
Ich stieß ihn scherzhaft mit dem Fuß an, und er lachte.
»Au! Wir können heute noch hinfahren, wenn du möchtest«, sagte er und beugte sich zu mir.
»Ich glaube, ich muss erst mal das hier alles verdauen«, erwiderte ich und dachte dabei nicht nur an den Butler und das Frühstück. »Außerdem wird mir das heute zu spät. Ich kann mir meine Arbeitszeit leider nicht so frei einteilen, sondern muss da morgen früh um acht auf der Matte stehen.«
»Aber du willst doch nicht jetzt schon nach Hause? Du kannst über Nacht bleiben, wenn du willst. Jederzeit.«
»Genau«, sagte ich und lachte. »Und morgen in den viel zu großen Klamotten von dir ins Büro gehen. Am besten bringst du mich noch in einem deiner teuren Luxuswagen hin. Na, da würden die Kollegen aber Augen machen!«
Dorian stimmte in mein Lachen mit ein und rutschte zu mir. Er setzte sich im Schneidersitz mir gegenüber und nahm meine Hände. »Ich hab ein bisschen Angst, dich gehen zu lassen.« Er hauchte mir einen Kuss auf jede Hand. »Nicht, dass du mir dann wieder nicht aufmachst.«
Da hatte Dorian berechtigte Zweifel, denn ich fühlte mich noch immer wie im Traum. Ich war zwar nicht Julia Roberts, aber Dorian durchaus Richard Gere – nur viel hübscher und jünger. Wie würde es sein, mit so jemandem zusammen zu sein? Ich hatte keine Bedenken, dass Dorian sich in meine kleine Welt einfügen würde. Er wirkte überall etwas deplatziert, das fiel mir immer wieder auf. Aber bis auf Eric hatten alle Dorian so genommen, wie er war. Selbst Josh war ganz ungezwungen mit ihm umgegangen, obwohl er genau genommen sein Chef war. Doch wie würden meine Eltern reagieren?
Eigentlich war das auch egal. Ich wollte mit Dorian zusammen sein, und alles andere würde sich finden. Wahrscheinlich machte ich mir zu viele Gedanken, und das Zusammensein mit Dorian Fitzgerald stellte sich nachher als völlig normal heraus.
*
Sie waren den ganzen nächsten Tag gefahren, hatten zwischendurch mehrmals getankt, die Wagen gewechselt und versucht, möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Dabei hatten Jayden und Jil nicht einfach deren Besitzer umgebracht, wie Trudy es von Steve gewohnt war. Sie gingen da etwas geschickter vor und stahlen einfach parkende Autos und schlossen sie kurz. Das fiel weniger auf. Es war einfach ein Autodiebstahl, wie es unter Sterblichen üblich war.
Sie hielten sich von allen Menschen fern und jagten nicht. Jayden meinte, damit hätten sie eine Spur hinterlassen, die der Alte mühelos hätte verfolgen können. Jayden und Jil schien das nicht zu stören, aber an Trudy nagte der Hunger. Das Blut, das sie vor so vielen Stunden getrunken hatte, hatte ihr Körper längst verbraucht, um die Wunden zu heilen. Ihr Durst wurde so groß, dass sie kaum noch klar denken konnte. Ihr brach der Schweiß aus, zumindest fühlte es sich so an, denn ihre Haut blieb trocken, und sie fühlte sich schwach und zittrig.
Gegen Abend suchten sie sich einen Unterschlupf. Jil fand mit erstaunlicher Zielstrebigkeit ein verschlossenes Haus, deren Besitzer offenbar im Urlaub waren, und brach die Hintertür auf. Trudy hatte keine Ahnung, woran sie erkannte, dass das Haus verlassen war, und vor allem, woher sie wusste, dass die Bewohner nicht am nächsten Tag wiederkämen. Aber es war ihr auch egal. Ihr Durst war mittlerweile so groß, dass ihr jeder Knochen im Körper schmerzte, als würde er verschrumpeln. Keuchend schleppte sie sich nach drinnen.
»Sie muss trinken«, flüsterte Jil ihrem Bruder zu, der Trudy wütend musterte.
Er hatte die ganze Fahrt über nicht wieder mit ihr gesprochen, und auch jetzt war sein Blick hart und abweisend. »Wir können jetzt keinen Sterblichen holen«, erwiderte er und musterte Trudy mitleidslos. »Lass sie von dir trinken.«
»Aber du bist stärker«, gab Jil zurück und sah ihn bittend an.
Er seufzte und verdrehte die Augen, stapfte auf sie zu und hielt ihr seinen Arm hin. »Aber nur so viel, dass du mit dem Scheiß-Gestöhne aufhörst!«
Sie richtete sich schwer atmend auf und griff nach dem dargebotenen Arm. Vorsichtig biss sie hinein und trank gierig ein paar Schlucke. Sie hatte noch nie von Jayden gekostet. Darauf hatte er bei all ihren Spielchen immer geachtet. Sie hatte von Jil getrunken und er von ihnen, aber sein Blut kostete Trudy das erste Mal. Es war köstlicher als alles, was sie bisher getrunken hatte. Es schmeckte so gut, wie er schön war.
Er gab ihr gerade so viel, dass sie sich nicht mehr so schwach fühlte, und riss nach wenigen Schlucken grob ihren Kopf an den Haaren weg. »Das reicht!«
Jil ging zu ihm, führte die Wunde an ihre Lippen und trank ebenfalls kurz von ihm, ehe sie ihn leidenschaftlich küsste.
Er nahm sie in den Arm und drehte sich noch einmal zu Trudy um. »Schlaf ein bisschen. Dann schauen wir, wie es weitergehen soll«, sagte er zu ihr, und seine Stimme klang nicht mehr ganz so abweisend.
Arm in Arm gingen die beiden nach oben. Trudy rollte sich auf dem Sofa zusammen und schloss die Augen. Die Erinnerung an das Erlebte erwachte sofort vor ihrem inneren Auge. Sie hatte in ihrem ganzen Vampirdasein noch nie so viel Angst gehabt, wie in dem Moment, in dem der Alte sie am Hals gepackt hatte. Er hatte so Furcht einflößend ausgesehen mit seinen komplett schwarzen Augen. Seine Adern waren dick und schwarz durch seine weiße Haut getreten, als würde tiefschwarze Tinte in ihnen fließen und kein Blut. So etwas hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Aber auch vor Jayden musste sie sich in acht nehmen. Er war wesentlich älter, als sie gedacht hatte. Nicht so alt wie der Russe, aber älter als alle anderen Vampire in dem Haus. Vielleicht waren er und Jil doch keine Geschwister? Ihr Blut schmeckte nicht so stark, überlegte sie und schlief ein.
Etwas traf sie im Gesicht und Trudy sprang alarmiert auf. Jil grinste sie an und warf etwas nach ihr, das sie mühelos auffing, ohne auch nur darüber nachzudenken. Es war ein kleiner Zinnsoldat. Sie ließ ihn zu Boden fallen. Um das Sofa herum waren noch mehr dieser Spielfiguren verteilt.
Jil hockte, nur mit einem kurzen T-Shirt und einem Spitzenslip bekleidet, in sicherem Abstand auf der Lehne des Sessels, eine fast leere Schachtel auf dem Schoß. »Wie fühlst du dich?«, fragte sie und musterte sie interessiert.
»Geht so«, antwortete sie und blickte sich um. Es war dunkel, weil alle Außenjalousien herunter gelassen waren. »Wie spät ist es?«
»Noch nicht Morgen«, erwiderte Jil, stellte die Schachtel beiseite und kam zu ihr.
»Wo ist Jayden?«
»Er schläft noch. Er kann uns nicht hören. Erzähl mir von dem Alten.«
Trudy sah Jil erstaunt an, doch die hübsche blonde Vampirin zog sie aufs Sofa, kniete sich neben sie und sah sie auffordernd an.
»Er war der stärkste Vampir, den ich jemals gesehen habe.« Sie sah die Blonde ernst an. »Wir hatten uns eigentlich gedacht, ihm mit einem kleinen Geschenk gnädig zu stimmen, aber der Alte war stinksauer und hätte mich fast umgebracht. Du glaubst nicht, welche Kräfte der hat!«
»Was wolltet ihr denn von ihm?«
»Ich hatte gehofft, dass er uns vielleicht bei sich aufnimmt. Steve und mich und euch beide«, log Trudy und hoffte, Jil würde es nicht merken. »Ich war es leid, in dieser verwahrlosten Bude mit den anderen Vampiren zu leben. Er hat ein riesiges Haus, da hätten wir alle bequem drin wohnen können. Alles war sauber und total modern. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für eine Luxushütte war! Der muss unglaublich viel Geld haben.«
Jils Augen blitzten kurz auf.
Trudy erkannte, dass sie auf dem richtigen Weg war. Sie nahm Jils Hand und streichelte sie. »Wir hätten uns schöne Kleider kaufen können und diese sündhaft teure Spitzenunterwäsche, die sich anfühlt, als hätte man nichts an«, flüsterte sie und küsste Jils kalte Finger. »Aber Steve hat sich so dämlich angestellt und nun ist er tot.« Sie schniefte und versuchte, ein trauriges Gesicht zu machen. Wenn sie genügend Blut getrunken hätte, hätte sie sich bestimmt ein paar Tränen herausdrücken können. So schluchzte sie nur und vergrub ihr Gesicht am Hals der anderen Vampirin.
Jil nahm sie in die Arme und strich ihr tröstend über den Rücken. »Sei doch froh, dass du ihn los bist«, flüsterte sie ihr zu. »Er war ein Scheusal und hat dich nicht geliebt. Nicht so wie ich.«
»Ich hatte doch nur ihn«, begehrte Trudy schluchzend auf und musste sich ein Grinsen verkneifen, weil Jil den Brocken so schnell geschluckt hatte.
»Jetzt hast du ja mich«, erwiderte Jil bestimmt und hob Trudys Kopf an.
Sie blickte möglichst unglücklich zu ihr auf, und Jil strich ihr die Haare aus dem Gesicht und küsste sie erst zaghaft, dann eindeutiger. Stürmisch erwiderte Trudy den Kuss und Jil griff ihr unter den Rock und streichelte ihren nackten Hintern. Trudy rutschte vom Sofa, um sich vor sie zu knien. Bereitwillig öffnete die Blonde ihre blassen Beine. Trudy ließ ihre Zunge Jils Oberschenkel entlang zu ihrer Mitte gleiten und leckte ihr über die schwarze Spitze ihres Slips, ehe Trudy sie ihr mit einem Ruck vom Leib riss. Ob Mann, Frau, sterblich oder Vampir – mit Sex konnte man sie alle kriegen, dachte Trudy und grinste böse.
Jayden kam lautlos die Treppe hinunter. Jil und Trudy waren gerade fertig geworden und grinsten sich beglückt an. Trudy hatte sich bereits angezogen, Jil saß noch nackt auf dem Sofa und sah ihr dabei zu.
»Wir müssen weiter«, verkündete er und warf Jil ihre restlichen Klamotten hin.
Die blonde Vampirin fing die Sachen mühelos auf und zog sich ebenfalls an.
»Ich komme nicht mit«, verkündete Trudy und hoffte, dass sie sich nicht in Jil getäuscht hatte.
Der Blonde zuckte mit den Achseln. »Wie du willst. Ist mir egal.«
»Ich möchte bei Trudy bleiben«, sagte Jil so ruhig, als hätte sie gesagt, dass das Wetter schön sei. Jayden starrte seine Schwester an, während sie sich gelassen weiter anzog und sich neben Trudy stellte. »Ich mag Trudy«, erklärte sie. »Und ich möchte einfach gern mal eine Freundin haben.«
Jayden blickte von einer zur anderen. Trudy versuchte ein möglichst überraschtes Gesicht zu machen, und ihre Freude zu verbergen.
»Ihr führt doch was im Schilde.« Jaydens hellblaue Augen verfinsterten sich einen Moment, und er erkannte in ihren Gesichtern, dass er richtig lag. »Ihr wollt wieder zu diesem alten Vampir?«
Jil ging geschmeidig zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Brust. »Ich weiß nicht, warum du dich deswegen so aufregst.« Sie blickte ihren Bruder mit einem Klein-Mädchen-Lächeln an. »Wir wollen nur mal mit ihm reden. Da wird er ja wohl nichts gegen haben.«
Jayden schnaubte verächtlich aus. »Ihr begreift es nicht, oder?«, fragte er wütend und blickte von Trudy zu seiner Schwester, die ihm so ähnlich war – zumindest äußerlich. »Der wird ein Scheißinteresse daran haben, mit euch zu reden, und euch in Asche verwandeln, bevor ihr überhaupt nah genug an ihn herangekommen seid.«
»Dann hilf uns doch.« Jil schmiegte sich an ihren Bruder. »Du bist viel stärker als wir beide.«
»’n Teufel werd ich tun!« Er schob sie unwirsch von sich.
»Aber vielleicht könntest du ja jemanden bitten, uns zu helfen?«, fragte Jil und sah ihn vielsagend an.
Jayden runzelte für einen Moment die sonst glatte Stirn und sah seine Schwester nachdenklich an. Er hatte ein rundes Gesicht mit einem spitzen, leicht hervorstechenden Kinn, das von dem blonden Kinnbart noch betont wurde, und tief liegenden Augen, die sehr verführerisch blicken konnten. Seine welligen Haare waren hellblond, fast weiß. Er sah aus wie ein Engel. Wenn die kalten blauen Augen nicht wären. Nur wenn er Jil ansah, wurden sie weicher.
»Ich weiß, dass du sie anrufen kannst«, redete Jil weiter mit ihrer Klein-Mädchen-Säuselstimme auf ihren Bruder ein. »Und sie hilft uns bestimmt.«
»Darauf würde ich mich nicht verlassen«, erwiderte er, wirkte aber nicht mehr ganz so abweisend. »Wenn sie einwilligt, bin ich weg, Jil. Ich hab ihre Spielchen satt und will auch mit dieser Scheiße hier nichts zu tun haben.«
»Das verstehe ich, Jayden«, sagte Jil und küsste ihren Bruder leidenschaftlich. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.«
Trudy beobachtete die beiden fasziniert und verstand nichts von dem, was sie sagten.
»Dann rufst du sie an?«
Jayden brummte nur und ging zum Telefon in der Küche.
Trudy war überrascht, als er eine Nummer wählte und am anderen Ende tatsächlich jemand ranzugehen schien. Es war nicht unbedingt üblich, dass Vampire sich gegenseitig übers Telefon anriefen. Wobei sie nicht wusste, ob mit sie ein Vampir gemeint war. Aber wer sollte ihnen sonst helfen?
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte Jayden leise und mit harter Stimme in den Telefonhörer. Stille. »Du schuldest mir noch einen Gefallen.« Jetzt klang seine Stimme sogar noch härter. Wieder Stille. »Nicht für mich. Für Jil.« Jaydens Gesicht wurde ernster, als er in den Hörer lauschte.
Obwohl Trudy ein sehr gutes Vampirgehör hatte, konnte sie nicht verstehen, was am anderen Ende gesprochen wurde. Jayden sprach so leise, dass sie ihn nur verstehen konnte, wenn sie sich ganz genau auf seine Worte konzentrierte.
»Das tut nichts zur Sache. Hier ist ein Alter, und wir wollen an ihn ran«, erwiderte Jayden ungeduldig und horchte wieder in die Muschel. »Wie heißt der?«, fragte er.
Trudy zuckte erschrocken zusammen, weil sie plötzlich und verhältnismäßig laut angesprochen wurde. Sie sagte es ihm.
»Dorian«, wiederholte Jayden leise in den Hörer.
Dieses Mal war es länger still. Bis Jayden der Teilnehmerin am anderen Ende erzählte, wo sie waren und wo der Alte zu finden war, und auflegte. Er seufzte hörbar und sah sie bedauernd an. »Ihr habt keine Ahnung, auf was ihr euch da einlasst. Viel Spaß mit Mary. Bleibt in der Nähe. Sie wird euch finden.«
Er huschte geräuschlos zur Hintertür hinaus und war verschwunden, ehe sie ihm ein »Auf Wiedersehen« zurufen konnten. Sie blickte Jil fragend an.
Jil sah ihrem Bruder hinterher, zuckte dann mit den Schultern und drehte sich zu ihrer Freundin um. »Wir müssen uns erst mal einen neuen Unterschlupf suchen. Hier können wir nicht bleiben. Und wir müssen was trinken. Lass uns los, bevor es hell wird.« Sie wirkte wie ein kleines Mädchen, das ihren Eltern endlich eins auswischen konnte.
Sie huschten nach draußen und fanden wider Erwarten den Wagen, mit dem sie gekommen waren, in der Auffahrt stehen. Jayden musste zu Fuß verschwunden sein. Hoffentlich würde er vor dem Morgengrauen einen Unterschlupf gefunden haben. Auch wenn sie enttäuscht war, dass Jayden ihr nicht helfen wollte, wollte sie nicht, dass er ihretwegen zu Asche zerfiel, sobald die Sonne aufging. Schnell stiegen sie ins Auto und fuhren los. Trudy fuhr, Jil saß auf dem Beifahrersitz und ließ ihren Blick und ihre vampirischen Sinne über die vorbeirauschenden Häuser schweifen. Sie konnte spüren, ob Sterbliche zu Hause waren, und schien bei leer stehenden Häusern auch spüren zu können, wie lange sie schon verlassen waren. Trudy bewunderte sie dafür, auch wenn Jil ihr nicht erklären konnte, wie sie es machte. Sie hätte einen Menschen in einem der vorbeifliegenden Häuser nur ausmachen können, wenn er oder sie blutend am Boden gelegen hätte. Das war auch ein Grund, warum sie so besessen war von diesem Alten mit seinen Kräften und seinem Wissen.
»Das da vorn«, riss Jil sie aus ihren Überlegungen und wies auf ein heruntergekommenes Haus, dessen Vorgarten so zugewuchert war, dass selbst Trudy erkannte, dass sich niemand um das Anwesen kümmerte.
Sie parkten den Wagen ein paar Meter weiter die Straße rauf und huschten schnell zu dem Haus zurück. Die Sonne würde bald aufgehen, die Vögel zwitscherten bereits und in einigen Häusern brannte schon Licht. Gerade noch rechtzeitig. Trudy folgte ihrer blonden Freundin in das baufällige Haus. Jil bedeutete ihr, leise zu sein, und schlich die Treppe voran auf eine Tür zu. Jetzt konnte Trudy es auch hören. Dahinter schnarchte jemand.
Leise öffneten die beiden Vampirinnen die Tür und bauten sich lautlos vor dem Bett auf, in dem ein langer schlanker Mann lag. Er war unrasiert und sah so ungepflegt aus wie sein Vorgarten. Neben seinem Bett standen mehrere Bier- und Schnapsflaschen, und er schnarchte mit geöffnetem Mund, wobei er eine Alkohol- und Zigarettenfahne nach der anderen in die eh schon stickige Luft blies.
»Nicht gerade ein Festtagsessen, aber besser als nichts«, flüsterte Jil und bot Trudy an, sich zuerst an ihm zu bedienen.
Sie tranken ihn bis auf den letzten Tropfen leer und ließen seine Leiche im Bett liegen. Er war nicht einmal wach geworden, so betrunken war er. Im Obergeschoss fanden sie ein weiteres Zimmer, das einer Frau gehört haben musste. Es war ordentlicher, obwohl über allem eine dicke Staubschicht lag. Sie zogen die Vorhänge zu und kuschelten sich zusammen auf das schmale Bett.
»Wer ist denn diese Mary?«, fragte Trudy und streichelte Jil gedankenverloren über die Brust.
»Ich kenn sie auch nicht«, antwortete sie entspannt. »Sie hat meinen Bruder zu einem Vampir gemacht. Sie ist ziemlich alt, also zumindest älter als die meisten, die wir bisher getroffen haben. Jedoch lange noch keine Alte in dem Sinne.«
»Aha. Und warum will Jayden sie dann nicht treffen?«
»Ich weiß nicht. Die waren mal ein Paar, aber irgendwie haben sie sich dann gestritten oder so«, antwortete Jil gleichgültig und rekelte sich genüsslich unter Trudys Berührungen. »Jayden redet nicht gern darüber. Ich glaube, er hat ihr das Leben gerettet und sie seitdem nicht mehr gesehen.«
»Seid ihr tatsächlich Geschwister?«
Jil blickte überrascht auf und lachte. »Natürlich. Das sieht man doch.«
»Ich mein ja nur, weil ihr …«
»Weil wir miteinander schlafen?«, fragte Jil und ihr Blick wurde verträumt. »Jayden ist so wunderschön. Ich liebte ihn schon, als ich noch ein kleines Mädchen war. Und er mich genau so. Dass wir Geschwister sind, war für uns nie ein Problem. Jayden hat gewartet, bis ich alt genug war, und hat mich dann zu einem Vampir und zu seiner Gefährtin gemacht. Seitdem sind wir zusammen. Ich werde ihn vermissen. Obwohl es mit dir viel aufregender ist.«
Jil zog Trudys Gesicht sanft zu sich herunter und küsste sie innig. Obwohl Trudy selbst schon viel erlebt hatte, fand sie diese Form der Geschwisterliebe irgendwie abartig.
*
Der Morgen graute bereits, als ich mich auf den Weg machte. Ich hatte die ganze Nacht vor Louisas Haus im Auto gesessen und meinen Gedanken nachgehangen. Sie war so bezaubernd gewesen, wie sie in der Tür gestanden und sich von mir verabschiedet hatte. Wahrscheinlich musste ich nicht befürchten, dass diese Frischlinge zurückkämen, aber sicher war sicher. Ich ärgerte mich über meine unprofessionelle Vorgehensweise bei der Aushebung des Vampirnestes. Wäre ich nicht so in Rage gewesen, nicht blind vor Zorn und Angst, hätte ich bemerkt, dass sich einige der kleinen Scheißer vorher abgesetzt hatten, und hätte sie mir zuerst vorgeknöpft.
Ich fuhr noch einmal die Strecke, die die Vampire genommen hatten, ab und versuchte, ihre Spur wieder aufzunehmen, doch durch den Regen des vergangenen Tages konnte ich keinen Hauch mehr von ihnen erhaschen. Ich hielt sie nicht für schlau genug, ihre Spur so gut verwischen zu können, um in meiner Nähe untertauchen zu können. Wahrscheinlich hatten sie tatsächlich das Weite gesucht und würden nun woanders ihr jämmerliches Dasein weiterführen.
Unbefriedigt und schlecht gelaunt kehrte ich irgendwann um. Ich wollte nicht zu spät bei Louisa sein und musste vorher noch trinken. Nein, ich hatte nicht vor, ihr heute schon die Wirklichkeit zu offenbaren. Ich wollte ihr erst zeigen, wie ernst es mir mit ihr war. Sie wirkte trotz allem skeptisch, und ich hatte das Gefühl, als brauchte sie noch mehr Beweise meiner Liebe. Die wollte ich ihr gern geben, denn das war leicht. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war fast fünf. Später, als ich gedacht hatte. Mist. Ich wählte Louisas Nummer, die ich bereits auswendig kannte.
»Hallo?«, hörte ich sie gut gelaunt ins Telefon trällern.
Ich wusste nicht, ob sie sich meine Nummer gemerkt hatte oder ob sie einfach guter Laune war, doch es war schön, sie so fröhlich zu hören. »Ich bin’s. Dorian.«
»Ich weiß.«
»Bleibt es bei unserer Verabredung?«
»Ja«, antwortete sie gedehnt. »Ich würde gern noch ein bisschen spazieren gehen, weil das Wetter so schön ist. Heute war es auf der Arbeit stressig. Wie jeden Montag. Da brauch ich ein bisschen Entspannung. Kommst du mit?«
Na, das musste ja irgendwann kommen! »Das würde ich gern, aber ich bin nicht in der Stadt und erst später wieder zurück, als ich gedacht hatte.« Zum Glück musste ich heute nicht lügen, was das Spazierengehen im Sonnenschein anging.
»Oh«, erwiderte Louisa enttäuscht. »Schade.«
»Ich beeile mich. Warte doch auf mich, ja?« Mir war es lieber, wenn sie in ihrer Wohnung blieb. Es kam ein leises Brummen aus dem Hörer, als würde sie über meinen Vorschlag nachdenken.
»Wo bist du denn?«
»Ich musste noch was Geschäftliches erledigen. Ganz frei kann ich meine Zeit doch nicht verbringen. Ich denke, dass ich spätestens um halb acht bei dir sein könnte. Magst du so lange auf mich warten?«
»Ja, das ist wohl das schwere Los des Großverdieners«, sagte sie und lachte. »Wir sehen uns dann später. Ich freu mich.«
»Ich freu mich auch, Louisa.«
»Ach, Dorian?«
»Ja?«
»Soll ich was zu essen machen für uns?«
Tja, auch das musste ja irgendwann kommen. Mich beschlich das unangenehme Gefühl, dass ich mich immer mehr in Lügen verstricken würde, wenn ich ihr nicht bald die Wahrheit sagte. Aber es war so zerbrechlich, so kostbar, was wir hatten, ich war noch nicht bereit, das gleich wieder zu zerstören. »Nicht nötig«, antwortete ich deshalb. »Ich hol mir was Schnelles unterwegs. Das reicht mir.«
»Wie du willst«, erwiderte sie, und ich hörte sie förmlich mit den Schultern zucken.
»Bis später.«
Wir legten auf, und ich drückte das Gaspedal durch. Scheiß auf die Blitzer. Und meinen Führerschein konnten sie mir ruhig wegnehmen. Davon hatte ich noch mehr.
*
Obwohl es gestern den ganzen Tag geregnet hatte und auch die ganze Nacht, das wusste ich, weil ich kaum ein Auge zugetan hatte, war heute schönster Sonnenschein. Das Wetter hier an der Küste war echt verrückt. Ich wäre gern mit Dorian ein bisschen rausgegangen, um die letzten Sonnenstrahlen des Tages zu genießen, aber nach einem Glas Wein, das ich genüsslich auf meiner Dachterrasse getrunken hatte, merkte ich, dass ich doch geschafft war und meine Glieder schwer wurden. So würde es wahrscheinlich sein, mit einem wohlhabenden Mann zusammen zu sein.
Als es kühl wurde, ging ich rein, und wenig später klingelte es. Dorians Stimme erklang auf meine Nachfrage durch die Gegensprechanlage, und mein Herz schlug augenblicklich höher. Ich öffnete und sah ihn schnell und geschmeidig die Treppe heraufkommen. Er hielt zwei Schritte vor mir inne und lächelte mich an.
»Komm rein«, forderte ich ihn auf und trat einen Schritt zurück.
Er folgte meiner Aufforderung, blieb aber vor mir stehen und nahm vorsichtig meine Hände. »Hallo, Schönheit«, flüsterte er und sah mich mit so viel Wärme an, dass mein Herz einen Schlag aussetzte. Mindestens. »Wollen wir noch den Spaziergang machen? Ich hab mich extra beeilt.«
Ich zog mir eine Jacke über, und wir verließen meine Wohnung und machten uns auf in die Altstadt. Die Geschäfte hatten mittlerweile geschlossen, aber wir schlenderten trotzdem von Schaufenster zu Schaufenster. Hand in Hand blieben wir mal hier stehen und mal dort, lachten über ausgefallene Dekorationsstücke und staunten über Schuhe, deren Absätze so hoch waren, dass man sich jeden Knochen im Fuß brechen würde, knickte man mit ihnen um. Ab und zu nahm Dorian unsere Hände hoch und hauchte mir einen kühlen Kuss auf die Finger. Er blieb etwas länger vor einem Juwelierschaufenster stehen, während ich zum nächsten Buchladen schlenderte und einen Blick auf die Neuerscheinungen warf.
Irgendwann hatten wir automatisch wieder den Weg zu meiner Wohnung eingeschlagen, als ich jemanden meinen Namen rufen hörte. Wir drehten uns um, und sahen Maggie winkend auf uns zu laufen.
»Hallo Louisa«, rief sie und umarmte mich kurz zur Begrüßung.
»Hi Maggie«, erwiderte ich überrascht und wies auf Dorian. »Du kennst Dorian noch?«
»Klar.« Sie sah schmachtend zu ihm auf, als er ihr die Hand gab und sie ebenfalls begrüßte.
Ich stutzte und musste feststellen, dass mir das nicht gefiel. Hatte sie nicht Samstag im Adam’s schon solche Blicke auf Dorian geworfen? Ich kannte Maggie bereits ein paar Jahre, wir waren nicht eng befreundet, sondern trafen uns nur am Wochenende zum Weggehen. Sie war nett, aber ich war nie wirklich warm geworden mit ihr und würde es jetzt auch nicht mehr werden. »Wo willst du denn hin?«
»Nach Hause. Ich glaube, ich wohne jetzt ganz bei dir in der Nähe.«
»Schließ dich uns doch an«, schlug Dorian vor. »Wir sind gerade auf dem Rückweg. Du solltest im Dunkeln nicht allein gehen.«
Maggie willigte sofort ein. Obwohl ich Dorian zustimmte, passte es mir nicht. Maggie verwickelte ihn prompt in ein Gespräch, zu dem ich nicht viel beizusteuern wusste. Er beantwortete ihre Fragen bereitwillig aber knapp und warf mir immer wieder lächelnd Blicke zu. Sie wohnte tatsächlich nur zwei Querstraßen weiter, und ich atmete erleichtert aus, als wir sie vor ihrer Haustür abgesetzt hatten.
»Ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich sie hab mit uns gehen lassen? Ich mag es nicht, wenn Frauen im Dunkeln allein unterwegs sind. Es passiert so viel auf der Welt. Da sollte man ein bisschen aufeinander achtgeben.«
Er nahm mich in den Arm, als ich nicht antwortete, und drückte mir einen Kuss auf den Scheitel. Ich bekam erneut den Eindruck, dass Dorian manchmal älter und reifer wirkte, als andere Männer in unserem Alter. Vielleicht hatte er deshalb gesagt, er würde auf mich aufpassen. Wenn ich an das zurückdachte, was ich erlebt hatte und was die anderen in meiner Selbsthilfegruppe erlebt hatten, musste ich Dorian zustimmen. Beim nächsten Treffen mit Maggie würde ich dennoch klarstellen, dass Dorian zu mir gehörte, und sie die Finger von ihm lassen sollte. Und ihre Blicke am besten auch.
*
»Liebling, ich bin zu Hause«, drang eine übertrieben fröhliche Stimme die Treppe hinauf und ließ sie erschrocken aufspringen.
»Ach, was haben wir denn hier?« In der geöffneten Tür stand eine kleine, vollbusige Frau mit hellroten langen Haaren, die wie Feuer ihr ausdrucksloses weißes Gesicht umrahmten. Sie hatte sich an den Türrahmen gelehnt und die hellgrünen Augen auf Jil und Trudy gerichtet, die aufgesprungen waren und nackt vor ihr standen, bereit sich zu verteidigen.
»Zwei kleine Vampirlesben«, stellte sie fest und musterte sie abschätzig. »Das ist ja entzückend. Du musst Jil sein. Ja, ich kann ganz deutlich deinen Bruder in dir erkennen. Und wer bist du?« Sie stieß sich vom Türrahmen ab und war so schnell bei ihnen, dass sie erschrocken aufkeuchten. Sie blieb vor Trudy stehen und musterte sie mit ihren kalten Augen.
Sie war gern nackt, doch in diesem Moment fühlte sie sich so unwohl wie noch nie. »Trudy«, flüsterte sie und hatte Mühe, dem durchdringenden Blick standzuhalten. Sie erschauderte beim Blick der unnatürlich hellen milchig-grünen Augen. Die andere war zwar kleiner als Trudy und vor allem als Jil, schaffte es aber, auf sie herabzusehen, als stünde sie auf einem Podest.
»Und ihr beiden … Schwestern habt Dorian getroffen?«
Trudy hatte sich als Erste wieder gefasst. »Ja, und wir wissen auch, wo er wohnt«, antwortete Trudy und versuchte, sich vor der kleineren Frau aufzubauen, was ihr jedoch nicht gelingen wollte. »Jayden sagte, du würdest uns helfen.«
Es war keine Frage, dennoch wiegte die rothaarige Vampirin den Kopf hin und her, als würde sie über eine Antwort nachdenken.
»Vorausgesetzt, du bist Mary«, fügte Trudy hinzu. »Falls nicht, kannst du gern wieder dahin verschwinden, von wo du gekommen bist.«
Mary lachte ein helles Lachen, das einen unangenehmen Nachklang hatte. »Du hast Mumm, das gefällt mir«, erwiderte sie und sah Trudy mit einem eiskalten Blick an. »Aber leg dich lieber nicht mit mir an, Schwester. Ich würde sagen, ihr kleinen Barbie-Muschis zieht euch an und erzählt mir unterwegs alles.«
Während der Autofahrt zurück, von wo sie geflohen waren, erzählte Trudy, was sie bisher mit dem Alten erlebt hatte. Bis auf ihre Motive hielt sie sich an die Wahrheit, weil sie den Eindruck hatte, dass sie Mary nicht würde täuschen können. Jil schwieg und lächelte ihr ab und zu im Rückspiegel zu. Trudy saß mit Mary auf dem Rücksitz, und es war ihr unangenehm, dieser Vampirin so nahe sein zu müssen. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und lehnte sich entspannt zurück, während sie redete. Mary blickte aus dem Fenster, sagte aber kein Wort. Auch nicht, als Trudy geendet hatte. Trudy musterte die kleine Vampirin unauffällig. Sie war stämmig gebaut mit großen Brüsten und weiblichen Hüften, hatte kräftige Arme und breite Hände mit manikürten Nägeln. Ihr Gesicht war rundlich mit einer kleinen Nase und relativ großen Augen, die getrübt aussahen, als läge ein Schleier auf ihnen. Ihre ganze Gestalt wirkte irgendwie bäuerlich. Als Sterbliche war sie bestimmt eine dralle Schönheit gewesen. Aber als Vampirin sah sie mit ihrer reinen weißen Haut, den feuerroten Haaren und den unheimlichen Augen einfach nur todbringend aus.
»Wie wolltet ihr es anstellen, an Dorian heranzukommen?«, fragte Mary, ohne den Blick von der vorbeifliegenden Landschaft abzuwenden. Als Trudy und Jil schwiegen, lachte Mary boshaft auf. »Ach, dachtet ihr, ihr geht da einfach hin und wickelt ihn mit euren dicken Titten und blonden Haaren um den Finger oder was?« Blitzschnell hatte Mary sich umgewandt und musterte sie. »Dachte ich’s mir doch«, beantwortete sie selbst ihre Frage. »Tja, Schwestern, ihr habt keine Ahnung, mit wem ihr es zu tun habt. Gut, dass ihr mich gerufen habt.«
»Dann kennst du diesen Alten?«, fragte Jil und erntete dafür einen vernichtenden Blick, der sie zusammenzucken ließ.
»Bei diesem Alten müsst ihr schon etwas subtiler vorgehen«, erwiderte Mary seidenweich und heckte offensichtlich bereits einen Plan aus. »Bringt mich zu der Sterblichen.«
»Aber der Alte, er wird wissen, dass wir da sind«, sagte Trudy. Sie erinnerte sich an den Abend des Straßenfestes. Der Alte hatte sie sofort bemerkt. Auch auf ihrer Flucht hatten sie seine Wut im Nacken gespürt. Als hätte er mit lodernden unsichtbaren Fingern nach ihnen gegriffen.
»Nein, er wird nichts merken«, sagte die Rothaarige und lächelte boshaft. »Dafür werde ich sorgen.«
»Ich hab übrigens etwas, das der Sterblichen gehört«, fiel Trudy ein und sie holte die Blumenhaarspange aus ihrer Tasche. Sie war zerknittert und etwas von ihrem eigenen Blut war darauf gespritzt.
Mary nahm die Blume mit spitzen Fingern entgegen und hob sie langsam an die Nase. Ihr Blick wurde noch verschlagener. »Du bist ja gar nicht so dumm«, sagte sie durch die Blume hindurch zu Trudy, lehnte sich zurück und blickte wieder aus dem Fenster.
Kurz bevor sie die Stadtgrenze erreichten, änderte Mary den Plan und quartierte sie in einem schicken Hotel ein. Sie fielen in dem teuren Hotel nicht auf. Weder die große blonde Schönheit mit der weißen Haut und den hautengen Jeans noch Trudy in ihrem knappen roten Minikleid und den klackernden High Heels. Auch die kräftige Frau mit den rot lodernden Haaren und dem geschmeidigen Gang einer Wildkatze, die ganz leger in ein sommerliches Blümchenkleid gekleidet war, checkte ohne großes Aufsehen zu erregen ein.