Der Tag danach

Langsam und vorsichtig öffne ich die Augen.

Ich bin bereit für den schlimmsten Muskelkater jemals.

Auch wenn ich am gestrigen Tag weder viel gefeiert noch Alkohol getrunken habe. Stattdessen habe ich darauf geachtet, genügend zu trinken und gut zu essen.

Der Schlaf, das kann ich schon sagen, war so übermattend und tief, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Gegen 22  Uhr 30 fiel ich in einen traumlosen, regenerativen und dank des Feiertags in NRW auch langen Schlaf.

Dennoch bin ich mir sicher, dass mir mein Körper spätestens jetzt meine 30 Jahre Unsportlichkeit quittiert.

Ich merke die Schulter.

Aber die merke ich jeden Morgen seit dem Bruch. Und heute nicht stärker als gestern.

Ich setze die Füße so behutsam auf den Boden, als hätte ich Angst, durch das Auftreten jemanden zu wecken. Oder aufgrund meines zu erwartenden schmerzhaften Stöhnens.

Aber entgegen meiner Erwartung schmerzt – nichts.

Gar nichts.

Im Gegenteil.

Ich gehe wie ferngesteuert zu meinen Sportsachen, als ich hinter mir eine tiefe, frisch wach gewordene Männerstimme höre: »Was hast du vor?«

»Ich dachte, wir gehen laufen«, und als ich es ausspreche, merke ich, dass ich das wirklich vorhatte.

Der Automatismus ist drin, die Gewohnheit so in mir verankert.

»Bestimmt nicht«, lächelt mich mein Trainer an.

»Ach nee, Quatsch. Dann mache ich halt Kaffee.«

Irgendetwas muss ich tun, denn ich bin fit wie nie.

Körperlich. Im Kopf. Alles läuft auf Hochtouren.

Sollten Sie, liebe Leserinnen, schon mehr Erfahrungen mit sportlichen Höchstleistungen haben, so kennen Sie diesen Zustand sicherlich. Mir war diese Art von Höhenflug völlig neu.

Magnesium und Calcium, die ich gestern Abend vor dem Zubettgehen noch eingenommen habe, haben offensichtlich den Muskelkater verhindert.

Aber vielleicht war es nicht nur das.

Sollte ich so fit sein, dass ich so etwas wirklich machen kann?

Sollte ich mich selbst transformiert haben: von der ehemaligen Bewegungsverachterin zur aktiven, fitten Frau?

Aber das wäre ja großartig!

Und das Großartigste daran ist, dass es nicht von außen kommt.

Nur von innen. Denn das gibt Sicherheit und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Und wissen Sie, was ich so rührend finde? Man kann sich Dinge allein groß machen. Es war kein offizieller Lauf. Es war nur mein Lauf. Wir haben uns den Tag selbst groß gemacht.

Lassen Sie uns das doch öfter tun. Ohne dass wir auf besondere Gelegenheiten warten, machen wir sie uns einfach selbst.

Ich bin motiviert und stark wie nie, und das am Tag eins nach 21 ,1 Kilometern.

 

»Ich dachte, du wolltest Kaffee machen?«, werde ich, am Laptop sitzend, gefragt.

»Mach ich gleich. Ich muss nur noch auf Absenden drücken«, antworte ich ihm, während ich die Anmeldung zum Kölner Halbmarathon abschicke.