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Die Colfax Avenue, jenseits der Hollywood Hills im Norden des San Fernando Valley gelegen, führte über eine Länge von drei Meilen von North Hollywood bis nach Studio City. Dort lag die Adresse, die Hunter und Garcia dem Festnahmeprotokoll von Angela Wood entnommen hatten. Das Haus, in dem sie wohnte, war ein helles dreistöckiges Gebäude gegenüber einem mittelgroßen Supermarkt nebst Spirituosenladen namens »The Village Market«.
»Hier muss es sein«, sagte Garcia, als er langsamer wurde, um die Hausnummern lesen zu können.
»Ja, das da ist es.« Hunter las aus seinen Notizen ab. »Apartment 309.«
Garcia parkte wenige Meter hinter dem Gebäude am Straßenrand. Als sie die Stufen zum Eingangsbereich hinaufliefen, hatten sie Glück. Der Briefträger kam gerade heraus und hielt ihnen die Haustür auf. So konnten sie direkt nach oben gehen, ohne vorher klingeln zu müssen.
Festgenommen zu werden ist eine zutiefst unangenehme Erfahrung, deshalb war es wohl keine Überraschung, dass Menschen mit Vorstrafenregister, noch dazu, wenn sie eine gewisse Zeit im Gefängnis verbracht hatten, tendenziell nicht gerne mit der Polizei redeten, selbst wenn sie nichts zu verbergen hatten. Hunter und Garcia wussten dies und hatten beschlossen, dass es klüger wäre, Angela Wood ihren Besuch nicht anzukündigen.
»Warte kurz«, sagte Garcia. »Ich schaue mal nach, ob es nach hinten raus eine Feuertreppe gibt.« Er sah Hunter achselzuckend an. »Man weiß ja nie, wie die Leute reagieren, wenn sie eine Dienstmarke sehen.«
Hunter wartete, während Garcia um das Gebäude herumlief. Nach weniger als dreißig Sekunden war er wieder
da.
»Nein«, sagte er kopfschüttelnd. »Keine Feuertreppe.«
Gemeinsam stiegen sie die Stufen hinauf in den dritten Stock. Oben gelangten sie in einen kurzen, hell erleuchteten Flur mit fünf Türen auf jeder Seite. Apartment 309 war die letzte Tür rechts. Hunter klopfte dreimal energisch dagegen. Dann warteten sie.
Zwanzig Sekunden vergingen, ohne dass sich etwas tat.
Hunter klopfte noch einmal, ehe er und Garcia sich vorbeugten, um an der Tür zu horchen.
Diesmal hörten sie Geräusche aus der Wohnung. Trotzdem mussten sie noch weitere fünfzehn Sekunden abwarten, ehe eine Antwort kam.
»Wer ist da?«, rief eine Frau von drinnen. Sie klang verschlafen.
Hunter wollte etwas erwidern, doch Garcia bat ihn mit einer Geste zu schweigen und zeigte auf die Wohnungstür, die nicht über einen Spion verfügte. Dann übernahm er die Führung.
»Post!«, sagte er laut. »Ich habe hier eine Sendung für Miss Angela Wood und brauche eine Unterschrift.«
»Eine Sendung?«, fragte die Frau skeptisch, fast argwöhnisch.
»Ganz recht, Ma’am. Sie kommt aus …« Garcia sah Hunter hilfesuchend an.
»Potacello, Idaho«, raunte dieser kaum hörbar. Er erinnerte sich noch an Angelas Geburtsort vom Festnahmeprotokoll.
»Aus Potacello in Idaho«, rief Garcia.
Wieder verstrichen zehn Sekunden, ohne dass sich drinnen etwas regte. Offenbar hatte Angela Wood nicht mit Post aus ihrer Heimatstadt gerechnet.
»Hmmm …«, machte sie irgendwann. »Okay. Warten Sie ganz kurz, ja? Ich muss mir nur schnell was anziehen. Ich komme gerade aus der Dusche.« Sie klang immer noch nicht ganz überzeugt
.
Hunter und Garcia machten abermals einen Schritt auf die Tür zu, um zu lauschen, was in der Wohnung vor sich ging. Sie hörten jemanden hektisch umherlaufen, dann ein Quietschen wie von schlecht geölten Scharnieren.
Hunter sah seinen Partner an.
»Fenster«, sagte er.
»Fenster?«, wiederholte Garcia. »Wir sind im dritten Stock, und es gibt keine Feuertreppe. Ist die irre?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, sprintete Garcia los, den Flur entlang in Richtung Treppenhaus.
Hunter wandte sich wieder der Wohnungstür zu und klopfte erneut. Der Briefträgertrick hatte offenbar nicht funktioniert. »Miss Wood, hier ist das LAPD, bitte machen Sie die Tür auf.«
Drei Sekunden – keine Reaktion.
Er klopfte noch einmal. »Miss Wood, bitte öffnen Sie die Tür. Hier ist das LAPD. Wir müssen mit Ihnen reden.«
Nichts.
»Miss Wood, das ist meine letzte Warnung. Wenn Sie die Tür nicht öffnen, bin ich gezwungen, sie einzutreten.«
Wieder ließ er drei Sekunden verstreichen.
Dann nahm er einen Schritt Anlauf und trat mit dem rechten Fuß fest gegen den Türknauf. Der dumpfe Knall hallte durch den gesamten Flur. Die Tür wackelte in den Angeln, hielt aber stand. Hunter versetzte ihr einen zweiten Tritt, diesmal mit mehr Kraft.
Fast, aber nicht ganz.
Ein dritter Versuch. Diesmal nahm er all seine Kraft zusammen.
Der Türrahmen krachte, Holzsplitter flogen in alle Richtungen. Sowie die Tür aufschwang, war Hunter in der Wohnung. Angela Wood saß im geöffneten Fenster. Sie hatte einen Rucksack über der Schulter und die Beine bereits über das Fensterbrett nach draußen geschwungen.
»Warten Sie!«, rief er von der Tür her und hob
beschwichtigend die Hände. »Was machen Sie da? Wir wollen doch bloß mit Ihnen reden.«
»Ja, klar.« Sie packte mit beiden Händen das Fensterbrett, als wollte sie springen.
»Bitte, tun Sie das nicht!« Hunter blieb ganz bewusst auf Abstand, damit sie ihn nicht als unmittelbare Bedrohung wahrnahm. Er sprach betont ruhig. »Miss Wood, bitte hören Sie mir zu. Das ist keine gute Idee, was Sie da vorhaben. Vom Fenster bis zur Erde sind es mindestens zwölf Meter. Wenn Sie Glück haben – sehr viel Glück –, kommen Sie mit einem gebrochenen Bein davon. Wahrscheinlicher sind zwei gebrochene Beine. Offene Frakturen. Wir reden hier von sechs bis neun Monaten im Rollstuhl und auf Krücken. Das wollen Sie doch sicher nicht.« Er spürte, wie Angela zögerte. »Hören Sie zu, wir sind nicht gekommen, um Sie festzunehmen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Wir wollen wirklich nur mit Ihnen reden. Wir brauchen Ihre Hilfe. Bitte, kommen Sie wieder rein.«
Angela spähte über ihre linke Schulter. Der Cop klang aufrichtig, aber sie war nicht zum ersten Mal reingelegt worden. Sie wollte lieber kein Risiko eingehen.
»Was ist denn hier los?«, ertönte gleich darauf eine halb erstaunte, halb besorgte Stimme hinter Hunter.
Der drehte sich um und sah einen gut hundertzwanzig Kilo schweren glatzköpfigen Mann im Flur stehen, der drohend einen Baseballschläger erhoben hatte. Wahrscheinlich ein Nachbar, der den Lärm gehört hatte und nach dem Rechten sehen wollte.
»Schon in Ordnung, Sir«, sagte Hunter und zeigte dem Mann seinen Dienstausweis. »Ich bin Detective beim LAPD. Ich habe hier alles unter Kontrolle. Bitte nehmen Sie den Schläger runter und gehen Sie zurück in Ihre Wohnung.«
Der Griff des Mannes um den Baseballschläger lockerte sich ein wenig, und er legte den Kopf schief, um einen genaueren Blick auf Hunters Ausweis zu werfen. Doch im
nächsten Moment sah er hinter Hunter etwas, das ihn vor Schreck die Augen aufreißen ließ.
»O mein Gott!«, stieß er entsetzt hervor.
Hunter fuhr herum.
Der Fensterrahmen war leer. Von Angela Wood fehlte jede Spur.
Hunter wandte sich wieder zu dem Mann um, der hilflos mit den Schultern zuckte.
»Sie ist gesprungen.«