52 . Kapitel

An Bord der Kranich , Juni 1989

S o fühlte sich Scheitern an: schweißtreibend, stinkend, mit Herzrasen, Druck auf der Brust und einem Kloßgefühl im Hals. Alles in Kay sträubte sich, aber er musste das Ruderhaus verlassen, um nach hinten zu gehen. Er griff nach der schweren Taschenlampe und krallte seine Hand um den Schaft.

Er lief den Gangbord entlang zum Heck, stieß schmerzhaft gegen einen Poller, nahm zwei Stufen auf einmal und sprang in den Maschinenraum.

Der Prof wirbelte herum. Beide Freunde standen vor den Schalttafeln. Juri schwitzte, dass ihm die Tropfen die Schläfen hinabrannen. Der Prof war kalkweiß und keuchte. »Was ist passiert?«

»Das will ich von euch wissen!«, schrie Kay.

»Keine Ahnung! Plötzlich hat die Maschine angefangen zu stottern«, antwortete Juri in hohem Diskant. Ich bin runter, um nachzusehen, aber ich kenn mich nicht aus mit dem Scheiß!«

»Geht an Deck«, befahl Kay. »Achtet darauf, ob sich ein Grenzboot nähert. Gebt mir sofort Bescheid, wenn sich oben irgendwas tut. Ich finde den Fehler und versuche, ihn zu beheben.«

Er drehte sich um und ließ seinen Blick hektisch die Schalttafeln entlangwandern, bevor die beiden auch nur einen Mucks gesagt hatten. Wo lag der Schaden? Warum war die Maschine ausgefallen? »Bleib ruhig«, murmelte er vor sich hin. »Denk nach! Geh die Checkliste durch. Wo liegt der Fehler?« Bevor die Grenzboote auf sie aufmerksam würden, musste er die Maschine reparieren, sonst wäre alles vorbei, bevor sie auch nur an der äußeren Reede angekommen waren. Kay kniff die Augen zusammen und bemühte sich, nicht in Schockstarre zu verfallen.

Der Prof hatte schuldbewusst ausgesehen. Juri ängstlich.

Sie waren kurz vor der Blankenburg. Während der Fahrt hatte niemand etwas im Maschinenraum zu suchen. Warum hatte er sie beide hier unten angetroffen? Sein Magen krampfte sich zusammen. Die Aufregung hatte seine Sinne getrübt. Jetzt bemerkte er es. Sein Magen hob sich, weil es hier drinnen nach frischem Diesel stank. Hatten sie ein Leck?

Er fuhr mit der Hand die Leitung ab. Tastete nach der Schraubverbindung und spürte schon, wie ihm der Diesel über die Hand tropfte. Jemand hatte die Schraubverbindung gelöst. Der Diesel lief aus. Viel Diesel. So ein elender … Kay durchzuckte ein Gedanke. Er hatte den Verräter an Bord! Ausgeschlossen! Doch! Es gab keine andere Erklärung. Juri oder der Prof – einer der beiden war der Verräter!

Jemand hatte die Kraftstoffleitung geöffnet. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Kay lehnte sich gegen die Maschine und schloss die Augen. Es war unvorstellbar, es war …

»Kay! Schnell! Das Radargerät. Das Boot. Sie kommen!« Die Stimme des Profs überschlug sich vor Angst.

Scheiße. Scheiße. Scheiße. Das war’s.

Kay rannte nach oben. Seine Gedanken rasten.

»Lasst mich mit den Grenzern sprechen. Noch sind wir im sicheren Bereich. Wir haben einen Auftrag am Ende der Reede. Wir fahren weiter, ich regele das. Sie können uns noch nichts anhaben.« Er holte tief Luft. »Ihr wollt doch flüchten, oder? Denkt dran, wir dürfen nicht auffallen. Wir sind ganz nah dran. Nur noch ein paar Minuten. Wir müssen geduldig auf unsere Chance warten.« Er griff dem zitternden Prof an die Schulter. »Halt durch.«

Juri stand bewegungslos und wie eingefroren vor dem Ruder. Er schob ihn beiseite.

»Du willst doch auch rüber, oder?«

»Sie schießen auf uns. Bestimmt. Sie haben uns doch schon entdeckt«, wimmerte Juri. »Ich will nicht sterben.«

»Sie kommen nicht dichter. Ich spreche über Funk mit ihnen. Ich halte sie weg. Wir schaffen das!«

Juris Beine knickten ein, und Kay griff nach seinem Freund. Er fasste unter seinen Armen durch, um ihn zu stützen. Er würde doch jetzt nicht ohnmächtig? »Schhh … alles in Ordnung. Vertrau mir!«

Plötzlich wand sich Juri aus Kays Griff. Ruderte mit den Armen, als wolle er einen Bienenschwarm wegwedeln. »Ich will nicht sterben!« Er riss das Funkgerät aus der Haltung. »Maschinenschaden«, schrie er ins Funkgerät. »Hilfe! Wir brauchen Hilfe!«

»Bist du verrückt geworden?« Kay stürzte nach vorne, schlug Juri das Funkgerät aus der Hand. »Du bist total irre. Jetzt kommen sie und holen uns. Jetzt erst!«

Juri wimmerte.

Der Prof stand regungslos in der Tür. »Aber das wolltest du doch, oder?«

Kay erstarrte. Wen meinte der Prof? Juri oder ihn?

Juris Wimmern erstarb. Kein Laut war zu hören.

Die Zeit stand still.