Lundi 5 juin, 14:00

»Los, wir gehen runter an den Strand«, sagte Luc.

»Wirklich? Aber … so?«

»Was ist denn in Sie gefahren? Werden Sie daheim zum Spießer?«, fragte Luc lachend.

Noch einmal zeigte Etxeberria auf seinen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte, doch Anouk und Luc nahmen ihn in die Mitte und zogen ihn die Treppe hinunter in den weißen Sand. Es war gut was los heute, Wochenende im Baskenland, so langsam trauten sich auch die Einheimischen ins Wasser, der Sommer zeigte seine ersten Ausläufer, heute war einer der ersten richtig heißen Tage. Anouk und Luc setzten sich an die Wasserkante, dorthin, wo die Wellen gerade eben noch nicht hingelangten. Etxeberria fasste sich ein Herz und setzte sich zu ihnen, die Lederschuhe hatte er vorne an der Mauer ausgezogen. So hielten alle drei ihre nackten Füße in den Sand.

»Geht’s besser?«, fragte Luc leise Anouk und berührte ihren Bauch. Vorhin, in der Feierstunde für die Amtsübernahme von Commissaire Etxeberria im Rathaus von Bayonne, hatte sie sich mehrfach den Bauch gehalten. Übungswehen, hatte

Doch Anouk lächelte ihn an. »Alles wunderbar«, flüsterte sie. »Die Kleine wollte uns wohl nur wissen lassen, dass sie auch noch da ist und ihr Recht einfordert, nach all dem, was die letzte Zeit im Vordergrund stand.«

Jetzt lächelten sie beide. Dann wandte sich Luc dem Basken zu.

»Und, wie fühlen Sie sich, wieder auf Ihrem liebsten Posten?«

»Es fühlt sich absolut unwirklich an«, sagte Etxeberria. »Ich kann endlich wieder zu Hause arbeiten. Mit meiner eigenen Einheit. Ich stelle mir gerade schon ein Team zusammen.«

»Aber Finger weg von Hugo!«, scherzte Anouk.

»Das ist doch Ehrensache«, sagte der Baske. »Ich habe all das Ihnen zu verdanken, Verlain.«

»Sie haben das sich selbst zu verdanken. Sie hätten nie von hier abgelöst werden dürfen«, gab Luc zurück. »Außerdem sollten wir langsam mal dieses förmliche Sie loswerden.«

»Das sollten wir«, bestätigte Etxeberria. »Gilen. Sehr erfreut.«

»Anouk«, sagte Anouk grinsend.

»Luc. Die Freude ist ganz meinerseits.«

»Und ich bin Serge«, war hinter ihnen im Gegenlicht eine Stimme zu vernehmen, eine Stimme, die Luc so altvertraut war, als spräche sein Vater.

»Monsieur Preud’homme«, sagten alle drei gleichzeitig und erhoben sich aus dem Sand. Luc sah erst jetzt, dass Preud’homme nicht allein war, neben ihm standen eine junge Frau und ein Kind, ein Junge, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Anouk und Luc betrachteten einander, und sie formte lautlos einen Namen: Lucien. Sie strahlten sich an. Endlich.

»Und wie froh wir erst sind!«, sagte Anouk. »Hallo, Lucien.«

Der Junge stand da und verstand den ganzen Trubel nicht, er hielt einen Buddeleimer und eine Schaufel in der Hand und wollte nur los, um eine Kleckerburg zu bauen. Seine Mutter dagegen trat auf Luc zu und nahm ihn in die Arme.

»Danke«, flüsterte sie, bevor sie auch Anouk und den Basken umarmte. Ihre Augen waren feucht. Schließlich nahm sie Luciens Hand, und sie gingen vor zur Wasserkante.

»Er ist gestern aus dem Krankenhaus entlassen worden. Die Ärzte sagen, es ist ein Wunder. Diese Kinder – unglaublich, was die aushalten. Ich will mir nicht vorstellen, was die arme Frau durchgemacht hat.«

»Aber ihm geht es wieder richtig gut, oder?«, fragte Anouk.

»Die Ärzte sagen, er wird keine bleibenden Schäden davontragen. Er kann sich auch an nichts erinnern – ich glaube, das ist auch besser so … All die Wochen im Krankenhaus. Und seine Mutter hatte befürchtet, er wolle nach dem Vorfall nie wieder an den Strand. Aber …«

Preud’homme wies mit dem Kopf hinüber. Gerührt sahen sie dem Jungen zu, der im nassen Sand stand, seine Mutter hielt ihn an den Händen, und immer, wenn eine Welle kam, zog sie ihn hoch, dass er laut juchzte.

»Ich bin einfach zu alt für solche Dinge.«

Preud’hommes ernster Ton ließ Luc aufhorchen. »Wie meinen Sie das, Monsieur le Commissaire?«

»Ja, ich muss in der Tat noch etwas Wasser in den Wein gießen, liebe Kollegen. Ich habe während dieser ganzen Sache, die

Alle drei sahen Preud’homme erschrocken an.

»Nun schauen Sie nicht so. Davon geht die Welt nicht unter.«

Luc ging auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich kenne Sie zu lange, um zu versuchen, Sie noch umzustimmen.«

»Da kennen Sie mich verdammt gut, Junge.«

»Alles Gute, Monsieur Preud’homme.«

»Serge. Hatte ich doch gesagt.«

Sie mussten lachen, dann zog der Alte den Jungen an sich und umarmte ihn. Auch Anouk und Etxeberria verabschiedeten den Chef des Hôtel de Police lange und herzlich.

»In zwei Monaten kommt mein Nachfolger, offensichtlich erst mal übergangsweise, ein Mann aus Nantes. Bis dahin schließen wir diese Akte hier ab, ohne dass irgendwelche Fragen aufkommen. Ich will gar nicht wissen, was in Spanien passiert ist, ehrlich gesagt. Ich will nur, dass es uns nicht auf die Füße fällt. Ich will in meinem Ruhestand Rosen schneiden und das Meer betrachten – und nicht in Anhörungen wegen irgendwelcher interner Untersuchungen vernommen werden. Verstanden?« Er sagte es scherzhaft, und doch war da Sorge in seiner Stimme.

Luc warf Anouk einen kurzen Blick zu, aber sie verzog keine Miene. Sie hatten nur einmal darüber gesprochen. Im Schlafzimmer ihres Hotels in San Sebastián, dem Hotel de Londres y de Inglaterra, in der Nacht, nachdem es passiert war.

»Ich musste es tun. Du oder er. Ich will, dass du für immer

Das hatte sie geflüstert, draußen war die Nacht hereingebrochen, die Stimmen der Nachtschwärmer waren vor Stunden verklungen, nur noch das Meer war durch das offene Fenster zu hören, die Wellen, die von der Flut bis an die Mauern geschlagen wurden. Sie hielten sich fest und blickten dabei aus dem Fenster hinaus, sahen die sichelförmigen Wellen in ihrer Formation aus dem offenen Meer heranrauschen. Draußen, im Dunkel, lag die Insel, auf der alles passiert war.

»Mir geht es gut. Ich habe es getan, weil es richtig war. Ich möchte nicht, dass wir noch mal darüber sprechen, glaube ich. Ich möchte nicht, dass du dich deswegen sorgst oder Mitleid mit mir hast. O.k.? Versprichst du mir das?«

»Versprochen«, flüsterte er. Dann hatte sie sich zu ihm gedreht, und sie hatten das Meer und alles darin ausgeblendet.

Nun standen sie hier, zu viert, und schauten versonnen Lucien und seiner Maman zu, die mittlerweile im Sand buddelten. Draußen auf dem Wasser ritten die Surfer ihre Wellen, einer nach dem anderen, weit hinten, dort, wo der Ozean ganz dunkelblau war.

»Wie gerne würde ich hier surfen«, sagte Luc.

»Das machen wir zusammen, sobald ich wieder kann«, sagte Anouk und sah lachend auf ihren Bauch. »Wenn wir dich besuchen, Gilen. Hier ist ja nichts los, bei den Basken, da wirst du Zeit haben, uns zu empfangen.«

»Für euch habe ich immer Zeit.«

»Hey …!«, riefen von oben auf der Strandpromenade laute Stimmen. Sie drehten sich um.

Da standen sie: Robert Dubois, der Journalist, Lou, der Polizeichef aus Lacanau, Hugo, der Polizist aus Bordeaux, und – Cecilia. Sie winkten den vier Polizisten zu.

»Parfait«, sagten Anouk, Luc und Serge beinahe gleichzeitig. Preud’homme und der Baske gingen voran. Doch Luc hielt Anouk zurück.

»Halt, hiergeblieben«, sagte er, gerade, als die erste Welle der Flut ihre Füße erreichte und sie beide einen Moment die Luft anhalten mussten, weil das Wasser so kalt war.

»Was ist denn? Ich will diesen baskischen Kuchen essen, los jetzt«, sagte sie scherzhaft.

»Danke«, sagte Luc und nahm sie in den Arm, »und Anouk? Je t’aime.«