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Die Wespenplage

Königin Romaine von Kayonia starrte die Wespe ärgerlich an, die durch das Fenster des Erkerturms geflogen war. Sie schlug nach dem Insekt und als es zu Boden fiel, zertrat sie es mit ihrem Fuß. Der junge Zauberer Marc sprach mit ihr, doch sie konnte ihn nicht verstehen, da seine Stimme von dem lauten Summen der Wespen draußen übertönt wurde.

„Sprich lauter!“, rief sie gereizt.

Marc trat näher heran. „Eure Majestät, die Wespenplage wird immer schlimmer“, berichtete er. „Euer Volk gerät in Panik. Es muss etwas passieren.“

Die Königin stieß einen Seufzer aus und ging im Raum auf und ab. Ihr kupferrotes Haar schwang hin und her und ihre Fingerknöchel waren ganz weiß, so fest hielt sie ihren Stab umfasst.

„Die Wespen haben meine letzten Palastwachen verjagt“, sagte sie grollend. „Alle anderen sind in den Kampf gegen die Aufständischen und Plünderer gezogen. Im Königreich herrscht totales Chaos.“ Sie pochte mit ihrem Stab auf den Boden. „Ich scheue keine Gefahr und stelle mich jedem Feind, aber gegen diese Bedrohung bin ich machtlos! Wie kann ich meinem Volk helfen?“

„Eure Majestät …“, begann Marc, doch er brach ab, als von unten angsterfüllte Schreie zu ihnen hinaufdrangen.

Königin Romaine eilte zum Turmfenster und der Zauberlehrling folgte ihr. Sie lehnten sich aus dem Fenster und sahen auf den großen Platz hinunter.

Unzählige Wespen hatten dort einen wirbelnden Schwarm gebildet. Sie tanzten über dem Boden und verdichteten sich um eine Gestalt. Vor Schreck keuchte die Königin auf, als der Wespenschwarm sich plötzlich aufteilte und die Gestalt offenbarte.

Über dem Platz schwebte ein riesiges Ungeheuer, so groß wie zwei Männer! Vier Flügel flatterten auf seinem Rücken. Ein menschlicher Oberkörper mündete in einen gelb-schwarz gestreiften Unterkörper. An dessen Ende ragte ein langer spitzer Stachel heraus, der grün leuchtete.

„Das muss Vespix, die Wespenkönigin, sein“, wisperte Romaine entsetzt. Sie unterdrückte einen Schrei, als auf einmal mehrere kleinere Wespengruppen ausschwärmten und die Menschen auf dem Platz ohne Vorwarnung angriffen. Sie stachen immer wieder zu und die Leute versuchten vergeblich, die Angreifer abzuwehren. „Wie konnte das nur geschehen?“, fragte die Königin. Ihre Hände waren krampfhaft um den Stab geschlungen.

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„Das ist das Werk des bösen Magiers Velmal“, erklärte Marc. „Er reist durch Euer Königreich und wo er auftaucht, verbreitet er Angst und Schrecken unter den Menschen. Vespix ist ein Biest, das unter seinem Bann steht. Die Wespenkönigin wagt sich bis in Eure Hauptstadt vor. Das kann nur bedeuten, dass auch Velmal nicht weit weg ist. Er –“

„Sieh doch!“ Königin Romaine unterbrach ihn und deutete nach unten. Vespix hatte sie entdeckt und flog zum Turm hoch, dicht gefolgt von dem bedrohlichen Wespenschwarm. Das Biest surrte am Fenster vorbei und starrte die Königin angriffslustig an, bevor es über ihnen verschwand.

Romaine hielt sich am Fensterbrett fest, als der Turm plötzlich zu wackeln begann. „Sie wagt es, die Mauern meines Schlosses anzugreifen!“, rief sie.

Immer mehr Wespen surrten durch das Turmfenster herein und flogen zielsicher auf Romaine zu. Die Königin schrie erschrocken auf, als sie von mehreren Wespen gleichzeitig angegriffen wurde. Die vielen Stiche der Insekten brannten ihr auf der Haut und bald war sie übersät von roten Flecken.

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Marc streckte die Hände aus und murmelte eilig einen Zauberspruch. Sofort bildete sich eine Blase aus schimmerndem blauem Licht, die sich schützend um die Königin und den Zauberer schloss. Wütend flogen die Wespen gegen die Blasenwand, prallten aber immer wieder von ihr ab.

„Wie soll ich meinem Volk helfen, wenn ich hier drin festsitze?“, fragte die Königin verzweifelt.

„Es gibt nur einen, der uns jetzt noch retten kann“, antwortete Marc. „Ein Held, der Kayonia von der Tyrannei des bösen Magiers befreit.“

Königin Romaine fing eine Wespe ein, die mit in der Blase gefangen war. Sie schloss ihre Finger um das Insekt, ohne den schmerzenden Stich der Wespe zu beachten.

„Dieser Held sollte sich beeilen, sonst sind wir verloren“, murmelte sie.