Kapitel Zwanzig

»Oh, Mama, schau mal, George spielt mit der Sardine«, rief der kleine Tomasz begeistert. Ich hatte George zwar gesagt, dass man nicht mit Essen spielte, aber er liebte dieses glitschige Gefühl, wenn er die Sardine zwischen die Pfoten nahm. Deshalb jagte er den Fisch, der natürlich nicht mehr lebendig war, durch die Küche und versuchte, ihn zu »erlegen«. Die Jungs fanden das sehr lustig. Aleksy lachte so heftig, dass er nicht mehr sprechen konnte.

»George, iss Fisch, ist kein Spielzeug«, tadelte Franceska ihn, zwinkerte mir jedoch verschwörerisch zu. Schließlich schnappte sie sich die Sardine, zerteilte sie in Stücke und legte sie wieder in Georges Napf. Gehorsam fraß er den Fisch auf. Wir waren schon einige Zeit hier, seit die Jungs aus der Schule gekommen waren. Die beiden waren ganz aufgekratzt, nicht nur, weil wir übers Wochenende blieben, sondern auch, weil ihre Sommerferien begonnen hatten. Nächste Woche würden sie nach Polen abreisen, was mich traurig machte, aber ich wollte nicht, dass diese Stimmung das Wochenende beeinträchtigte. Die nächsten Tage sollten für uns alle eine gute Zeit voller Spaß werden.

Nach dem Abendessen legten die Jungs einen Film mit dem Namen Star Wars ein, den ich nicht so richtig verstand. Er war jedoch sehr abwechslungsreich, mit vielen bunten Lichtern, die über den Bildschirm flackerten. George sprang auf den Fernsehtisch und versuchte, die Blitze zu fangen, bis Aleksy ihn schließlich auf den Boden setzte.

»Wenn du den Fernseher kaputt machst, kriegst du ziemlichen Ärger«, sagte er und sprach damit genau aus, was ich dachte. Fragend sah George mich an, und ich bemühte mich um einen strengen Gesichtsausdruck, doch er lächelte so süß, dass ich ihm gar nicht böse sein konnte. Ich glaube, ihm gefiel sein erster Urlaub.

Genau in dem Moment, als der Film zu Ende war, kam der große Tomasz nach Hause.

»Ah, hallo Katzen, hallo Jungs – wie schön, dass ihr alle da seid.« Mit einem strahlenden Lächeln kam er auf uns zu und begrüßte jeden von uns mit einem Kuss, bevor er zu seiner Frau hinüberging und sie ebenfalls küsste.

»Kochanie, ich habe uns für heute Abend Champagner aus dem Restaurant mitgebracht.«

»Was willst du feiern?«, fragte Franceska. Der große Tomasz blickte ein wenig traurig drein, sagte jedoch nichts. Offensichtlich handelte es sich mal wieder um eine dieser »nicht vor den Kindern«-Situationen.

»Okay, Jungs, Zeit fürs Bett«, rief Franceska.

»Och, Mum«, stöhnte Aleksy. Mittlerweile klang er wie ein Engländer, obwohl der große Tomasz und Franceska ihren Söhnen auch Polnisch beibrachten. »Können wir nicht noch ein bisschen aufbleiben und mit Alfie und George spielen?«, bettelte er.

»Eine halbe Stunde«, erlaubte seine Mutter ihm schließlich. »Tomasz, ich mache dir dein Abendessen warm. Du kannst Zeit verbringen mit den Jungs.« Mir fiel auf, dass Franceska nicht gerade fröhlich klang, doch dann wurde ich abgelenkt, weil Aleksy mich auf den Arm nahm, während der große und der kleine Tomasz anfingen, mit George Ball zu spielen. Aleksy trug mich in sein Zimmer. Da er mein erster Kinderfreund war, hatten wir beide schon einiges miteinander durchgemacht. Auch ich war sein erster Freund in England gewesen und hatte ihm unter anderem geholfen, als er vor einigen Jahren in der Schule gemobbt worden war. Er vertraute mir all seinen Kummer an, und als er mich auf seinem Bett absetzte, wusste ich, dass er mir etwas mitteilen wollte.

»Ich mache mir Sorgen, Alfie. Mum und Dad reden nicht mehr richtig miteinander, und jetzt verbringen wir die ganzen Ferien in Polen, ohne Dad. Ich werde dich vermissen und unser Zuhause auch, aber am meisten Dad.« Niedergeschlagen schaute er mich an, während er mich streichelte. Ich schmiegte mich an ihn und schnurrte, um ihm deutlich zu machen, dass ich ihn verstand.

»Ich habe Angst, dass wir nicht mehr wiederkommen. Mum hat zwar gesagt, klar kommen wir wieder, als ich sie gefragt habe, aber was, wenn nicht? Oder wenn unsere Eltern sich trennen, so wie Elijahs oder die von Justin, meinem Freund aus der Schule? Ich hab Mum und Dad beide so lieb, und ich weiß, dass wir Dad momentan selten sehen, weil er so viel zu tun hat, aber sie müssen das wieder hinkriegen.« Er schlug mit einer Hand auf seine Matratze und sah dabei so verzweifelt aus, dass sich mein Herz zusammenzog. Aleksy war zwar erst zehn, aber trotzdem schon sehr reif und sensibel; ein bisschen so wie ich, dachte ich. Zur Aufheiterung kitzelte ich ihn mit meinem Schwanz, was ihn normalerweise zum Lachen brachte. Dann hob ich die Pfote, um ihm fünf zu geben. »Du kümmerst dich doch darum, dass wieder alles gut wird mit den beiden, oder, Alfie?«

»Miau.« Natürlich würde ich mich darum kümmern. Ich hatte zwar noch keine Ahnung, wie, aber ich würde mich bemühen. Darauf gab ich Aleksy mein Katerehrenwort.

»Ich freue mich auf Polen. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, und Tommy weiß gar nichts mehr. Dort besuchen wir die Familie. Mum sagt, dass es richtig schön wird, aber ich will, dass meine Eltern zusammen sind, wenn ich wieder nach Hause komme, Alfie. Ich verlasse mich auf dich.«

»Miau.« Herrjemine, gerade hatte ich mir noch mehr Verantwortung aufgeladen.

Nachdem die Jungs ins Bett gegangen waren, ließ Tomasz uns durch die Hintertür nach draußen. Er und Franceska sprachen nur wenig miteinander, in Sätzen, die lediglich aus einem Wort bestanden, kein gutes Zeichen, und er wollte schnell noch einmal nach unten ins Restaurant, um nach dem Rechten zu sehen. Zwar versprach er Franceska, dass es nicht lange dauern würde, doch statt einer Antwort gab sie ein Knurren von sich.

»Es ist ja ganz dunkel hier.« Zögerlich betrat George den Hinterhof. »Miau!«, quiekte er. »Was war das?«

»Dein Schatten, George. Keine Angst, ich bin bei dir.« Und ich kam mir richtig mutig vor. Immerhin war ich schon ganz oft in diesem Hinterhof gewesen, aber ja, der konnte einem schon ein bisschen Angst einjagen. Außerdem lebten hier einige scheußliche Kreaturen, doch Müllschlucker war sicher irgendwo und würde uns beschützen.

»Miau!«, quietschte George erneut. »Was ist das?« Eine dunkle Gestalt näherte sich uns.

»Ach, George, das ist doch mein Freund Müllschlucker.« Ebendieser war hinter einem Mülleimer aufgetaucht und säuberte sich genüsslich die Schnurrhaare.

»Was für eine schöne Überraschung, Alfie.« Sein Blick fiel auf George. »Und wer ist das?«

»Das ist George, mein Sohn.«

»Ich hab die Jungs über irgendwen namens George reden hören, als sie neulich hier unten waren. Aber ich hatte ja keine Ahnung, dass du ein Katerchen bist. Freut mich, dich kennenzulernen, George.« Müllschluckers Stimme wurde ganz weich, während er sprach; selbst er war nicht immun gegen Georges Charme.

»Leider dürfen wir nicht so lange draußen bleiben«, erklärte ich. »Aber hier ist es doch sicher, oder?«

»Keine Sorge, Alfie. Ich lasse nicht zu, dass irgendjemand deinem Kleinen ein Haar krümmt. Kommt ihr mich morgen noch mal besuchen?«

»Klar. Ich werde nach dem Frühstück laut miauen, damit sie mich rauslassen, dann können wir uns länger unterhalten.«

»Ich freue mich drauf – und darauf, deinen Kleinen näher kennenzulernen, auch!«

In diesem Moment kam der große Tomasz wieder aus seinem Restaurant. Er stellte Müllschlucker noch einen großen Teller mit Essen hin, bevor er uns nach oben zurückbrachte. Mir fiel auf, dass George immer noch zitterte.

»Alles gut, Müllschlucker ist wirklich in Ordnung«, versprach ich.

»Weiß ich, aber es war so dunkel da im Hinterhof, und es hat so komisch gerochen. Müllschlucker hat übrigens auch komisch gerochen.« Dem konnte ich nicht widersprechen. Mein Kumpel duftete nicht gerade angenehm, aber er hatte ein Herz aus Gold.

George und ich machten es uns in meinem Bett gemütlich, das im Wohnzimmer stand, wo Tomasz und Franceska den Champagner tranken, den Tomasz aus dem Restaurant mitgebracht hatte. Allerdings sahen sie beide nicht so aus, als würden sie den Abend sehr genießen. Sie sprachen kaum ein Wort miteinander, bis sie auf einmal anfingen, sich hastig auf Polnisch zu unterhalten, sodass ich nichts mehr verstehen konnte. Doch besonders fröhlich klangen sie nicht, musste ich zugeben. Meine letzten Gedanken, bevor ich einschlief, galten der Familie. Ich machte mir Sorgen um die beiden, und Aleksy tat mir wahnsinnig leid. Und ich selbst mir auch – schließlich hatte ich ihm versprochen, alles wieder in Ordnung zu bringen.

Am nächsten Morgen schien die Sonne strahlend hell vom Himmel, während George und ich darauf warteten, in den Hinterhof gelassen zu werden. Bei Tageslicht fühlte sich George wesentlich sicherer und rannte direkt auf Müllschlucker zu, als wir endlich unten waren.

»MIAU!«, schrie er allerdings, als Müllschlucker überrascht das fallen ließ, was er bis dahin in seinem Maul getragen hatte. Es war eine sehr dicke Maus, vielleicht sogar eine Ratte. George sprang erschrocken zurück, das Nagetier lief auf ihn zu, und bevor ich überhaupt wusste, was ich tun sollte, hatte Müllschlucker es schon gepackt und weit weg geschleudert.

»Oha, das war echt knapp«, sagte mein Freund, während ich zu George hinüberging, um ihn zu beruhigen.

»Was war denn das?«, fragte George mit angstvollen Augen.

»Eine kleine Ratte. Keine besonders ansehnlichen Tierchen, aber es ist mein Job, sie vom Restaurant fernzuhalten«, stelle Müllschlucker fest.

»Was machen die denn?«, wollte George wissen.

»Gute Frage. Soweit ich das beurteilen kann, fressen sie Müll und verbreiten Krankheiten.«

»Dann sind sie schlimmer als Hunde?«, fragte George weiter.

»Nicht unbedingt, aber zumindest genauso schlimm.« Müllschlucker ging sehr geduldig mit George um, was mich sehr freute.

»Aber wisst ihr was, Müllschlucker und Dad – ich wäre am liebsten auf sie draufgesprungen. Ich hatte da dieses komische Gefühl in mir.«

»Das ist dein Katerinstinkt«, erklärte Müllschlucker. »Wir Katzen sind von Natur aus Jäger, deshalb hast du diesen Drang in dir gespürt.«

»Dad, gehst du auch jagen?«, erkundigte sich George.

Müllschlucker und ich wechselten einen Blick.

»Na ja, George … ich jage nicht so gerne. Es gab mal eine Zeit in meinem Leben, da musste ich jagen. Das erzähle ich dir mal irgendwann, aber mittlerweile, na ja, versuche ich, es zu vermeiden.« Mir fiel durchaus Müllschluckers Grinsen auf, doch er sagte nichts.

»Aber darf ich es denn machen?«, fragte George.

»Weißt du was, George, du folgst mir einfach, dann zeige ich dir, wie es geht«, schlug Müllschlucker vor. »Aber denk immer dran: Ich mache das, weil es meine Aufgabe ist. Ihr Hauskatzen braucht euch nicht so viel damit zu befassen.«

»Oh, danke. Darf ich, Dad?« Hoffnungsvoll sah George mich an.

»Klar, George.« Ergeben setzte ich mich auf die Türschwelle und schaute zu, wie mein Kleiner mit Müllschlucker auf die Jagd ging. Und ich musste zugeben, dass er sich jetzt schon wesentlich besser anstellte als ich. Mein Sohn, das Naturtalent.

»Und, Alfie?«, fragte Müllschlucker später, als wir alle zusammen vor der Hintertür des Restaurants in der Sonne saßen. »Was macht dein gebrochenes Herz?«

»Ach, na ja, jetzt, da du es erwähnst: Es tut immer noch ein bisschen weh.« Mit dem Kopf deutete ich auf George. »Er hält mich auf Trab, was wohl auch Claires Absicht dahinter war, aber es gibt trotzdem Momente, in denen es richtig schmerzt. Und ich frage mich auch immer noch, was Schneeflocke wohl so macht und wie es ihr geht …« Sehnsüchtig blickte ich nach oben in den Himmel, wobei ich nicht genau wusste, wieso ich das tat.

»Ach, weißt du, nach deinem letzten Besuch habe ich auch darüber nachgedacht«, erzählte Müllschlucker. »Irgendwie ist es doch so, als würde man jedem, den man liebt, ein Stück seines Herzens geben, und manchmal bleiben diese geliebten Wesen bei uns und manchmal nicht. Was ich damit sagen will, Alfie: Du hast ein sehr großes Herz und somit genügend Stücke für alle.« Seine Worte rührten mich sehr, und ich dachte an all die, die ich geliebt hatte und die ein Stück von meinem Herzen mitgenommen hatten – Margaret, Agnes und Schneeflocke –, und ich wusste, Müllschlucker hatte recht.

»Für eine wild lebende Katze bist du ganz schön weise«, sagte ich bewegt und voller Liebe für ihn.

»Dafür hat man doch Freunde.«

»Das verstehe ich nicht.« George sah uns verwirrt an.

»Dafür bist du noch zu jung«, entgegneten wir beide gleichzeitig.

Wir verbrachten eine tolle Zeit mit Müllschlucker, und ich nutzte die Gelegenheit, ihm von den Laternenkatzen zu erzählen. Aber erst, als George abgelenkt war, weil ich in seinem Beisein nicht darüber reden wollte. Ich wollte ihm keine Angst einjagen.

»Interessant«, kommentierte Müllschlucker nach einer Weile. »Ich frage mich, was da los ist – ich meine, sie haben sicher nicht alle gleichzeitig beschlossen, ihr Zuhause zu verlassen.«

»Genau das glaube ich auch. Ich war zwar wie immer mit den Problemen meiner Menschen beschäftigt, aber so langsam beunruhigt mich das Ganze doch. Was, wenn unsere schlimmsten Befürchtungen tatsächlich wahr sind, und alle Katzen in der Nachbarschaft sind in Gefahr? Bisher ist noch niemand aus der Edgar Road verschwunden, aber trotzdem … Um sich sicher zu fühlen, finden die Vorfälle doch ein wenig zu sehr in unserer Nähe statt.«

»Weißt du was, Alfie, ich könnte mich mal umhören.« Müllschlucker verfügte über ein riesiges Netzwerk von Katzen, die in der Regel über alles Bescheid wussten oder es herausfinden konnten. In der Vergangenheit hatten sie mir schon sehr geholfen.

»Das wäre ganz toll, vielen Dank.« Da ich mir immer noch nicht ganz sicher war, ob die Sache mit den Laternenkatzen überhaupt etwas bedeutete und ich mir wirklich Sorgen darüber machen musste, konnte es nicht schaden, wenn Müllschlucker sich mal umhörte.

Als wir wieder in der Wohnung waren, ging Tomasz mit den Jungs auswärts essen, damit Franceska in Ruhe packen konnte. George und ich folgten ihr ins Schlafzimmer, wo zwei Koffer auf dem Bett lagen, ein großer und ein kleiner.

»Es ist viel leichter zu packen für die Jungs als für mich«, sagte Franceska seufzend, während sie anfing, Kleidung in den größeren Koffer zu legen.

»Miau«, antwortete ich und blieb immer ganz in ihrer Nähe. Ich folgte ihr zu ihrem Kleiderschrank, und als sie mit einem Stapel Klamotten auf dem Arm zum Bett zurückging, lief ich ihr ebenfalls hinterher.

»Wo ist George?«, fragte sie. Ich blickte mich um; er war nirgends zu sehen. Oh nein, nicht schon wieder Verstecken spielen! Suchend blickte ich mich im Zimmer um, während Franceska ihre Sachen in den Koffer legte. Doch im nächsten Moment flogen die Klamotten plötzlich durch die Luft.

»Aaah!«, schrie Franceska, als George aus dem Koffer sprang. »Du hast mich erschreckt wie Mord!« Dann fing sie an zu lachen. George schnurrte vor Vergnügen, und ich war erleichtert, dass es ihm gut ging, auch wenn er so ein Chaos angerichtet hatte. Begeistert kletterte er immer wieder in den Koffer, als wäre das ein neues Spiel. Schließlich sperrte Franceska uns beide ins Wohnzimmer. Wenn wir im Schlafzimmer blieben, sagte sie, würde sie nie mit Packen fertig werden, bis die Jungs wieder zurückkamen. Ich schimpfte mit George, obwohl er natürlich nur gespielt hatte. Aber ich hatte gehofft, ein bisschen Zeit mit Franceska verbringen zu können.

»Okay, ich bin fertig«, verkündete sie etwas später, kam ins Wohnzimmer, schloss die Tür hinter sich und ließ sich aufs Sofa fallen. »Kätzchen im Haus ist wie Baby im Haus, man muss immer aufpassen«, meinte sie, und ich schnurrte beipflichtend, bevor ich auf ihren Schoß sprang. »Ach, Alfie, ich werde dich vermissen. Wir sind nur ein paar Wochen weg, aber so lange waren wir noch nicht voneinander getrennt, seit wir uns kennen«, fuhr sie fort, während sie mir übers Fell strich und mir den Kopf kraulte, was ich liebte. Ich schmiegte mich noch enger an sie und hoffte, sie würde ihren Mann auch vermissen. »Natürlich, Tomasz wird mir fehlen«, sagte sie in diesem Moment, als könnte sie meine Gedanken lesen. »Aber er arbeitet so viel. Ich sehe ihn kaum noch. Ich sage ihm, er muss mehr Zeit verbringen mit seiner Familie. Die Jungs, sie werden so schnell groß.« Zustimmend miaute ich. Ja, das wurden sie. Alle Kinder wurden schnell groß, sogar George schien in rasendem Tempo zu wachsen. Oft ertappte ich mich dabei, dass ich mich fragte, wo mein kleines Katerchen geblieben war. »Wahrscheinlich vergeht die Zeit, bis wir zurück sind, schneller, als ich denke, aber falls wir uns dieses Wochenende nicht mehr allein sehen: Pass auf dich auf und sei brav.« Franceska gab mir einen Kuss auf den Kopf. Wenn wir allein waren, sprach sie meistens viel mit mir. Ich schätzte, dass wir so was wie beste Freunde waren – ich hatte beinahe mehr Freunde, als ich zählen konnte.

»Mama, Mama, schau mal, was wir bekommen haben. Ein Happy Meal!« Der kleine Tomasz kam ins Wohnzimmer gerannt, eine Schachtel in der Hand. »Da ist ein Spielzeug drin!«

»Du bist mit ihnen zu McDonald’s?«, fragte Franceska überrascht.

»Wir haben so lange gebettelt, bis Dad mit uns hingegangen ist, Mum. Alle unsere Freunde gehen dahin, nur wir nicht«, sagte Aleksy. Er sah besorgt aus – da er so ein empfindsames Kind war, mochte er keinen Streit.

»Schon gut, euer Dad kann schlecht Nein sagen, ich weiß. Ist zwar nicht gut für euch, aber es wird auch nicht schaden. Tomasz, ich nehme an, das war Ausnahme.«

»Ja, kochanie. Heute durften sie einmal aussuchen, wo immer sie hinwollten. Ich werde euch nämlich alle vermissen«, gestand er und hörte sich ein wenig niedergeschlagen an.

»Ich weiß, und wir dich auch.« So warm hatte Franceska schon lange nicht mehr geklungen, wenn sie mit ihrem Mann sprach. Ich fragte mich, ob sie ihn ehrlich vermissen würde oder ob sie das wegen der Jungs sagte. »Später gibt es aber gesundes Essen. Kein Fast Food mehr«, ergänzte sie lächelnd.

»Pizza?«, fragte der kleine Tomasz.

»Ich hab gesund gesagt.« Franceska lachte.

»Pizza mit Gemüse drauf?«, schlug Aleksy vor und sorgte damit für weiteres Gelächter.

Der Rest unseres Wochenendaufenthalts verging wie im Flug. Aleksy und der kleine Tomasz bastelten einen Hindernisparcours für George, den er liebte. Die Strecke bestand aus Tunneln, Sachen zum Drüberspringen, Bällen und Spielzeugautos, und George genoss es, im Mittelpunkt zu stehen – was er sowieso meistens tat –, während die Jungs die Zeit stoppten, die er brauchte, um den Parcours zu bewältigen. Allerdings ging das Ganze auch nicht ohne Probleme vonstatten: Irgendwann blieb George in einem der Tunnel stecken, der aus Pappkarton bestand und ein bisschen schmal war. Doch nach einigem Schieben, Drängen und Gut-Zureden war er schließlich wieder frei und tat so, als wäre überhaupt nichts passiert. Auch Franceska war besserer Stimmung, und der große Tomasz blieb die ganze Zeit bei uns, was mir wiederum bewies, dass er nicht ständig im Restaurant sein musste.

Als wir uns später an diesem Abend voneinander verabschiedeten, war ich ganz traurig. Ich würde sie alle vermissen, einschließlich Müllschlucker, der mir wieder einmal sehr geholfen hatte. Es war gut zu wissen, dass er versuchen würde, dem Rätsel um die Laternenkatzen auf den Grund zu gehen. Aleksy würde mir natürlich wahnsinnig fehlen, aber auch der kleine Tomasz und Franceska. Wenn sie alle nach Polen fuhren, würde jeder von ihnen ein Stück meines Herzens mitnehmen. Ich konnte nur hoffen – und ich hoffte es inständig –, dass sie schon bald mit ihren Stücken zurückkehren würden.