6. Juni 2022 –
9 Tage bis zum Halbmarathon

Gestern war der perfekte Tag der Regeneration.

Ich habe an diesem Buch geschrieben, gesund gegessen, und wir waren noch eine Runde spazieren.

Die Kinder verlangten nicht nach mir, denn sie sind beim Papa. Mittlerweile habe ich gelernt, an diesen Wochenenden nicht mehr in einem Loch zu verschwinden, sondern sie mit Dankbarkeit anzunehmen: dass sie einen tollen Papa haben, zu dem sie gern gehen, dass ich mir in dieser Zeit keine Gedanken machen muss.

Ich trinke genug und achte auch abends auf eine ausreichende Kohlenhydratzufuhr.

 

Völlig ausgeruht schnüren wir uns am nächsten Tag die Schuhe, essen – ungewöhnlich für mich – ein Toast mit Honig und starten extremst motiviert die Runde um den Baldeneysee. Vor meinem inneren Auge sehe ich mich hüpfen und tänzeln. Weil ich die Runde schon zum zweiten Mal laufe, sprich, sie nicht so ganz unbekannt ist. Und weil es hier nicht vergleichsweise so heftige Steigungen gibt wie in der Eifel. Und nicht zuletzt deswegen, weil ich (hoffentlich) mittlerweile noch fitter geworden bin.

»Kommst du gut rein?«, fragt der Mann neben mir nach zwei Kilometern. Vermutlich ist er von meiner unregelmäßigen Atmung irritiert. Ich zumindest bin es. Ich kann nicht richtig durchatmen, und irgendwie finde ich meinen Tritt nicht.

»Nein«, keuche ich zurück.

Da ich dieses Phänomen aber schon kenne, laufe ich einfach weiter. Auf meiner Heimatstrecke starte ich immer direkt mit einer Steigung, die meinen Puls ordentlich in die Höhe jagt. Danach bin ich dafür meist direkt in meinem Lauf. Dieser Moment fehlt mir, wenn ich ohne Steigung laufe. Dann brauche ich drei bis vier Kilometer, bis mein Körper versteht: O nein, sie meint es ernst!

Heute bleibt dieser Moment ganz aus.

Schlimmer noch: Mich nervt alles und jeder.

Die ewig grüßenden anderen Jogger gehen mir auf den Keks.

Die Schwäne mit ihrem Nachwuchs: blöd.

Die Sonne, die auf dem Wasser glitzert: wie ein Hohn!

Ich habe noch nie erlebt, dass meine Laune mit jedem, aber wirklich jedem Schritt schlimmer wird.

Den Typen neben mir, den ich doch eigentlich liebe, möchte ich am liebsten ins Wasser schubsen. Ich möchte umdrehen und nieeee mehr laufen.

Was soll der Mist hier eigentlich? Wozu tue ich mir das an?

Wer sagt denn, dass 21 Kilometer meine Distanz sind?

Liefere ich gerade nicht den eindeutigen Beweis, dass sie es nicht sind?

Es ist mein letzter langer Lauf vor dem 15 . Juni, und wenn der so furchtbar ist, wie soll dann der Tag der Tage bloß werden?

Bei Kilometer zehn kullert die erste Träne. Nach »Super, du bist zehn Kilometer gelaufen!« Ich möchte nicht reden, nix hören. Ich möchte nach Hause. Allein. Für immer allein. Und nie mehr laufen.

Ich laufe zudem in neuen Schuhen, und meine Zehen sind eingeschlafen und schmerzen. Mittlerweile heftigst. Blöde Schuhe!

»Wie lange noch?«, keuche ich den Mann, der immer noch locker neben mir läuft, an.

»Wir sind bei zwölf Kilometern.«

»Ich kann nicht mehr«, antworte ich.

»Sollen wir ein Stück gehen?«, fragt er, ohne eine Antwort zu bekommen.

Woher soll ich das wissen?

Bei 13 ,1 Kilometern rufe ich, »Das wars. Ich will nicht mehr!«, und beende die Uhr und den Lauf.

Ich bin so traurig, so deprimiert und so fertig, wie ich es noch nie erlebt habe.

Die Tränen vermischen sich mit dem Schweiß.

»Das gibt doch nie was! Ich habe null Trainingseffekt! Wie kann das sein?«

Der Liebste reagiert gelassen, als ob er diese Phase kennen würde. Er lässt mich weinen und nimmt – gottlob – alles, was ich von mir gebe, nur halb so ernst.

Wir gehen die letzten Meter bis zum Auto, dann trinke ich und dehne mich.

Es dauert, bis ich wieder zu mir komme.

Und es dauert, bis ich kapiere, dass die geflossenen Tränen vermutlich nichts mit dem Lauf zu tun haben.

Sind es die Juni-Tränen?

Ist es der Jahrestag?

Sind es die Nachsorgeuntersuchungen, die mir in ein paar Tagen bevorstehen?

 

We will see …

 

Erkenntnis des Tages: