12

 

 

 

Trudy und Jil genossen die Zeit ohne Mary in der Luxussuite, die sie für sie besorgt hatte. Die rothaarige Vampirin hatte sich seit Tagen nicht blicken lassen, aber die Suite offenbar auf unbestimmte Zeit gebucht. Sie verschwendeten kaum einen Gedanken daran, warum sie eigentlich hier waren. Mary hatte ihnen gesagt, sie würde sich um alles kümmern.

Sie hatten sich gerade ausgiebig in der großen Eckbadewanne geliebt und genossen die blubbernden Massagestrahlen.

»Diese Mary ist irgendwie unheimlich«, sagte Jil und blickte Trudy, die ihr gegenübersaß, an. »Ich trau ihr nicht.«

Trudy zuckte mit den Schultern. »Hauptsache, sie hilft uns«, erwiderte sie und streckte sich in dem warmen Wasser. Sie war noch immer erregt und spürte jede einzelne Luftblase ihren Körper entlang krabbeln.

»Trotzdem sollten wir sie, wenn das erledigt ist, so schnell wie möglich loswerden.« Jil grinste sie böse an.

»Das lässt sich einrichten«, erwiderte sie und lachte. »Ich hoffe, sie lässt uns heute raus. Ich hab Durst.«

»Du kannst von mir trinken.« Jil sah sie verführerisch an.

Trudy rutschte lächelnd zu ihr und wollte ihren Arm nehmen, doch die blonde Vampirin schüttelte den Kopf.

»Nicht von da«, flüsterte sie mit rauer Stimme und wies mit ihren schönen Augen auf eine Stelle unter der Wasseroberfläche.

Trudy lachte leise, ehe sie untertauchte. Als Vampir konnte sie so lange unter Wasser bleiben, wie sie mochte, und genau das würde sie jetzt ausnutzen.

 

*

 

Mary rekelte sich genüsslich. Die dicke Sterbliche hatte ein sehr bequemes Bett. Mit dem Breitschultrigen neben sich war es herrlich warm. Sie fror zwar nie, seit sie ein Vampir war, aber Wärme tat trotzdem gut. Mary warf einen kalten Blick auf Eric, der tief und fest und mehrfach befriedigt schlief. Damit er zukünftig nicht schon nach dem dritten Orgasmus schlappmachte, würde sie ihm von ihrem Blut geben müssen. Sie sah an ihm hinunter. Er war ausgesprochen kräftig gebaut und hatte große, breite, raue Hände und vor allem ein ordentliches Gemächt. Wie sie es mochte. Sie mochte es bullig. Dorian war ihr immer viel zu schmal, zu schlank gewesen.

Sie richtete sich auf und trat vorsichtig über den Leichnam der Sterblichen hinweg, hielt jedoch noch einmal inne und blickte auf sie hinab. Auf ihre dicken Brüste und die breiten Hüften und die schlaffen, weichen Arme. Sie konnte nicht verstehen, warum Frauen es mit Frauen trieben. Mary schüttelte sich bei dem Gedanken. Nein. Sie war keine von diesen Schwestern. Sie schnappte sich ihr Handy aus der Seitentasche in ihrem Kleid und rief im Hotel an, in dem sie die beiden Vampirlesben zurückgelassen hatte. Sie ließ sich ins Zimmer durchstellen und hörte schon an der Stimme der Dunkelhaarigen namens Trudy, wobei sie gerade gestört hatte. »Besorgt euch eins dieser modernen Fotohandys und schickt mir die Nummer. Dann haltet euch bereit und wartet auf meinen Anruf«, gab sie ihre Anweisungen durch und legte wieder auf.

 

*

 

Das Wochenende war viel zu schnell vorbei. Als ich am Montagmorgen im Büro saß, fühlte ich mich nicht nur wie gerädert, sondern war so aufgewühlt und unkonzentriert, dass ich mich kurzerhand krankmeldete und wieder nach Hause ging.

Dorian hatte mich morgens gefahren, damit ich mich umziehen konnte und auch meine Reisetasche nicht mit zur Arbeit nehmen musste. Wobei ich einen Teil der Klamotten sowieso bei ihm gelassen hatte. Zwangsläufig, weil alles, was James an getragenen Klamotten fand, in die Schmutzwäsche verschwand. Sie würden mich beim nächsten Mal sauber und ordentlich gefaltet wieder erwarten, wie Dorian mir versicherte. James hatte selbst am Sonntag nicht frei.

Ich schlenderte nach Hause und genoss das schöne Wetter. Es war ein wundervoller Frühlingstag, etwas windig, aber in der Sonne herrlich warm. Zu schade, dass ich ihn nicht mit Dorian zusammen genießen konnte. Es würde mir guttun, allein zu sein und über alles, was ich erfahren hatte, nachzudenken. In Büchern und Filmen über Vampire machten sich die Sterblichen nie Gedanken darüber, wie sie mit einem Vampir zusammenleben wollten. Bereits nach kurzer Zeit brummte mir der Kopf von meinen Überlegungen. Vampire waren Fabelwesen. Legenden. War ich mit einer Fiktion zusammen? Ich schüttelte den Kopf und hoffte, auch die Gedanken damit abschütteln zu können. Das führte zu nichts. Es gab keine Erfahrungswerte von Freunden oder Bekannten, auf die ich zurückgreifen konnte. Ich würde es einfach auf mich zukommen lassen müssen.

 

*

 

Zufrieden grinsend schlenderte Mary zurück zur Wohnung der Dicken. Unterwegs rief sie die beiden Vampirlesben an und befahl ihnen, zum Haus der Grauen zu kommen und dort im Auto auf sie zu warten. Sie hatte keine Probleme damit, sich auch im Tageslicht draußen zu bewegen. Schon als Sterbliche hatte sie sehr weiße Haut gehabt, und bei ihren roten Haaren wunderte sich keiner drüber. Sie ordnete noch einmal ihre Haare vor dem Spiegel im Bad und machte sich mit ihrem neu entdeckten männlichen Hauptdarsteller auf den Weg ins »Theater«. Wie gut, dass sie ihn und die Graue zusammen beobachtet hatte. So wusste sie, dass sie sich kannten, was die Sache erheblich erleichterte. Sie erfuhr problemlos den Namen der Grauen. Louisa.

Eric stand unter ihrem Bann, brauchte aber immer wieder Regieanweisungen. Nicht, dass er sich gegen ihre Beeinflussung zur Wehr gesetzt hätte. Er hatte es ihr einfach gemacht. Entweder war er etwas dumm und brauchte deshalb hin und wieder einen Anstoß, oder seine Skrupel waren stärker als angenommen und wollten ihre Manipulation durchdringen. Aber ein geflüstertes Wort von ihr und Eric tat, was sie wollte. Wie er sich dabei fühlte, immerhin bekam er alles mit, war Mary egal.

Als diese mausgraue Louisa die Tür öffnete, merkte Mary, dass sie es hier mit einer ausgesprochen willensstarken Person zu tun hatte. Damit hatte sie bei einer so schlichten, glanz- und reizlosen Erscheinung nicht gerechnet.

Zuerst war sie wütend. Sie hatte gehofft, Louisa zusätzlich damit quälen zu können, dass sie genau wusste, was sie da tat, aber nichts dagegen unternehmen konnte. Nun musste Mary sie soweit beeinflussen, dass Louisa annahm, der Breitschultrige wäre Dorian. Sonst würde sie nichts von dem »freiwillig« tun, was sie für sie vorgesehen hatte. Das Drehbuch umzuschreiben, kam für Mary nicht infrage. Allerdings funktionierte es hervorragend. Diese dünne Sterbliche musste sich bis über beide Ohren in Dorian verliebt haben und glaubte sofort, dass er sie überraschen wollte. Mary hatte schon eine Idee, wie sie die Erinnerungen an das, was sie für ihre beiden Hauptdarsteller geplant hatte, zur rechten Zeit wieder aufleben lassen konnte. Mit allen delikaten Einzelheiten.

Sie rieb sich innerlich die Hände, als sie den beiden langsam zum Bett folgte, und sie dabei beobachtete, wie sie anfingen, sich gegenseitig auszuziehen. Sie küssten sich und atmeten immer heftiger. Der Breitschultrige war bereits voll erigiert, kaum dass die Graue ihn ausgezogen hatte. Das kleine Luder nahm seinen dicken Schwanz in den Mund, was Mary jedoch nicht lange zuließ, da sie wusste, dass es mit seiner Selbstbeherrschung nicht weit her war. Eric wirkte etwas unbeholfen, deshalb half Mary ihm und flüsterte ihm immer wieder kleine Dinge ein, die er mit Louisa anstellen sollte. Bei ihr war die Täuschung perfekt. Sie flüsterte immer wieder Dorians Namen, was Mary ihr jedoch sofort verbot. Sie sollte den Mund halten, aber Spaß an der Sache haben. Immerhin durfte Dorian keinen Betrug wittern, wenn er ihr Werk sah.

Gelassen hatte Mary alles mit ihrem neuen Handy gefilmt. Sie wechselte mehrmals ruhig und ohne das Bild zu verwackeln die Position, damit sie alle Details perfekt einfangen konnte. Vor allem das von Lust verzerrte Gesicht der Sterblichen, während der Breitschultrige es ihr keuchend besorgte. Wie sie sich gegen ihn drängte, ihre kleinen Finger in seine breiten Schultern krallte. Wie er sie küsste, und sie diese Küsse gierig erwiderte.

Alles nahm sie mit einem bösen Grinsen auf. Bevor er zum Ende kam, erhielten sie ihre letzten Instruktionen. »Louisa, du wirst zufrieden und erschöpft einschlafen«, flüsterte sie so leise, dass nur die Sterbliche es hören konnte. »Und wenn du aufwachst, wirst du dich an alles erinnern und erkennen, wer wirklich mit dir geschlafen hat.«

Mary fiel eine Kette auf, die die Sterbliche um den Hals trug, und riss sie ihr ab. Damit würden sich ihre Vampirlesben Zutritt zu Dorians Haus verschaffen. Sich und ihr natürlich. Sie beendete die Aufnahme und ging. Was mit dem Breitschultrigen geschah, war ihr egal. Er hatte getan, was sie wollte, und sie wollte ihn nicht mehr. Vielleicht würde sie ihn nachher noch einmal besuchen, um sein Blut zu trinken. Vielleicht auch nicht.

Erst einmal machte sie sich leisen Fußes auf den Weg nach unten, wo sie die Kette Jil in die Hand drückte, die wie befohlen mit Trudy im Auto vor der Tür wartete. »Ich schicke euch gleich noch ein interessantes Video aufs Handy. Damit und mit dieser Kette werdet ihr bei dem Alten mehr erreichen. Fahrt ihr zu ihm und sorgt dafür, dass er euch reinlässt. Sagt kein Wort, zeigt ihm diese Kette und wartet, bis ihr drinnen seid«, instruierte sie die beiden. »Zeigt ihm das Video und macht das Beste draus.«

»Was ist mit dir?«, fragte Trudy. »Kommst du uns nicht helfen?«

Mary verdrehte die Augen. »Aber natürlich«, log sie liebenswürdig. »Sobald ihr drin seid. Wenn er mich vorher sieht, wird er euch nicht aufmachen. Nun fahrt los und macht euch um mich keine Gedanken mehr.« Natürlich stimmte das nicht. Dorian hatte sie und die beiden anderen die ganze Zeit nicht gespürt, dafür hatte Mary gesorgt. Er würde sie auch nicht bemerken, wenn sie mit den beiden Schlampen ins Haus huschte. Sie freute sich schon auf sein Gesicht, wenn er entdeckte, dass sie hinter all dem steckte. Und wenn ihm klar wurde, wie mächtig sie geworden war. Denn etwas beherrschte Dorian nicht: sich komplett vor anderen Vampiren verbergen. Wenn er wüsste, wie nah sie ihm die ganze Zeit gewesen war!

Pfeifend machte sie sich auf den Weg. Ach, Mary liebte es, wenn ein Plan gelang. Beim zweiten Akt würde sie nicht eingreifen müssen, so viel war sicher. Sie konnte sich vorstellen, was Dorian mit den beiden Vampirlesben in seiner Raserei anstellen würde. Sie kannte ihn nur zu gut und wusste, wie rachsüchtig er war. Wahrscheinlich würde er sie stundenlang quälen, um seinen Schmerz erträglicher zu machen. Dorian kam aus einer Zeit, in der Folter an der Tagesordnung stand, und sie hatte ihm oft dabei zugesehen. Früher. Das wollte sie auch jetzt tun. Sie würde erst zum Schlussakt, zum Höhepunkt dazu stoßen. Dann würden sie gemeinsam der grauen Sterblichen ein Ende bereiten. Denn die Sterbliche, die ihn, den uralten, selbstverliebten Dorian, betrogen hatte, würde er nicht am Leben lassen. Diese Schmach würde er nicht auf sich sitzen lassen und er würde es auch nicht schnell enden lassen. O nein, Mary kannte Dorian und seinen Stolz.

 

*

 

Zukünftig würde ich wieder regelmäßig trinken müssen. Nicht nur diese Konserven, von der ich gerade die dritte verschlang. Sondern warmes, pulsierendes Blut. Ich hatte keine Ahnung, was ich mir alles gebrochen oder zerquetscht hatte, als ich mit Louisa von der Klippe gestürzt war. Es war ein Wunder, dass ich uns beide da heil wieder hochgebracht hatte. Als wir wieder zu Hause ankamen, fühlte ich mich so ausgetrocknet, dass ich fünf Konserven auf einmal verschlang. Danach war alles wieder gut. Aber, mal ehrlich, welcher halbwegs vernünftige Mensch fällt von einer Klippe! Herrgott, wenn das so weiter ging, würde sie mich tatsächlich irgendwann ins Grab bringen.

Doch wie ich an das frische Blut kommen sollte, gestaltete sich nun schwieriger. Wenn mir dieser Sturz eines gezeigt hatte, dann, dass mein kleiner Porzellanengel ein Alkoholproblem hatte, und dass ich auf sie aufpassen musste. Ob sie es wollte oder nicht. Zum Glück hatte sie nichts dagegen, dass ich sie von der Arbeit abholen wollte und wir dann entweder bei ihr oder bei mir den Abend verbrachten. Bei beiden Varianten konnte ich erst jagen, sobald sie schlief. Ich hatte noch immer ihren Haustürschlüssel. Dieses kleine Geheimnis hatte ich vergessen, zu beichten. Ich war mir nicht sicher, ob sie wütend würde, wenn ich es ihr erzählte. Bei Louisa wusste ich irgendwie nie, wie sie reagieren würde.

Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer ihrer Arbeit. Das war auch so eine Sache. Die Nummer hatte sie mir heute Morgen gegeben. Damit ich sie anrufen konnte, wenn ich wollte. Wollte sie wirklich, dass ich sie anrief? Oder zog sie mich nur damit auf, weil ich gesagt hatte, ich würde am liebsten nicht mehr von ihrer Seite weichen?

Am anderen Ende meldete sich wider Erwarten nicht Louisa. Sie sei krank und nach Hause gegangen. Vor zwei Stunden schon. Komisch. Sie hatte nicht krank ausgesehen. Vielleicht lag ihr das Wochenende schwer im Magen? Ich wählte ihre Hausnummer, doch da nahm keiner ab. Bei dem schönen Wetter war sie hoffentlich spazieren und saß nicht wieder trinkend auf ihrer Terrasse. Ich beschloss, früher zu ihr zu fahren.

Gut, das mit den regelmäßigen Mahlzeiten in der Woche wäre geklärt, setzte ich meine Überlegungen fort. Am Wochenende würde es wieder Dosenfutter geben, denn da würden wir hoffentlich den ganzen Tag zusammen sein. Ach, und schlafen müsste ich auch mal wieder. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal …?

»Sir, ich glaube, wir haben hier ein Problem«, riss James mich plötzlich aus meinen Gedanken.

Ich war sofort alarmiert. James hatte nie ein Problem. Wenn doch, behelligte er mich nicht damit. Ich verließ mein geheimes Reich und lief in die Eingangshalle, von wo seine Stimme kam.

»Was in drei Teufels Namen!« Ich starrte auf den Monitor der Kamera am Tor.

Diese verfluchte dunkelhaarige Vampirschlampe, die mir beim letzten Mal entwischt war, wartete mit einer blonden Vampirin vor dem Stahltor. War ich wieder so in Gedanken gewesen, dass ich sie nicht gespürt hatte? Nein, ich spürte sie auch jetzt nicht. Ich sah sie, aber mehr auch nicht. Verdammt! Was zum Teufel hielten sie da in die Kamera?

»Louisas Kette!« Ich brüllte laut auf und musste mich beherrschen, um kein Loch in die Wand zu schlagen.

Sie standen vor dem Tor, hielten die Kette vor die Kamera und sagten kein Wort. Ich konnte nicht erkennen, ob sie Louisa in dem Auto hinter sich eingesperrt hatten. Was hatten sie mit ihr gemacht?

»Lass sie rein und verschwinde«, sagte ich zu James, der meinen Befehl sofort in die Tat umsetzte.

Ich sprang ins Obergeschoss hinauf und stellte mich so, dass sie mich nicht sehen konnten. Dieses Mal würde ich nicht lange fackeln. Ein zweites Mal entkam mir dieses Flittchen nicht. Sollten sie ruhig erst einmal hereinkommen.

Das taten sie. Ich hörte das Klicken der Sicherheitstür, als diese ins Schloss fiel, und sprang nach unten, packte beide fast gleichzeitig an der Kehle und rammte sie mit aller Kraft auf meinen Marmorfußboden. Louisa war nicht bei ihnen. Ich hielt sie am Boden fest und ließ das mächtige Blut seine ganze Furcht einflößende Macht entfalten. »Was fällt euch Scheißschlampen ein, hier noch einmal aufzutauchen?«

Die Dunkelhaarige hatte sich zuerst wieder gefasst und hielt mir wortlos ein Handy vor die Nase, auf dem ein Video abgespielt wurde. Am unteren Rand war das heutige Datum eingeblendet. Ich starrte darauf, und es dauerte einen Moment, bis mein Gehirn begriff, was meine Augen ihm mitteilten. Mir wurde schlagartig speiübel, als ich sah, wie Eric es mit meiner Louisa trieb. Ja, sie war es. Eindeutig. Ich kannte dieses Gesicht, diese Brüste, diese zarten Finger – und dieses genüssliche Stöhnen. Es war meine Louisa, die sich da im Liebesakt unter Eric wand und stöhnte. Sie hatte sich auf der Arbeit krankgemeldet, um …?

Zu meiner rasenden Wut gesellte sich eine noch nie gespürte Pein. Ein Schmerz so groß, wie ich ihn noch nicht erlebt hatte. Ich schrie auf. Die Blonde hielt mir die Kette hin. Sie sagte irgendetwas, aber ich war taub vor Zorn und Schmerz. Ich ließ die Dunkelhaarige los, schlug ihr das Handy aus der Hand und rammte der Blonden meine Faust ins Gesicht, damit sie den Mund hielt. An den Haaren zerrte ich ihren Kopf ruckartig zur Seite, hörte, wie das Genick brach, und riss ihr mit meinen Zähnen mehrfach die Kehle auf und schmeckte ihr Blut. Sie hatte sich nicht wehren können, so schnell war ich.

Die Dunkelhaarige befreite sich währenddessen unter mir und sprang in sichere Entfernung davon. »Ihr ist nichts passiert«, versicherte sie mir und warf ängstliche Blicke auf ihre Freundin. »Ehrlich. Keiner hat ihr was getan. Wir wollten nur …«

»Still«, rief ich und kam von der blutenden Vampirin hoch.

Ich schickte der Dunkelhaarigen eine Todeswelle nach der anderen. Sie schrie. »Ich. Hab. Dir. Doch. Gesagt. Du. Sollst. Dich. Nie. Wieder. Hier. Blicken. Lassen!« Mit großen Schritten ging ich auf sie zu und rammte ihr meine Faust in die Brust. Ich zog ihr Herz heraus, saugte einmal daran und schob es ihr in ihr gottverdammtes Mundwerk. Wütend stieß ich sie mit einem Fußtritt zu Boden. Sie hatte die Augen weit aufgerissen und nicht mehr begriffen, dass ihr widerwärtiges Dasein endgültig vorbei war. In beiden Vampirschlampen pulsierte ausreichend Blut, deshalb ließ ich mein mentales Feuer den Rest erledigen. Zurück blieben zwei Aschehaufen und mehrere Blutlachen.

Ich brüllte meine Pein heraus, zertrümmerte mit einem Schlag den Tisch in der Mitte der Eingangshalle und rannte zurück ins Wohnzimmer, suchte nach dem Handy und fand zuerst Louisas Kette. Es war die Kette, die ich ihr geschenkt hatte. Das Handy war unter den Esstisch geschlittert. Das Video lief in einer Endlosschleife weiter. Ich hörte Louisa seufzen und Eric stöhnen und hob das Telefon mit zitternden blutigen Fingern auf. Alles in mir krampfte sich zusammen, als ich es mir noch einmal ansah.

Louisa nackt mit einem anderen Mann. In ihrem Bett. Und dann auch noch mit diesem Eric. Den sie angeblich verabscheute. Nein, das konnte nicht wahr sein!

Ich zerquetschte das Telefon und ließ die Einzelteile zu Boden fallen. Sie waren in ihrer Wohnung. Louisa trieb es mit einem anderen in ihrer Wohnung.

Ich hatte noch den Haustürschlüssel.

 

In ihrer Wohnung war es ruhig. Die Sonne schien durch die geöffneten Fenster und brannte mir in den Augen. Es roch nach Mann und … Sex. Ich sprang in die obere Etage. Was ich sah, ließ mich zurücktaumeln. Da lag sie, meine Louisa, nackt und schlief. Neben ihr Eric. Ebenfalls nackt und schlafend. Sie hatte sich von ihm abgewandt und wirkte so klein neben ihm mit seinem breiten Kreuz und den dicken Muskeln. Er lag auf der Seite und hatte eine schwielige Pranke besitzergreifend auf ihre zarte Hüfte gelegt. Voll Abscheu sah ich, dass auch andere Körperteile von ihm groß und dick waren. Keiner der beiden bemerkte mich. Sie schliefen friedlich und befriedigt.

Bis jetzt hatte ich nicht geglaubt, was meine Augen meinem verliebten Herzen hatten sagen wollen. Meine Wut war vor den unsagbaren Schmerz getreten, der mich erneut mit voller Wucht traf. Ich schloss die Augen und atmete tief durch.

Ich sah keine Spuren von Gewalt und begriff nicht, was diese beiden Vampirinnen damit zu tun hatten. Aber Louisa hatte eindeutig mit Eric geschlafen. Sie hatte mich betrogen. Mit diesem Blindgänger! Die Wut gewann wieder die Oberhand über meine verletzten Gefühle, und ich zog den nackten Kerl an einem Bein aus dem Bett und beugte mich über ihn.

Er riss erschrocken die Augen auf.

»Ich hätte dich gleich töten sollen«, knurrte ich ihn an und dachte an den Konzertabend zurück. Wie leicht wäre es dort gewesen, ihn in einer dunklen Ecke verschwinden zu lassen. Er starrte mich verwirrt und mit glasigem Blick an, und ich schlug ihm wütend die Zähne in den Hals. Als er anfing, sich zu wehren, drückte ich ihn mit beiden Armen und einem Knie auf den kalten Laminatboden. Warmes Blut schoss mir in den Mund und besänftigte meine Wut für einen Moment. Bis ich die Bilder sah und eines aus ihnen hervorstach. Das Bild einer rothaarigen Vampirin. Ich ließ ihn abrupt los und sprang auf.

Louisa rührte sich, anscheinend wach geworden durch Erics Gestrampel und unterdrücktes Schreien. Meine Gedanken überschlugen sich, ehe sich die Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenfügten. Ich beugte mich erneut über Eric, der sofort aufschrie und von mir wegkrabbeln wollte. Ich hielt ihn fest und sah in seine Augen. Dann sprang ich zu Louisa, die noch nicht aufgewacht war, sich aber wand wie unter einem schlechten Traum.

Ich kniete mich aufs Bett und drehte sie vorsichtig auf den Rücken. Meine Finger zitterten, als ich ihr Lid anhob. Ihre Pupillen waren unnatürlich stark geweitet, und sie sah mich wie aus weiter Ferne an. Ich kannte diesen Blick nur zu gut. Sie stand unter dem mentalen Einfluss eines Vampirs. Mary! Sie hatte Louisa das angetan.

Ich wagte nicht, sie aus dieser Trance aufzuwecken. Also stand ich auf und zerrte Eric auf die Beine. Er sah mich angsterfüllt an und versuchte, sich aus meinem Griff zu befreien. »Verschwinde hier. Sofort!« Ich ließ ihn los.

Am liebsten hätte ich ihn umgebracht, aber auch er war nur ein Opfer, da war ich mir sicher. Eric packte schnell seine Sachen zusammen, hechtete nach unten und verschwand. Der arme Kerl hatte fast einen Herzinfarkt bekommen, als er mich sah. Geschah ihm recht.

Hoffentlich stolperte er auf der Treppe und brach sich den Hals.

Falls Eric einen bleibenden Schaden bekommen hatte, weil ich ihn so unsanft aus der Manipulation eines anderen Vampirs gerissen hatte, war mir das, ehrlich gesagt, ziemlich egal. Bei Louisa nicht. Ich hob sie hoch, wickelte sie in die Decke ein und legte die Klamotten obenauf, die ums Bett verstreut auf dem Boden lagen. Louisa wachte nicht auf. Sie seufzte nur und rieb ihre Wange an meinem Hals. Hoffentlich hatte Mary sie nur für diese Aktion mental beeinflusst und ihr nicht Schlimmeres angetan. Gebissen hatte sie sie nicht, ich konnte zumindest keine Bissspuren sehen.

Beim Rausgehen schnappte ich mir ihre Reisetasche und zog die Tür sorgfältig zu. Ich wollte sie ins Strandhaus bringen und würde ab jetzt nicht mehr von ihrer Seite weichen. Hier war es nicht mehr sicher. Wenn sie sich dagegen sträubte, würde ich sie zur Not in meine Betthöhle einsperren. Ich fragte mich, was Mary im Schilde führte, und warum ich sie nicht gespürt hatte. Sie war bestimmt noch in der Nähe und beobachtete uns. Ich würde Louisa in Sicherheit bringen und mich danach diesem missratenen Kind annehmen.

Unterwegs wurde Louisa wach. Ich fuhr so langsam, wie es ging, denn ich brauchte Zeit, um mich zu beruhigen und um nachzudenken. Mir war fast das Herz stehen geblieben, als ich die beiden da liegen gesehen hatte. Beinahe hätte ich die Täuschung geglaubt, aber dann war mir eingefallen, was wir bisher zusammen erlebt hatten, welche Wandlung Louisa durchgemacht hatte, seit wir uns kannten. Ich dachte daran, wie sie mich immer ansah, seit ich ihr meine Liebe gestanden hatte. Tief in mir drinnen hatte ich gewusst, dass sie mich nicht betrügen würde. So war sie nicht. Dennoch war ich kurz davor gewesen, erst meinen Nebenbuhler, und höchstwahrscheinlich danach sie, zu töten. Liebe tat weh. Höllisch weh.

»Dorian?« Louisa sah sich verwirrt um. »O mein Gott! Dorian. Du … Ich … Oh, nein!«

Sie starrte mich mit vor Entsetzen geweiteten Augen an, als sie begriff, was sie getan hatte. Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie schüttelte ungläubig den Kopf.

»Ich weiß«, erwiderte ich knapp, fuhr langsam an den Straßenrand und hielt den Wagen an.

»Du weißt? Was?«

»Louisa, jemand hat dich gezwungen, mit Eric zu schlafen«, antwortete ich ruhig. »Ein Vampir.«

Wenn ich mich aufregte, würde es das nicht besser machen.

Louisa starrte mich mit noch größeren Augen an. »Dorian. O mein Gott! Was habe ich getan? … Ich dachte, das wärst du! Bitte, du musst mir glauben! Ich wusste nicht …«, stammelte sie so verzweifelt, dass es mir fast erneut das Herz brach. »Ich hab mit Eric geschlafen?« Sie fing an, wild an ihrem Gurt zu zerren. Ich half ihr. Sie stürzte förmlich aus dem Wagen heraus und übergab sich neben dem Hinterreifen. Ich schaltete den Warnblinker an, stieg aus und lief um das Auto herum. Die Decke hatte sich im Gurt verfangen, und Louisa kniete nackt im Gras und würgte schluchzend. Wenn ich noch eine Bestätigung ihrer Liebe gebraucht hätte, das wäre sie gewesen. Ich ging zu ihr, reichte ihr ein Stofftaschentuch und legte ihr die Decke wieder um. Sie litt. Das war nicht gespielt. Und ich litt mit ihr. Sie kam unsicher auf die Beine, und ich wickelte sie fester in die Decke ein und nahm sie in die Arme.

»Dorian, das wollte ich nicht. Wirklich nicht. Ich wusste nicht, dass es … ich dachte, das wärst du … « Sie weinte so heftig, dass ich kaum etwas verstehen konnte. »Bitte. Ich würde so etwas niemals tun!«

»Schon gut, mein Engel«, erwiderte ich und strich ihr über den Rücken.

Sie beruhigte sich wieder und blickte mit tränennassen Augen zu mir auf. »Dorian. Ich will keinen anderen. Ich will nur dich. Ich liebe dich.«

»Ich weiß, Louisa, ich weiß«, erwiderte ich und drückte sie wieder an mich. Ihre Liebeserklärung wollte mir erneut das Herz brechen. Was hatten diese Schlampen meiner kleinen Louisa angetan! Sie hatten sie schändlicher missbraucht, als wenn sie sie nur entführt und geschlagen hätten. Sie quälten Louisa, um mich zu verletzen. Es war widerwärtig.

»Alles wird wieder gut«, flüsterte ich und küsste sie auf die Schläfe. »Lass uns nach Hause fahren.«

Sie sah unglücklich zu mir auf.

»Ich weiß, dass du das nicht wolltest«, versicherte ich ihr mit Nachdruck. »Willst du dir was überziehen?«

Ich schob sie zur Wagentür und fischte ihr Kleid vom Rücksitz, nahm ihr die Decke ab und beobachtete sie, wie sie es mit zitternden Fingern überzog. Ihr war kalt, aber das Zittern kam nicht nur von der Kälte. Ich half ihr mit dem Reißverschluss und wickelte sie wieder in die Decke.

Wir stiegen ein. Louisa saß wie ein Häufchen Elend zusammengesunken in ihrem Sitz, das Gesicht tränennass.

Ich zog ihre Halskette aus der Hosentasche. Der Verschluss war gebrochen, dennoch drückte ich sie ihr in die Hand. »Wir lassen sie reparieren. Komm her«, flüsterte ich und beugte mich zu ihr, um sie zu küssen. Ich versuchte, all meine Liebe in diesen Kuss zu legen. Damit sie wusste, dass es nicht vorbei war, dass ich ihr keine Vorwürfe machte. Und um sicherzugehen, dass sich nichts geändert hatte. Das hatte es nicht. Sie war immer noch mein wunderschöner, kleiner Porzellanengel, der mein Herz höherschlagen ließ. Ihre Anspannung wich fast augenblicklich. Sie hielt mich mit einer warmen Hand am Nacken fest, damit ich nicht aufhörte. Das wollte ich auch nicht. Niemals. Dennoch tat ich es und fuhr weiter. Ich hatte so eine Ahnung, dass das nicht die einzige Überraschung des Abends sein würde.

 

*

 

Mir war übel. Ich konnte nicht glauben, was passiert war. Ich hatte mit Eric geschlafen! Ich erinnerte mich genau daran. Auch daran, dass ich gedacht hatte, er wäre Dorian. Da war diese rothaarige Frau. Die hatte mir das angetan? Aber wie? Ich blickte zu Dorian. Sein Blick war ernst und starr auf die Straße gerichtet. Er hielt meine Hand, und er hatte mich geküsst. Er schien zu wissen, was passiert war.

Wir hielten vor der Strandvilla, und Dorian ließ mich zuerst eintreten.

»Was ist denn hier passiert?«, fragte ich.

Der Tisch mit der Vase, der immer in der Mitte der Eingangshalle stand, war zertrümmert und überall lagen Blumen herum. Außerdem war der Boden von dunkelrotbraunen Flecken übersät und ein Haufen Asche lag auf dem Boden. Dorian schwieg noch immer. Ich drehte mich zu ihm um. Er wirkte mehr als angespannt und hatte den Kopf schief gelegt, als horchte er auf etwas, das ich nicht hören konnte. Ich folgte ihm zum Wohnzimmer, darauf bedacht keine Geräusche zu machen. Da ich barfuß war, war es nicht schwer.

»Hallo Dorian«, begrüßte uns plötzlich eine eiskalte Frauenstimme.

Dorian blieb wie angewurzelt stehen. Ich entdeckte voll Schrecken die rothaarige Vampirin, die mit Eric in meine Wohnung gekommen war. Sie lag auf dem großen Sofa und lächelte uns entgegen. Dorian schob mich hinter seinen Rücken.

»Oh, du hast sie hergeholt, deine kleine Hure«, sagte sie mit einem bösartigen Lächeln. »Das überrascht mich jetzt aber.«

»Mary«, begrüßte er sie einsilbig, und ich sah, wie er wütend wurde.

Er biss die Zähne fest zusammen und es sah aus, als würde es unter seiner weißen Haut brodeln.

»Freust du dich denn nicht, mich zu sehen?«, fragte die Vampirin und rekelte sich aufreizend auf dem Sofa. Ihre hellgrünen Augen taxierten uns kalt.

»Das ist die Frau, die bei Eric war«, flüsterte ich Dorian zu.

Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und schwieg.

»Och, du machst mich traurig, Schatzi. Willst du uns nicht einander vorstellen? Aber, ach nein, Louisa kennt mich ja bereits. Hat es dir gefallen, mit Eric zu schlafen? Louisa? Aber sicher hat es das. Sonst hättest du ja nicht so laut gestöhnt, als er es dir mit seinem riesigen Schwanz besorgt hat. Es hat dir besser gefallen, als mit Dorian zu schlafen, nicht wahr? Eric mit seinen breiten Schultern, endlich mal ein richtiger Kerl, der auch mal härter zupackt. Auf so was stehst du, nicht wahr, Louisa? Auf die harte Tour. Beim zweiten Mal hätte er dich bestimmt auch von hinten genommen.«

Dorian brüllte und lief los. Mein Blick kam kaum hinterher.

Die Rothaarige war flinker. Sie war aufgesprungen und neben dem Esstisch zum Stehen gekommen. Auf dem James lag. Er war bewusstlos oder tot, und sie zog ihn grob an den Haaren hoch. »Na, na, wir wollen doch nicht, dass deinem treuen Butler etwas passiert, oder?« Ihre Augen funkelten böse.

Dorian ging langsam um das Sofa herum, ließ sie nicht aus den Augen und atmete schwer. »Was willst du hier, Mary?« Er ging in die Zimmermitte, stellte sich somit zwischen sie und mich.

»Bleib stehen!« Sie zog James’ Kopf höher.

»Lass James los. Er hat nichts mit dieser Sache zu tun.«

»Nein?« Mary runzelte die Stirn. »Dann ist es ja egal.«

Ehe ich mich versah, hatte sie ihm ihre Zähne in den Hals gerammt und trank gierig sein Blut. Dorian schrie und wollte sich auf sie stürzen. Doch Mary drehte in einer schnellen Bewegung James’ Kopf zur Seite, sodass sein Genick brach, und brachte sich mit einem gewaltigen Sprung in Sicherheit. James’ Körper sackte leblos zurück auf den Tisch. Ich schlug beide Hände vor den Mund, um nicht zu schreien.

Dorian war keuchend stehen geblieben und drehte sich zu Mary um. »Du verdammtes Miststück!«

Ich konnte ihm seinen Schreck und seinen Schmerz überdeutlich ansehen.

Mary lachte gehässig. »Ich hatte eigentlich gehofft, dir noch ein bisschen bei der Arbeit zusehen zu können. Aber du hast ja den Spaß beendet, bevor er richtig begonnen hatte«, erwiderte sie und wies auf einen weiteren Aschehaufen, der so ähnlich aussah wie der in der Halle. »Und dass du dein sterbliches Flittchen mit hergenommen hast … Bist du immer noch auf der Suche nach der wahren Liebe? Ach, Dorian, so etwas gibt es nicht. Das solltest du doch langsam begriffen haben.«

»Halt sie da raus«, unterbrach Dorian sie. »Ich weiß, dass du sie nur benutzt hast. Lass deine Wut an mir aus und dann verschwinde.«

Die Rothaarige lachte, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten.

»Dorian, Dorian, wieso denkst du denn, dass ich wütend auf dich bin«, sagte Mary und schlug kokett die Augen auf. »Mir geht es nur um dein Wohl. Ich wollte dir zeigen, wie sie wirklich ist. Eine verdorbene, kleine Hure, die für jeden die Beine breit macht. Sie liebt dich nicht. Du hast was Besseres verdient. Schau sie dir an. Ihr schuldbewusstes Gesicht. Kannst du es riechen? Wie sehr es ihr gefallen hat, mit Eric zu schlafen? Sie hatte es kaum erwarten können, dass er sich endlich nackt zu ihr legte.«

Mary war mit jedem Wort langsam und aufreizend auf Dorian zugegangen. Ihre Stimme war ein monotoner Singsang, als wollte sie ihn hypnotisieren. Ihr Gesicht zeigte Mitgefühl und Sorge, doch ihre Augen blieben kalt. So hatte sie mich in meiner Wohnung angesehen. Ihre Manipulation würde bei Dorian mit Sicherheit keine Wirkung zeigen. Oder doch?

Dorian warf mir bei ihren letzten Worten einen Blick über die Schulter zu. So kalt und abschätzend, dass ich zusammenzuckte, als hätte er mich geschlagen. Ich wollte etwas sagen, doch er funkelte mich grimmig an.

Als Mary bei ihm angekommen war und ihre blasse Hand auf seine Wange legte, und Dorian die Arme um sie schlang, musste ich mich an der Sessellehne festhalten, um nicht zusammenzubrechen. Sie hatte ihn manipulieren können. Er glaubte dieser rothaarigen, eiskalten Vampirin!

»Du hast so ein großes, nobles Herz und wirst immer wieder enttäuscht«, sprach sie weiter und warf mir einen triumphierenden Blick zu. »Ach, Dorian, mein wunderschöner Dorian. Du hast mir so gefehlt.«

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Meine Beine gaben unter mir nach, und ich hatte das Gefühl, ich müsste mich erneut übergeben, als Dorian sich nicht wehrte. Ich landete schmerzvoll mit den Knien auf etwas Hartem, doch das war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den ich in meinem Inneren spürte. Ich hatte keine Ahnung, wer diese Frau war, und was sie von Dorian wollte. Ich konnte nicht glauben, dass er mich so schnell fallen ließ, nach allem, was in den vergangenen Tagen passiert war.

Dorian erwiderte den Kuss der Rothaarigen stürmisch und drängte sie dabei in Richtung Küche. Meine Knie schmerzten. Ich blickte unter die Decke, die ich noch immer über den Schultern trug, und entdeckte – was war das denn?

Wütendes Gebrüll ließ mich wieder aufblicken. Dorian hatte die Vampirin zu Boden geworfen. Er blutete am Hals. Mary kam mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung katzengleich wieder auf die Füße, strich ihr Kleid glatt und leckte sich über die blutigen Lippen. Sie grinste boshaft und entblößte ihre spitzen Eckzähne.

Dorian stand mit geballten Fäusten und bis in die Haarspitzen angespannt vor ihr. Ein dunkles, animalisches Knurren kam aus seiner Brust. Seine Adern schwollen dick und dunkel unter der hellen Haut an. »Auf deine billigen Tricks fall ich nicht mehr rein«, rief er.

Mary lachte. »Ach, Dorian, das sind keine billigen Tricks. Diese kleine Nutte will nicht dich. Sie will nur dein Geld und dass du sie zu einer von uns machst. Wollen sie das nicht alle? Sie hätte dich früher oder später sowieso verlassen. Wie dich alle verlassen, die du liebst«, erwiderte sie. Alle Emotionen, die eben noch in ihrem Gesicht zu sehen gewesen waren, waren wie weggewischt. »Sie liebt dich nicht. Sie hat dich betrogen, dich, den mächtigen Dorian. Glaube mir, ich hab dir einen Gefallen getan. Für das, was sie getan hat, meinst du nicht, hat sie den Tod verdient?«

Ich sog erschrocken die Luft ein und wagte nicht, mich zu rühren.

»So ist Louisa nicht.«

»Weißt du das?«, fragte Mary wie geölt. »Oder hoffst du nur?«

Dorian warf mir einen kurzen Blick zu. Seine Augen waren schwarz. Ich konnte nicht erkennen, ob er ihr glaubte oder nicht.

»Wahrscheinlich hat sie dir immer wieder gesagt, wie sehr sie dich liebt und dass es nur dich gibt für sie. Und wie gern sie mit dir zusammen sein möchte. Für immer«, redete die Rothaarige weiter auf ihn ein und ging langsam wieder auf ihn zu. »Hat gestöhnt und deinen Namen gerufen, während du mit ihr geschlafen hast. Kaum warst du weg, hat sie für einen anderen die Beine breit gemacht. Für ihren sterblichen Freund. Es war bestimmt nicht das erste Mal. Sie wollte die Gabe von dir und hätte dich für ihn verlassen. Um ihn zu verwandeln.«

»Bleib, wo du bist, oder ich bring dich um!«

Mary lachte freudlos. »Du kannst mich nicht töten, Dorian. Das hast du nie gekonnt. Dafür liebst du mich zu sehr.«

Unbändige Wut stieg in mir auf. Ich griff nach dem Gegenstand zu meinen Knien. Es war James’ Gewehr. Ich stand auf und richtete den Lauf auf die Rothaarige. »Aber ich kann es«, sagte ich und drückte ab.

 

*

 

Ich musste dieser Posse ein Ende setzen. Mary wollte einfach nicht aufhören. Sie hatte ohne mit der Wimper zu zucken James getötet. Allein dafür hatte sie den Tod verdient. Sie widerte mich an. Ihre Unterstellungen waren abstoßend und an den Haaren herbeigezogen.

Es war schwer, gegen ihre mentalen Fähigkeiten anzukommen. Sie säuselte mich ein, und ich musste meine ganze Konzentration aufbringen, um ihr nicht zu erliegen. Obwohl ich wusste, was sie tat, lähmte mich ihr Gerede so sehr, dass ich kaum nachdenken konnte. Wenn ich versagte, würde sie Louisa ebenfalls töten. Meine Sorge um Louisa beherrschte fast mein gesamtes Denken.

Plötzlich fiel ein Schuss, und die Kugel zischte haarscharf an mir vorbei. Wir beide wussten, wem dieser Schuss galt, auch wenn ich im ersten Moment nicht begriff, wer ihn abgegeben hatte. Marys ausgeprägter Überlebensinstinkt übernahm augenblicklich die Kontrolle, und sie preschte schreiend los, um sich auf den Schützen zu werfen.

Herumwirbelnd sah ich noch, wie Louisa vom Rückstoß umgeworfen wurde, und hechtete Mary hinterher. Ich bekam sie an den Haaren zu fassen, drehte sie zu mir und schlug ihr so kräftig ins Gesicht, dass es einem Sterblichen nicht nur die Nase gebrochen hätte. Sie riss mich im Gegenzug von den Füßen und drosch auf mich ein. Ihre Schläge waren kräftig und verdammt schnell. Jeder Hieb, den ich einsteckte, stachelte mich an. Ich schmeckte Blut, mein Blut, als ich sie von mir herunterstieß. Blitzschnell war sie auf den Beinen und erwartete mich keuchend, den Oberkörper leicht vorgebeugt. Sie sah aus wie eine Raubkatze mit ihrem feuerroten Haar und den blutigen Spritzern im Gesicht.

Ich griff sie an, versetzte ihr einen linken Haken in den Unterleib und rammte ihr meine rechte Faust ins Gesicht. Ihr Blut spritzte auf mein Hemd. Sie lachte nur. Ich schlug kräftiger zu. Sie parierte einige meiner Schläge, trat mir schmerzhaft in die Weichteile und bekam meine Faust zu packen. Als sie sie mir böse grinsend herumdrehte und mir damit das Handgelenk brach, versetzte ich ihr eine Kopfnuss, von der sie Sterne sehen musste. Sie taumelte zurück und stieß dabei gegen den Esszimmertisch. In Windeseile hatte sie mich mit einem der ledernen Stühle angegriffen. Als er schmerzhaft an meinem Oberarm zerschellte, war das Holz unter dem teuren Leder nicht das Einzige, was brach. Ich knurrte sie an und versetzte ihr einen rechten Haken. Mein linker Arm hing nutzlos herunter. Ich warf einen Blick hinter mich. Louisa kauerte vor dem Sessel und hatte die Augen mit den Händen bedeckt. Sie wirkte hilflos und viel zu zerbrechlich. Ich musste Mary unbedingt von ihr fernhalten.

Ein heftiger Tritt traf mich in die Magengegend und riss mich beinahe von den Beinen. Mary lachte mich höhnisch an. Sie blutete aus mehreren Platzwunden im Gesicht, die nicht so schnell verheilten wie meine. Das schien sie nicht zu stören. Ihre katzengrünen Augen glühten. Hass und Abscheu stachen mir daraus entgegen. Sie war außer Atem, aber dennoch kein bisschen erschöpft. Mein linker Arm war noch nicht wieder verheilt, dennoch griff ich sie erneut an. Ich hätte es diesem Miststück längst zeigen sollen! Mit beiden Händen packte ich ihren Kopf und schleuderte sie zu Boden. Schnell setzte ich mich rittlings auf sie und rammte ihr meine Faust in ihr widerliches Lachen. Ich geriet in Raserei. Wut, Mordlust und Blutgier beherrschten mich. Immer wieder schlug ich sie mit schnellen, harten Hieben. Bald war ich außer Atem. Ihr Blut spritzte in alle Himmelsrichtungen.

Ich konnte nicht fassen, dass ich diese abscheuliche Kreatur geliebt hatte. Obwohl ich sie schlug, und ihr Kopf dabei hin und her flog, grinste sie mich noch böse und hasserfüllt an. Was hatte ich ihr bloß getan, dass sie mich so inbrünstig hasste? Alles hatte ich ihr gegeben. Mein Geld, meine Aufmerksamkeit, die Dunkle Gabe – meine Liebe. Wieso verabscheute sie mich derart? Nein, das war nicht mehr die Mary, die ich in dieser Schenke aufgegabelt hatte. Das mächtige Blut hatte das Böse aus ihr herausgekehrt. Es hatte sie gründlich verdorben.

Mary wehrte sich mit allem, was sie hatte. Ich musste sie mit meinem ganzen Gewicht am Boden halten. Als sie begriff, dass ich nicht aufhören würde, schrie sie mich an und gebärdete sich wie eine Furie. Sie zerkratzte meine Arme und mein Gesicht. Sie stieß mir ihre Hüften entgegen, wie sie es schon zu anderen Gelegenheiten getan hatte. Doch heute nur in der Hoffnung, mich so von sich herunterzuschleudern. Ich schlug weiter auf sie ein.

Es machte mir Spaß, Mary, dieses verlogene Biest, zu verdreschen. Ich wollte ihr jeden einzelnen Knochen brechen, ihren abstoßenden Körper so lange bearbeiten, bis ihre Haut aufplatzte. Ich wollte sie ausweiden, ihre Organe einzeln herausreißen – und jeden Gegenschlag wie eine Liebkosung genießen.

Aber Louisa sah zu. Ihr Herz hämmerte im Einklang mit meinen Schlägen. Ich konnte ihre Angst riechen. Deshalb zügelte ich mich. Nein, sie sollte mich nicht als das Monster sehen, das ich im Grunde war. Ich versetzte dem rothaarigen Miststück einen Hieb gegen die Schläfe, der ihren Kopf heftig zur Seite schleuderte, und beugte mich über sie. »Du meinst, ich würde dich nicht töten können?« Ich packte ihren blutverschmierten Kopf mit beiden Händen und zerrte daran. Ihre Halsmuskeln waren stark wie Stahlseile. Ich wusste, ich war stärker. Sie war meine Kreatur, meine Schöpfung. Niemals hätte sie so stark werden können wie ich. Nicht einmal, wenn sie all mein Blut getrunken hätte. Der winzige Tropfen, den sie mir vorhin in Sekundenschnelle gestohlen hatte, war nicht annähernd genug, um etwas zu bewirken. Ich zerrte mit all meiner Kraft an ihrem Kopf, um ihn vom Rumpf zu trennen. Die Haut riss ein. Ich beugte mich herunter und sah Mary tief in ihre hellgrünen eiskalten Augen. »Louisa wusste nicht einmal, dass ich ein Vampir bin. Und trotzdem hat sie mich geliebt.«

Das war das Letzte, was sie in ihrem fast dreihundert Jahre währenden Dasein hörte. Die Wirbelsäule brach, und ich hatte ihr den Kopf halb abgerissen. Verdammtes Miststück! Ich beugte mich tiefer und saugte ihr blitzschnell so viel Blut heraus, wie ich konnte. Ich musste wissen, was sie noch konnte. Louisa hatte davon nichts mitbekommen. Dafür war ich zu schnell.

Ich stand auf und ließ mein Feuer in ihr wüten, ehe ihr Blut zu fließen aufhörte. Zufrieden blickte ich auf das Häufchen Asche, das von Mary geblieben war. Ich war schon lange nicht so in Rage gewesen. Alle erledigt zu haben, befriedigte mich. Sie hatten bekommen, was sie verdient hatten. Es war vorbei. Mary war tot und Louisa sicher.

Mein kleiner Porzellanengel war aufgestanden. Sie schien um ihre Fassung zu ringen und hatte den Blick auf Marys Überreste geheftet. Es musste schrecklich für sie gewesen sein, das mitanzusehen. Trotzdem war sie so klug gewesen, die Waffe zu benutzen. Ich wusste ja, dass sie stark war, aber das war unglaublich tapfer von ihr. Ich war so stolz auf sie.

Schnell ging ich zu ihr und führte sie zum Sofa. Ich drückte sie in die Kissen und vergewisserte mich, dass es ihr gut ging. Dann sah ich nach James. Wie befürchtet, war er tot. Ich stöhnte laut auf, so tief traf mich sein Verlust. Es war unnötig, ihn zu töten. Mary hatte nichts damit erreicht. Sie hatte es nur getan, um mich zu quälen. Das hatte James nicht verdient. Ich hoffte, dass sie ihn nicht lange gequält hatte, bevor er ohnmächtig geworden war. Er war nicht nur ein guter Butler gewesen. Er war mein Freund, meine Familie.

»Dorian, wer war diese fürchterliche Frau?« Louisas Stimme klang leise und zittrig. Ich seufzte schwer und ging wieder zu ihr.

»Mary ist mein Werk«, antwortete ich und wagte nicht, sie anzusehen. »Ich traf sie vor gut dreihundert Jahren und verliebte mich in sie. Zumindest dachte ich das. Heute weiß ich es besser. Ich hab sie zu einem Vampir gemacht. Nachdem ich sie verwandelt hatte, wurde sie boshaft und widerwärtig. Sie hat mehr als einmal versucht, mich zu töten. Ich hätte sie schon viel früher töten müssen. Dann wär das alles hier nicht passiert.« Ich sah Louisa an.

Sie hatte aufmerksam zugehört und wollte etwas erwidern, doch schienen ihr nicht die richtigen Worte einzufallen. Was ihr passiert war, war meine Schuld. Nun musste ich zusehen, dass ich die Trümmer beseitigte. »Louisa, es gibt noch etwas, das wir tun müssen. Hast du Erics Telefonnummer?«

Mir gefiel es selbst nicht, weil mir der kleine Scheißer ziemlich egal war. Aber vielleicht wusste er etwas. Möglicherweise trieben sich noch andere Vampire hier herum, die Mary mit gedeckt hatte. Ich hätte ihn nicht einfach fortjagen sollen, aber in meiner Wut hätte ich ihn wahrscheinlich doch umgebracht.

»Du willst doch nicht …?«

»Nein, ich will ihm nichts tun. Ich will nur hören, was er weiß. Und ob es ihm gut geht«, antwortete ich und musste einen erneuten Wutausbruch unterdrücken. »Im Grunde wünschte ich, dass es ihm schlecht geht. Ich hab ihn ziemlich unsanft geweckt, und ich hab keine Ahnung, wie weit diese Hypnose ging. Ach, verdammt, ich will nur sichergehen, dass er nicht den Rest seines Lebens wie ein Zombie irgendwo sabbernd herumsitzt! Also, hast du seine Nummer?«

»Nein, wir haben nie Telefonnummern ausgetauscht.«

Gut, dachte ich, dann hatte sie also wirklich nichts mit diesem Vollidioten gehabt.

»Aber ich kann Annie fragen.«

 

*

 

Eric sank schwer neben mir aufs Sofa. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und barg sein Gesicht in seinen großen Händen. Wir waren in Maggies Wohnung. Ich wollte nicht hier sein, aber Dorian wollte alles in Ordnung bringen, ohne dass einer von uns Schwierigkeiten bekam. Maggie war tot, das hätte er mir nicht sagen brauchen, und Dorian war im Schlafzimmer und telefonierte mit dem Notarzt. Eric wusste nun, was Dorian war.

»Das darf doch alles nicht wahr sein!« Er stöhnte und kam mit einem Ruck hoch. »Scheiße, was ist hier überhaupt los? Ich versteh das alles nicht.«

Er hatte sich seit Tagen nicht rasiert und sah übermüdet aus, außerdem hatte er eine Bisswunde am Hals. Ich antwortete nicht, denn mir ging es ähnlich. Obwohl ich auf einer Seite erleichtert war, dass es nur Eric war, mit dem ich hatte schlafen müssen, und nicht irgendein widerlicher Kerl, wollte ich nicht hier neben ihm sitzen.

»Ich konnte mich einfach nicht dagegen wehren«, murmelte er und schüttelte den Kopf. »Ich hab alles mitbekommen. Das mit dir und mit Maggie. Aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Sie hat mich irgendwie gezwungen, all diese Dinge zu tun. Ich hab mich noch nie so hilflos gefühlt.«

»Du wusstest, dass ich es bin?«

Er nickte unglücklich. »Es tut mir so leid, Louisa, aber ich kam nicht dagegen an.«

»Mich hat sie denken lassen, du wärst Dorian.«

Eric fuhr zu mir herum und sah mich eindringlich an. »Louisa, wie kannst du mit so einem zusammen sein? Einem Vampir? Ich begreif nicht mal, dass es sie tatsächlich gibt. Und du schläfst mit einem? Mit einem Untoten? Das ist nicht wahr, oder? Er zwingt dich doch dazu, oder?«

»Dorian zwingt mich zu nichts«, gab ich mit aufkommender Wut zurück.

»Louisa, du musst dich von diesem Typen fernhalten. Was, wenn er dir etwas antun will? Wenn er ein Vampir ist, tötet er dich irgendwann. So wie diese Mary es mit Maggie gemacht hat.«

»Nein, das wird er nicht. Eric, es war nicht meine Idee, hierherzukommen. Dorian wollte es. Er wollte dir helfen. Glaubst du, das würde er machen, wenn er so wäre wie Mary?«

Eric sah mich bestürzt an.

»Er ist nicht so wie sie, glaub mir. Weder du noch ich haben etwas von ihm zu befürchten.« Ich konnte verstehen, dass ihn das alles aus der Fassung brachte. Aber ich wusste, dass Dorian uns hören konnte, und dass er nicht besonders gut auf Eric zu sprechen war, verstand sich von selbst. Außerdem hatte er sich nicht in mein Leben einzumischen. Deshalb sollte er einfach seinen Mund halten. Es war alles schlimm genug, was passiert war.

»Hätte ich sein Geld damals nicht angenommen, wäre das alles nie passiert«, sagte Eric leise.

»Das hier ist nicht deine Schuld, Eric«, erwiderte ich und legte ihm etwas widerwillig eine Hand auf den Rücken. »Dorian und ich sind uns schon vorher begegnet. Ich bin mir sicher, dass er einen anderen Weg gefunden hätte, mich kennenzulernen. Vielleicht wäre das hier nicht passiert, vielleicht aber doch. Weiß man nicht. Wenn du dir darüber den Kopf zerbrichst, wird dich das nie loslassen.« Eric sah traurig zu mir auf, und ich versuchte, ihn aufmunternd anzulächeln. Ich hatte nicht das Gefühl, das es mir gelang. Mir waren, ehrlich gesagt, die gleichen Gedanken gekommen.

 

*

 

Ich wusste nicht, was Mary mit ihnen angestellt hatte. Maggie hatte gelitten, nicht körperlich, aber seelisch und Eric hatte dazu beigetragen. Das durfte Louisa nicht wissen. Mary hatte ihr Blut so sauber getrunken, wie ich es ihr beigebracht hatte. Die Bisswunden hatte sie mit ihrem eigenen Blut verschlossen und waren kaum zu sehen. Ich hatte bereits eine Idee, wie ich Maggies Tod vertuschen konnte. »Ich hab den Notarzt angerufen. Keiner darf erfahren, was hier wirklich passiert ist. Verstanden? Eric? Gut. Wir bleiben so nah wie möglich an der Wahrheit. Ihr seid seit einiger Zeit ein Paar, und du hast die ganze Nacht hier verbracht. Hier sind überall Spuren von dir. Du bist zwischendurch nach Hause gegangen, um dich umzuziehen und hast den Haustürschlüssel mitgenommen. Als du wieder hergekommen bist, hast du uns getroffen und wir haben beschlossen, zusammen essen zu gehen. Als wir in die Wohnung kamen, haben wir Maggie auf dem Boden liegend vorgefunden, ich hab den Notarzt angerufen. Sie hatte einen Herzstillstand. Das kommt selbst bei jungen Menschen vor. Sobald der Notarzt hier ist, lasst ihr mich mit ihm reden. Setzt euch wieder hin und du, Eric, kümmerst dich um Louisa.« Ich nahm Louisa bei den Schultern und sah sie an. »Schaffst du das?«

Sie nickte tapfer. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Mein armer kleiner Engel, was sie heute alles durchgemacht hatte!

»Du denkst, das klappt, und sie werden keine Fragen stellen?«, fragte Eric.

»Kümmert ihr euch nur darum, weiterhin bestürzt auszusehen und haltet den Mund, bis ich mit dem Notarzt gesprochen habe. Danach haltet euch an die Geschichte.«

Es tat mir leid, dass ich das so direkt sagen musste. Wenn mein Plan aufgehen sollte, mussten sich beide zurückhalten und nicht wild drauf losplappern. Bei Louisa machte ich mir deswegen keine Sorgen. Sie vertraute mir und war viel zu geschockt, um mit irgendwem zu sprechen. Eric hingegen wirkte immer noch, als würde er jeden Moment durchdrehen.

Ich drückte Louisa wieder aufs Sofa, gab ihr ein Taschentuch und zog Eric in den Flur. »Hör mir mal zu«, sagte ich so leise zu ihm, dass Louisa nichts hören konnte. »Du musst dich beruhigen. Ich weiß, dass das schwer zu verstehen ist, aber reiß dich zusammen. Du hast mit meiner Freundin geschlafen, und ich musste mir den Mist auf Video angucken. Dabei ist es mir scheißegal, ob du es freiwillig getan hast oder nicht. Denn, seien wir ehrlich, Louisa ist eine aufregende Frau. So schlimm war es nicht für dich, oder? Trotzdem helfe ich dir hier raus. Wenn du nicht machst, was ich sage, und mir in die Quere kommst, wirst du die Zeit herbeisehnen, in der Mary bei dir war. Denn das, was ich mit dir anstelle, wird sehr viel schlimmer werden. Verstanden?«

Er nickte. »Warum tust du das?«

»Weil ich hier lebe, und diese Scheiße nicht gebrauchen kann.«

Eric nickte und setzte sich wieder zu Louisa, um sie zu trösten. Ich hasste diesen Kerl aus tiefster Seele und wäre Louisa nicht gewesen, hätte ich ihm schon längst das restliche Blut ausgesaugt und seinen Körper zu dem von Maggie geworfen. Stattdessen machte ich dem Notarzt auf, der endlich an der Tür klingelte.

 

Ich besah mir Eric genauer, nachdem der Notarzt weg war. Er wirkte, mal abgesehen davon, dass er von den Ereignissen geschockt war, wie immer. Wenn er einen bleibenden Schaden davon getragen hatte, merkte man zumindest nichts davon.

»Gut, das war’s dann wohl«, sagte ich.

Alles hatte reibungslos geklappt. Der Notarzt hatte keine Zweifel gehabt, dass Maggie eines natürlichen Todes gestorben war. Louisa hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt und hielt tapfer durch. Ich wollte sie nach draußen schieben, doch sie drehte sich zu dem kleinen Scheißer Eric um.

»Die Nummer, von der aus ich dich angerufen habe«, sagte sie leise, »ist Dorians Nummer. Unter der kannst du mich erreichen. Wenn … na ja, wenn du reden willst. Du wirst ja mit niemandem außer mir darüber reden können.«

Ich war mir nicht sicher, wer von uns beiden sie überraschter ansah. Nach allem, was passiert war, bot sie ihm sogar an, für ihn da zu sein! Unglaublich, diese Frau.