Mittwoch, 16:02 Uhr

Die Tasche enthielt einen ganzen Wust an Kleidungsstü- cken, allesamt hastig eingepackt, darunter sehr augenfällig einige Teile hauchfeine Damenunterwäsche. Es duftete noch stärker nach dem rauchigen Parfüm. Als er tiefer grub, förderte Ben eine kleine, aber gewichtige Kulturtasche zutage, die gleichfalls sehr feminin wirkte, und von ganz unten zwei anspruchsvoll aussehende gebundene Bücher – französische Autoren und Titel, die Ben nichts sagten. Hinzu kamen ein Knäuel aus Kabeln, Ladegeräten und Steckern und in einem Seitenfach verstaut ein Laptop.

»Reiste er auch bestimmt allein?«, fragte Ben und stöberte weiter in dem Fach. Wer trug so aufwendig gearbeitete Wäsche? Tatsächlich war ihm nur eine einzige Frau begegnet, die solche Sachen trug und das scheinbar ganz unbefangen, nämlich seine Chefin Emily Muller. Ben erwog, ob die Lingerie wirklich Liam Roth gehört haben konnte, wie Eric unterstellt hatte. Er schüttelte den Kopf. Nun fühlte er sich noch verwirrter und verunsicherter.

»Er ist allein hier abgestiegen, ja, meines Wissens schon«, sagte Eric.

Es fand sich noch ein kleines Notizbuch in dem Seitenfach. Ben blätterte es auf, sah seitenweise in winziger Handschrift hingekritzelte Vermerke. Das meiste war auf Deutsch, doch Ben fielen auch einige französische, italienische und englische Wörter und Namen ins Auge. Er ließ das Notizbuch in seiner Tasche verschwinden, ohne dass Eric es mitbekam. »Ich denke, wir sollten die da wieder an ihren alten Platz stellen, so gut es geht, und uns von hier verdrücken«, sagte Ben und zog den Reißverschluss der Tasche zu. Wie emsig oder sorgfältig die Polizei vorgehen würde, wusste niemand. Wahrscheinlich hing das von der jeweiligen Behörde ab und ihrem Ermittlungsansatz natürlich. Allemal viel Glück dabei.

»Okay«, sagte Eric und schüttelte den Kopf. »Viel hilft uns das hier aber nicht.« Er schlug die Heckklappe zu und verschloss den Volvo mit dem Funkschlüssel.

»In einer Hinsicht doch. Offenbar hat Liam Roth in großer Hast gepackt und womöglich den Schlüpfer von jemand anderem gleich mit. Sein Laptop war da, und so was lässt man nicht aus Versehen zurück.«

»Vorausgesetzt, es ist sein Laptop.«

»Auf einmal stellen Sie alles infrage«, sagte Ben überrascht von Erics neuem Ansatz.

»Kann sein, dass ich Sachen hinterfrage«, konterte Eric, »dafür verrenne ich mich nicht und denke mir irgendwas aus.«

»Wirklich?«, gab Ben zurück. »Liam Roth hat es nie geschafft, ins Hotel zurückzukehren und mit seinem Auto wegzufahren.« Ben hielt inne, starrte lange und fest in die trüben Tiefen des Parkdecks, bemerkte die Neonpfeile zum Ausgang. »Ich würde gern sehen, wohin genau die Ausfahrt aus diesem Parkhaus führt. Außerdem brauche ich frische Luft.«

»Ist Ihnen noch nicht kalt genug hier drin?«

»Mein Kopf ist wie benebelt«, sagte Ben, als sie langsam auf den Hauptausgang zugingen. »Mir kam der Gedanke, dass dieser Journalist das Ausbaukonsortium durchleuchtet hat und dabei auf Dinge gestoßen ist, die andere verborgen halten wollten.«

»Eine verbreitete Annahme, wenn ein großes Geschäft und viel Geld auf dem Spiel stehen.« Eric hörte sich plötzlich ziemlich eingebildet an. »Denn da ist was Wahres dran.«

»Ach ja?«, seufzte Ben, den heftiges Hungerzwicken plagte. »Aber vielleicht habe ich zu viel hineingelesen. Und mit John Brenans Tod wurde das Bild noch verwirrender. Die beiden Todesfälle müssen zusammenhängen, hatte ich mir gedacht, vielmehr befürchtet.«

»Vielleicht sehen Sie zu genau hin. Vielleicht sind die einfachen Erklärungen die besten. Stehen Sie auf Verschwörungstheorien?«, fragte Eric.

»John Brenan mal für den Augenblick außen vor, habe ich in einer Gondel eine Leiche entdeckt, sehr wahrscheinlich Liam Roth. Und doch scheint niemand sonst sie gesehen zu haben, und jetzt ist sie verschwunden. Das ist befremdlich, bislang reichlich unerklärlich. Aber es ist auch die Wahrheit.«

»Sagen Sie.«

»Und nein, ich gebe gar nichts auf Verschwörungstheorien.«

»Wo ist er denn nun hin, dieser Liam Roth?« Eric drückte auf einen großen Knopf rechts neben einem breiten Rollladen aus Metall.

»Wo ist seine Leiche jetzt? Sie könnte irgendwo sein mitten im Nirgendwo. Es würde nicht allzu schwer fallen, eine Leiche in diesem Winkel der Erde zu entsorgen, gerade bei so viel Neuschnee. Irgendwelche Spuren wären im Nu zugedeckt.«

»Da Sie jetzt Ihr Telefon wiederhaben, möchte ich endlich mal Beweise sehen«, sagte Eric.

»Ja, natürlich«, rief Ben, als sich der Rollladen zu heben begann und unter dem Metall hinweg Wind und feiner Schnee mit großer Gewalt in die Tiefgarage gepeitscht wurden. »Die würde ich Ihnen nur zu gern zeigen. Aber der Akku ist leer.«

Während immer mehr Rolltor nach oben verschwand und immer mehr von draußen nach drinnen blies, wurde sich Ben unsicher, ob er die unmittelbare Umgebung der Ausfahrt wirklich sehen musste. Nur dass er ganz in der Nähe einen lauten Motor hören und eine Bewegung erahnen konnte. Er kämpfte um jeden Schritt vorwärts. »Übrigens«, rief er über die Schulter Eric zu, der nur seinen Anzug trug und verständlicherweise jeden weiteren Vorstoß zu scheuen schien, »haben Sie noch das Telefon, das Sie im Auto gefunden haben?«

Eric befühlte seine Jackentaschen. »Das ganz wie Ihres aussieht? Ja, ich hab’s tatsächlich noch. Wie töricht von mir. Ich hätte es im Auto lassen sollen, wo ich es fand. Aber haben nicht auch Sie etwas von Mr Roth, aus dem Auto? Sein Notizbuch?«

Ben äffte Eric nach, befühlte seine Taschen, tat überrascht. »Allerdings.« Er ließ das Theater sein. »Das haben Sie mich nehmen sehen?« Hatte Eric etwa im Sinn gehabt, Ben weiter zu belasten, indem er vorgab, Bens Telefon im Volvo gefunden zu haben, doch dann seinen Plan vom Umstand durchkreuzt gesehen, dass Petra Bauer als Erste zu Ben gelangen sollte und dazu mit seinem richtigen Handy?

»Ich bin der stellvertretende Generaldirektor, mir entgeht nichts.« Eric schlang beide Arme um sich, um sich notdürftig vor dem Wetter zu wappnen.

Ben sog sich die Lunge bis zum Anschlag mit eisiger Bergluft voll. Es tat gut zu leben, hungrig nach vielen weiteren Jahren zu sein. Hungrig zu sein nach Frühstück, Mittagessen und Fünf-Uhr-Tee auf einmal. So wie sich der Tag anließ, wäre es bald Zeit für einen ersten Aperitif. Entschlossen trat er weiter hinaus und bemerkte die Überwachungskameras, eine gleich innen am Eingang und eine außen. »Gibt es Überwachungskameras an der Liftstation?«, rief er zurück.

Eric schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher, da wir die Seilbahnen nicht selber betreiben. Es gibt aber Webcams am Zwischenhalt und auf dem Gipfel. Die sind sehr beliebt über die App.«

Das ungewöhnliche, grollende Motorgeräusch wurde wieder lauter. Nicht lange, und Ben konnte die Quelle des Lärms im weißen Brausen auftauchen sehen. Eine gewaltige Pistenraupe kam des Wegs, hielt auf die Tiefgarageneinfahrt zu und blieb nur Meter von Ben entfernt stehen. »He«, Ben winkte dem Fahrer zu. »He!« Doch der Fahrer konnte ihn mit Sicherheit nicht hören und schien ihn auch nicht wahrzunehmen.

Das Fahrzeug beschrieb nun einen lang gezogenen Bogen, bei dem es seine Geräte zur Schneebearbeitung anhob und kehrtmachte. So etwas hatte Ben noch nie gesehen – eine Pistenraupe, die auf knappem Raum in drei Zügen wendete. Das Ganze lief in Eile und mit vollendeter Könnerschaft ab. Der Schnee lag jedoch so hoch, dass Ben Fahrweg und umgebendes Erdreich nicht auseinanderhalten konnte. Jegliches Anzeichen für einen Zaun oder eine Begrenzung, Zierbüsche oder Geländemarken waren ganz und gar im Weiß versunken.

Beim letzten Rangiermanöver und vielleicht, weil die entgegengesetzte Seite des Führerhauses in den Sturm gedreht wurde, bekam Ben klare Sicht auf den Fahrer und dessen ungemein roten Hipstervollbart. Es war ein junger Mann mit kräftigen Zügen und tiefliegenden Augen, so viel konnte Ben sehen. Wieder winkte Ben und zog den Blick des Fahrers auf sich. Diesmal drehte sich der Mann absichtlich weg, jagte den riesigen Motor auf Hochtouren und ließ sein Ungetüm einen mächtigeren Satz nach vorn machen, als Ben bei so einem Ding für möglich gehalten hätte. Es rülpste eine fette Wolke aus Dieselabgasen aus, die einen Atemzug lang dem Schneesturm mehr als ebenbürtig war.

Hustend zog sich Ben in den Schutz der Garageneinfahrt zurück, wo Eric noch immer bibbernd wartete. »Haben Sie keine von diesen silbergrauen Skijacken?«, fragte Ben.

»Die sind für die Leute, die an den Skiliften und Pisten arbeiten. Ist beides Mal dieselbe Firma. Aber ihre Uniformen hat das Hotel G extra anfertigen lassen. Sind schick, nicht wahr?«

»Das war doch Bernard, oder, der den Pistenbully gefahren hat?« Ben musste immer noch laut rufen.

»Bernard? Ach ja? Der ist ’ne Nummer für sich.«

»Schon gehört.«

»Mr Martin, hätten Sie was dagegen, wenn wir drinnen Unterschlupf nehmen? Es ist wirklich sehr kalt.«

»Klar.« Ben war nicht viel klüger geworden, wohin der Parkhausausgang führte und was das für Liam Roths zuletzt durchgeführte Aktionen bedeutete. »Ich vermute, dass Liam Roth zu Fuß die Garage verlassen haben könnte, statt vom Skiraum aus nach draußen zu gehen. Er könnte runter zum Auto gegangen sein und die Tasche verstaut haben, um dann hier entlang weiterzulaufen.«

»In Skistiefeln?«

»Wenn er zu entkommen oder jemandem auszuweichen versuchte, vielleicht.« Ben kam der Gedanke, Eric wollte einfach nicht zugeben, dass Liam Roth das Hotel eilig und zu Fuß Richtung Skilift verlassen hatte. Er wollte nicht zugeben, dass Liam Roth in eine Gondel gestiegen und gestorben sein könnte. Gut möglich, weil er etwas über den Verbleib der Leiche wusste.

Sie gingen durch die Tiefgarage zurück, während hinter ihnen das Rolltor heruntergefahren wurde und nach und nach einen Gutteil des Lichts verdeckte. »Nicht besonders gut beleuchtet hier drin, oder?«

»Der Schnee kann einen blenden, selbst bei einem nächtlichen Sturm.«

»Vielleicht war er einfach nur desorientiert.« Ben warf einen weiteren Blick in die Runde auf der Suche nach einem Range Rover mit schwarz getönten Scheiben und Schweizer Kennzeichen, während sie sich dem Treppenhaus näherten. Es waren jetzt weniger große SUVs abgestellt als bei seinem letzten Besuch hier unten am Morgen zuvor. Offenbar war eine beträchtliche Zahl von Gästen abgereist, noch bevor der Sturm losgebrochen war.

»Man kann in diesem Hotel die Orientierung verlieren«, sagte Eric. »Selbst ich. Es gibt so viele Flure und Flügel und eine ganze Reihe Ein- und Ausgänge.«

»Muss schwierig sein, alles gut abzusichern.«

»Das ist Aufgabe der Sicherheitsleute.«

»Wenn sie alle da sind«, sagte Ben. »Unterbesetzung könnte ich mir als Problem vorstellen, insbesondere, wenn das Hotel voll belegt ist.«

»Ja, es ist ein kleiner Stab. Sehr klein. Eigentlich nur ein Leiter.«

»Der tot ist«, murmelte Ben.

»Da das Hotel so abgelegen ist, ist fast jeder hier entweder Gast oder Mitarbeiter.« Eric stieß die Tür auf, mit Ben auf seinen Fersen. Auf einmal befanden sie sich in einer erheblich wirtlicheren und stilleren Umgebung.

»Erzählen Sie mir von Bernard. Meines Wissens kam er gestern spätnachts aus der Kälte getrabt und verlangte nach einem Drink.«

»Er ist Angestellter der Liftfirma. Und ja, er trinkt zu viel, das ist wahr.«

»Letzte Nacht? Wer hat ihn überhaupt ins Hotel gelassen?«

»Es herrschte Schneesturm, und wenn das Wetter richtig schlecht wird, haben die Fahrer manchmal keine andere Wahl, als hier Zuflucht zu suchen. Gewöhnlich arbeiten sie die ganze Nacht, fahren die Skipisten rauf und runter. Wenn sie nicht mehr sicher weiterarbeiten können, müssen sie hier unterkommen. Bernard ist der geschickteste Fahrer, den wir haben, und unter anderem damit betraut, bei solcher Witterung die Zufahrt zum Hotel freizuhalten, wie Sie gerade mitansehen durften. Er steht mit der Hotelbelegschaft auf gutem Fuß.«

Sie erreichten den verwaisten Erdgeschossflur. Eric blieb stehen und drehte sich zu Ben um.

»Selbst wenn er betrunken ist?«, fragte Ben.

»Ich muss zurück in mein Büro. Es gibt viel zu tun.« Nervös schaute er auf seine Armbanduhr.

»Anscheinend gab es Streit in der Halle. Die Bar hat zugemacht, aber er wollte trotzdem was zu trinken.«

»Vielleicht wollte er mehr als nur ein Glas …«

»Wie meinen Sie das?«

»Er hat eine Beziehung mit einem Belegschaftsmitglied gehabt.«

»Woher wissen Sie das?«

»Wie gesagt, gehört es zu meinem Job, alles im Blick zu behalten. Wie bei Ihnen. Wir müssen beide aufmerksam sein.« Ben nickte, war abermals von Eric überrascht.

»Aber wir müssen uns daran halten, was wir sehen, was wir sicher wissen, und uns nicht zu irgendwas versteigen.«

Wäre das Leben doch so einfach. »Ich habe Zweifel, ob der menschliche Verstand ganz so funktioniert«, sagte Ben. »Wer ist es denn? Mit wem hat er eine Beziehung? Ich weiß es eigentlich selber, glaube ich – Petra Bauer, die in der Library Bar bedient?«

»Die beiden sind seit mehr als einer Saison ein Paar.«

»Oder waren«, sagte Ben. »Ich frage mich, ob sie immer noch ein Verhältnis miteinander haben.«

»Ich glaube, die beiden haben das, was eine Achterbahnbeziehung genannt wird. Sehr stürmisch, wie dieses Wetter. Aber warum sagen Sie das?«

»Um der Frau wegen, die mich auf diesen Krach hinwies und darauf, dass er um die Zeit stattfand, als John Brenan die Library Bar verließ. Ich will ganz offen mit Ihnen sein, Eric. Ich sage Ihnen alles, was ich weiß, zum Schutz und zur Sicherheit Ihrer Gäste.«

»Petra hat Ihnen das verraten?«

Ben nickte.

»Ich weiß, dass sie vorhin vor Ihrem Zimmer stand und Ihnen Ihr Telefon gebracht hat. Sie hat ihren eigenen Stil. Ziemlich unverwechselbar. Sind Sie beide am Mauscheln?«

»Schwerlich, warum sollte ich Ihnen das sonst erzählen? Außerdem brachte sie mir mein iPhone. Ich glaube nicht, dass sie ihn regelrecht reinlegen wollte.« Ben versuchte, sich zu erinnern, was genau sie über Bernards Verlangen nach Alkohol vergangene Nacht gesagt hatte. Vielleicht suchte sie ihn gar zu schützen, indem sie Ben darauf aufmerksam machte, dass jener unübersehbar zugegen, betrunken und handlungsunfähig war.

»Wenn sie wütend auf ihn gewesen ist, könnte sie alles Mögliche gesagt haben.«

»Ja, das habe ich mir auch schon gedacht.« Ben wusste, dass die Wege der Liebe unergründlich waren. »Aber wir müssen uns daran halten, was wir sehen, was wir sicher wissen, und uns nicht zu irgendwas versteigen.« Ben lächelte Eric an, hatte seinen Spaß, den Spieß umzudrehen. »Mit Sicherheit weiß ich, dass wir John Brenans Leiche ohne teure Patek Philippe am Arm aus dem Pool gefischt haben, die mir an ihm aufgefallen war, als er mir zuvor am Tag in der Bar über den Weg lief.«

»Ihnen gefällt die Bar, nicht wahr?«

Darauf wollte Ben nicht eingehen. »Sicher kann ich nicht sein, ob er die Uhr am Abend trug. Wobei ich mir kaum vorstellen kann, dass er es nicht getan hätte.«

»Wir dürfen keine Vermutungen anstellen, oder? Tatsachen, Mr Martin, die brauchen wir.«

»Ein Motiv für John Brenans Tod könnte Raub sein, ein Überfall, der furchtbar aus dem Ruder lief.«

»Von Bernard verübt?«, zweifelte Eric. »Der Mann hat nur Berge im Kopf, die Umwelt. Kann mir nicht ausmalen, wie er Gäste zu bestehlen versucht.«

»Aber er ist zu wenig Ideologe, um keine riesigen dieselgetriebenen Pistenraupen den Berg rauf und runterzufahren. Er muss ja seinen Lebensunterhalt verdienen wie wir alle.«

»Manche Leute werden mit Geld geboren, andere haben genug angesammelt, um nie wieder arbeiten zu müssen«, sagte Eric. »Während manche einfach immer mehr haben wollen.«

Für Ben klang er mehr als verbittert.

»Sie und ich arbeiten in einer Branche, an einem Ende davon, wo Geld unterschiedliche Bedeutungen annimmt. Ich muss in mein Büro zurück.«

»Um damit voranzukommen, John Brenans Freunde und Familie zu benachrichtigen?«

»Ja, natürlich, und bei anderen dringenden Angelegenheiten, während Sie Ihr Telefon aufladen müssen, um mir zu beweisen, dass Sie tatsächlich Liam Roth gestern Morgen in einer Gondel angetroffen haben, und zwar tot.«

»Das dürfte nicht lange dauern. Unterdessen wollen Sie vielleicht auch nachsehen, was Sie auf Ihren Überwachungsvideos haben, wenn ich schon selber keinen Blick darauf werfen darf. Ich hätte größtes Interesse an allen Hotelausgängen vor neun Uhr gestern Morgen. Ebenso müssen wir nachsehen, was Sie von letzter Nacht gegen zwei haben. Bei allen Kameras, die den Weg zum Pool einfangen könnten, drinnen wie draußen. Und den Haupteingang zum Hotel. Was könnten sie bei Bernards Ankunft und Aufbruch erfasst haben? Ist er letzte Nacht überhaupt wieder los oder einfach irgendwo in einer stillen Ecke eingenickt, wie es öfter mal vorgekommen ist, soweit ich weiß.«

»Ja, ja«, sagte Eric. »Ich kümmere mich um die Videoüberwachung, sobald ich kann.«

»Vielleicht werde ich keinen üblichen Bericht für Hideaway schreiben – angesichts all der Vorfälle –, aber eine umfassende und gründliche Betrachtung wird es dennoch werden. Ihnen zuliebe hoffe ich, dass die Security des G ist, was sie sein sollte, denn aus meinem Blickwinkel und allem Vernehmen nach scheint sie einige sehr erhebliche Mängel aufzuweisen.«

Erics Gesicht schien rot anzulaufen vor Mühe, Ben nicht anzuschreien. »Da ist der Trakt mit Unterkünften für Angestellte, wo Petra Bauer und viele der anderen wohnen. Kann sein, dass Bernard dort untergekommen ist.«

»Wird das von Kameras abgedeckt?«

»Schauen Sie, Mr Martin, wir sind beide in einer schwierigen Lage, die uns daran hindert, normal zu arbeiten. Unter solchen Umständen können wir nur unser Bestes zu leisten versuchen.«

»Ich habe Ihnen gesagt, was ich gern wissen würde«, entgegnete Ben. »Bitte geben Sie mir diese Auskünfte. Sonst werde ich in Ihr Büro marschieren und Sie dazu bringen, mir alles zu zeigen.«

Eric nickte.

»Etwas anderes. Sie haben das Telefon eingesteckt, das Sie in Liam Roths Wagen fanden. Richtig? Warum denke ich, dass Sie so tun wollten, als wären Sie plötzlich im Auto darauf gestoßen, um mich damit reinzulegen, und es nun irgendwie loswerden müssen?«

»Das ist schlicht nicht der Fall, mein Wort darauf. Es muss ein Zufall sein. Sowieso haben Sie Ihr iPhone zurückerhalten, bevor ich das andere entdeckt habe. Es war im Auto. Wie Sie selbst sahen.«

Hatte er das wirklich?, fragte sich Ben. »Sie waren nicht drauf gefasst, dass Petra Bauer es mir bringt. Das hat Sie überrascht, oder nicht?«

»Liam Roth scheint dasselbe Modell zu haben«, sagte Eric. »Und viele andere tun das.«

»Aber warum war es in seinem Auto? Warum sollte er es dringelassen haben?«

»Warum war seine Tasche in seinem Auto? Wir wissen nicht, was ihm zugestoßen ist.«

»Etwas sagt mir, dass Sie eine Ahnung haben könnten.«

Eric wandte sich kopfschüttelnd um und wollte sich schleunigst entfernen.

»Ehe Sie gehen, können Sie mir das Handy geben, das Sie im Auto gefunden haben wollen?«, bat Ben. »Da es das Gleiche ist wie meines, werde ich es in meinem Zimmer aufladen können. Nebenbei dürften Sie kaum mit dem Telefon eines Geschädigten angetroffen werden und einräumen wollen, dass sie sein Auto als auch seine Habseligkeiten ohne Genehmigung der zuständigen Behörde durchsucht haben. Bestimmt verstößt das auch gegen die Vorschriften Ihres Hotels.«

»Na gut.« Eric händigte es ihm aus. »Aber wie wollen Sie es freischalten?«

»Werde ich nicht können«, sagte Ben. »Muss ich gar nicht. Trotzdem können Nachrichten eingehen. Vielleicht wird ihn jemand gar per Anruf zu erreichen versuchen.«

»Ah, leuchtet ein. Aber was haben Sie mit seinem Notizbuch vor?«

»Nachsehen, ob sich auch daraus irgendwas ergibt.«

»Haben Sie keine Vorschriften, keinen Verhaltenskodex als Hotelinspektor zu befolgen?«

»Doch, haben wir natürlich.« Im selben Augenblick wurde Ben gewahr, dass ihnen Leute entgegenkamen und sie nicht mehr allein im Korridor waren. Sie traten beiseite, als die Gruppe sich näherte. Sie waren zu viert oder fünft und so gut gegen den Schneesturm draußen eingemummelt, dass sich ihre Gesichter kaum ausmachen ließen. Ben und Eric nickten beide den vorbeiwuselnden Leuten zu und formten mit den Lippen ein Hallo. »Aber ich bin gut mit der Chefin befreundet. Für mich macht sie immer wieder Ausnahmen.«