Achtsam atmen
Wenn dies erreicht ist, folgt Pranayama, das Anhalten des einströmenden und ausströmenden Atems.
Yoga-Sutras
Pranayama, das sich am Schnittpunk zwischen Asana und den rein kontemplativen Aspekten des achtgliedrigen Pfades befindet, umfasst sowohl das Körperliche als auch das Kontemplative. Die Wissenschaft des yogischen Atmens schult den Geist in der Konzentration auf einen Punkt und verbessert radikal unsere Fähigkeit, die Energie, die wir aus der Atemluft beziehen, zu vermehren, zu speichern, zu regulieren und zu nutzen. Wir machen uns Körpertechniken zunutze und beginnen so unsere Reise ins Metaphysische. Die Worte zu Pranayama in den Yoga-Sutras sind leicht zu befolgen. Für den Anfang tun Sie einfach das, was Sie schon tun. Sie praktizieren Asana und achten dabei auf den Atem. Er sollte ruhig und bewusst, aber ohne Zwang oder Anstrengung fließen. Atmen Sie durch die Nase ein und aus und pausieren Sie jeweils nach dem Einatmen und dem Ausatmen kurz. Sollte das schwierig werden, hören Sie auf und atmen so, wie es kommt. Beginnen Sie dann von Neuem, wenn es Ihnen ohne Schwierigkeiten möglich ist. Beobachten Sie, wie sich diese Form des Atmens auf Ihr körperliches und emotionales Erleben auswirkt. Folgen Sie der Ebbe und der Flut Ihrer Aufmerksamkeit. Pranayama und Asana, Energie und Materie.
Wenn du im Jetzt bist, wirst du wissen, wie.
Baron Baptiste
Die Glieder von Tapas, oder körperliches Handeln, binden uns an den Augenblick. Es geht hier um in der Gegenwart ausgeführte oder nicht ausgeführte Handlungen. Die Yamas räumen mit jenen negativen Handlungen auf, die Reue hinsichtlich der Vergangenheit und Ängste in Bezug auf die Zukunft hervorrufen. Die Niyamas lenken die durch die Yamas freigesetzte Energie in Handlungen um, die unserer Gesundheit und der anderer förderlich sind. Das Asana lehrt uns, bei der greifbaren Materie zu bleiben, und baut zugleich die Charakterfehler ab, die uns überhaupt erst dazu brachten, uns in unseren Fantasien und Vorstellungen zu verstecken. Pranayama schult den Geist darin, sich auf einen Punkt zu konzentrieren, und verbessert zugleich unsere körperliche und emotionale Gesundheit. Beständiges Praktizieren dieser vier Glieder lehrt uns, im Augenblick zu leben.
Eine einfache Art, den Anfang zu machen, besteht darin, dass wir uns auf den Atem konzentrieren, sei es in einer Stellung, in der Meditation oder auf dem Weg zur Arbeit. Achten Sie auf die Erfahrung, die Sie machen, während Sie sich Ihren Tag vorstellen oder sich etwas vergegenwärtigen, das gestern passierte. Wie nehmen Sie sich selbst wahr, wie erfahren Sie sich? Erinnern Sie sich jetzt an ein optimales Szenario oder stellen Sie sich eines vor, bei dem Sie eine sehr gute Tat tun. Wie erfahren Sie sich selbst in diesem vorgestellten optimalen Augenblick? Kehren Sie dann zum Atem zurück. Spüren und erfühlen Sie beim Atmen Ihren ganzen Körper. Hören Sie auf die Laute rings um Sie herum und bleiben Sie lange genug bei alldem, bis Sie ganz und gar im Augenblick angekommen sind. Wie erfahren Sie sich selbst?
Das ist die Arbeit an den ersten vier Gliedern. Wir lernen, aus dem Herzen heraus, im Licht unserer Seele, im Augenblick zu leben. Es geht nicht darum, sich vom Stress und von den Aufgaben des Alltagslebens zurückzuziehen oder sie zu meiden. Vielmehr üben wir uns darin, unsere Realität aus ganzem Herzen willkommen zu heißen. »Aber, aber, aber …« Wenn Sie im Jetzt sind, werden Sie wissen, wie. »Aber, aber, aber …« Wenn Sie im Jetzt sind, werden Sie wissen, wie. Wir sind göttliches Bewusstsein. Was soll denn schiefgehen, solange wir mit dieser Wahrheit verbunden sind?
Das Verbessern der Atemfunktion ist der sicherste und einfachste Weg zur Steigerung der Adaptionsfähigkeit des Organismus.
Thomas Myers
Die körperlichen Vorteile von Pranayama sind nicht esoterischer Natur. Die meisten von uns kommen mit einer eingeschränkten Atemfunktion zur Asana-Praxis. Die mit der Atmung verbundenen Muskeln sind oft verspannt oder schwach oder beides. Unsere Muskel-Skelett-Systeme sind verspannt, wodurch sich unsere Fähigkeit, ungehindert zu atmen, noch mehr verringert. Und wir sind nicht mit dem Herzen dabei. Den meisten von uns ist der Atem egal, solange er nicht übel riecht. Mit der Asana-Praxis nimmt die Arbeit ihren Anfang, die wir leisten müssen, um diese ungesunde Situation ins Gegenteil zu verkehren. Unser ganzer Körper öffnet sich, unsere Bewegung werden frei und wir lernen, unsere Aufmerksamkeit auf den Prozess zu richten, der das Leben in unseren Körper einströmen und wieder aus ihm ausströmen lässt. Das wird mit Pranayama noch einen Schritt weitergeführt. Es enthält den Verständnisprozess der Physiologie des Atmens und der Art und Weise, wie wir die Atemkapazität unseres Körpers maximieren können. In manchen Kreisen wird viel daüber geredet, dass Pranayama gefährlich oder zu esoterisch oder die Domäne von Experten sei. Das entspricht nicht meiner Erfahrung von den einfachen Pranayama-Techniken, die ich Sie lehren werde und schon Tausenden in meinen Kursen gelehrt habe.
Legen Sie sich heute fünf bis zehn Minuten lang auf den Rücken, bevor Sie mit Ihrer Praxis beginnen. Schließen Sie die Augen und folgen Sie Ihrem Atem. Pausieren Sie nach dem Einatmen, dann nach dem Ausatmen – ohne Gewalt, ohne Anstrengung. Hören Sie auf, wenn es schwierig wird, atmen Sie frei, und wenn Sie bereit sind, fangen Sie wieder damit an. Das reicht für einen Tag. Einatmen. Pause. Ausatmen. Pause. Einatmen. Pause. Ausatmen. Pause. Unternehmen Sie diese einfache Reise und schauen Sie, wohin sie Sie führt.
Unser Atem hebt und senkt sich ständig, verebbt und fließt, tritt in unseren Körper ein und verlässt ihn wieder. Eine Ganzkörperatmung stellt eine außergewöhnliche Symphonie der kraftvollen und subtilen Bewegungen dar, die unsere inneren Organe massieren, unsere Gelenke ins Schwingen bringen und alle unsere Muskeln abwechselnd straffen und entspannen. Sie ist eine volle Teilhabe am Leben.
Donna Farhi
Holen Sie sich vor Ihrer heutigen Praxis drei Kopfkissen. Legen Sie zwei davon auf Ihre Matte und legen Sie sich der Länge nach so darauf, dass die beiden Kissen unter Ihnen direkt oberhalb des Kreuzbeins beziehungsweise am Ende der Wirbelsäule enden. Das soll Ihre Wirbelsäule unterstützen und dehnen, ohne Ihnen Unbehagen zu verursachen. Die Brust sollte frei und entspannt sein. Falten Sie dann das dritte Kissen und legen Sie es sich so unter den Kopf, dass sich Ihr Kinn sachte der Brust zuneigt. Stellen Sie sich Ihren Rumpf als ein Wasserglas vor. Die Hüften sind der Boden des Glases, Ihr Schlüsselbein ist sein oberer Rand. Wenn Sie einatmen, füllt sich das Glas von unten nach oben. Wenn Sie ausatmen, leert sich das Glas von oben nach unten. Pausieren Sie nach jedem Einatmen und Ausatmen kurz. Denken Sie daran: keine Gewalt, keine Anstrengung. Wenn es schwierig wird, hören Sie auf, atmen frei, und wenn Sie erneut bereit sind, fangen Sie wieder an. Ich stelle mir oft eine Stoppuhr auf zehn oder fünfzehn Minuten, damit ich mich nicht um die Zeit kümmern muss. Aber es ist auch schön, diese sanfte Pranayama-Übung auszuführen, bis Sie sich bereit fühlen, mit der Asana-Praxis anzufangen. Lassen Sie, wenn Sie dann mit der Praxis beginnen, den eingeführten Atemrhythmus auch den Rhythmus Ihrer Praxis sein.
Der Atem dient als ausgezeichneter Hinweis auf unsere wahre Natur, das Bewusstsein. Der Atem ist, wie unser Denken, unstet. Er kommt und geht. Indem wir uns auf die Pause zwischen den Atemzügen konzentrieren, öffnen wir uns für ein Gewahrsein der Stille, die hinter und zwischen jedem Atemzug und jedem Gedanken existiert. Kehren Sie beim Praktizieren von Yoga und in den stillen Augenblicken des Alltagslebens zu dieser elementaren Stille am Ende eines jeden Atemzugs, einer jeden Bewegung und eines jeden Gedankens zurück.
Richard C. Miller
Es heißt, der Atem sei die Brücke zwischen Körper und Seele. Pranayama ist eine Praxis, die wir auf körperlicher und spiritueller Ebene erfahren. In dem Augenblick, in dem wir die Augen schließen und unsere Aufmerksamkeit auf den Atem richten, nehmen verschiedene positive physiologische Auswirkungen ihren Anfang. Unser Herzschlag verlangsamt sich, kardiopulmonaler Stress mindert sich, die metabolische Aktivität nimmt ab, Blutzucker- und Laktatspiegel, Muskelanspannung und Leitfähigkeit der Haut senken sich. Diese positiven Veränderungen führen insgesamt zu einem verstärkten Wohlbefinden, einem Gefühl von Heimkehr. Diese Veränderung auf emotionaler Ebene wird von einer Verlagerung der Aufmerksamkeit begleitet. Uns wird bewusst, dass die Sorgen und Belange, die uns noch einen Augenblick zuvor so stark im Griff hatten, fort sind. Wir nehmen eine machtvolle Präsenz wahr. Richard Miller nennt diese Präsenz Stille. Machen Sie selbst die Erfahrung des inneren Friedens, der durch das achtsame Atmen entsteht, treten Sie in diese Stille ein und Sie werden Einblick nehmen in die Erhabenheit des Universums.
Devi: O Shiva, was ist Deine Wirklichkeit? Was ist dieses wundererfüllte Universum?
Was macht Samen? Wer zentriert das universelle Rad? Was ist dieses Leben jenseits
Form durchdringender Formen? Wie können wir es vollständig betreten, über Raum und
Zeit, Namen und Beschreibungen? Lass meine Zweifel geklärt werden!
Shiva: Strahlende, diese Erfahrung erfolgt zwischen zwei Atemzügen.
Vigyan Bairav Tantra
Die Erkenntnis, dass etwas geschieht, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf unseren Atem richten, ist älter als die Geschichtsschreibung und wird in allen großen Weltreligionen bezeugt. Pranayama, obschon vielleicht das älteste System, ist eines von zahllosen praktischen Systemen, die zu unserer Unterweisung entstanden sind, damit wir durch den Schleier des abgelenkten Geistes hindurchsehen und Einblick nehmen in die wahre Natur unserer Existenz. Unser Geist driftet hin und her, wird von Empfindungen und Sinneseindrücken umhergeschleudert wie ein Boot auf stürmischer See. Der Atem dient als Anker, an dem wir unseren Geist binden, damit wir für das Tatsächliche präsent sein können. Was passiert, wenn Sie die Augen schließen und Ihrem Atem folgen? Was ist Ihre Wahrheit? Ist da etwas, wenn Sie in einer Stellung innehalten, um Ihren Atem zu spüren und zu hören? Yoga ist nicht für Experten gedacht, er ist für Menschen gedacht. Was für eine Erfahrung machen Sie, wenn Sie sich mit dem Atem verbinden?
Solange sich der Atem bewegt, so lange ist auch alles Wandelbare des Menschen (Chitta) unstet. Ruht das eine, kommt auch das andere zur Ruhe und der Yogi findet innere Harmonie. Daher soll der Yogi den Atem anhalten.
Hatha Yoga Pradipika
In den nächsten Tagen werden wir uns auf eine Reise quer durch die Zeitalter und Kulturen begeben, um uns anzuschauen, was über die Verbindung zwischen auf den Atem gerichteter Aufmerksamkeit, Atemregulation und spiritueller Gesundheit gesagt wurde. In dem Zitat oben aus einem der ältesten Texte des Hatha Yoga, einem Zweig des Yoga, der die Asana-Praxis vervollkommnet hat, wird uns unkomplizierter Rat erteilt. Ist unsere Atmung chaotisch, ist auch unser Denken, sind auch unsere Emotionen chaotisch. Ist unsere Atmung ruhig, ist auch unser Denken und sind auch unsere Emotionen ruhig. Das haben klinische Forschungsstudien ergeben und wir können das leicht im Verlauf unseres Tages überprüfen. Es ist eine hervorragende Reaktion, inmitten eines schwierigen Augenblicks innezuhalten und unsere Aufmerksamkeit auf den Atem zu richten. Das wird zunehmend leichter, wenn Sie sich am Tagesanfang ein bisschen Zeit nehmen, um sich mit dem Atem zu verbinden.
Euer Atem soll leicht, gleichmäßig und fließend sein, wie ein dünner Wasserlauf im Sand. So still, dass die Person neben euch nichts hört. Der Atem soll so anmutig dahinfließen wie ein Fluss, so, wie eine Wasserschlange durchs Wasser gleitet. Er soll nicht einer Kette zerklüfteter Berge gleichen oder dem Galopp eines Pferdes. Unseren Atem unter Kontrolle zu halten heißt Körper und Geist beherrschen. Jedes Mal, wenn wir merken, dass wir zerstreut sind, und es uns schwerfällt, uns mithilfe verschiedener Methoden wieder zu sammeln, sollten wir die Methode der Atembetrachtung anwenden.
Thich Nhat Hanh
Hier lehrt ein heutiger buddhistischer Lehrer aufs Neue uralte Weisheit. Unser Atemfluss soll, wie die Energie, die wir im Asana einsetzen, stetig und entspannt, ruhig und bewusst sein. Yoga soll uns mit der Zeit zu einer gelassenen Sicht bringen. Wir kommen dahin, Situationen weder als gut noch als schlecht anzusehen, sondern sie nur als Chancen für Wachstum betrachten, als Augenblicke, in denen wir Liebe mit anderen teilen und erhalten. Wir kommen dahin, nicht Leute zu sehen, die gut oder schlecht sind, nicht Geschöpfe, die gut oder schlecht sind, sondern nur Brüder und Schwestern. Unser anfängliches Training besteht darin, jeder Stellung mit der gleichen Absicht, jedem Atemzug mit der gleichen Absicht zu begegnen. Und wenn wir es vergessen, sollen wir uns daran erinnern und wieder von Neuem beginnen.
Der Körper ist das Feld der Ordnung wie auch der Anfechtung. Er ist das erstere, wenn er zum Guten verwandt wird, und das letztere, wenn zum Schlechten. Er ist das Feld und das Selbst ist der Kenner des Feldes. Pranayama ist das Band zwischen den zweien.
B. K. S. Iyengar
B. K. S. Iyengar spricht hier die metaphysische Seite von Pranayama an. Der Körper ist das Feld, der Ort, wo alles stattfindet. Wir empfinden Wut, Angst, Verlust, Verrücktheit und Langeweile auf dem Feld unseres Körpers, unserer Emotionen. Das Selbst, der Zeuge, das, was die Entscheidungen trifft, ist der Kenner. Ram Dass berichtet, wie ihn jemand, der auf LSD war, spätnachts anrief. Nachdem er sich vergeblich darum bemüht hatte, mit dem Mann zu kommunizieren, sagte er: »Ich möchte mit der Person sprechen, die diese Nummer gewählt hat.« Selbst inmitten einer durch Drogen heraufbeschworenen Krise konnte ein Teil dieses Menschen um Hilfe bitten, wusste er, wen er anrufen musste, und erinnerte sich an dessen Telefonnummer. Unser wahres Selbst verlässt uns auch nicht in unseren dunkelsten Augenblicken. Die Erkenntnis von Pranayama enthält, dass der Atem ein physiologisches Bindeglied zwischen dem ewigen Selbst und dem Feld der sich fortwährend verändernden Empfindungen und Sinneswahrnehmungen ist. Wenn wir die Kontrolle über die Atmung gewinnen, können wir die Stimme des Zeugen über das Getöse unseres Erlebens hinweg vernehmen.
Der menschliche Körper ist ein komplexes spirituelles Instrument. Die normale physische Atmung beinhaltet nicht nur den Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxyd, sie ist auch das Bindeglied zu unserem Lichtkörper. Mit jedem Einatmen/Ausatmen ereignet sich parallel ein Energiefluss in unserem Lichtkörper. Indem wir unsere Aufmerksamkeit auf den äußeren Atem richten, entwickeln wir ein wachsendes Bewusstsein vom inneren Atem, werden diese einander durchdringenden Körper in Einklang und der Geist zur Ruhe gebracht. Im Atem begegnen sich die sichtbare und unsichtbare Welt.
Coleman Barks und Michael Green
Die beiden Autoren nähern sich dem Atem aus Sufi-Sicht, die sich hier mit der Sicht der Yogatradition auf Pranayama in völliger Übereinstimmung befindet. Gemäß der yogischen Physiologielehre ist der Körper nur unsere äußerste Hülle oder Ebene der Verkörperung. Unser wahrer Körper setzt sich aus sieben Hüllen zusammen. Sie weisen in ihrer Koexistenz ��hnlichkeiten mit den drei Aspekten des Gehirns auf. Im Laufe unserer Evolution machte unser Gehirn drei verschieden Entwicklungsphasen durch. Jeder Aspekt unseres Gehirns regiert verschiedene Aspekte unserer physischen, emotionalen und intellektuellen Existenz, aber sie alle bewohnen im Wesentlichen denselben Raum. So verhält es sich auch mit den sieben Hüllen der yogischen Physiologie. Der Lichtkörper, wie er in der Sufi-Tradition beschrieben wird, korrespondiert mit der Atemhülle in der yogischen Tradition. Am einfachsten lassen sich diese sichtbaren und unsichtbaren Aspekte unserer selbst verstehen, wenn wir uns vor Augen führen, wie wir von einer Emotion beeinflusst werden. Erregung zum Beispiel ist ein physisches Geschehen – es wirkt sich auf die Weitung der Pupillen aus, auf den Blutfluss zu den Extremitäten, die Drüsenaktivität und die Herzschlag- und Atemfrequenz. Und es ist ein intellektuelles Geschehen, die Interpretation einer gegebenen Situation. Das intellektuelle Geschehen ist unsichtbar, aber unsere körperliche Reaktion ist ohne Weiteres sichtbar. Unser Geist reagiert auf äußere Reize: »Das ist eine sehr schlimme Sache.« Unser Körper reagiert auf das, was der Geist ihm sagt: »Komm auf Touren; das könnte ein großes Ding sein!« Gleichzeitig aber ist unser Zeuge imstande, all das zu beobachten, und kann den Vorsatz, ruhig und bewusst zu atmen, aussenden. Diese Atmung beruhigt und fokussiert den Geist, beruhigt die körperliche Reaktion und bringt Körper und Geist mit der Absicht der Seele in Übereinstimmung. Das ist der Tanz des Atems im Innern und so verbindet er die verschiedenen Ebenen unseres Erlebens miteinander.
Aus diesem Grund gilt die Meditationspraxis als ein guter, ja in der Tat ein hervorragender Weg zur Überwindung des Krieges in der Welt: unseres ganz persönlichen wie auch des größeren Krieges der Völker.
Chögyam Trungpa
Meditation ist das letztendliche Ziel von Pranayama und tatsächlich ist dies unser erster Schritt in die formelle Meditationspraxis. Bis jetzt war unsere Arbeit bis zu einem gewissen Grad äußerlicher Natur. Was die Yamas und Niyamas angeht, so müssen wir alle selbst herausfinden, wo wir die Grenze ziehen und wie wir unser Alltagsleben führen wollen. Im Asana wird die Sache schon klarer. Hier müssen keine kulturellen oder geschlechtsspezifischen Angelegenheiten berücksichtigt werden. Entweder balancierst du in der Baum-Haltung oder nicht. Bei den Yamas und Niyamas und im Asana beginnen wir, uns unseren Dämonen zu stellen. Im Pranayama beziehen wir Stellung. Wir nutzen die Gelegenheit, Pranayama richtig zu praktizieren – das heißt, wir übernehmen die Verantwortung für alles, was wir tun und nicht tun –, wir begegnen authentisch unseren Blockaden gegenüber der Liebe. Wir lernen die Natur unseres eigenen Krieges gegen der Realität kennen und entwickeln den Willen, von ihm abzulassen.
Bewusstes Atmen – eine mächtige Meditation in sich – wird dich allmählich mit dem Körper in Kontakt bringen. … Sobald du in deinem gewohnheitsmäßigen Zustand nicht mehr außerhalb deines Körpers weilst und im Verstand gefangen bist, sondern in deinem Körper anwesend und im Jetzt präsent bist, wird sich dein physischer Körper leichter, klarer, lebendiger anfühlen.
Eckhart Tolle
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf den Atem richten, wechseln wir die Ebenen, gehen wir von einer Existenzebene zu einer anderen über. Unser Leiden ist weitgehend unserer imaginären Beziehung zur Vergangenheit oder Zukunft geschuldet; der Atem jedoch gewährt uns Zugang zur Gegenwart. Wenn wir auf unsere Atmung achten, bringt das nicht nur erhebliche und nachgewiesene Vorteile für unsere Gesundheit mit sich, wir verlassen auch bewusst eine unserer Vorstellung entsprungene Welt und treten in die Realität ein. Hören Sie für einen Moment auf zu lesen. Setzen Sie sich bequem hin, schließen Sie die Augen und machen Sie zehn Atemzüge. Ihre Aufmerksamkeit weilt im gegenwärtigen Augenblick, auf dem momentanen Atemzug. Das ist kraftvoll. Das ist real. Das ist die Chance, auf die Sie gewartet haben.
Dieser Strom des Dhikr, des Gedenkens Gottes, ist etwas, das wir entdecken und nicht erzeugen. Wie eine geheime Gezeitenströmung fließt er immer mit dem Atem ein und aus.
Coleman Barks und Michael Green
Als ich in der ersten Klasse war, versteckte ich mich gern, wenn unsere Klasse von einem Gebäude in ein anderes wechselte. Ich genoss das Chaos, das ich durch meine Aktion bei meinen Mitschülern verursachte, war aber auch vom Zauber der Stille angezogen, die ich erlebte, wenn ich allein in unser angestammtes Klassenzimmer zurückkam. In den kurzen Momenten im Freien roch ich den Duft der Erde, des Grases, der Bäume. Ich war allein und doch nicht allein; es war eine Zeit, die ich mit Gott verbrachte. Als ich mich später in Übersee aufhielt als Angehöriger einer Gruppe von Männern, die sich dem Töten widmete, und ich in die Hölle des Alkohols schlitterte, sehnte ich mich nach den Wäldern New Englands zurück. Der Geruch von Kiefern und nassem Gras an einem stillen Nachmittag in New England hatte etwas an sich, das mir nach wie vor wie der Himmel schien. Abstinent geworden, kehrte ich nach New England zurück und war bestrebt, meine Kindheitsverbindung zu Himmel und Erde zu erneuern. Mit meinem ältesten Freund begab ich mich ganz hinauf in den Norden von Maine, wo wir Wochen in einem Kanu verbrachten, auf wunderschönen Seen fischten, von Kiefernwäldern und Stille umgeben. Die Dankbarkeit, die ich darüber empfand, dass ich meine Sucht überstanden hatte und lebte, um mit meinem Freund diese Augenblicke in der Wildnis zu genießen, lässt sich nicht in Worte fassen. Aber Sie werden eine gewisse Vorstellung davon bekommen, wie ich mich fühlte, wenn Sie jetzt gleich innehalten und mit vollkommener Aufmerksamkeit atmen. Verbringen Sie einen Moment in Stille und öffnen Sie sich für das, was ist. Entdecken Sie die geheime Gezeitenströmung und treiben Sie ein Weilchen auf ihr dahin.
Durch die Pranayama-Praxis wird der Geist in einer einzigen Richtung festgehalten.
Sri K. Pattabhi Jois
Warum sollten wir einen Geist entwickeln, der zur auf einen Punkt gerichteten Aufmerksamkeit fähig ist? Und was nützt uns das in spiritueller Hinsicht? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich da bin, wo meine Aufmerksamkeit ist. Wenn ich Ihnen mit ungeteilter Aufmerksamkeit zuhöre, bin ich bei Ihnen. Wenn mein Geist abwandert, bin auch ich nicht da. Meine Fähigkeit, mich zu etwas einzufinden, basiert auf meiner Fähigkeit, meinen Geist kooperieren zu lassen. Wenn wir irgendetwas lieben, irgendetwas vermitteln, irgendetwas erreichen wollen, brauchen wir einen Geist, der dem Plan zustimmt und mitzieht. Genau diese Fähigkeit wird durch die Pranayama-Praxis kultiviert.
Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht.
Matthäus 11, 29-30
Meine Pranayama-Lehrerin steht am Morgen auf und meditiert. Wenn sie sich danach fühlt, macht sie Pranayama, andernfalls sitzt sie einfach in Meditation. Später praktiziert sie Asana, unterrichtet Asana und bildet sich bei ihrer Lehrerin weiter. Sie ist durch die Welt gereist, um Yoga zu erlernen, und stellt einen Großteil ihres Hauses und ihres Lebens zur Verfügung, um Yoga mit anderen zu teilen. Ihre Praxis nimmt eine Menge Zeit in Anspruch und bedeutet eine Menge Arbeit, aber mit ihren vierundsechzig Jahren verbindet sie den Körper und den Geist einer Dreißigjährigen mit der tiefen Weisheit einer authentischen spirituellen Lehrerin. Die Yogapraxis beansprucht Zeit und Mühe, aber die Alternative – ein Leben ohne Yoga oder eine andere spirituelle Disziplin – ist härter. Ich glaube, das meint Jesus, wenn er sagt: »Mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht.«
Das Ziel kann weder etwas vom Selbst Abgesondertes noch etwas frisch Erworbenes sein. Wenn dem so wäre, könnte es nicht beständig und dauerhaft sein. Was neu in Erscheinung tritt, wird verschwinden. Das Ziel muss von ewiger und innerer Natur sein. Finde es in dir selbst.
Ramana Maharshi
Verwenden Sie heute vor Ihrer Pranayama-Praxis etwas Zeit auf diese Aussage von Ramana Maharshi. Widmen Sie dann Ihr Pranayama der Wahrheit, die sich in diesen weisen Worten findet. Lassen Sie diese Worte in Ihrem Inneren Widerhall finden, wenn Sie Ihrem Atem tiefer und tiefer in sich selbst hinein folgen. Kommen Sie in den folgenden Tagen immer und immer wieder auf sie zurück. »Das Ziel muss von ewiger und innerer Natur sein. Finde es in dir selbst.« Lassen Sie zu, dass die Energie, die in dieser Aussage steckt, mit der Energie Ihrer Asana- und Pranayama-Praxis verflochten wird. Fahren Sie damit fort, bis sie Teil von Ihnen wird, so wie Ihr Name.
Alle sind wir nur ein kleines Werkzeug. Wenn du dir die inneren Mechanismen von elektrischen Geräten anschaust, siehst du oft kleine und große, neue und alte, billige und teure Drähte aufgereiht. Solange durch sie kein Strom fließt, gibt es kein Licht. Dieser Draht, das bist du und ich. Der Strom ist Gott. Wir haben die Macht zuzulassen, dass der Strom uns durchfließt, uns nutzt, das Licht der Welt erzeugt. Oder wir können uns weigern, genutzt zu werden, und zulassen, dass sich die Dunkelheit ausbreitet.
Mutter Teresa
Bei einem Strandspaziergang beobachtete ich, wie Hunderte kleine Strandkrabben Tunnel in den Sand gruben. Jeder Krabbentunnel bedeutet im Vergleich, dass ich in dreißig oder vierzig Sekunden mit bloßen Händen einen sechs Meter tiefen Tunnel in den Sand grabe. Dieses alltägliche Wunder wurde möglich, weil es notwendig war. Wenn Krabben in dieser Welt durchkommen wollen, brauchen sie so viel Stärke, so viel Lebenskraft – also haben sie sie. So ist Lebenskraft – allgegenwärtig und unerschöpflich. Wer sie hat, für den ist nichts unmöglich. Im Wort Pranayama steckt als Wurzel das Wort Prana oder Lebenskraft. Was wir als ein Wunder bezeichnen, ist oft einfach das Vorhandensein von ein bisschen zusätzlichem Prana.
Prana unterscheidet nicht zwischen Gut und Schlecht; das tun wir. Prana ist einfach da. Es erfüllt die Maus mit der Befähigung zu rennen, den Falken mit der Befähigung, pfeilschnell zu fliegen. Es liegt an jedem von uns, den richtigen Gebrauch des uns verfügbaren Prana zu machen. Die meisten von uns haben unbewusst die Menge an Prana minimiert, die wir in unser Leben fließen lassen, weil wir Angst davor haben, was wir mit all der Lebenskraft, wenn wir sie zur Verfügung hätten, anfangen würden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns Gott oder dem Gutsein hingeben. Haben wir uns ihm ergeben, können wir im Vertrauen darauf, dass wir unterwegs von einer höheren Macht geleitet werden, weiter großartig sein. Durch das Praktizieren von Pranayama lernen wir unsere Energiekanäle zu öffnen. Damit sagen wir, dass wir bereit sind, »das Licht der Welt« zu sein.
Pranayama hat drei Bewegungen: Einatmen, Ausatmen und Anhalten. Alle drei sind entweder lang oder subtil und hängen von Ort, Dauer und Zählung ab.
Yoga-Sutras
Diese Anweisungen sind wie im Hatha Yoga Pradipika unkompliziert und leicht zu befolgen. Das einzig Rätselhafte ist die Frage, worauf sich »Ort« bezieht. Patanjali meint hier den Ort, die Stelle im Körper, an der der Atem gehalten wird.
Bei unserer nächsten Atemübung setzen wir unser Training im »Einatmen, Ausatmen und Anhalten« fort und führen das Konzept des »Ortes« ein.
Sie bedienen sich wieder des Arrangements mit den drei Kopfkissen und beginnen damit, dass Sie fünf Minuten lang vollständig ein- und ausatmen, wobei Sie nach jedem Einatmen und Ausatmen eine Pause machen. Denken Sie daran: keine Gewalt, keine Anstrengung. Wenn Sie sich dann in diesen Atemrhythmus hineingefunden, etwa fünf Minuten ein- und ausgeatmet haben, atmen Sie vollständig aus. Füllen Sie mit dem nächsten Einatmen das Glas (Ihren Rumpf) nur bis zur Hälfte, machen Sie eine Pause, atmen Sie dann weiter ein und füllen Sie das Glas vollständig auf. Machen Sie eine Pause und atmen Sie dann, ohne Pause, bis zum Ende vollständig aus. Wiederholen Sie diese Übung: Füllen Sie das Glas beim Einatmen bis zur Hälfte, machen Sie eine Pause, dann führen Sie das Einatmen bis zu seinem Ende. Setzen Sie das fünf bis zehn Minuten lang fort. Wenn es schwierig wird, hören Sie einfach auf, atmen ganz normal und beginnen wieder, wenn Sie bereit sind. Im Idealfall fangen Sie nach dem Beenden dieser Übung mit Ihrer Asana-Praxis an und übertragen den Rhythmus Ihres Pranayama direkt auf Ihre Praxis. Sollte das nicht möglich sein, ruhen Sie sich einfach ein paar Minuten im Shavasana aus und setzen dann erfrischt und neu belebt Ihren Tag fort.
Dir steht nur die Handlung zu, niemals ihr Gewinn. Lass dich weder von den Früchten des Handelns leiten noch ergib dich dem Nicht-Handeln.
Bhagavad-Gita
Als ich das, was ich im Yoga lernte, zu nutzen begann, um meine Lebensweise zu ändern, stellte ich fest, dass mein Geist, meine Einstellungen und meine Überzeugungen ebenso verzerrt, starr, schmerzerfüllt und ungeliebt waren wie mein Körper. Ich brauchte Jahre, um zu körperlicher Geschmeidigkeit und Wohlbefinden zu gelangen, und stelle fest, dass das Lösen meiner mentalen, emotionalen und spirituellen Knoten ebenfalls ein nur langsam voranschreitender Prozess ist. Angesichts dieser Wahrheit, die mich demütig werden lässt, lerne ich, dass es sehr wichtig ist, es immer nur einen Tag auf einmal anzugehen, mich nicht von den Früchten des Handelns leiten zu lassen und mich allein auf das Handeln zu konzentrieren. Heute bedienen Sie sich wieder Ihrer drei Kissen und machen etwa zehn Minuten lang Ihre Atempraxis. Dann pausieren Sie in der Mitte des Ausatmens. Wenn Sie nun beim Ausatmen eine Pause einlegen, tun Sie das beim Einatmen nicht mehr. Atmen Sie einfach nur vollständig ein, pausieren Sie, atmen Sie dann zur Hälfte aus, pausieren Sie und atmen Sie anschließend ganz aus.
Nun haben Sie drei verschiedene Pranayama-Übungen, mit denen Sie arbeiten können. Erforschen Sie sie allmählich und achten Sie darauf, wie Sie auf sie reagieren. Wie fühlt sich ein guter Tag an, wie ein schlechter, welche Schwierigkeiten haben Sie, Ihren Zeitplan einzuhalten, und warum? Nutzen Sie Ihre Pranayama-Praxis als Zeit, in der Sie sich ganz allein auf »die Handlung« konzentrieren.
Zähmen des Ochsen: Der Hirte darf Peitsche und Leitseil keinen Augenblick aus der Hand lassen, sonst läuft der Ochse davon in den Staub. Recht gezähmt jedoch, wird er sauber und sanft, gelöst vom Seil, folgt er willig dem Hirten.
Kakuan Shien
Wenn wir unseren Geist und unsere Atmung im Pranayama zu schulen beginnen, merken wir, dass wir ein beträchtliches Maß an Willenskraft aufbringen müssen, um Fortschritte zu erzielen. Mit anderen Worten: »Peitsche und Leitseil« sind vonnöten. Doch dann stellen wir unversehens fest, dass sich etwas verändert hat. Eines Tages beruhigt sich auch der aufs Stärkste abgelenkte Geist nach einigen Minuten Praxis. Als Nächstes merken wir, dass die Atmung, an deren Regulierung wir im Pranayama so hart gearbeitet haben, auch während unserer Asana-Praxis und im Verlauf des Tages reguliert bleibt. »Recht gezähmt … wird er … sanft.« Werden dann aus den Monaten Jahre, sind aus unserem Geist und unserer Atmung willige Partner geworden. »Gelöst vom Seil, folgt er willig dem Hirten.«
Man muss die Dinge geschehen lassen können.
C. G. Jung
Eine der ersten Herausforderungen des Pranayama besteht in der Entwicklung der Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf den Atem gerichtet zu halten, ohne Kontrolle über ihn auszuüben. Die Atmung muss mühelos, unangestrengt sein, aber wir merken, dass wir, wenn wir die Aufmerksamkeit auf den Atem richten, den Drang haben, ihn unserer Kontrolle zu unterstellen. Das führt zu einer gezwungenen Atmung. Das mühelose Atmen wird noch erschwert, weil wir ja die Atmung verlangsamen. Wir pausieren mitten im Atemzug, machen am Ende des Einatmens eine Pause und eine weitere am Ende des Ausatmens. Da ist so viel zu tun und es gibt ein Element des Wollens. Darin liegt die Praxis. Auch im Leben haben wir viel zu tun. Wir sind Eltern, wir arbeiten, wir müssen das Haus in Ordnung halten. Wir sind auch unseren Schülern, Arbeitgebern, Kunden, Familien und der Gesellschaft verpflichtet. Genau genommen ist Pranayama, wie auch die drei vorhergehenden Glieder des Yoga, ein Studium der Subtilität der Beziehungen, Nicht-Tun im Tun, Nicht-Tätigsein im Tätigsein. Zwischen Absicht und Kontrolle besteht ein Unterschied, und das ist es, was wir lernen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf den Atem gerichtet halten. Wir beginnen Pranayama mit einer klaren Absicht und lassen dann los und sehen zu, wie das Universum antwortet. Wenn wir dem Atem folgen, unser Schwanken zwischen Kontrolle und Hingabe beobachten, lernen wir, auf dem Atem zu surfen, den Atem zu erfahren, dem Atem zu folgen, statt ihn anzuführen. In unserer Angst glauben wir, dafür sorgen zu müssen, dass die Dinge geschehen; in unserer Praxis lernen wir, die Dinge geschehen zu lassen.
Wenn wir lernen, auf die schöpferische Energie des Lebens selbst zu vertrauen, können wir uns mehr und mehr entspannen, weil wir wissen, dass wir die Dinge nicht mittels unserer Willenskraft geschehen lassen müssen.
Swami Chetanananda
Ich beginne meine Asana-Praxis aus zwei Gründen mit Pranayama.
Der erste: Pranayama reguliert meine Atmung und versorgt meinen Körper ordentlich mit Sauerstoff, sodass ich körperlich auf die Härten des Asana vorbereitet bin. Der zweite: Wenn ich mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liege und den Gezeiten meiner Atmung lausche, lasse ich los. Ramana Maharshi sagte: »Wer sich für den Macher hält, ist auch der Leidende.« Wenn ich bequem daliege und auf meinem Atem dahintreibe, werde ich daran erinnert, dass ich nicht der Macher sein möchte. Ich möchte der Kanal sein, ich möchte der Zeuge sein, ich möchte dankbar sein. Ich möchte nicht der Macher sein. Das ist Gottes Aufgabe. Eine Erkenntnis, die ich mir entschieden in Herz und Verstand vergegenwärtige, wenn ich mit meiner Asana-Praxis beginne oder mit irgendetwas anderem. Lasse ich los, wird mein ganzes Leben zum Kunstwerk. Mein Tun wirkt sich auf mich und andere förderlich aus.
Den Yoga-Schriften zufolge lässt sich das Herzzentrum indirekt durch das Entwickeln von Mitgefühl und Güte, Gelassenheit und Objektivität öffnen, oder direkt durch die konzentrierte Praxis von Pranayama oder durch beides.
Beryl Bender Birch
Die nächste Pranayama-Technik sollte weniger vor dem Asana, als vielmehr vor der Meditation oder als eigenständige Technik für das Zentrieren genutzt werden. Setzen Sie sich in bequemer Haltung auf einen Stuhl oder auf ein Kissen. Sie können die Augen schließen oder offen halten. Lassen Sie die linke Hand im Schoß ruhen und führen Sie die rechte Hand zur Nase. Der Daumen ruht auf dem rechten Nasenflügel, der Ringfinger auf dem linken Nasenflügel. Schließen Sie mit dem Finger das linke Nasenloch und atmen Sie durch das rechte Nasenloch vollständig aus. Atmen Sie durch das rechte Nasenloch ein, schließen Sie das rechte Nasenloch mit dem Daumen, machen Sie eine Pause, atmen Sie dann durch das linke Nasenloch aus. Pause. Atmen Sie dann durch das linke Nasenloch ein. Schließen Sie das linke Nasenloch, Pause, atmen Sie dann durch das rechte Nasenloch aus. Dies ist ein vollständiger Zyklus. Setzen Sie das zehn bis zwanzig Zyklen lang fort und enden Sie, indem Sie durch das rechte Nasenloch ausatmen. Wenn Ihnen schwindlig oder es für Sie schwierig wird, hören Sie auf, atmen Sie normal und fangen Sie von Neuem an, wenn Sie bereit sind. Sie mögen sich zwar am Anfang damit unwohl fühlen, aber es handelt sich nicht um Schwerarbeit. Wenn Sie den Rhythmus gefunden haben, werden Sie feststellen, dass dies eine höchst effektive zentrierende meditative Übung ist. Gehen Sie an sie heran, wie Sie an alles andere herangehen, die Festigkeit wahrend und entspannt.
Sich mit dem Ego zu identifizieren heißt den Organismus mit seiner Geschichte gleichzusetzen.
Alan W. Watts
Die körperliche und geistige Ruhe, die uns bei der Pranayama-Praxis überkommt, ermöglicht uns, oft zum ersten Mal, den Schmerzzustand wahrzunehmen, in dem wir uns befinden. Wenn wir durch unsere Tage hetzen, spüren wir nur Hinweise auf die tiefen Gewässer, die unter unserer Oberfläche strudeln und wirbeln. In der Stille der Praxis tauchen wir direkt darin ein. Was ich entdeckte, war, dass ich die Gegenwart zum Gefangenen meiner Vergangenheit machte. Wenn ich in meinen Körper, in mein Leben, hineinatme, nehme ich kurz Einblick in eine alternative Realität, in der ich einfach nur bin.
Erforderlich ist nicht eine neue künstliche Art der Atmung, die so lange anhält wie unsere verblüffend kurze Aufmerksamkeitsspanne, erforderlich ist, dass wir zu einer Atmung zurückkehren, die ruhig und regelmäßig, flexibel und spontan sein kann.
Donna Fahri
Wenn wir uns einer Asana-Praxis verpflichten, geben wir gegenüber dem Atem eine Art Ehegelübde ab. Hier allerdings kommt es, im Gegensatz zu den meisten anderen Eheschließungen, erst dann zu den Flitterwochen, nachdem der Großteil der Kämpfe ausgefochten ist. Über Stock und Stein, tagein tagaus, kopfüber, verschlungen wie eine Brezel, rufen wir dem Atem zu: »Würdest du mir bitte hier raushelfen? Schau mich an, ich stehe Kopf! Ich bin verschlungen wie eine Brezel!« Was von Donna Farhi so wortgewandt formuliert wird, finden wir mit der Zeit selbst heraus. Wir müssen, oft viele Male innerhalb einer Praxis, zur gleichmäßigen, entspannten, natürlichen Atmung zurückkehren.
Bleiben Sie, wenn Sie Asana praktizieren, für Ihre Arbeit mit dem Atem präsent. Ehren Sie den Einsatz, den Sie für die Entwicklung Ihrer Pranayama-Befähigung leisten. Und bleiben Sie, wenn Sie Pranayama praktizieren, für die Fähigkeit präsent in der Kunst, in eine Stellung hineinzuatmen.
Die vierte Art von Pranayama transzendiert das äußere und innere Pranayama. … Das vierte Pranayama-Stadium ist erreicht, wenn die Atembewegungen ohne bewusstes Wollen oder Bemühen ablaufen.
Yoga-Sutras und Kommentar B. K. S. Iyengar
Viele von uns machen ihre erste Erfahrung mit dieser Art von transzendentem Atmen im Asana. Ich habe es auch beim Training für Marathonläufe erlebt. In diesem Augenblick weicht die Konzentration der Meditation. Am Anfang sind wir auf die Technik konzentriert. Der Geist zentriert sich durch die Konzentration. Oft bleiben wir auf dieser Ebene, driften in die Ablenkung und wieder aus ihr heraus, begeben uns in die Konzentration und wieder aus ihr heraus. Wenn uns aber unsere Konzentration in ausreichendem Maße zur Ruhe bringt, geschieht etwas Machtvolles. Waren bislang wir es, die die Erfahrung aufspürten, spürt plötzlich die Erfahrung uns auf. Wir überschreiten eine Schwelle und die Meditation übernimmt uns. Wie beim Einbruch der Dunkelheit im Wald ist da im einen Augenblick ein blaugraues Licht; im nächsten stehen wir im Dunkeln. In der Meditation hört alles Bemühen auf und wir sind nicht mehr die Akteure. Die Atmung trägt uns ohne unser bewusstes Wollen, zieht uns mit jedem Atemzug tiefer in den Augenblick hinein. Unser Geist wird still, wir werden zum stillen Teich im Wald, zum Nicht-Tun im Tun. Das hier ist kein Berg, den es zu erklimmen gilt, oder eine Zeugnisnote, die wir bekommen müssen. Es ist ein Ort in unserem Innern, ein Zustand, den wir bereits erfahren. Unsere Praxis öffnet nur die Tür, damit wir an diesen geheiligten Ort zurückkehren können.
Wer wirklich ein Yogi sein will, muss ein für allemal dieses Herumknabbern und Naschen an den Dingen aufgeben. Nimm eine Leitidee auf; mache sie zum Inhalt deines Lebens. Denke an sie, träume von ihr, lebe aus ihr heraus. Lass Gehirn, Muskeln, Nerven, jeden Teil deines Körpers, von ihr erfüllt sein und lass andere Ideen einfach links liegen.
Swami Vivekananda
Meine eine Leitidee drückt sich im Wort »Gott« aus. An sich würde ich »Gaia« oder »Großer Geist« vorziehen, weil diese Begriffe umfassender sind, aber als der »Große Geist« mich berührte, kannte ich nur das Wort »Gott« und es blieb haften. Anfänglich bedeutete Gott, dass ich keinen Alkohol trank und anderen Alkoholikern half zu genesen. Als ich mit süchtigen Teenagern arbeitete, erlebte ich Momente der menschlichen Verbundenheit, die fast zu schön sind, um sie in Worte fassen zu können. Es war, als könnte ich in der Zeit zurückreisen und dem leidenden jungen Menschen helfen, der ich gewesen war. Mit der Zeit zog ich weniger Grenzen um mich und den Personenkreis, dem ich helfen wollte. Ich habe mit Obdachlosen in der Stadt und Armen auf dem Land, mit reichen, jungen Kindern und reichen, nicht so jungen Kindern gearbeitet. Mit der Erweiterung meiner Akzeptanz und Vorstellung davon, wem ich helfen könnte, erweiterte sich auch meine Leitidee. Nun schließe ich mich selbst und meine Familie in den Kreis derer ein, die ich anspornen und anfeuern kann. Heute blicke ich von meiner Terrasse in Costa Rica aus in die Runde und beobachte Affen, die sich durch die Bäume bewegen wie Fischschwärme, Antilopenherden, Vogelschwärme, Kindergruppen, und ich sehe das zugrundeliegende Einssein. Wie jede andere Haltung nahm meine eine Leitidee ihren Anfang im Tun und wurde zu Hingabe.
Pranayama entfernt den Schleier, der das Licht der Erkenntnis verdeckt.
Yoga-Sutras
Pranayama stellt einen Wendepunkt in unserer Praxis dar. Unsere Aufmerksamkeit wurde allmählich nach innen gelenkt. Von den äußeren Yama- und Niyama-Praktiken über die körperzentrierte Asana-Praxis sind wir bis zur inneren Welt von Pranayama vorgedrungen. Im Pranayama beginnen wir die Fähigkeiten zu entwickeln, die uns auf dem Rest des Heimweges tragen werden – Innenschau, Konzentration und Meditation. Wenn wir auf dem Boden liegen und Pranayama-Übungen praktizieren, nehmen wir sowohl die Turbulenzen des Geistes wahr als auch die darunterliegende ewige Stille. Wenn wir Tag um Tag diese Stille aufsuchen, werden wir uns allmählich einer Alternative zur Nichtigkeit unserer materiellen Bestrebungen bewusst. In der Bibel heißt es, dass wir suchen, aber nicht finden. Im Pranayama lernen wir, dass dies nur dann stimmt, wenn wir im Außen nach dem suchen, was im Innern schon vorhanden ist. Pranayama bestätigt die Kernbotschaft des Yoga – dass wir schon angekommen sind, dass wir schon zu Hause sind, dass wir einfach nur aus dem Traum erwachen müssen, der besagt, dass es nicht so ist. Wache auf, lebe voll und ganz, sei dankbar und teile mit anderen, was du gefunden hast.
Friede ist unmöglich für diejenigen, die auf Krieg schauen. Friede ist unvermeidlich für diejenigen, die Frieden anbieten. Wie leicht lässt sich demnach deinem Urteil über die Welt entrinnen! Es ist nicht die Welt, die den Frieden scheinbar unmöglich macht. Die Welt, die du siehst, ist es, die unmöglich ist.
Ein Kurs in Wundern
Eine der grundlegenden Lehren des Yoga besagt, dass du in der Gegenwart einer Person, die in Gewaltlosigkeit gegründet ist, die Gewalt aufgibst. Wir alle haben in uns die Fähigkeit, der Gewalt ein Ende zu setzen. Das bedeutet, dass wir für die Gewalt unter uns die Verantwortung tragen. Eine Nation nach der anderen tut einer anderen Nation Gewalt an und Frieden scheint in immer weitere Ferne zu rücken. Wir begegnen der Gewalt mit noch mehr Gewalt und unsere Staatenlenker bekunden Empörung und Entrüstung, wenn andere von ihrer Gewalt uns gegenüber nicht ablassen.
Unsere Yogapraxis ist eine Praxis der Gewaltlosigkeit. Jeder Aspekt dieses Pfades lehrt uns Ahimsa oder Nicht-Verletzten, Nicht-Schädigen im Umgang mit uns selbst und anderen. Pranayama ist ein tiefgehender Schritt bei dieser Transformation. Wir bringen vorsätzlich Frieden und Ruhe in die Fluten unseres Geistes. Wie eine kleine, über eine Teichoberfläche wandernde Welle wandert dieser Frieden durch uns hindurch und hinaus in die Familie aller Wesen.
Wir wurden einer Gehirnwäsche unterzogen.
Marianne Williamson
Meine Mutter, Gott segne sie, hatte einen enormen Einfluss auf meine Weltsicht. Ich platzte zur Tür herein und sagte: »Ich wäre total glücklich, wenn ich X machen könnte.« Daraufhin erwiderte sie so etwas wie: »Ach, mein Lieber, kürzlich habe ich gelesen, dass eine Person, die X machte, ums Leben kam«, oder »Ich glaube nicht, dass du X machen kannst, und außerdem machen das sowieso nur schlechte Menschen.« Es spielt keine Rolle, was X war; meine Mutter hatte stets kürzlich gehört, dass jemand dabei ums Leben gekommen war. Ich wurde älter und verließ das Haus, besprach aber weiterhin meine neuesten Ideen mit meiner Mom, immer mit dem gleichen Resultat. Nach Tausenden von plattgemachten Träumen, Jahren der spirituellen Arbeit und unzähligen Stunden auf der Matte dämmerte mir schließlich, dass es mir besser gehen würde, wenn ich meine Ideen nicht mehr an meiner Mutter erprobte. Das hat zwar die Menge an negativem Feedback wirkungsvoll reduziert, mein Problem aber nicht ganz gelöst. Meine Mutter lebt in mir weiter, ihre Stimme ist eingebettet in meine gewohnheitsmäßigen Denkmuster, in meine gewohnheitsmäßigen Reaktionen auf meine eigenen Ideen, Leidenschaften und Fähigkeiten.
Natürlich wurde nicht jeder von meiner Mutter aufgezogen. Einige meiner Freunde fühlen sich gezwungen, sich erst im Geschäftsleben zu beweisen, bevor sie sich erlauben können, Schriftsteller zu werden; andere können keine Ehe eingehen, weil ihre Mutter von ihrem Vater verlassen wurde; andere können sich nicht scheiden lassen, weil ihr Vater bei ihrer Mutter geblieben ist. Yogalehrer sagen ihren Schülern oft, dass der Körper eine wandelnde Autobiografie ist. Damit möchten sie die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise lenken, in der unser Körper unsere Entscheidungen widerspiegelt. Aber das ist nur die halbe Geschichte. Wir kommen zur Matte als die Summe aller Überzeugungen und Glaubensvorstellungen, denen wir je begegnet sind, die wir übernommen, abgelehnt oder gelebt haben. Unsere Vorstellungen und Fantasien sind wie angeschwollene Flüsse, überflutet mit den Unwahrheiten und Lügen, die über Zeiten und Generationen hinweg auf uns überkommen sind. Wer wir sind, wer jedermann sonst ist und was wir sein können – alles das wird von diesem Fluss bestimmt, den wir nicht geschaffen haben.
Entweder schaukeln wir weiterhin auf diesem Fluss unserer Einbildungs- und Vorstellungskraft herum oder wir schauen, dass wir ans Ufer kommen, beobachten den Fluss eine Weile und gehen dann einfach davon. Die in Tapas enthaltenen Glieder beinhalten den Prozess, durch den wir ans Ufer gelangen. Es gibt eine andere Wirklichkeit, ein Licht, das uns allen innewohnt. Die Handlungen, die in den Yamas, den Niyamas, im Asana und im Pranayama unternommen oder unterlassen werden, entfernen, was zwischen uns und dem Licht steht. Sie bringen uns ans Ufer und verleihen uns die Kraft, uns vom Fluss zu entfernen. Bei den nun folgenden Gliedern geht es um das, was als Nächstes geschieht. Lassen Sie heute zu, dass Ihre Praxis Sie von Ihren Einbildungen befreit und ins Licht geleitet.