Future generations, riding on the highways that we built, I hope they have a better understanding.
John Cougar Mellencamp
Wir haben alle den Wunsch nach einem besseren Weg, hegen die Hoffnung, dass wir die Welt in einem besseren Zustand hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben. Ob wir nun Yoga oder Meditation praktizieren, die eine oder die andere Partei wählen, Songs oder Maschinenbefehle schreiben, wir haben die Vision, dass die Dinge besser werden können und unser eigenes gutes Leben irgendwie zu einem guten Leben derer beiträgt, die nach uns kommen. Darüber hinaus erleben wir Männer und Frauen, die die Welt tatsächlich zu einem besseren Ort gemacht haben und dabei ein gewisses Maß an innerem Frieden erlangt zu haben scheinen. In der Geschichte der Menschheit gab es unzählige Leben, die trotz – oder vielleicht gerade wegen – überwältigender Widrigkeiten gut gelebt wurden.
Nichtdestotrotz liegt der großen Mehrheit von uns der richtige Weg nicht immer klar vor Augen. John Cougar Mellencamp spricht in seinem Lied von seiner Hoffnung für die Zukunft, nicht von seiner Gewissheit, dass die nächste Generation ihr Leben besser gestalten wird als wir. Wie leicht es sich doch von Tag zu Tag leben lässt, als wäre dies eine Art Generalprobe für das wirkliche Leben. Und trotzdem nagt in uns der Verdacht, dass es das hier ist; dass das wirkliche Leben hier und jetzt stattfindet. Wie also bringen wir es dahin, dass unser Leben uns zufriedenstellt? Wie finden wir unseren Weg?
Diese Ungewissheit ist und war schon immer Bestandteil des Menschseins. In Reaktion auf diese uralte Frage, auf diese Sehnsucht nach Klarheit und Richtungsweisung, haben wir Menschen im Laufe der Jahrhunderte unzählige Wege und Pfade entworfen und sie mit vielen Begriffen und Namen belegt – Religionen, Philosophien, politische Ideologien.
Yoga ist ein Pfad, der aus der spirituellen Wüstenei herausführt, eine Schnellstraße, errichtet von jenen, die vor uns kamen, und ein Weg, der seit Jahrtausenden von Millionen beschritten wird. Dieses Buch ist für all jene, die sich diesen Millionen anschließen und Yoga als Weg zu einem sinnerfüllten Leben erkunden möchten.
Ich kam auf ganz gewöhnliche Weise zum Yoga: Meine Freundin (jetzt meine Frau) schleppte mich zu einem Wochenend-Retreat. Ich hatte mit ihr schon zuvor an ein paar Unterrichtsstunden teilgenommen, von Yoga wirklich gepackt wurde ich aber in einer Unterrichtsstunde um sechs Uhr morgens im Kripalu Center in Western Massachusetts. An den Unterricht selbst erinnere ich mich kaum noch, nur, dass ich aufgefordert wurde, etwas Merkwürdiges mit meiner Nase zu veranstalten. Später erfuhr ich, dass es sich um Pranayama oder Atemregelung handelte. Mir fiel damals das Gefühl auf, mit dem ich anschließend durch den Flur zum Frühstücksraum ging; es war zweifellos der beste Gang zum Frühstück, den ich je erlebt hatte. In meinem Körper war eine Freude, wie sie Jahrzehnte des Sports und des hingebungsvollen Körpertrainings nie zu bewirken vermocht hatten.
Der Same war gepflanzt. In den folgenden Jahren praktizierte ich täglich Yoga, einfach weil ich mich danach besser fühlte. Ich arbeitete mit jungen Menschen, die sehr unter Schmerzen litten, und stellte fest, dass ich durch Yoga Tag für Tag physisch und emotional bei ihnen sein konnte. Yoga, das war zutiefst wirkungsvolle Selbstfürsorge.
Schließlich schrieb ich mich zu einer Ausbildung zum Yogalehrer ein, um meine eigene Praxis zu vertiefen. Ich wollte imstande sein, mein Yoga überallhin mitzunehmen. Ein Jahr später wurde mir aus heiterem Himmel ein Job angeboten – ich sollte Yogaunterricht geben. Eine innere Stimme schien mir zu sagen, dass es wichtig war, dass ich Yoga unterrichtete. Diese Stimme hatte bisher nur einmal zu mir gesprochen. Damals hatte sie mir versichert, dass alles in Ordnung sein würde, als in meinem Leben absolut gar nichts in Ordnung war. Diese Stimme hatte sich beim ersten Mal als richtig erwiesen, daher hörte ich auch jetzt auf sie. Obwohl ich bereits mit einem Aufbaustudium und einem Job gut beschäftigt war, unterrichtete ich irrwitzig viel. Ich gab in Fitnessstudios Unterricht, in Karatestudios, Gesundheitsclubs, Sitzungssälen und Wohnzimmern. Irgendetwas sagte mir, dass ich so viel wie möglich unterrichten musste. Es gab auch einige schöne Momente der Bestätigung – Verbindungen zu Schülern, die Stille beim Shavasana, die tiefe Ruhe am Ende des Unterrichts, das Gefühl, etwas Uraltes und Gutes zu tun. Aber es fehlte auch etwas.
Etwa um die Zeit, als mir allmählich die Puste ausging, kam ein passionierter Lehrer namens Baron Baptiste nach Cambridge und eröffnete ein Studio. Er begeisterte mich sofort. Nachdem ich an einer seiner Unterrichtsstunden teilgenommen hatte, fragte er mich sofort: »Bist du Lehrer?« Das sei ich, sagte ich. Aber es klang nicht so, als ob es wahr sei. Ich gab Unterricht, aber Lehrer war ich nicht. Ich begann für Baron zu arbeiten und ich wurde zum Lehrer.
Das englische Wort educator (Erzieher) leitet sich vom lateinischen Verb educere her, das unter anderem »herausführen« und »herausziehen« bedeutet. Dieser lateinische Begriff wurde von Hebammen gebraucht, wo er »bei der Geburt zugegen sein« bedeutete. Von Baron lernte ich, dass es beim Yogaunterrichten in erster Linie und vor allem darum geht, aus einem Schüler das herauszuziehen, was schon in ihm steckt. Ausrichtung, Atem, eine Abfolge von Stellungen – das alles sind einfach Werkzeuge, mit deren Hilfe der Lehrer die Aufmerksamkeit seines Schülers kapert. Wenn Erziehung wirklich die Kunst ist, einem Individuum beim Entwickeln der ihm oder ihr innewohnenden Fähigkeiten zu helfen, dann wird der Yogaunterricht zu sehr viel mehr als einem bloßen routinemäßigen Abspulen von Stellungen und Erklärungen.
Als ich mein Unterrichten als von Gott gegebene Gelegenheit begriff, bei der Geburt des authentischen Selbst eines Individuums präsent zu sein, wurde ich zum Lehrer im wahren Sinn. Wie ich entdeckte, besteht der wahre Lohn der Yogapraxis nicht im perfekten Handstand oder einer tieferen Vorbeuge – er besteht darin, das Selbst zu erwecken, das jeden Tag neu geboren von der Yogamatte herunter zurück ins Leben tritt.
Bald darauf stieg ich aus meinem Aufbaustudium in Sozialarbeit aus und wurde Vollzeit-Yogalehrer. Ich hatte meinen Weg zu dienen gefunden. In Ein Kurs in Wundern heißt es: »Lehren ist Aufzeigen.« Soweit ich es zu sagen vermag, ist Liebe das Einzige, das es wert ist, aufgezeigt zu werden. Nun verbringe ich meine Tage damit, den außergewöhnlichen Individuen, die in mein Studio kommen, Liebe aufzuzeigen. Dies war und ist eine tiefgründige Erfahrung und fortwährende Erziehung.
Wahrscheinlich sind Sie wie die meisten mir bekannten Yogaschüler ohne jedes Hintergrundwissen über Yogaphilosophie oder auch nur Interesse daran in Ihrer ersten Yogastunde gelandet. Doch nach einigen Monaten begannen Sie, die positiven Auswirkungen einer regelmäßigen Yogapraxis zu spüren. Sie fingen an, das Bisschen Yogaphilosophie, das Sie im Unterricht mitbekamen, zu verinnerlichen. Sie begannen sich besser zu fühlen, das Leben wirkte greifbarer, Sie waren glücklicher. Wehwehchen oder Schmerzen, unter denen Sie vielleicht schon Jahrzehnte gelitten hatten, verflüchtigten sich auf rätselhafte Weise. Einschränkende Glaubensvorstellungen bezüglich Ihrer körperlichen Form und unzureichender Fähigkeiten begannen zu bröckeln und verschwanden, ebenso wie Ihre Rückenschmerzen und Hüftsteifigkeit, allmählich ganz.
Mit der Zeit kommt eine Art Hunger auf. Der Yogaunterricht vermittelt uns den Geschmack von einer neuen Daseinsweise, einer neuen Art, sich zu bewegen, einer neuen Art, mit den täglichen Ereignissen und Herausforderungen umzugehen. Nach und nach wollen wir mehr von dem, was Yoga uns bietet, ins Alltagsleben einbringen.
Leider stehen mir nicht genügend Stunden in der Woche zur Verfügung, um all die Privatstunden und Extrasitzungen zu halten, um die ich von Schülern gebeten werde. Im Großen und Ganzen sind dies Menschen, die einfach ein bisschen mehr Yoga in ihr Leben einbringen möchten. Das Training des Körpers findet bereits im Unterricht statt; nun geht es um die spirituelle Entwicklung. Diese Schüler würden gerne in eigener Sache etwas Zeit mit einem Lehrer verbringen, wünschen sich eine Möglichkeit, ihre Fragen zu stellen, möchten von ihm auf ihrer neuen Reise begleitet werden, und sei es nur für eine oder zwei Stunden. Und das wünschen wir uns alle.
Dieses Buch ist eine Antwort auf dieses Bedürfnis nach Begleitung und Gemeinschaft. Yoga ist im Wesentlichen eine Reise ins Innere. Ob wir uns nun in eine Unterrichtsstunde mit siebzig Schülern quetschen oder Yoga allein vor einem Video oder mit einem Partner am Strand praktizieren – alle erleben wir im Verlauf unserer Praxis Phasen der Einsamkeit. Oft sind wir beim Yoga weit weg von der Unterstützung unseres Lehrer; noch ferner sind wir seiner Führung, wenn wir danach streben, unser Yoga in aller Wahrhaftigkeit im Jetzt zu leben.
Als Orientierungsläufer in der Armee lernte ich, gewohnheitsmäßig etwa alle dreihundert Meter meine Position zu bestimmen, ob es mir notwendig schien oder nicht. Immer war jedoch die erste Positionsbestimmung die wichtigste, weil sich alle nachfolgenden Berechnungen aus ihr ergaben. Wenn Sie Ihren Weg durch die Wildnis finden wollen, müssen Sie Ihren Ausgangspunkt kennen. Ich hege die Hoffnung, dass dieses Buch zu Ihrem täglichen Ausgangspunkt wird. Ich möchte Sie einladen, den Augenblick zu nutzen, wenn Sie die jedem Tag zugeordnete Betrachtung lesen, und innerlich still werden, Ihre Position bestimmen und Ihre Reise für den Tag planen.
Die folgenden Texte sind das natürliche Resultat der Arbeit, die in jedem Yogastudio stattfindet. Wenn wir unsere Glieder erwecken, tief in unsere Muskeln hineinatmen und unser Herz öffnen, werden wir dazu angeregt, tiefer in unsere Seele zu schauen. Ich bringe hier meine eigene Praxis ein, meine eigene Reise sowie meine Aufgabe, Sie zu unterrichten, um zutage zu fördern, was schon in Ihnen existiert. Ich werde alle Ihre Fragen beantworten und Ihnen auch nicht erklären, wie Sie die Dreiecksstellung einnehmen oder die Zehen beim Schulterstand ausrichten sollen. Stattdessen werden wir Seite an Seite und Tag für Tag eine Reise durch das Jahr unternehmen, die verschiedenen Stadien unserer Praxis und die Entdeckungen beobachten, die wir auf der Matte sowie auch abseits davon machen. Es ist also ein bisschen wie eine Einzelsitzung bei einem Lehrer, ein Ausgangspunkt für den Tag und ein Aufbruch auf diesen fünftausend Jahre alten Pfad namens Yoga.
Wenn Sie die Essays der Reihenfolge nach lesen, werden Sie feststellen, dass sie aufeinander aufbauen, und das Ganze wird für Sie einen Sinn ergeben. Ich lade Sie ein, dieses Buch über ein ganzes Jahr hinweg zu lesen, einen Essay pro Tag. Oder lesen Sie immer dann mehrere Seiten, wenn Sie sich Anleitung und Inspiration wünschen. Machen Sie es so, wie es Ihnen am besten passt, aber lesen Sie langsam und nehmen Sie sich Zeit, die Gedanken innerlich reifen zu lassen. Lassen Sie die Gedanken in diesem Buch in Ihrem Leben Dynamik entfalten, lassen Sie sie einfließen in Ihre Yogapraxis, Ihre Arbeit, Ihre mitmenschlichen Beziehungen und Ihre Erfahrung, lebendig zu sein.