Einar Falsen erschien das Leben gerade als Fest. Selma war bei ihrem letzten Besuch bei ihm in Gedanken versunken gewesen und hatte vergessen, den Laptop mitzunehmen.
Er hatte das Spiel noch am selben Nachmittag fertig gespielt, wagte aber nicht, weitere herunterzuladen. Selma hatte ihn vor Schadsoftware gewarnt. Wenn er etwas nicht wollte, dann, dass der Apparat plötzlich in Codes und Teufeleien zusammenbrach, von denen er keine Ahnung hatte. Es konnte vielleicht auch gefährlich für ihn selbst sein. Niemand konnte wissen, welche Absichten Leute und Organisationen da draußen hegten. Abgesehen davon, dass die vermutlich überaus böse waren. Er hatte schon längst ein Stück Klebeband über das Kameraauge am Bildschirm gezogen. Man musste wenigstens das tun, was man konnte, um sich zu schützen.
Eine Weile hatte er ziemlich planlos herumgesucht, hatte die üblichen Zeitungen gelesen, die Selma für ihn abonniert hatte. Die Welt da draußen war vollständig aus den Fugen geraten, aber es war wichtig, sich auf dem Laufenden zu halten. Das alte Sprichwort »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß« war eine glatte Lüge. Das, wovon man keine Ahnung hatte, war das Allergefährlichste. Wissen war der Weg voran. Die ersten Monate und Jahre nach dem Zusammenbruch, als er noch in Kliniken gelebt hatte, hatte er Zuflucht in Büchern gesucht. Einar hatte rund um die Uhr gelesen. Als er entdeckte, dass in der alten Krankenhausbibliothek eine vollständige Ausgabe der Encyclopedia Britannica im Regal stand, hatte er mit dem Buchstaben A angefangen. Er war noch immer in der Klinik gewesen, als er mit sämtlichen Bänden fertig war, und er hatte eingesehen, dass es sich beim Internet um eine Verschwörung handelte. Das stand zwischen den Zeilen, vor allem unten rechts zwischen den beiden untersten Spalten auf jeder dritten Seite in jedem vierten Band. Als er genauer hingeschaut hatte, war ihm auch anvertraut worden, dass die elektromagnetische Strahlung der Dingsbumse, mit denen sich alle umgaben, ein Werkzeug der bösen Mächte war.
Aber das Internet konnte auch ein wahrer Krug von Sarepta sein, was Wissenserwerb anging! Das musste sogar er zugeben. Und jetzt hatte er rund um die Uhr Zugang dazu. Miez war gesund und zufrieden, es war schön aufgeräumt in der Wohnung, und in der Küche standen sechs Tüten Käseflips. Er hatte die Tiefkühltruhe mit Gefüllter Scholle nach Kapitänsart vollgepackt. Wasser hatte er in der Leitung, er dachte daran, seine Medizin zu nehmen, und nun lag auf dem Bett zu allem Überfluss auch noch ein Packen sauberer Kleidung.
»Besser könnte es uns gar nicht gehen«, sagte er zu Miez, der zufrieden zurückschnurrte.
Es könnte Spaß machen, Selma zu überraschen. Sie kam ihm im Moment gestresst vor. Nach den Strapazen auf der Hardangervidda hatte sie sich verändert, war zurückhaltender geworden und versank häufiger als früher in Gedanken. Und sie hatte einen neuen und fremden Gesichtsausdruck, der ein wenig zu häufig zu sehen war. Dieser Gesichtsausdruck hatte etwas Ängstliches, und Einar gefiel das überhaupt nicht.
Alles kam sicher von diesem Stoooker. Diesem Dreckskerl. Jeder Mensch hatte doch Anspruch auf Respekt vor seiner Privatsphäre, damit kannte Einar Falsen sich aus. Selma wollte ihre Ruhe haben, genau wie Einar. Sich dann wie ein Dieb in der Nacht einzuschleichen …
»Verdammte Pest«, murmelte er und kraulte den Kater hinter dem Ohr. »Verdammte Pest, Miez.«
Selma hatte keine besonderen Erinnerungen an den jungen Mann, der sie beim Joggen angesprochen hatte. Aber etwas wusste sie doch noch.
»Eins, zwei, drei, vier.«
Beim Zählen hob Einar Finger in die Luft.
»Ich weiß vier Dinge über diesen Irren«, sagte er zu Miez und nahm den Laptop auf den Schoß, ehe er sich den Helm aufsetzte und den Kinnriemen ganz fest zog. »Wollen mal sehen, ob vier Tatsachen ausreichen, damit sich ein guter alter Polizist durch den Brei hindurchfressen kann.«