ACHT


Keller stieg schon an der Ecke Bleecker und Broadway aus dem Taxi und ging das letzte Stück zu Fuß. Das war einfacher, als dem haitianischen Taxifahrer zu erklären, wie er in die Crosby Street kam. Maggie wohnte in einem ehemaligen Lagerhaus mit abweisender Fassade, und Keller fuhr mit dem Lift zu ihrem Loft im vierten Stock hoch. Sie erwartete ihn in einem schwarzen Leinwandmantel, wie man sie aus Western kennt. Weil die Dinger so lang sind – wahrscheinlich, um den Träger vor Staub zu schützen –, heißen sie auch Staubmäntel. Maggie war eine kleine, zierliche Frau – Elfe war eine gute Beschreibung für sie, fand er –, und ihr Staubmantel reichte locker bis zum Boden.

»Überraschung«, sagte sie und riss ihn auf, und darunter war nichts als sie.

 
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Keller, der Maggie Griscomb in einer Kunstgalerie kennengelernt hatte, traf sich schon eine Weile in unregelmäßigen Abständen mit ihr. Als ihn Dot erst vor Kurzem gefragt hatte, ob er mit jemandem zusammen sei, war er um eine Antwort verlegen gewesen. War er das? Schwer zu sagen.

»Wir haben nur eine oberflächliche Beziehung«, hatte er schließlich geantwortet.

»Gibt es denn auch andere, Keller?«

»Die Sache ist die«, sagte er, »dass sie es so will. Wir treffen uns einmal die Woche – wenn überhaupt. Und wir gehen miteinander ins Bett.«

»Geht ihr denn nicht wenigstens vorher essen?«

»Inzwischen habe ich es aufgegeben, es ihr vorzuschlagen. Sie ist winzig, wahrscheinlich isst sie nicht viel. Vielleicht ist essen etwas, das sie nur allein machen kann.«

»Du würdest staunen, wie vielen Leuten es mit Sex so geht. Aber ich muss sagen, sie hörte sich nach dem sprichwörtlichen Traum jedes Seemanns an. Gehört ihr vielleicht auch noch ein Getränkemarkt?«

Sie war eine gescheiterte Malerin, erklärte er Dot, die als Goldschmiedin ihre wahre Bestimmung gefunden hatte. »Deiner letzten Angebeteten hast du Ohrringe gekauft«, rief ihm Dot in Erinnerung. »Diese macht sie sich selbst. Was kaufst du ihr?«

»Nichts.«

»Sehr praktisch. Wenn du ihr nichts schenkst und sie nicht zum Essen einlädst, ist sie wohl keine besondere Belastung für deinen Geldbeutel. Kannst du ihr nicht wenigstens Blumen schicken?«

»Habe ich schon gemacht.«

»Das kann man auch öfter machen, Keller. Das ist eins der schönen Dinge an Blumen. Die Dinger verwelken, weshalb man sie wegwerfen und Platz für neue schaffen muss.«

»Sie hat sich über die Blumen gefreut«, sagte er, »aber sie hat gemeint, einmal wäre genug. Tu das nicht noch mal, hat sie gesagt.«

»Weil sie will, dass eure Beziehung schön oberflächlich bleibt.«

»Genau.«

»Eines muss man dir wirklich lassen, Keller«, sagte sie. »Es gibt nicht viele von der Sorte, aber du suchst dir immer die Durchgeknallten aus.«

 
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»Das hat jetzt aber reingehauen«, sagte Maggie. »Bilde ich es mir nur ein, oder war das gerade ein mittleres Erdbeben?«

»Ziemlich weit oben auf der Richterskala«, sagte er.

»Ich habe mir allerdings schon gedacht, dass es heute besonders intensiv wird. Morgen ist Vollmond.«

»Heißt das, wir hätten warten sollen?«

»Nein. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es der Tag vor dem Vollmond ist, an dem ich ihn am stärksten spüre.«

»An dem du wen am stärksten spürst?«

»Den Mond.«

»Aber was genau spürst du dann? Welche Wirkung hat er auf dich?«

»Er macht mich ganz mondig.«

»Mondig?«

»Unruhig, wepsig. Er hebt meine Stimmung. Intensiviert irgendwie alles. Wie bei allen anderen wahrscheinlich auch. Wie ist das bei dir, Keller? Welche Wirkung hat der Mond auf dich?«

Soweit Keller das sagen konnte, bestand für ihn die einzige Wirkung des Monds darin, dass er den Himmel ein wenig erhellte. Da er in der Stadt wohnte, wo alle Straßen beleuchtet waren, achtete er kaum auf den Mond und würde es vielleicht nicht einmal merken, wenn er nicht mehr da wäre. Neumond, Halbmond, Vollmond … nur wenn er hin und wieder zwischen den Häusern einen Blick darauf erhaschte, bekam er mit, in welcher Phase er sich gerade befand.

Maggie achtete offensichtlich mehr auf den Mond und maß ihm größere Bedeutung bei. Wenn also der Mond etwas mit dem Vergnügen zu tun hatte, das sie einander gerade bereitet hatten, war er ihm dankbar dafür und froh, dass es ihn gab.

»Außerdem«, fuhr sie fort, »durchlaufe ich meinem Horoskop zufolge gerade eine sehr sexuelle Phase.«

»Deinem Horoskop zufolge?«

»Mhm.«

»Wie muss ich mir das vorstellen? Liest du es jeden Morgen?«

»Meinst du, in der Zeitung? Also, ich kann nicht behaupten, dass ich es nie tue, aber ich würde ebenso wenig Rat in einem Zeitungshoroskop suchen, wie ich mir von Ann Landers sagen lassen würde, dass ich Petting machen muss, um beliebt zu sein.«

»Was Letzteres angeht, würde ich sagen, dass es nicht zwingend nötig ist, wenn es auch bestimmt nicht schaden kann.«

»Und wer sagt denn«, sie berührte ihn leicht, »dass es mir nicht Spaß macht.«

Etwas später sagte sie: »Zeitungshoroskope sind durchaus witzig, wie die Peanuts oder Doonesbury , aber sie sind nicht sehr zuverlässig. Ich habe mir aber ein individuelles Horoskop stellen lassen und lasse es jedes Jahr aktualisieren. Damit ich grob weiß, womit ich in den nächsten zwölf Monaten rechnen muss.«

»Du glaubst an so was?«

»An Astrologie? Sie ist wie die Schwerkraft, oder etwa nicht?«

»Sie hindert die Dinge daran, ins All davonzufliegen?«

»Sie wirkt, ob ich nun daran glaube oder nicht«, sagte sie. »Deshalb glaube ich lieber dran. Außerdem glaube ich an alles.«

»Auch an den Weihnachtsmann?«

»Und die Zahnfee gleich mit. Nein, dieser ganze okkulte Kram, Tarot und Zahlenmystik und Handlesen und Phrenologie und …«

»Was ist das?«

»Beulen am Kopf.« Sie legte ihre Hand auf den seinen. »Du hast einige.«

»Beulen am Kopf?«

»Mhm. Aber frag mich nicht, was sie bedeuten. Ich war noch nie bei einem Phrenologen.«

»Würdest du denn zu einem gehen?«

»Klar, wenn mir jemand einen guten empfehlen würde. Auf allen diesen Gebieten gibt es Leute, die besser sind als andere. Zuerst einmal sind da natürlich diese ganzen Zigeunerinnen, die einen wirklich bloß übers Ohr hauen wollen, aber daneben findest du die unterschiedlichsten Levels von Seriosität. Manche Leute haben eine echte Gabe für so was, und andere versuchen es einfach auf gut Glück. Aber das trifft auf jeden Beruf zu, oder nicht?«

Auf seinen ganz bestimmt.

»Was ich nicht verstehe«, sagte er, »ist, wie es wirkt. Was soll es zu besagen haben, wie die Sterne stehen, wenn man geboren wird? Wieso soll das irgendeinen Einfluss auf irgendwas haben?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie irgendetwas wirkt«, sagte sie, »oder auch warum. Warum geht das Licht an, wenn ich auf den Schalter drücke? Warum werde ich feucht, wenn du mich anfasst? Für mich ist alles ein Rätsel.«

»Aber Beulen am Kopf, also ich weiß nicht. Oder Tarotkarten.«

»Für manche Leute ist es einfach eine Möglichkeit, Zugang zu ihrer Intuition zu erhalten«, sagte sie. »Ich kannte mal eine Frau, die konnte Schuhe lesen.«

»Was? Die Etiketten? Das verstehe ich nicht.«

»Nein, sie hat sich ein Paar Schuhe angesehen, die jemandem eine Weile gehört haben, und dann konnte sie dir alles Mögliche über diese Person sagen.«

»Dass sie Einlegsohlen braucht.«

»Nein, dass man zum Beispiel zu viel stärkehaltige Sachen isst, oder dass man die feminine Seite seiner Persönlichkeit stärker zur Entfaltung kommen lassen sollte, oder dass die Beziehung, in der man lebt, die eigene Kreativität hemmt. Dinge in der Art.«

»Und das alles nur aufgrund des Aussehens der Schuhe. Und das leuchtet dir ein?«

»Was heißt schon einleuchten? Weißt du, was Holismus ist?«

»Ist das, wenn man braunen Reis isst?«

»Nein, das ist Whole Food. Mit Holismus ist es wie mit Hologrammen. Dem liegt das Prinzip zugrunde, dass sich in jeder einzelnen Körperzelle der ganze Mikrokosmos widerspiegelt. Deshalb kann ich dir zum Beispiel die Füße massieren, damit deine Kopfschmerzen nachlassen.«

»Das kannst du?«

»Ich selbst nicht, aber jemand, der sich mit Fußreflexzonenmassage auskennt, schon. Darum braucht sich ein Handleser nur deine Handfläche anzusehen, um Hinweise auf deine körperliche Verfassung zu finden, ohne dass sie etwas mit deinen Händen zu tun haben muss. Sie kann sich in deinen Handflächen zeigen oder in der Iris deiner Augen oder in den Beulen auf deinem Kopf.«

»Und in den Absätzen meiner Schuhe«, fügte Keller hinzu. »Ich habe mir mal aus der Hand lesen lassen.«

»Tatsächlich?«

»Vor ein, zwei Jahren. Es war auf einer Party, und sie hatten eine Handleserin engagiert. Als Gag sozusagen.«

»Wahrscheinlich keine besonders gute, wenn sie sich für so was hergegeben hat. Und wie zutreffend war, was sie dir gesagt hat?«

»Sie hat gar nichts gesagt.«

»Hast du nicht gerade gesagt, du hättest dir aus der Hand lesen lassen?«

»Ich wäre schon dazu bereit gewesen. Aber sie nicht. Ich habe mich zur ihr an den Tisch gesetzt und ihr meine Hand hingehalten, und sie hat sie genau angesehen und mir dann wieder zurückgegeben.«

»Das ist ja furchtbar. Du hast sicher einen gewaltigen Schreck bekommen.«

»Wieso?«

»Na ja, dass sie deinen nahen Tod in deinen Handlinien gesehen hat.«

»Der Gedanke ist mir auch gekommen«, sagte er. »Aber ich habe es mir so erklärt, dass sowieso alles nur Show war. Ich war zwar ein bisschen nervös, als ich das nächste Mal in ein Flugzeug gestiegen bin …«

»Das kann ich mir denken.«

»… aber es war ein ganz normaler Flug, und auch sonst ist nie etwas passiert, und irgendwann habe ich einfach aufgehört, daran zu denken. Ich könnte nicht sagen, wann ich das letzte Mal daran gedacht habe.«

Sie streckte die Hand aus. »Zeig mal.«

»Häh?«

»Gib mir deine Hand. Ich möchte sehen, was diese Kuh so erschreckt hat.«

»Du kannst aus der Hand lesen?«

»Nicht wirklich, aber ich verfüge über ein gewisses Halbwissen zu dem Thema. Aber jetzt lass mal sehen, ich will natürlich nicht zu viel wissen, denn das könnte die Oberflächlichkeit unserer Beziehung gefährden. Hier ist deine Kopflinie, hier ist deine Herzlinie, und hier die Lebenslinie. Keine Heiratslinien. Du hast ja auch gesagt, dass du nie verheiratet warst, und deine Hand sagt, dass du die Wahrheit gesagt hast. Ich könnte nicht behaupten, dass ich hier irgendwas sehe, aufgrund dessen ich dir raten müsste, keine langfristigen Verträge abzuschließen.«

»Mir fällt ein Stein vom Herzen.«

»Deshalb ist ganz klar, was ihr einen solchen Schreck eingejagt hat. Du hast einen Mörderdaumen.«

 
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Keller, der sich mit seiner Briefmarkensammlung beschäftigte, ließ sich immer wieder ablenken und betrachtete seinen Daumen, wie er zusammen mit dem Zeigefinger die Pinzette hielt oder nach einem Glassintütchen griff oder eine Lupe nahm. Sein persönliches Kainsmal. Sein Mörderdaumen.

»Es liegt daran, dass dein Daumen anders aussieht als sonst üblich«, hatte ihm Maggie erklärt. »Siehst du, hier? Und jetzt schau dir meinen Daumen an oder auch deinen linken. Siehst du den Unterschied?«

Dass er einen Mörderdaumen hatte, wusste sie deshalb, weil eine Jugendfreundin von ihr, ein rundum nettes und friedliches Mädchen, genauso einen gehabt hatte und eine Handleserin ihr gesagt hatte, es sei ein Mörderdaumen, worauf die beiden es in einem Buch zu diesem Thema nachgeschlagen hatten. Und dort hatten sie ihn dann gefunden, den Mörderdaumen, lebensgroß und in Farbe, und er hatte genauso ausgesehen wie der Daumen ihrer Freundin Jacqui und jetzt wie der von Keller.

»Aber sie hätte dir auf keinen Fall einfach kommentarlos die Hand zurückgeben dürfen«, hatte ihm Maggie versichert. »Ich weiß zwar nicht, ob so etwas statistisch erfasst wird, aber ich bin sicher, dass die meisten Mörder zwei völlig normale Daumen haben, während die meisten Menschen mit einem Mörderdaumen nie jemand getötet haben und das auch nie tun werden.«

»Da bin ich aber froh.«

»Wie viele Menschen hast du getötet, Keller?«

»Was soll denn das für eine Frage sein?«

»Und spürst du schon, dass du in Zukunft mal einen mörderischen Wutausbruch haben wirst?«

»Eigentlich nicht.«

»Na, siehst du. Du kannst also beruhigt sein. Du hast vielleicht einen Mörderdaumen, aber ich glaube nicht, dass du dir deswegen Sorgen machen musst.«

Er machte sich keine Sorgen, das nicht. Aber ein wenig verblüfft war er schon. Wie konnte man sein ganzes Leben lang einen Mörderdaumen haben, ohne es zu merken? Und was hatte das zu bedeuten?

Er hatte seinem Daumen sicher nie besondere Beachtung geschenkt. Ihm war bewusst gewesen, dass seine beiden Daumen nicht gleich aussahen und dass sein rechter etwas eigenartig war, aber es stach einem nicht sofort in die Augen, und es war nichts, was anderen Kids sofort auffiel, und schon gar nichts, weswegen sie einen aufzogen. Er hatte ihm in all den Jahren etwa so viel Beachtung geschenkt wie dem Nagel seiner linken großen Zehe, die von schmalen Furchen überzogen war.

Eine Mörderzehe, dachte er.

 
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Er brütete gerade über einer Preisliste für Frankreich und Kolonien und rang mit einigen der kleinen Entscheidungen, die ein Briefmarkensammler manchmal treffen muss, als das Telefon klingelte. Er nahm ab. Es war Dot.

Er nahm wie üblich den Zug, von der Grand Central Station nach White Plains und wieder zurück. Bevor er sich am Abend schlafen legte, packte er eine Reisetasche, und am nächsten Morgen nahm er ein Taxi zum JFK und einen Flieger nach Tampa. Dort mietete er einen Ford Escort und fuhr nach Indian Rocks Beach, das sich mehr wie eine Überschrift in Variety anhörte als ein Ort, an dem man lebte. Aber genau das war es, und wenn er auch keine Indianer oder Felsen sah, war der Strand kaum zu verfehlen. Er war richtig schön, und er konnte verstehen, warum sie dort so viele Häuser mit Timesharing- und Eigentumswohnungen hochgezogen hatten.

Der Mann, den Keller suchte, er war aus Ohio und hieß Stillman, hatte gerade für einen einwöchigen Urlaub im dritten Stock der Gulf Water Towers ein Apartment mit Meerblick bezogen. Im Foyer gab es zwar einen Türsteher, aber Keller glaubte nicht, dass an ihm ähnlich schwer vorbeizukommen wäre wie an der Maginot-Linie.

Aber musste er das überhaupt? Stillman war gerade aus dem sonnenlosen Cincinnati angekommen, und wie lange würde er schon in seiner Ferienwohnung bleiben? Nicht länger als unbedingt nötig, vermutete Keller. Bestimmt wollte er schnellstens ins Freie und ein paar Sonnenstrahlen einfangen, vielleicht auch ein bisschen im Golf planschen und anschließend weiter in der Sonne dösen.

Keller hatte eine Badehose eingepackt und fand eine Herrentoilette, in der er sich umziehen konnte. Ein Handtuch zum Drauflegen hatte er nicht – noch hatte er sich kein Zimmer genommen –, aber er konnte sich auch in den Sand legen.

Wie sich herausstellte, war das nicht nötig. Als er am Strand entlang schlenderte, sah er eine Frau aus dem Wasser kommen. Sie hatte mit den Händen etwas Wasser aus dem Meer geschaufelt und schüttete es auf einen im Sand liegenden Mann. Er sprang auf und jagte ihr ausgelassen lachend hinterher, als sie wieder ins Wasser zurückrannte. Dort alberten sie dann mit typischer hormonbefeuerter Energie herum, und Keller nahm an, dass sie das noch eine Weile tun würden. Sie hatten zwei Badetücher im Sand liegen gelassen, anonyme, nicht zu identifizierende weiße Strandtücher, und Keller glaubte, dass ihnen auch eins genügen würde. Wenn sie sich genügend mit Wasser bespritzt hatten, fänden problemlos beide darauf Platz.

Er nahm das andere Badetuch und ging damit zum Privatstrand für die Bewohner der Gulf Water Towers. Er breitete es auf dem Sand aus und blickte sich kurz um, entdeckte aber niemand, der George Stillman ähnlich sah. Deshalb legte er sich auf den Rücken und schloss die Augen. In New York hatte sich die Sonne in letzter Zeit ziemlich rar gemacht, und umso besser fühlte sie sich jetzt in Florida auf seiner Haut an. Wenn er eine Weile bräuchte, um Stillman zu finden, hatte er nichts dagegen.

 
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Aber daraus wurde nichts.

Nach einer halben Stunde öffnete Keller die Augen. Er fühlte sich ein bisschen wie Punxsutawney Phil am Groundhog Day, als er sich aufsetzte und am Strand umblickte. Da er weder Stillman noch seinen eigenen Schatten sehen konnte, legte er sich wieder hin und schloss erneut die Augen.

Das nächste Mal öffnete er sie, als er einen Mann lauthals fluchen hörte. Er setzte sich auf, und keine zwanzig Meter von ihm entfernt beschimpfte ein korpulenter Mann mit Hängebacken und schütterem Haar aufgebracht seine rechte Hand.

Wie konnte jemand so wütend auf seine eigene Hand sein? Er konnte natürlich einen Mörderdaumen haben, aber war das wirklich ein Grund? Keller, der selber einen hatte, hatte nie das Bedürfnis verspürt, so mit ihm zu reden.

Aber klar, natürlich. Der Mann sprach in ein Handy. Und es war Stillman. Zunächst hatte Keller kaum Notiz von seinem Gesicht genommen. Seine Aufmerksamkeit hatte ganz der aufgebrachten Stimme und dem massigen, dicht behaarten Oberkörper des Mannes gegolten. Nichts davon war auf dem Porträtfoto zu sehen gewesen, das ihm Dot gezeigt hatte, aber es war dasselbe Gesicht, und es war derselbe Kerl. Besser hätte es gar nicht kommen können.

Stillman ließ sich die Sonne auf den Pelz brennen, und das tat auch Keller. Als Stillman aufstand und ans Wasser ging, tat Keller das ebenfalls. Als Stillman hineinwatete, um sein Mütchen an der Brandung zu kühlen, folgte ihm Keller.

Als Keller wieder aus dem Wasser kam, blieb Stillman noch. Und als Keller mit zwei Badetüchern und einem Handy den Strand verließ, war Stillman noch immer nicht aus dem Wasser gekommen.