Mittwoch, 12:18 Uhr

Die Rezeptionistin von gestern und ihr Kollege standen in Habachtstellung hinter dem Empfangstresen. Beide zuckten merklich zusammen, als Ben sich näherte. »Mr Martin«, sagte der Mann, »wie können wir Ihnen heute Morgen behilflich sein?«

»Ich suche nach Eric Langeskov.« Einmal davongeeilt und Ben in der Halle im Stich gelassen, war der vermaledeite Kerl noch immer nicht zurückgekehrt. Ben hasste es, auf Leute warten zu müssen, selbst wenn es einen Schnaps oder auch zwei und einen freundlichen Plausch mit sich brachte.

»Mr Langeskov ist heute Morgen durch eine sehr wichtige Angelegenheit verhindert.«

»Das weiß ich sehr wohl, und deshalb muss ich ihn ja sehen. Ich bin ihm damit behilflich. Eben war ich noch bei ihm, bevor er irgendwohin verschwand.«

»Einen Augenblick, bitte«, sagte die Rezeptionistin. Sie wandte sich ab und griff nach dem Telefon.

Leider war Ben diesen Ablauf langsam gewohnt.

»Tut mir leid mit dem Wetter«, fügte ihr Kollege hinzu. »Es ist höchst ungewöhnlich.«

»Es ist nicht das einzige Ungewöhnliche, was sich vor Ort ereignet hat«, sagte Ben.

Der Mann lächelte einfältig.

»Arbeiten Sie gerne hier?«, fragte Ben ihn, während er auf Neues über Eric Langeskovs Verbleib wartete.

»Es ist ein sehr besonderes Hotel in schönster Lage. Wir haben viele wunderbare Gäste.«

Ben war unschlüssig, ob er etwas anderes nahelegen sollte, als dass alle Gäste wunderbar seien. »Und die Belegschaft, sind da auch alle wunderbar?«

»O ja, ganz wunderbar.« Wieder lächelte er einfältig.

Auch hier war Ben unschlüssig, ob das gut in seinen Ohren klang. »Macht es Ihnen was aus, wenn ich Sie nach Ihrem Namen frage? Ich weiß immer gern, mit wem ich in Hotels spreche, besonders am Empfang, und keiner von Ihnen trägt ein Namensschild.«

»Ist hier so geregelt, fürchte ich«, sagte der Mann. »Ich heiße Daniel Farke. Ich habe nichts zu verbergen.«

Behauptete jemand, nichts zu verbergen zu haben, traf unweigerlich das Gegenteil zu. »Wo stammen Sie her, Daniel?«

»München.«

»Wo haben Sie zuvor gearbeitet?«

»Ich war in London. Im InterContinental, Park Lane.«

»Das ist ein großes Hotel.«

»Ja, es war eine gute Lehrzeit. Dort trugen wir alle Namensschilder, sogar der Generaldirektor.« Darüber lächelte er breit. »Es war eine Hilfe, denn bei so vielen Angestellten konnte man sich nie jeden Namen merken. Aber dieses Hotel ist um vieles freundlicher und vertraulicher. Ich bin auch nicht so scharf auf Großstädte.«

»Sie sind gern im Freien?«

»Ich wandere, klettere und gehe liebend gern, wenn die Zeit reicht, auf Skitouren.«

»Und Abfahrt?«

»Das ist weniger meins. Ich steige gern den Berg hoch und lausche dem Frieden.«

Schon beim Gedanken daran kam sich Ben geschafft vor.

»Mr Langeskov sagt, er werde Sie kontaktieren, sobald er frei ist.« Die Rezeptionistin war vom Telefon zurück.

»Wie kann er mich kontaktieren? Mir fehlt mein Handy – ganz vergessen? Außer, es ist aufgetaucht. Ist es?«

»Ah ja, ich erinnere mich, natürlich. Nur fürchte ich, dass es immer noch spurlos verschwunden ist. Bedaure. Mr Langeskov kann Sie in Ihrem Zimmer erreichen. Es sei denn, Sie möchten in einer der Sitzgruppen warten oder in der Bar?«

Ben war brütend heiß, da er noch in seiner halben Skibekleidung steckte, die er angezogen hatte, um sich vor dem Schneesturm zu wappnen. »Ich war gerade in der Bar – und habe bereits gewartet. Ich werde auf meinem Zimmer sein«, sagte er in dem Bewusstsein, dass er bequemere Sachen anlegen musste. Und dass er umgehend Verbindung mit Hideaway aufnehmen und seinen Nachrichteneingang prüfen musste.

»Augenblick noch, bitte«, rief sie ihn zurück. »Ich sehe gerade, dass heute Ihre Abreise vorgesehen ist.«

»Ja. Nur hatte ich den Eindruck, dass die Straße wegen des Schneesturms gesperrt ist und gegenwärtig für keinen ein Weg hier heraus führt. Eric Langeskov stellte in Aussicht, dass trotzdem alle untergebracht werden.«

»Ich glaube, einige Gäste haben einen Schneepflug gemietet. Normale Fahrzeuge kommen allerdings nicht durch, das ist wahr, und der Shuttledienst mit dem Hubschrauber ist vorläufig eingestellt.«

»Dann sieht es so aus, als würde ich bleiben, zumindest bis sich das Wetter bessert.«

Sie musterte ein paar Atemzüge lang einen Bildschirm auf dem Tresen, ehe sie den Kopf hob. »Sie haben Glück. Wir hatten ein paar Stornierungen.«

»Das ist mal eine Überraschung, und welches Glück«, sagte Ben.

»Ihr Zimmer können Sie auch behalten.« Sie lächelte und senkte wieder den Blick. »Sie sind ein Hideaway-Vorzugsgast, wie ich sehe. Damit steht Ihnen ein zehnprozentiger Rabatt je zusätzliche Nacht zu, falls erforderlich.«

»Und wenn ich mir das nicht leisten könnte?«, fragte Ben. »Würde ich rausgeschmissen werden in den Schneesturm, um da zu erfrieren?«

»Nein, Sir, ganz gewiss nicht.«

»Einen Schlafplatz würden wir immer für Sie finden«, warf Daniel Farke ein. »Gelegentlich stecken Bergsteiger und Skitourenfahrer am Pass fest oder sogar oben am Gipfelrestaurant. Wir geben allen so gut Obdach, wie wir nur können.«

»Kann recht gemütlich werden«, fügte die Frau hinzu.

Ben schmunzelte. Flirtete sie etwa mit ihm? »Tut mir leid, ich kenne den Namen Ihres Kollegen – Daniel Farke –, aber Ihren nicht trotz all der Gespräche, die wir schon hatten. Ich verbinde immer gern einen Namen mit einem freundlichen Gesicht.«

»Ich bin Isabella Ferrari.«

»Freut mich sehr, Isabella. Sollten Sie zufällig Italienerin sein?« Flirtete er da zurück? Sie hatte schon ein einnehmendes Lächeln und auch wunderschöne dunkelbraune Augen.

»Sollten Sie zufällig Engländer sein?«

Er lachte. »Gut geraten. Wobei ich derzeit in Deutschland wohne.«

»Gefällt Ihnen Deutschland?«, brachte sich Daniel flott wieder ein.

»Ich liebe Deutschland. Aber ich habe Familie in London.«

»Sie muss Ihnen fehlen«, sagte Isabella.

»Furchtbar.« Ben dachte nicht nur an Natalie, sondern auch an Alex – seit Kurzem eine alleinstehende Alex, sollte es wirklich Ernst damit sein. In Gedanken ging er rasch eine Liste von Leuten durch, die er sehr vermisste. Da waren Kiara Williams in New York, Helen Jones nun wieder in Sydney, Olly Andrews in London, und Emily Muller in Frankfurt natürlich (nicht dass sie sich dort je mit ihm außerdienstlich getroffen hätte). Sie schlug allerdings gern in diesem oder jenem Hotel auf, das er zufällig gerade begutachtete.

»Und Ihre Familie, fehlt sie Ihnen bei der Arbeit hier?«, fragte er Isabella.

»Ich komme aus keiner großen Familie. Jetzt gibt es nur noch mich und meine Kollegen.«

»Sie arbeiten eng zusammen?« Ben erhaschte Daniel Farkes Blick, als er das sagte. Der junge Mann schaute hektisch weg.

»Ja, sehr«, entgegnete Isabella. »Wir sind immer füreinander da. Das muss man an einem so abgelegenen Ort wie diesem.«

Ben verabschiedete sich und kehrte auf sein Zimmer zurück, war sogar noch beunruhigter und verstörter. Kaum dachte er, mit der Belegschaft voranzukommen, wurde er weiter ins Abseits geführt. Sehr enge Zusammenarbeit? Jeder klatschte gern – Hotelangestellte mehr als die meisten anderen, selbst in diskreten Hideaway-Häusern, wie er bereits hatte feststellen müssen. Was wussten sie wirklich?

Hatten sie sich heimlich abgesprochen? Falls ja, warum?