17 . Kapitel

Rostock, November 1983

P eggys Bauch wuchs ganz langsam und mit ihrem Umfang auch die Liebe zu dem ungeborenen Kind. Als sie in ihrem Urlaub im August in Budapest entdeckt hatte, dass sie schwanger war, verstand sie ihre Appetitlosigkeit. Die Schwangerschaft war nicht geplant gewesen, und doch schien sie die Lösung ihrer Sorgen um die gemeinsame Zukunft mit Arne. Sie hatte Luftsprünge getan und den Herzschlag des Babys als Erfüllung all ihrer Träume angesehen.

Sie war tief gefallen, als Arne am letzten Abend der Reisegruppe in Ungarn eröffnet hatte, dass er plane, nach Berlin zu ziehen. Sie hatte zunächst geglaubt, sich verhört zu haben, doch er meinte es ernst. Zwar hatte er immer noch keine Wohnung gefunden, aber er ließ von seinen Plänen nicht ab. Egal, was Peggy sagte. Egal, ob sie schwanger war oder nicht.

Sie stand in ihrer kleinen Küche und brühte sich einen Tee. Sie ging noch jeden Tag zur Arbeit, und auch wenn sie inzwischen nicht mehr im Krankenhaus arbeitete, sondern in einer Arztpraxis, fiel ihr die Arbeit mit dem zunehmenden Bauch und der ständigen Müdigkeit unendlich schwer. Bald käme auch durch sie kein Geld mehr in die Kasse, und wer sollte dann für ihren Vater und ihr Baby sorgen? Arne unternahm keine Anstrengungen, ein Heim zu schaffen.

Arne wollte, dass sie mit nach Berlin käme, und verstand einfach nicht, dass sie ihren sterbenden Vater nicht in Rostock zurücklassen konnte. Gerade war Arne wieder dort, um einen Kumpel zu besuchen und nach einer Wohnung Ausschau zu halten. Wie fände er es wohl, wenn sein Sohn sich später so benähme und ihn im Stich ließe, wenn er alt war und ihn brauchte? Vermutlich machte er sich darüber keine Gedanken. Sie schon. Peggy wollte ihrem Sohn – sie hoffte, dass es ein Junge werden würde – ihre Werte vermitteln. Und man verließ seinen hilflosen Vater nicht für ein Hirngespinst. Und das war es. Die wenig hinterfragte Fantasie, dass man in Berlin dem Westen näher wäre. Dachte Arne nicht daran, dass all die Versuchungen dort vielleicht zu einer Kurzschlusshandlung führen könnten, die alles zerstörte? Wollte er denn keine Familie?

Peggy nahm den Becher in beide Hände, blies auf die heiße Flüssigkeit und probierte. Er schmeckte nach nichts. Sie stellte ihn ab und tunkte den Teebeutel immer wieder ein, in der Hoffnung auf einen Anflug von Geschmack. Kamillentee – nicht gerade ihr Lieblingsgetränk, aber gut für das Baby.

Darum ging es jetzt – was war gut für das Baby? Sie hatte Arne nichts von dem nächtlichen Ziehen in ihrem Bauch erzählt. Sie wollte nicht, dass er meinte, er müsse bleiben, weil ihre Schwangerschaft problematisch verlief. Sie hatte ihren Stolz, und wenn er sie wirklich im Stich ließe, dann würde sie es auch allein schaffen.

Er käme sowieso zu ihr zurück. Er konnte doch gar nicht ohne sie, und er würde seinen Sohn lieben. Davon war sie felsenfest überzeugt.

Sie lächelte. Die Zukunft, auf die sie wartete, war wichtiger als alles Bisherige in ihrem Leben.