»Gut«, sagte Etxeberria und wischte sich den Schweiß von der Stirn – es war warm geworden hier unten im Keller, all die Männer und Cecilia, der Stein die Luftfeuchtigkeit zurück, noch dazu hatten sie sicher schon eine Kiste des Château Lecœur Saint-Julien geleert. »Ich fasse mal zusammen, was ich bisher verstanden habe: Es gab diese Ansichtskarten und den Vaterschaftstest – und nun will er, dass Sie kommen. Wir haben gehört, was Sie sagten, und ich teile Ihre Meinung, Verlain, dass Sie ohne Hilfe dort unten in ernster Gefahr schweben. Ich habe keine Ahnung, wie sich die Polizei im Baskenland unter der Führung dieses Arschlochs verändert hat – aber ich kann Ihnen sagen, dass es auch auf spanischer Seite kein Zuckerschlecken ist, wenn man kaum Freunde hat. Ich will Sie jedenfalls nicht erstochen in irgendeiner Gasse von Donostia finden.« Auch Etxeberria nutzte wie selbstverständlich den baskischen Namen von San Sebastián. »Also: Wir werden Ihnen folgen und versuchen, Sie nicht aus den Augen zu lassen. Das wird nicht leicht, wenn Le Pagardier so mächtig ist, wie Sie vermuten. Aber ich werde sofort dafür sorgen, dass Sie da unten nicht ohne Freund sind.«
»Was meinen Sie?«, fragte Luc.
»Er ist zu klug, als dass ich ihn aus heiterem Himmel anrufen könnte – aber ich sage Ihnen, in welchen Laden Sie gehen müssen, um ihn zu finden. Er heißt Bixente Udaletxea, er ist der Boss der baskischen Polizei auf spanischer Seite – und er war damals der Einzige, der am Ende noch zu mir gehalten hat. Er wird Ihnen helfen, wenn er es kann.«
»Wo muss ich hin?«
»In eine Bar mitten in der Altstadt von San Sebastián, sie hat rund um die Uhr offen. Dort frühstücken die einfachen Leute. Aber Verlain: Sie dürfen nicht direkt nach ihm fragen. Das wäre zu auffällig. Sie müssen sich eine Geschichte ausdenken.«
»Verstanden«, sagte Luc und nickte. »Und du, Robert? Meinst du, das wird gehen?«
Der junge Journalist der Sud Ouest, der regionalen Zeitung im Südwesten Frankreichs, zog eine Augenbraue hoch. »Es wird nicht leicht, und ich muss meine Leser anlügen, indem ich dich als Verbrecher darstelle – aber für dich mache ich es. Auch wenn ich im Traum noch nicht weiß, wie du aus dir einen Bad Boy machen willst.«
»Warte nur ab«, sagte Luc knapp, weil er die Unbekümmertheit des jungen Mannes in diesem Fall nicht teilte. Aber es war gut, dass er im Boot war.
»Das Einzige, was du noch nicht gesagt hast, ist, welche Rolle ich in dieser Geschichte spiele.« Es war Cecilia, die mit ihrem kaum hörbaren deutschen Akzent gesprochen hatte, zum ersten Mal in dieser Runde. Bisher hatte sie still am Tisch gesessen, ihr Blick war zwischen Lucs Freunden hin und her gewandert. Luc betrachtete sie, und sofort verbesserte sich seine Laune: Er mochte sie so gerne. Die Beziehung zu Anouk war zur Zeit ihrer kurzen Liaison noch nicht geklärt gewesen, zudem war Anouk für einige Wochen in ihrer Heimatstadt Venedig verschwunden. Also hatte er mit der deutschen Surflehrerin angebandelt. Ihre Beziehung endete, als Luc erkannte, dass er Anouk liebte. Doch er hatte stets Kontakt zu Cecilia gehalten, rein platonisch natürlich. Sie hatte ein Studium in Bordeaux aufgenommen. Und heute war sie sofort gekommen, als Luc sie informiert hatte. Nun saß sie da, in einem lässigen weißen Tanktop, und ihre tiefbraunen Arme zeigten, dass sie immer noch viel surfte, sie hatte ein neues Tattoo auf dem Arm, das Luc noch nicht kannte, einen exotischen Vogel. Die Haare trug sie immer noch kurz und hellblond. Sie lächelte ihn an, auch jetzt blieb sie so zuversichtlich, wie Luc sie kennengelernt hatte.
»Du, Cecilia, hast vielleicht die wichtigste Rolle. Ich weiß, es ist viel verlangt, dich da hineinzuziehen, und es tut mir leid, dass es nötig ist. Aber wenn ich Le Pagardier richtig einschätze, dann weiß er von dir – und wird dich im Blick haben, wie alle Personen, die mir wichtig sind.«
»Und was soll ich machen?«
»Du verschwindest.«
»Was?«
Cecilias Stimme machte einen Satz, Yacine grinste, und alle anderen sahen Luc verwundert an, der einen Schluck aus seinem Glas nahm und sich vorbeugte.
»Es ist wirklich die Schlüsselrolle. Pass auf: Bisher schien es für Le Pagardier so, dass er alles in der Hand hatte. Er hat seine Schritte geplant, mich beobachtet, seine Karten ausgespielt und so immer die Oberhand behalten. Weil er stets einen Schritt weiter war als ich. Ich hatte keine Ahnung, wer er war, der Mann, der die Karten schrieb. Es wird Zeit, dass wir genau das ändern. Wir müssen die Oberhand haben. Wir müssen ihn überraschen.«
»Und wie soll das gehen?«, fragte Yacine.
»Eben hab ich ja gesagt, dass Le Pagardier die Menschen überwachen wird, die mir wichtig sind. Gerade jetzt, in der heißen Phase des Spiels. Das bedeutet, dass er auch Cecilia im Auge hat.«
Luc holte Luft und kam zum Höhepunkt.
»Jetzt drehen wir den Spieß um. Wir tun etwas, womit er nicht rechnet. Cecilia verschwindet. Du wirst einfach untertauchen. Fahr nicht mehr nach Hause, sondern hau direkt von hier aus ab. Ich hab Bargeld für dich, du kannst dich einfach in eine kleine Pension irgendwo am Meer einmieten. Oder reist mit einem Auto nach Husum. Ganz egal. Nur darfst du keinen Meldeschein ausfüllen und deine Kreditkarte nicht benutzen. Es darf nicht nachvollziehbar sein, wo du bist, falls ein Polizist nach dir sucht. Ich weiß nicht, welche Kontakte Le Pagardier hat. Wäre das o. k. für dich?«
»Ein Urlaub auf deine Kosten? Ja klar.«
Alle mussten lachen – und Luc gefiel, dass sich die ernste Stimmung der Runde inzwischen etwas gewandelt hatte. Gemeinsam ging es jetzt darum, Pionierarbeit zu leisten – ein großes Rätsel zu lösen.
»Und ich brauche den Schlüssel deiner Wohnung in Bordeaux.«
»Wozu?«
»Ich nehme an, dass sie die Wohnung im Blick haben. Wir werden sie ein bisschen aufmischen, sodass es nach einer Entführung aussieht. Wenn sie nach dir suchen, werden sie das Chaos bei dir zu Hause vorfinden. Keine Sorge, wir räumen später wieder auf. Und ich brauche etwas Blut von dir.«
»Was?«
»Nur sehr wenig, versprochen.«
»Du willst also so tun, als hättest du mich entführt.«
»Ganz genau.«
»Genial«, sagte Cecilia, und die anderen nickten zustimmend.
»Sag, Luc, meinst du wirklich, alle Menschen, die bisher mit dir zu tun hatten, haben deshalb in Gefahr geschwebt? Denkst du wirklich, sie haben mich beobachtet?«
»Und deshalb wurde der alte Gaston zusammengeschlagen?«, fügte Lou fragend hinzu.
»Das nehme ich an, Cecilia, und es tut mir sehr leid. Bei Gaston, lieber Lou, bin ich mir sogar sehr sicher.«
Der alte Polizist machte ein ernstes Gesicht, als er mit der Faust auf den Tisch schlug: »Dann legen wir los. Es wird Zeit, dass wir dem Scheißkerl das Handwerk legen.«
»Genau …«
Sie standen auf, und einer nach dem anderen umarmte Luc. Er fühlte sich in diesem Moment sehr geborgen. Nur Anouk fehlte. Er hoffte, nein, er betete, dass sein Plan aufging – und dass niemandem etwas geschehen würde.