»Die Bewegung der Himmelskörper vermag ich zu berechnen, nicht aber die Verrücktheit der Menschen.«
Isaac Newton
»Geld lässt sich beliebig vermehren – so lange gar, bis ein jeder Millionär ist. Nur hört es dann auf, Geld zu sein.«
Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank
Mitte Dezember 2012 führen sich die Investoren an der Wall Street auf wie verwöhnte Kinder. Sie schmollen. Die US-Notenbank Federal Reserve hat ihnen in den vergangenen Jahren jeden erdenklichen Wunsch erfüllt. Nun reagieren die Spekulanten enttäuscht, obwohl der Offenmarktausschuss – das oberste Entscheidungsgremium der Fed – einen Entschluss verkündet, der die Spieler eigentlich hätte jubeln lassen müssen.
Jeden Monat, erklärt der Fed-Vorsitzende Ben Bernanke, wird die Notenbank 85 Milliarden Dollar ins Finanzsystem pumpen. Das zu diesem Zeitpunkt bereits laufende Wertpapierkauf-Programm sah lediglich vor, monatlich hypothekenbesicherte Papiere für 40 Milliarden Dollar zu erwerben. Den Finanzinstituten sollen nun zusätzlich US-Staatsanleihen für 45 Milliarden Dollar abgekauft werden.
Die Botschaft: Die Banken können sich darauf verlassen, dass der Strom des billigen Notenbankgeldes nicht versiegt. Der Entschluss der Fed ist von großer Tragweite, ein echter »Hammer«, wie es in der Journalistensprache heißt, und sehr positiv für die Wall Street. Nur fällt das Geschenk vom Volumen her womöglich ein wenig kleiner aus, als sich das die Investoren erträumt haben. Sie haben mehr erwartet. Deshalb schmollen sie – und lassen die Börsenkurse fallen.
Im Angesicht der wackligen Börse beeilen sich Bernankes Beamte zu ergänzen, das Anleihenkauf-Programm sei unbefristet. Außerdem werde der Leitzins so lange nahe null bleiben, wie die Arbeitslosigkeit in den USA nicht unter 6,5 Prozent gesunken ist. Zu diesem Zeitpunkt liegt sie bei rund 8 Prozent. Eine andere Sachlage sei allenfalls gegeben, sollte die Inflationserwartung über 2,5 Prozent schnellen. Das ist fast wie ein Blankoscheck. Die Politik des lockeren Geldes bleibt oberstes Gesetz.
Wenige Tage nach Bernankes Rede wird in Japan, der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt, Shinzo Abe zum neuen Premierminister gewählt. Im Wahlkampf hat der nationalkonservative Politiker versprochen, die Bank von Japan zu einem Inflationsziel zu verpflichten. Bald wird sich die japanische Notenbank beugen und gehorsam erklären, sie werde so lange Geld ins Finanzsystem injizieren, bis die Teuerung auf 2 Prozent gestiegen ist.
Seit Jahren schwankt der Anstieg der Verbraucherpreise in Japan um die Nulllinie. Mit anderen Worten: Von der Zentralbank wird erwartet, dass Geld deutlich stärker entwertet als bisher. Der Schwenk bleibt nicht ohne Folgen. An den Devisenmärkten sackt der Kurs des Yen ab. Japan tritt eine neue Phase im Weltkrieg der Währungen los. Der im Frühjahr 2013 ernannte Notenbank-Chef Haruhiko Kuroda wird die Parole ausgeben: »Alles tun, was notwendig ist!«, um die japanische Wirtschaft auf Vordermann zu bringen.
Europa steht nicht außen vor: Im September 2012 hat EZB-Präsident Mario Draghi erklärt, die Notenbank werde zur Not »unbegrenzt« Staatsanleihen kaufen, damit die Schuldenkrise in der Alten Welt eingedämmt werden kann. Regierungsfinanzierung über die Notenpresse ist der Europäischen Zentralbank per Statut untersagt. Draghi argumentiert jedoch, die Krise bedrohe die Finanzstabilität der Währungsunion – und das sei der ureigene Aufgabenbereich der EZB.
Die Haltung ist eine deutliche Abkehr von der Hartwährungs-Linie in der Tradition der deutschen Geldpolitik. Es ist in mehr als einer Hinsicht der »Tod der Bundesbank«.
Auf drei Kontinenten haben sich die Geldpolitiker der Entwertung des Geldes verschrieben. Es ist der Anfang eines großen Spiels. Und das Ende eines Systems.
Einst wurden Notenbanker von der Öffentlichkeit als »Währungshüter« verehrt. Doch nun führen sie einen neuen Kampf. Ihre neue Aufgabe besteht darin, die Schwungräder der Wirtschaft am Laufen zu halten. Und vor allem: den Staat fortwährend mit frischem Geld zu versorgen. Die Banken sollen in die Lage versetzt werden, wieder freigebig Kredite zu vergeben: an Unternehmen, an Privathaushalte, nicht zuletzt an die Regierung. Die Billiggeldpolitik ist eine Folge des politisch-finanziellen Komplexes, der Staaten und Banken zu einem immer dichteren Interessengeflecht verwoben hat.
Durch die groß angelegten Anleihenkäufe »am Markt« steigen die Kurse: Im Umkehrzug sinkt das allgemeine Zinsniveau. Niedrigere Kosten für geliehenes Geld sollen Unternehmen und Verbraucher dazu animieren, wieder mehr auszugeben, um die stotternde Konjunktur anzuschieben. Nicht zuletzt aber haben diese Markt-Beeinflussungen durch die Notenbanken den für den Staat mehr als angenehmen Nebeneffekt, dass die relativen Kosten der Verschuldung sinken. Ende 2012 mussten die USA trotz immenser Schulden zum Beispiel nur 1,7 Prozent Zinsen für Schuldtitel mit zehnjähriger Laufzeit bieten. Eine Zeit lang waren die Sätze sogar auf 1,3 Prozent abgesackt. Noch nie musste Washington auf seine Geldaufnahme so niedrige Zinsen zahlen.
Deutschland, das mit zwei Billionen Euro in der Kreide steht und eine der am schnellsten alternden Bevölkerungen der Welt aufweist, konnte sich zwischendurch über Zinsen von knapp über einem Prozent bei langfristigen Ausleihungen freuen. Die kurzfristige Geldaufnahme am Kapitalmarkt kostete die Bundesrepublik zuletzt gar nichts mehr. Für die Regierungen ist der Songtitel »Money for Nothing« (Geld für nichts) Normalität geworden.
Doch niedrige Zinskosten sind überlebenswichtig. Denn die Verschuldung in den Industrienationen ist inzwischen so hoch, dass nur noch manipulierte, künstlich gedrückte Zinsen den Staat vor der Pleite bewahren können. Anders formuliert: Würden die Schulden die gleichen Kosten verursachen wie im Schnitt der zurückliegenden Jahrzehnte, wären alle Regierungen bankrott.
Das eklatanteste Beispiel ist Japan, die drittgrößte Ökonomie der Welt nach den USA und China. Am Ende von zwei verlorenen Jahrzehnten weist Tokio einen Schuldenstand von umgerechnet 14 Billionen Dollar auf. In Relation zur Wirtschaftsleistung sind das unfassbare 230 Prozent.4
Ein solches Niveau erreichten Staaten früher nur nach langen, verlustreichen Kriegen, die Finanzen und Wirtschaft aufs Äußerste strapazierten, wie zum Beispiel in der großen Abwehrschlacht gegen Napoleon oder im Ersten Weltkrieg.
Der Schuldenberg der USA, der Nummer eins der Weltwirtschaft, mutet mit 101 Prozent der Wirtschaftsleistung gerade noch kontrollierbar an. Es folgen bei den OECD-Ländern der größten Industrienationen Italien mit 125 Prozent sowie Großbritannien und Frankreich mit etwas über 90 Prozent.
Mit am kritischsten ist die Lage der Staatsfinanzen in Rom. Die Parlamentswahl vom Februar 2013 hat die politische Spaltung des Landes offenbart. Statt vieler Prozente für den von Brüssel unterstützen Wirtschaftstechnokraten Mario Monti brachte der Urnengang unklare Mehrheitsverhältnisse: Drei etwa gleich starke Blöcke werden in Senat und Abgeordnetenhaus vertreten sein, darunter eine von dem Komiker Beppe Grillo geführte Partei, deren Ausrichtung wohl am besten als anarchistisch zu beschreiben ist. Können sich die Politiker in Rom nicht einigen, droht das Land in eine Abwärtsspirale zu geraten. Die italienischen Privathaushalte sind zwar reich, aber schon jetzt muss der Staat einen Haushaltsüberschuss von vier Prozent erreichen, damit der Schuldenstand auch nur gleich bleibt. Angesichts der schwachen Wirtschaftsleistung, die seit Einführung des Euro unter dem Strich stagniert, ist das eine echte Herausforderung.
Land |
Wirtschaftskraft (BIP) in Mrd. $ |
Schuldenquote in % des BIP |
Schulden in Mrd. Dollar |
Island |
13,8 |
98,6 |
13,6 |
Luxemburg |
57,5 |
21,1 |
12,1 |
Slowakei |
92,1 |
52,1 |
48,0 |
Ungarn |
127,9 |
78,0 |
99,7 |
Neuseeland |
169,6 |
48,9 |
82,9 |
Tschechische Republik |
196,3 |
45,5 |
89,3 |
Irland |
208,6 |
117,0 |
244,1 |
Portugal |
212,5 |
120,5 |
255,9 |
Finnland |
249,3 |
53,3 |
132,9 |
Griechenland |
254,1 |
155,0 |
393,9 |
Dänemark |
313,6 |
46,3 |
145,2 |
Österreich |
395,5 |
74,8 |
295,8 |
Belgien |
490,3 |
99,6 |
488,4 |
Polen |
493,9 |
54,8 |
270,6 |
Norwegen |
501,1 |
29,7 |
148,9 |
Schweden |
524,8 |
37,4 |
196,3 |
Schweiz |
632,3 |
35,3 |
223,0 |
Niederlande |
784,9 |
72,0 |
565,5 |
Türkei |
799,0 |
37,4 |
298,8 |
Südkorea |
1144,3 |
35,2 |
402,6 |
Mexiko |
1176,1 |
38,4 |
451,4 |
Spanien |
1350,0 |
85,2 |
1150,4 |
Australien |
1540,7 |
29,8 |
458,9 |
Kanada |
1819,1 |
83,8 |
1524,2 |
Italien |
2020,7 |
125,2 |
2530,0 |
Vereinigtes Königreich |
2447,3 |
90,8 |
2222,6 |
Frankreich |
2609,7 |
90,1 |
2352,4 |
Deutschland |
3396,0 |
81,4 |
2764,8 |
Japan |
5971,5 |
233,5 |
13 945,9 |
USA |
15 681,5 |
100,8 |
15 810,3 |
Verschuldungs- und Wirtschaftszahlen der wichtigsten Industriestaaten, Quelle: Fitch Ratings, Stand: 2012, eigene Recherche
Politische Spaltung erschwert auch die Situation in den USA. Als Supermacht und Finanzzentrum der Welt haben die Vereinigten Staaten mehr Handlungsspielraum als andere, um ihrer Verbindlichkeiten Herr zu werden. Sie können zum Beispiel den Umstand ausreizen, dass der Dollar die globale Reservewährung ist und andere Länder daher in gewissem Maß gezwungen sind, in den hochliquiden Markt für US-Regierungsanleihen (Treasuries) zu investieren. Beunruhigend ist vor allem die Dynamik der Entwicklung. Seit Ausbruch der Finanzkrise wies Washingtons Haushalt in jedem einzelnen Jahr einen Fehlbetrag von mehr als einer Billion Dollar aus. Im schlimmsten Jahr, 2009, waren es sogar fast zwei Billionen. Die meisten Beobachter sehen keine Chance, dass der US-Staat das Budgetdefizit vor Ende der Dekade unter die Schwelle von einer Billion drücken kann, sodass sich das Schuldenloch von jetzt 17 Billionen auf 24 Billionen im Jahr 2020 vergrößern könnte.
Amerika hat eine der niedrigsten Staatsquoten und könnte über Steuererhöhungen theoretisch neue Einnahmen erschließen. Präsident Barack Obama hat mit dem Ausbau der staatlichen Krankenversicherung einer alten Forderung der »Linken« nachgegeben, dass die Sozialleistungen ausgebaut werden müssen. Zugleich ist Washington in den Augen vieler »rechter« Amerikaner schon heute ein Moloch, der zurückgedrängt, besser noch ausgehungert werden muss. Zwischen diesen beiden Extrempositionen, die in den großen Parteien ihre Heimat gefunden haben, scheint es wenig Kompromissbereitschaft zu geben. Während Demokraten und Republikaner streiten, wächst der Schuldenberg weiter. Tag für Tag.
Nicht ganz so dramatisch sieht es in Deutschland, Österreich und Holland aus. In diesen Ländern rangiert die Quote zwischen 70 und 80 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Musterschüler ist hingegen die Schweiz. Die Eidgenossen stehen mit weniger als 40 Prozent in der Kreide – das ist ein Niveau, das kaum ein Ökonom für bedenklich einstuft, zumal das Land eine jahrhundertealte Reputation als erstklassiger Schuldner genießt. Abgesehen von Inseln der Glückseligkeit wie der Schweiz, den skandinavischen Ländern oder auch Kanada scheint die ganze westliche Welt in einem Sumpf aus Schulden zu versinken.
Zunächst hatten die Herren des Geldes die Wertpapierkäufe noch als Notmaßnahmen in einer Ausnahmesituation dargestellt. Inzwischen ist klar, dass es sich um eine ganz neue Dimension von Geldpolitik handelt. In welche Drift die Geldpolitik geraten ist, lässt sich gut an der amerikanischen Erfahrung ablesen: Das erste Kaufprogramm initiierte die US-Notenbank Fed im November 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise.
Kurz zuvor, am 15. September 2008, war die Investmentbank Lehman Brothers in Konkurs gegangen, und von der Wall Street ausgehend schien das Finanzsystem von einer um sich greifenden Lähmung getroffen. Sogar das Brot-und-Butter-Geschäft der Banken kam zum Erliegen. Nicht einmal Handelskredite wurden mehr gewährt. In dieser akuten Notsituation beteuerten Regierungen und Notenbanken, sie würden alles tun, um den Bankensektor zahlungsfähig zu halten.
Es war ein regelrechter Blitzkrieg gegen die Krise, und zu den wichtigsten Einsätzen gehörte die Verkündigung von Bernanke, die Fed werde das Funktionieren des Marktes aufrechterhalten, indem sie die Kreditinstitute mit ausreichend Liquidität ausstatte. Erstmals sah sich die Welt mit dem Fachausdruck »Quantitative Lockerung« (englisch »quantitative easing«, kurz QE) konfrontiert.
Wie wenig bekannt dieser Begriff zumindest im deutschen Sprachraum war, demonstriert das einschlägige Standardwerk hierzulande, Otmar Issings Einführung in die Geldtheorie. In der Auflage von 2007, der immerhin 14., tauchte die Abkürzung QE kein einziges Mal auf. Das dahinter stehende Konzept, das seither die Praxis des Geldes dominiert, fand in Issings Theorie des Geldes zwar Erwähnung, allerdings nur mit einem einzigen Satz.
Volumen und Dauer des Programms übertrafen die Erwartungen bald bei Weitem: Im Zuge von QE1, wie es inzwischen genannt wird, kaufte die Fed am »offenen Markt« verschiedene Arten von Zinspapieren für insgesamt mehr als eine Billion Dollar. Die Käufe liefen bis März 2010. Trotz seines gewaltigen Ausmaßes brachte das Programm der Wirtschaft nicht die erhoffte schnelle Erholung. Es folgte der Kauf von lang laufenden US-Staatsanleihen für 600 Milliarden Dollar von November 2010 bis Juni 2011, nunmehr QE2 genannt, sowie die im September 2011 verkündete »Operation Twist«, bei der Bernankes Notenbank Schuldtitel mit kurzer Laufzeit aus ihrem Portfolio in solche mit langer Laufzeit tauschte. Dieser Trick zielte darauf ab, gerade bei den langen Laufzeiten (die als Referenz für Hypothekendarlehen und andere Arten von Krediten dienen) die Zinsen zu senken. Noch bevor die Operation Twist Ende 2012 auslief, beschloss die Fed, das Volumen von QE3 zu verdoppeln.
Offizielle Begründung all dieser Maßnahmen, die inzwischen ein Gesamtvolumen von über 3,5 Billionen Dollar erreicht haben, ist die »Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage«, wie es im Ökonomen-Jargon heißt. Die Befürworter der unkonventionellen Geldpolitik führen an, dass Amerika ohne das beherzte Eingreifen der Fed noch viel schlechter dastünde. Beweisen lässt sich das schwerlich, es sei denn man akzeptiert die Tatsache, dass es nach der Pleite von Lehman Brothers nicht zu einer neuen Großen Depression gekommen ist, als Beweis genug.
Auf den ersten Blick ist nicht zu leugnen, dass sich die Zahl der Erwerbslosen in Amerika besser entwickelt hat als in Europa, wo zumindest offiziell keine quantitative Lockerung betrieben wurde. Auch hat sich die Konjunktur in der Neuen Welt als robuster erwiesen als die in der Alten. Während die amerikanische Wirtschaft 2012 um gut 2 Prozent wuchs, schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt der Eurozone um 0,5 Prozent. Aber niemand kann sagen, wie nachhaltig das Wachstum in den USA ist. Letztlich können all diese Notstandsmaßnahmen nur ein Vorschuss sein auf Wachstum, das sich von selbst einstellt – oder eben nicht. Profitiert vom unermüdlichen Wirken der Geldpumpe haben ohne Zweifel die Kapitalmärkte. Zwischen der Ausrufung von QE1 und dem Frühjahr 2013 stieg der amerikanische Leitindex S&P 500 von rund 900 auf deutlich über 1500 Punkte, ein Plus von fast drei Vierteln. Der bekanntere Dow Jones Index markierte ein Rekordhoch nach dem anderen. Börsianer hatten allen Grund, zufrieden zu sein.
Die Hilfsmaßnahmen für den politisch-finanziellen Komplex haben auch eine dunkle Seite. Sie bergen in sich den Keim künftiger Währungsentwertung und Geldentfremdung. Ablesbar wird das an den Notenbankbilanzen, die sich bedenklich aufgebläht haben. Aktiva und Passiva der acht größten Zentralinstitute sind von 5,5 Billionen Dollar im Jahr 2006 auf zuletzt 15,5 Billionen Dollar angeschwollen.5 Manche reden angesichts dieser Zahlen, die von einem erhöhten Insolvenzrisiko der Institute künden, von einer Geldbombe.
Diese einschüchternden Schuldenberge werden von noch höheren Verbindlichkeiten des Finanzsektors überragt. Im Jahr 2012 belief sich die aggregierte Bilanzsumme allein der Banken in Euroland auf mehr als 34 000 Milliarden Euro, das ist fast das Vierfache der Wirtschaftskraft der Währungsunion. Ein solch hoher Anteil von Fremdkapital verwandelt die Institute, aber auch die hinter ihnen stehenden Staaten in so etwas wie Hedgefonds. Wo das Prinzip des »Hebels« regiert, ist das Risiko eines Zusammenbruchs nie weit. Ein kleinerer Fehler der Politik genügt, und das Land oder seine Banken werden durch Kapitalentzug in die Insolvenz getrieben. Gegen diese Gefahr einer Insolvenz, die wie ein Damoklesschwert über den Schuldenstaaten hängt, sind die Notenbanken in Aktion getreten. Sie kaufen die Anleihen auf und verlagern das Risiko damit von den großen Finanzinstituten und Regierungen auf die Währung, deren Sachwalter sie sind – oder zumindest sein sollten.
Die aufgeblähten Notenbankbilanzen sind ein Indiz dafür, dass die Spielarten von Papiergeld, an die wir uns gewöhnt haben, in schweren Problemen stecken. Der Fehler steckt im System. Die Probleme rühren daher, dass Geld neben seiner Funktion als Tauschmittel, Recheneinheit und Wertspeicher weitere Funktionen zugewiesen wurden. In den Sozialstaaten ist es auch eine Art gesellschaftlicher Schlichter und in Europa darüber hinaus eine Art Katalysator, der das Zusammengehen der Nationen beschleunigen soll – das Feuer unter dem imaginären Schmelztiegel Europa. Funktioniert hat das bisher eher schlecht als recht, doch nun wird die Eurozone 2.0 installiert, eine Beta-Version, die fast genauso experimentell ist wie die gescheiterte erste. Über dieses Experiment könnte unsere Währung ihre Härte verlieren. Der Dollar und andere große Papierwährungen eignen sich nur temporär als »sichere Häfen« für die Europäer. Auch sie lassen sich durch Knopfdruck entwerten. Es ist also nicht Nostalgie, die unser Interesse am Goldstandard leitet, sondern die nackte Notwendigkeit, eine vernünftige Alternative zum jetzigen System zu entwickeln. Bevor wir uns den einzelnen Fragen im Detail zuwenden, sollten wir uns noch einmal die Bedrohungen in Erinnerung rufen, gegen die Gold eine Absicherung bietet: Inflation, Risiko-Gemeinschaft Eurozone, »Zinsraub« und Währungskrieg.
Gelegentlich wird angeführt, Inflation sei so etwas wie ein Naturphänomen. Dass Geld an Wert verliert, gilt manchen als ebenso unabwendbar wie das Faktum, dass Wasser bei 100 Grad zu sieden beginnt oder Blei bei 327,5 Grad flüssig wird. Das ist aber nicht richtig. Es mag eine bestimmte psychologische Neigung des Menschen geben, leicht steigende Preise als »normal« zu akzeptieren. In der Natur des universalen Tauschmittels liegt der Verfall jedoch nicht begründet. Geld kann wertstabil sein, seine Kaufkraft kann erodieren oder auch steigen. Wie sich der Wert des Geldes in Relation zur Gesamtheit der Waren und Dienstleistungen entwickelt (und das meinen wir in der Regel, wenn wir von Inflation sprechen), hängt weitgehend von der Menge des allgemeinen Tauschmittels ab, genauer: davon, mit welcher Geschwindigkeit die Menge des Tauschmittels vermehrt wird. Die Rotationsgeschwindigkeit der Druckerpresse aber ist das Produkt politischer oder geldpolitischer Entscheidungen. Sie ist Menschenwerk, nicht Gottgewolltes.
Das Tückische an der Inflation ist, dass sie sich langsam heranschleicht, wie ein stiller Räuber. Selbst eine geringe Entwertung führt, wenn sie über längere Zeiträume anhält, unweigerlich zu einer beträchtlichen Zerstörung von Geldvermögen. Eine Rate von 4 Prozent, wie sie viele Ökonomen für die nächste Zeit in Europa als realistisch erachten, hat die Kaufkraft des Geldes nach fünf Jahren um 18 Prozent vermindert. Bei einer Inflation von 6 Prozent sind nach fünf Jahren bereits 25 Prozent der Kaufkraft dahin. Nach zehn Jahren ist der Schwund dramatisch: 4 Prozent Durchschnittsinflation machen den Bargeld-Horter in einer Dekade um fast ein Drittel ärmer: von 1000 Euro Kaufkraft bleiben nicht mehr als 676 Euro. Bei 6 Prozent Inflation können sich die Bürger nach zehn Jahren 44 Prozent weniger kaufen. Die Kaufkraft von 1000 Euro wurde auf die von 558 »alten« Euro vermindert.
Abb. 2: Inflation und Wertverlust, Teuerungsrate in % und verbleibende Kaufkraft
in % über einen Zeitraum von 10 Jahren, Quelle: Eigene Berechnungen
Beim Nachrechnen gilt es zu bedenken, dass die Inflationsrate nicht zu verwechseln ist mit dem Kaufkraftverlust. Wenn die Preise sich verdoppeln, beträgt die Inflationsrate zwar 100 Prozent, der Kaufkraftverlust aber 50 Prozent: 100 Euro sind nach einem Jahr um die Hälfte weniger wert als ein Jahr zuvor.
Inflationsraten von 4 Prozent sind in der Geschichte des Papiergeldstandards keine Seltenheit. Selbst die Deutsche Mark, die zusammen mit dem Schweizer Franken als Inbegriff der wertstabilen Währung gilt, kannte über lange Etappen solche Raten. In den Siebzigerjahren stiegen die Preise in der Bundesrepublik um durchschnittlich 4,9 Prozent im Jahr, in den Achtzigerjahren waren es immer noch 2,9 Prozent. Jedoch bestand in Deutschland seit Ende der unmittelbaren Nachkriegszeit nie das Risiko, dass die Teuerung außer Kontrolle gerät. Andere Länder kannten da weitaus drastischere Teuerungsraten: Sogar in den etablierten Industriemächten Großbritannien und USA stand die Situation noch vor einer Generation auf der Kippe.
In beiden Ländern erreichte die Geldentwertung in der schwierigen Ära der Siebzigerjahre zweistellige Niveaus. Im Vereinigten Königreich lag der Durchschnitt der Jahre 1973 bis 1979 bei 15,6 Prozent, im schlimmsten Jahr, 1975, stiegen die Preise um erschreckende 24 Prozent6. In jenem ersten globalen Papiergeldexperiment politisch gegängelter Zentralbanken schien das Abgleiten der ältesten Industrienationen in eine galoppierende Inflation nicht länger unmöglich zu sein. Großbritannien und die USA bekamen damals noch einmal die Kurve, aber die Währungen blieben relativ weich: Ein Dollar hat heute nur etwa die Hälfte der Kaufkraft, die er 1987 hatte, und nur ein Viertel der Kaufkraft von 1976. Die inflationäre Aufweichung des Britischen Pfundes lässt sich an der Kursentwicklung ablesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten noch fast 12 D-Mark für den Sterling bezahlt werden, zuletzt waren es nur noch 1,16 Euro, also umgerechnet etwa 2,25 D-Mark. Das Pfund ist die unerkannte Weichwährung der Alten Welt. Auch die südeuropäischen Staaten blicken auf eine Historie beträchtlicher Geldentwertungen zurück, und damit sind nicht nur Durchschnittsraten von 16 bis 18 Prozent in den Siebzigerjahren gemeint.7 In einigen Mittelmeer-Anrainern war die Teuerung sogar in der Dekade vor der Euro-Einführung noch zweistellig.
Da Deutschland nun mit Italien, Spanien, Griechenland und Portugal eine monetäre Schicksalsgemeinschaft bildet, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Inflation in dieser historisch einzigartigen Währungsunion anziehen wird, sobald sich die Konjunktur normalisiert. Die Gefahr ist nicht gering, dass die Preissteigerungen in der ökonomisch starken Bundesrepublik sogar höher ausfallen als in den schwachen Mittelmeerländern. Die Entwicklung am deutschen Immobilienmarkt deutet das bereits an. Diese Osmose des Euro wird den deutschen Sparern noch einiges an Kopfzerbrechen bereiten. Denn die Chancen, dass es zu einer Auflösung der Währungsunion kommt, sind gering.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Regierungschefin des größten Landes im Euroraum. Es ist Spätsommer, und Sie haben mächtig Ärger mit einem kleinen Euroland, das sich nicht an die Regeln gehalten hat, hoch verschuldet ist, vor der Pleite steht und nun Hilfe von den Partnern einfordert. Sie haben ziemlich klare Vorstellungen, was passiert, wenn Sie ein kleines Euroland aus der Währungsgemeinschaft ausschließen. Sie wissen natürlich, dass Sie das de jure nicht können. Aber Sie kennen da auch den einen oder anderen Trick, wie Sie dem kleinen Euroland den Geldhahn zudrehen. Dann wäre das Land gezwungen, seine eigenen Banknoten zu drucken und aus der Gemeinschaft auszusteigen. Sie sind sich ziemlich sicher, dass ein solcher Exit funktionieren wird, auch deshalb, weil Ihnen Ihre Berater gesagt haben, dass der Ausschluss des kleinen Landes keine ernsten Konsequenzen nach sich ziehen wird. Es gibt ein Restrisiko, dass es zu Turbulenzen an den Kapitalmärkten kommt, aber Sie sind im Einklang mit Ihren Experten davon überzeugt, dass die Turbulenzen eingedämmt werden können. Der Rauswurf wird keines der Horrorszenarien zur Folge haben, welche die Pessimisten an die Wand malen, etwa dass anschließend die ganze Währungsunion in eine schwere Rezession stürzt. Gelegentlich ertappen Sie sich sogar bei dem Gedanken, dass ein solches Chaos für Sie sogar eine Chance sein könnte, die Eurozone und die ganze Europäische Union neu zu konfigurieren. Aber Sie kennen sich gut genug, um zu wissen, dass Sie keine Spielernatur sind, die ein solches Risiko eingehen würde. Ihr Vorgänger hätte es vielleicht gemacht, Sie nicht.
Sie sind eine naturwissenschaftlich denkende Empirikerin. Und jetzt wird Ihnen klar, dass Sie das Chaos zwar im Großen und Ganzen ausschließen können, aber eben nicht zu 100 Prozent. Sie sind sich zu vielleicht 95 Prozent sicher, dass alles gut wird, wenn Sie das kleine Euroland ausschließen. Aber reicht das? Sie denken an den Herbst. Dann steht die Bundestagswahl an. Kalkuliertes Risiko – manchmal eine feine Sache, aber ist dieses Risiko noch kalkulierbar oder schon unkalkulierbar? Was passiert, wenn Ihre Berater irren und der mit 5 Prozent veranschlagte Fall eintritt, dass Ihnen alles um die Ohren fliegt? Sie überlegen weiter: Ein Ausschluss des kleinen Landes käme bei der Mehrheit Ihrer Wähler zu Hause gut an. Aber wenn der Exit wider Erwarten doch eine europaweite Depression lostritt, wird auch zu Hause die Wirtschaft einbrechen. Die Aufträge der Unternehmen werden fallen, die Erwerbslosigkeit wird nach oben schnellen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden Sie als Schuldigen vor sich her treiben, von der Opposition ganz zu schweigen. Die Presse, und dann noch die Europartner! Dem kleinen Land Geld geben, mag zu Hause unpopulär sein und ein paar Stimmen am Rand kosten, aber gibt es dort, am Rand, irgendeine Partei, die Ihnen gefährlich werden kann? Wohl kaum. Umgekehrt könnten, wenn der Exit schief läuft, die Umwälzungen in der etablierten Parteienlandschaft gewaltig sein. Sie schauen durch das große Fenster runter auf die Straße vor dem Kanzleramt. Die Bäume beginnen sich schon bunt zu färben. Die Zeit vergeht so schnell.
Sie wägen das alles noch einmal ab und entscheiden sich – für das aus Ihrer Perspektive einzig Vernünftige. Das ist nicht unbedingt das, was dem kleinen Euroland guttut. Und auch nicht unbedingt das, was der großen Währungsunion guttut. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber darüber nachzudenken, dafür wird später noch genügend Zeit sein, wenn Sie wiedergewählt im Kanzleramt sitzen. Und bis dahin soll die EZB mal ihren Job machen und das kleine Euroland mit Geld und noch mal Geld über Wasser halten.
Die Europäische Zentralbank weist die Gefahr eines bevorstehenden Inflationsschubs weit von sich. Tatsächlich war der Anstieg der Verbraucherpreise in den vergangenen Jahren nach der Definition der Geldhüter weithin unter Kontrolle. In Deutschland lag die Teuerungsrate im Jahr 2012 im Durchschnitt bei zwei Prozent, Anfang 2013 fiel sie sogar unter die Zweiprozentmarke. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Gleichzeitig lagen die Zinsen nämlich deutlich niedriger als die Teuerung. In normalen Zeiten würden Marktmechanismen dafür sorgen, dass der Zins über die Inflation steigt: Warum sollte die Gesellschaft sparen, wenn Sparen Entwertung bedeutet? Die Notenbanken wirken dem jedoch durch Interventionen entgegen: In ihrem nimmermüden Rettungsaktionismus kaufen die Institute Wertpapiere und nötigen Banken und andere Kapitalsammelstellen, dasselbe zu tun. Das führt dazu, dass die Kurse der Papiere steigen und die Renditen sinken. Im Ergebnis treiben die Geldpolitiker die Kapitalmarkt-Zinsen auf ungekannte Tiefstände.
Manche nennen dieses Phänomen »finanzielle Repression«, in Anlehnung an den englischen Begriff. Man kann es jedoch auch drastischer als Zinsraub oder »kalte Enteignung« bezeichnen: Sparern wird der Zins vorenthalten, den ihnen der Markt normalerweise zuerkennen müsste.
Wer sein Geld als Sparer sicher anlegen will, hat in Deutschland kaum noch Chancen, eine höhere Rendite als 1,5 Prozent zu erzielen. Nicht mehr als diese anderthalb Prozent werfen die Zinspapiere von Schuldnern bester Bonität ab, und das nur bei sehr langer Festlegung des Kapitals. Bei Spareinlagen, Tages- und Festgeld ist die Situation weit schlechter. Werbung für Sonderkonditionen von 2 Prozent verstellt gelegentlich den Blick dafür, dass das meiste flexibel angelegte Kapital zu weniger als einem Prozent verzinst wird. Anfang 2013 lag die durchschnittliche Rendite von Tagesgeld bei 0,8 Prozent – nur etwa halb so hoch wie die Inflationsrate. Insgesamt ist die Realrendite, gemessen als Differenz der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen und der Inflationsrate, seit August 2011 negativ, so lange wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik.8
Nichts deutet darauf hin, dass sich die Situation bessert. So oft die Zinswende schon vorhergesagt worden ist – die Renditen deutscher Bundesanleihen bleiben im Keller. Mit ihrer Vorbildfunktion drücken die »Bunds« die Verzinsung von Industrieanleihen und Pfandbriefen – lauter Papiere, die das finanzielle Rückgrat von Lebensversicherungen ausmachen. Häufig werben die Gesellschaften zwar noch mit einem Zins von 3 Prozent und mehr, doch ist das nur das Geld, das auf den »Sparanteil« gezahlt wird. Der Rest geht für Gebühren drauf: Abschlussprovision, Verwaltungskosten, Absicherung des Todesfallrisikos und Ratenzuschlag. Um die genaue Höhe des verbleibenden Sparanteils machen die Versicherer zwar ein Geheimnis, Brancheninsider wissen jedoch zu berichten, dass er bei den meisten Policen nur bei 70 bis 80 Prozent liegt. Auch die genannten 3 Prozent werden bald der Vergangenheit angehören. Noch profitieren die Gesellschaften nämlich von lang laufenden Alt-Investments, die sie vor Ausbruch der Schuldenkrise eingegangen sind. Doch diese hochverzinsten Zinspapiere mit 3, 4 oder 5 Prozent Rendite laufen mit der Zeit aus. So könnte die Verzinsung auch dieses beliebtesten Vorsorgeprodukts der Deutschen schon bald deutlich unter die Marke von 3 Prozent fallen.
Profiteure dieses Zinsraubs sind die großen Schuldner, neben Industriekonzernen vor allem die Banken und nicht zuletzt der Staat. Die Regierung muss weitaus weniger für ihre immensen Schulden verausgaben, als es in »normalen« Zeiten der Fall wäre. Das ist nicht ohne Logik: Denn umgekehrt wären die meisten westlichen Industriestaaten pleite, wenn die Zinsen zu normalen Niveaus zurückkehren würden. Bei Schuldenquoten von 100 Prozent oder mehr würden Kosten von 4 oder 5 Prozent auf die geliehenen Milliarden die Staatshaushalte sprengen und das empfindliche Gewebe der Gläubiger-Schuldner-Beziehungen zerreißen. Die Geldpolitiker werden daher alles daransetzen, den unnormalen Zustand zu verewigen. Als Vorbild dienen ihnen die Vierzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, als die US-Notenbank Fed schon einmal Zinsobergrenzen festsetzte.
Damals hatte die Verschuldung Amerikas in Relation zur Wirtschaftskraft ein ähnliches Niveau erreicht wie heute. Indessen war die gesellschaftliche Akzeptanz der Manipulation weit größer als heute, hatte das Gros der Verbindlichkeiten doch die Aufrüstung gegen die Kriegsgegner Deutschland und Japan finanziert. Heute stammen viele Schulden aus der verdeckten Finanzierung von Sozialleistungen und Subventionen. Eine offene Aufrechnung würde also Bürger gegen Bürger in Stellung bringen – eine politisch höchst explosive Mischung. Das Gleiche gilt für einen Schuldenschnitt oder einen generellen Schuldenerlass, der Gewinner und Verlierer zurücklassen würde. Alles deutet also darauf hin, dass der heimliche Zinsraub auf unbestimmte Zeit weitergeht.
Die Hoffnung, dass Sparer der Enteignung in Dollar, Euro oder Pfund entgehen, ist umso geringer, als diese Papierwährungen als Kampfmittel in einem großen geopolitischen Spiel um Macht und Wohlstand verheizt werden.
Der globale Währungskrieg ist ein weiterer Grund, über Gold nachzudenken. Lange Zeit latent, hat der Konflikt im Jahr 2013 wieder an Schärfe gewonnen. Währungskrieg bedeutet, dass Staaten ihre Notenbank und die Infrastruktur ihres Finanzsystems nutzen, um ihren Volkswirtschaften eine stärkere Position im internationalen Konkurrenzkampf zu verschaffen. Es ist eine moderne Form von Merkantilismus. Indem die Landeswährung künstlich geschwächt wird, gewinnt die heimische Industrie auf dem Weltmarkt preislich einen Wettbewerbsvorteil. So ist zumindest die Logik aus Sicht der einzelnen Regierung. In Wahrheit mündet ein Währungskrieg leicht in eine gefährliche Abwärtsspirale, und zwar gleich doppelt: Zum einen erzeugt der Währungskrieg Spannungen unter den Staaten. Das Land, das ins Hintertreffen gerät, reagiert mit Gegenmaßnahmen, zum Beispiel mit Handelsschranken, Exportsubventionierung oder seinerseits mit Abwertung. Auf diese Weise hat der Währungskrieg der Zwanziger- und Dreißigerjahre wesentlich zur Vergiftung des geopolitischen Klimas beigetragen. Zum anderen hat, auch wenn im Inland mächtige Interessengruppen profitieren, die große Mehrheit der Bürger den Schaden: Ihre Kaufkraft wird auf dem Altar eines Wirtschaftskriegs geopfert. Selbst von dem kurzfristig erzielten Vorteil in der Konkurrenzfähigkeit hat am Ende niemand etwas. Der Währungskrieg ist nicht der Vater aller Dinge, sondern ihr Zerstörer.
Die neueste Runde des Währungskriegs geht von Japan aus. Mit der Wahl Shinzo Abes zum japanischen Ministerpräsidenten hat die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt geldpolitisch einen radikalen Kurs eingeschlagen. Das Land erlebt seit mehr als einer Dekade eine Deflation, eine Phase kontinuierlich sinkender Preise. Zu allem Unglück brach im März 2011 der Tsunami über das Land herein: 16 000 Menschen verloren ihr Leben, 375 000 Gebäude wurden zerstört oder stark beschädigt. In der Folge kam es außerdem zur Reaktorkatastrophe von Fukushima, der nach Tschernobyl zweitschwersten in der Geschichte.
Die enorme Zerstörung führte dazu, dass japanische Investoren und Unternehmen im Ausland liegendes Kapital in die Heimat zurückholten, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Es geht um atemberaubende Beträge. Ende 2012 wurden allein die Kosten für Aufräumarbeiten und Entschädigungen in der Gegend um das Atomkraftwerk Fukushima auf mindestens 100 Milliarden Euro beziffert. Die Repatriierung der Gelder trieb den Yen-Kurs nach oben. Doch schon vorher hatte die japanische Währung einen Höhenflug erlebt. Eine Zeit lang mussten weniger als 100 Yen für den Euro gezahlt werden.
Gegen all das will Shinzo Abe mit einem aggressiven Entwertungsprogramm vorgehen. Sein Plan: Steigende Staatsausgaben und eine ultralockere Geldpolitik sollen den Yen so schwächen, dass Japans Unternehmen wieder Marktanteile auf den Weltmärkten zurückgewinnen. Bereits vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten reagierten die Devisenmärkte auf den Währungskrieg: In der zweiten Hälfte des Jahres 2012 verlor der Yen mehr als 10 Prozent zum Dollar und fast 15 Prozent zum Euro, eine für Währungen beträchtliche Bewegung. Es ist klar, dass die anderen Exportnationen diese starke Bewegung beim Yen mit Argusaugen beobachten.
Ohnehin ist die Stimmung an den Devisenmärkten aufgeheizt. Japan ist nicht das einzige Land, das eine Abwertung betreibt oder bewusst einkalkuliert. Auch die USA, Großbritannien und die Eurozone sind im Währungskrieg Partei. Dazu kommt die Volksrepublik China, die Nummer zwei der Weltwirtschaft, die den Kurs ihres Renminbi (oder Yuan) seit mehr als einem Jahrzehnt künstlich niedrig hält. Als Geld der aufstrebenden Wirtschaftsmacht mit lange zweistelligen Wachstumsraten müsste der Renminbi eigentlich aufwerten. Dass er es nicht tut, liegt allein an der Interventionspolitik Pekings.
Wenngleich die Unterbewertung zuletzt geringer geworden ist, setzt der allzu günstige Renminbi das gesamte Währungssystem unter Spannung. Fast alle großen Wirtschaftsmächte sind damit auf die eine oder andere Weise in den Währungskrieg verstrickt, was unweigerlich auch die anderen Handelsnationen mit hineinzieht. Brasiliens wortmächtiger Finanzminister Guido Mantega warnte bereits im September 2010 eindringlich vor den Folgen eines solchen Kampfes aller gegen alle. Denn wo sich die eine Währung verbilligt, müssen sich andere zwangsläufig verteuern. Das war beim Brasilianischen Real der Fall. Südamerikas größte Volkswirtschaft war wegen seiner wachsenden Wirtschaft und des hohen Zinsniveaus ein lukrativer Markt. Als Konsequenz der Kapitalzuflüsse hatte der Real 2010, als Mantega seine Warnung aussprach, bereits um ein Drittel zum Dollar aufgewertet. Die Exportwirtschaft des Landes litt sehr unter dieser Teuerung, die das Wachstum drückte. Letztlich reagierte Brasilien, indem es seine Wertpapiere mit einer Sondersteuer belegte. Andere Länder griffen zu Devisenkontrollen, die den freien Fluss von Kapital einschränkten – eine Hypothek für eine offene Weltwirtschaft.
Doch der Währungskrieg hat noch eine andere Dimension. Aus Sicht der politischen Strategen ist es gut, eine sich spürbar, aber kontrolliert abwertende Währung zu haben. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht noch besser, ist aber, jenseits aller Volatilitäten über eine Reservewährung zu verfügen. Denn eine Reservewährung ist wie ein Apparat zum Gelddrucken. Eine Reservewährung ist ein Gut, das alle haben müssen, zumindest alle Staaten und internationalen Organisationen, die das erarbeitete Vermögen ganzer Völker sichern müssen. Was aber alle haben müssen, wird wertvoll bleiben. Im Währungskrieg ist Gold daher die letzte Bastion.
Gold kommt nicht von ungefähr ins Spiel. Das Edelmetall ist ein alter Bekannter in der »Monetosphäre«, der Welt des Geldes. Obschon physikalisch ein weiches Metall, hat es Jahrhunderte lang als harter Wertkern von Währungen gedient. Gold ist ein knapper Stoff, und es ist genau diese Knappheit, die es dazu prädestiniert, Geld zu sein. Alles, was in Hülle und Fülle vorhanden ist, wird als Währung uninteressant. Zu seiner Seltenheit kommen einige andere Eigenschaften, die für das gelbe Metall sprechen: Gold ist haltbar. Da es unter normalen Bedingungen nicht korrodiert, überdauert es praktisch unendlich. Alte Münzen, die Schatzsucher heute aus dem Bauch einer alten spanischen Galeone bergen, sehen so aus, als wären sie gerade erst geprägt worden. Gold lässt sich gut teilen und transportieren.
Dass Gold selten und begehrt ist, hatte aber auch eine Folge, die es als Geld für den täglichen Gebrauch weniger geeignet macht: Selbst kleinste Mengen sind schon recht wertvoll. Oder anders ausgedrückt: Um eine Packung Hühnereier zu kaufen, selbst die teuren aus dem Bio-Laden, würde die dafür erforderliche Goldmünze gerade mal 0,1 Gramm wiegen müssen. Das klingt ziemlich unpraktisch und war es auch schon früher, wenngleich der Preis des gelben Metalls damals die Preise anderer Güter nicht immer im gleichen Maße überragte wie heute.
Meist übte Gold die Geldfunktion daher nicht allein aus. Andere Metalle, vor allem Silber, aber auch Kupfer oder Kupferlegierungen sekundierten dem gelben Metall. Im 19. Jahrhundert konkurrierte Silber ernsthaft mit Gold um den Status des Wertankers. Auf diesen Punkt werden wir noch ausführlich zu sprechen kommen. Heute ist das weiße Metall, trotz seines klaren Glanzes und seines aristokratisch-hellen Klangs, in erster Linie ein Gebrauchsmetall. Ähnlich wie Kupfer wird es im großen Stil in der Industrie genutzt. Der Gebrauchswert von Gold hingegen ist gering. Ein Großteil des Schmucks, der in Indien und anderen Schwellenländern aus dem gelben Element gefertigt wird, ist in Wirklichkeit als Geld anzusehen, wenn nicht in seiner Funktion als Tauschmittel, so doch als generationenübergreifendes Wertaufbewahrungsmittel.
Gold und Papier, wie wir es heute üblicherweise als Bargeld benutzen, könnten unterschiedlicher nicht sein: Das eine wird Gramm für Gramm unter unsagbaren Mühen und großem technischem Aufwand der Erde abgetrotzt, das andere ist ein industrielles Massenprodukt. Die Herstellungskosten des Goldes bewegen sich bei 30 Euro je Gramm, die des Papiers liegen im niedrigen Cent-Bereich, tendenziell gehen sie gegen null. Trotzdem oder gerade deswegen ist die Geld-Geschichte der vergangenen 300 Jahre ein Wechselspiel, ja ein regelrechter Reigen von Geld und Papier.
Das bisherige Wechselspiel der zwei Geldformen in der Geschichte lässt sich grob in vier Epochen einteilen. In der ersten Phase stellte Papiergeld eine aus der Not geborene Abweichung vom metallenen Zahlungsmittel aus Silber oder Gold dar. In der zweiten Phase existierten beide parallel, bald unter der Vorherrschaft des elastischen Papiergelds, bald mit der Vorherrschaft des inelastischen Warengelds. Phase drei sah eine Erosion der Hartgeld-Komponente und einen Aufstieg des Papiergelds zur »Norm«. In Phase vier degradierte Papiergeld Gold zu einer Art monetären Exilanten, Silber zu einem Rohstoff, also Nichtgeld. Allerdings funktionierte dies nur unter bestimmten historischen Bedingungen. Heute stehen wir am Beginn von Phase fünf, die eine Rückkehr inelastischer Geldformen sieht.
In der Urgeschichte des Geldes war eine Währung zunächst gleichbedeutend mit Salz, Muscheln, Edelmetall oder anderen Waren. Dies ist praktisch die Prähistorie der Währungssysteme. Selbst wenn der Anthropologe David Graeber, die Galionsfigur der Occupy-Bewegung, betont, dass es von Anfang an auch Kreditgeld gegeben habe, war dieses in Antike und Mittelalter meist eben nicht transferierbar. Damit ging diesen Nachbarschaftskrediten eine zentrale Zahlungsmittelfunktion ab. Geld war Warengeld.
Phase eins des Wechselspiels beginnt im Abendland relativ spät, nämlich im 17. Jahrhundert, mit ersten Papiergeldexperimenten. Diese frühen Geldscheine existierten parallel zu Metallgeld und konkurrierten mit ihm. Anders als im mittelalterlichen China stellten diese Versuche in der Alten Welt allerdings eher kurzfristige Abweichungen vom Warengeldstandard dar. Zu diesen kurzlebigen Währungen zählen zum Beispiel die Banknoten, mit denen der berüchtigte John Law unter dem Regenten Philippe von Orléans vorgab, die französischen Staatsfinanzen zu stabilisieren und die Wirtschaftsflaute zu beenden. In Wirklichkeit trug Law zum Ruin des Königtums in Frankreich bei. In diese Phase eins fallen auch die Continentals der jungen Vereinigten Staaten oder die Assignaten der Französischen Revolution. Die Papiergeldsysteme dieser ersten Phase endeten sämtlich nach kurzer Zeit in inflationärer Selbstzerstörung. Noch lange Zeit danach reagierten die geschädigten Völker allergisch auf die Vorstellung einer ungedeckten Papierwährung.
Im 19. Jahrhundert stellte sich ein Miteinander von Papiergeld und Metallgeld ein. In dieser Phase zwei war Edelmetall die Basis des Geldes. Gold und vor allem Silber blieben im alltäglichen Zahlungsverkehr weit verbreitet, doch spielten Papiergeld und Bankguthaben im Wirtschaftsleben eine wachsende Rolle. Dieser Trend war in manchen Ländern stark ausgeprägt, in anderen weniger stark. Wenn wir das 19. Jahrhundert dennoch vorrangig als eine Zeit des Hartgeldes sehen, dann liegt das daran, dass Banknoten ganz allgemein als Ableitung, als Derivat von Gold und Silber aufgefasst wurden. In der Theorie führte es keine eigenständige Existenz, es bezog seinen Wert aus einem Kern aus Hartgeld. Es war die Ära des klassischen Goldstandards. Zugleich war das 19. Jahrhundert eine Ära der Parallelwährungen. Denn das umlaufende Papiergeld war in einer festen Relation an das Edelmetallgeld gebunden. Diese Bindung führte auch dazu, dass verschiedene Papierwährungen wie Dollar oder Französischer Franc in einem unveränderlichen Kursverhältnis zueinanderstanden. Sie hatte enorme Vorteile, unter anderem für den Welthandel, warf aber auch einige Probleme auf, die die späteren Geldtheorien prägen sollten.
Im 20. Jahrhundert verlor eine wachsende Zahl von Währungen diese Edelmetalldeckung. Auslöser waren die beiden Weltkriege und die Folgen des Börsencrashs von 1929. Wurden ungedeckte Papierwährungen zu Beginn dieser dritten Phase zunächst noch als Abweichung von der Norm aufgefasst, änderte sich das ab den Dreißigerjahren rapide. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts brachte noch eine weitere Neuerung: stark schwankende Wechselkurse. Das war ein Novum in der Geschichte und hatte für die Menschen, die zum ersten Mal damit konfrontiert waren, etwas außerordentlich Beunruhigendes. Die Schwankungen wirkten umso monströser, als die Zwanzigerjahre auch den ersten Währungskrieg sahen, bei dem der Außenwert des Geldes für politische Ziele manipuliert wurde, zum vermeintlichen Vorteil der Nation, auf jeden Fall aber zum Nachteil der Bürger und Sparer.
Gleichwohl wetteiferte Papiergeld in dieser dritten Phase mindestens mit einer Währung, die weiterhin mit Gold unterlegt war. Ob in der Hyperinflation der Weimarer Republik oder im monetären Chaos des Nachkriegseuropas: Stets stand der goldgedeckte Dollar als Fluchtwährung parat.
Der dritten Phase wurde am 15. August 1971 von Richard Nixon ein abruptes Ende bereitet. Der US-Präsident kappte die Edelmetallbindung des Dollars und schaffte damit die letzte Valuta ab, die noch mit Gold unterlegt war. Zum ersten Mal in der Geschichte stellten nun alle Währungen der Welt »fiat money« dar, so der englische Ausdruck für Geld, das keinen Hartgeld-Kern hat, sondern von der Regierung per Gesetz, praktisch mit einem Befehl ins Leben gerufen wird. »Fiat« ist ein lateinischer Imperativ mit der Bedeutung »es werde«, wie wir es zum Beispiel vom biblischen »fiat lux« (Es werde Licht!) kennen. Die Regierungen schufen nun zwar kein Licht, aber Werte, zumindest schien es so. Das historische Novum, dass es nur noch Papierwährungen gibt, dauert bis heute an und bestimmt unsere Vorstellung von Geld.
Die nun vier Jahrzehnte umfassende vierte Phase stand bis vor Kurzem, das heißt ungefähr bis zu der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise, für den Durchbruch des Papiergelds. Nach Richard Nixons Coup gab es zunächst zwar eine große inflationäre Verunsicherung: In den Siebzigerjahren hatten fast alle Notenbanken und Finanzminister Mühe, die Kaufkraft ihrer Währungen zu sichern. Manche Schwellenländer ringen sogar bis in die jüngste Zeit hinein damit, die Geldwertstabilität zu sichern. Doch die meisten Industrieländer schienen ab den Achtzigerjahren die Zauberformel gefunden zu haben, Papiergeld fast ebenso wertbeständig zu machen wie Hartgeld. Diese Zauberformel hieß: Achte auf die Geldmenge! Habe deine Geldmenge im Griff! Der Zaubermeister, der diesen Stein der Weisen in die Welt gesetzt hatte, hieß Milton Friedman.
Milton Friedman war einer der außergewöhnlichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Er stammte aus einer Familie ungarisch-jüdischer Einwanderer und wurde 1912 in Brooklyn geboren. Schon mit 16 Jahren schrieb er sich an der Universität ein. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann Friedman in den Vierzigerjahren. Damals war die von ihm vertretene Auffassung, dass sich der Markt am besten selbst reguliere, derart unorthodox und auch inopportun, dass zunächst niemand die Doktorarbeit des jungen Mannes veröffentlichen wollte. Friedmans Überzeugung, dass freie Wechselkurse eine gute Möglichkeit sind, den Konjunkturzyklus zu dämpfen, wollten so gar nicht in einen Zeitgeist passen, der von Planung, Regulierung und Währungsmanagement geprägt war.
Die Vorzüge des Goldstandards oder überhaupt eines Edelmetallstandards erkannte Friedman durchaus an. In seinem Werk verweist er ausdrücklich darauf, dass es während der Ära des Rohstoffgeldes keine Inflation gegeben habe.9 Allerdings kam er für sich zu dem Schluss, dass sich der Wertanker, den Gold oder Silber oder eine Mischung von beiden boten, auch auf andere Weise herstellen ließe, nämlich über die Regulierung der Geldmenge.
Friedmans Theorie, die später als »Monetarismus« enormen Einfluss nehmen würde, nahm ihren Anfang in seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Großen Depression der Dreißigerjahre. Er wies nach, dass ein beispielloser Einbruch des Geldvolumens und nicht der Einbruch der Nachfrage die Wirtschaftskrise eskalieren ließ. Hätte die Notenbank Federal Reserve rechtzeitig der Kontraktion der Geldmenge entgegengewirkt, wäre der Einbruch der Wirtschaftsaktivität vermeidbar gewesen. »Die Große Depression wurde durch die Fehler einiger weniger Männer angerichtet«, resümierte er und meinte die Geldpolitiker an der Spitze der Fed.10 Friedmans Lehre aus der ökonomischen Katastrophe der Weltwirtschaftskrise lautete daher: Die Notenbank muss die Entwicklung der Geldmenge genau beobachten und steuern. Gelingt ihr das, wird der Goldstandard überflüssig. Im Jahr 1976 erhielt Friedman den Wirtschaftsnobelpreis. Von da an verbreiteten sich seine Ideen in Politik und Wissenschaft, bis sie schließlich fast Allgemeingut waren.
In den Neunzigerjahren war Friedmans Lehre, der Monetarismus, zum wichtigsten Leitfaden für die Notenbanken avanciert. Dank einer genauen Messung und strikten Kontrolle der Geldmenge konnte offenbar nicht nur die Inflation im Zaum gehalten werden, die wohltuenden Effekte reichten weiter und machten sich bei der Konjunktur bemerkbar. Nach dem Wachstumspessimismus der Siebziger expandierten die traditionellen Industriestaaten in den Achtzigern wieder stärker. Dann kam in den Neunzigern der Fall des Eisernen Vorhangs, und der Kapitalismus breitete sich auf jenen Teil der Welt aus, wo er vorher ausgeschlossen gewesen war. Bei den Geldpolitikern machte sich ein Triumphgefühl breit. Das speiste sich noch aus einem anderen Umstand: Abgesehen davon, dass sich das Wachstum beschleunigte, wurden die Ausschläge bei den Konjunkturzyklen glatter, und Einbrüche der Wirtschaftsaktivität dauerten nicht mehr so lange wie früher. Selbst schwere Finanzmarkt- und Börsenturbulenzen, wie der Wall-Street-Crash von 1987 mit dem schlimmsten Tagesverlust des Dow Jones, vermochten dieser Teflon-Ökonomie kaum etwas anzuhaben. Diese Krisenresistenz der »globalisierten« Weltwirtschaft schien in wohltuendem Kontrast zu den Verwerfungen zu stehen, die auf den Börsenabsturz von 1929 folgten. Das war keine geringe Leistung. Manche Wirtschaftswissenschaftler begannen von einer »Wellblech-Ökonomie« zu sprechen, die keine starken Ausschläge mehr kennt und daher deutlich niedrigere Risikoprämien rechtfertigt.
Die Erfolgsbilanz machte die Geldpolitiker selbstbewusst, gelegentlich bis an die Grenze zur Überheblichkeit. Der langjährige Vorsitzende der US-Zentralbank, der stets sibyllinisch dreinschauende Alan Greenspan, brachte den Anspruch der Herren des Geldes in Phase vier auf den Punkt: Moderne Währungspolitik bedeute, eine »Fiat-Währung« so zu handhaben, dass sie sich verhält, als ob sie an Gold gebunden wäre.11 Nach Überzeugung von Greenspan ist gut gemanagtes Papiergeld ebenso wertbeständig wie Hartgeld: Es erhält die Kaufkraft, bleibt aber gleichzeitig flexibel, sodass Krisen in Finanzsektor und Realwirtschaft abgefedert werden können. Dadurch verbürgt eine solche Fiat-Währung nach Meinung von Greenspan »nicht nur Preisstabilität, sondern auch größtmögliches nachhaltiges Wachstum«12.Greenspan ist von manchen Medien inzwischen zur quasi dämonischen Figur verzerrt worden. Aber nicht einmal seine Kritiker kommen umhin zuzugeben, dass die US-Wirtschaft während seiner Ägide eine außergewöhnlich lange Phase der Prosperität erlebte. Doch der Boom hat auch eine beunruhigende, dunkle Seite.
Begleitet und zu Teilen befeuert wurde das Wirtschaftswachstum durch einen Anstieg der Schulden bei Privatleuten, Unternehmen und Staat. Dadurch ist Wohlstand von der Zukunft in die Gegenwart transferiert worden. Dieser Transfer läuft zum großen Teil über das Bankwesen, und er hat diese Fremdkapital-Relaisstationen anfällig gemacht für Schocks aller Art. Um das Funktionieren des Finanzsystems zu gewährleisten, sahen sich die Notenbanken zuletzt gezwungen, von vielen etablierten Regeln abzugehen, die in der Vergangenheit für stabiles Geld standen. Bankenrettung ist auf eine Weise »alternativlos«, dass sie die Unabhängigkeit der Währungshüter unterminiert. Früher beispielsweise pflegten Fed, EZB, Bank of England und die Bank von Japan Kreditinstituten neue Liquidität nur gegen erstklassige Sicherheiten zur Verfügung zu stellen. Heute ist das vorbei. Geldpolitik und Finanzpolitik arbeiten nun Hand in Hand, auf eine Weise, die auch die Frage nach dem Ende der finanziellen Gewaltenteilung aufwirft.
Die Unterordnung der Notenbanken unter die Politik birgt zahlreiche Gefahren. Vor allem wirft sie die Frage auf, wie ein Geldsystem aussehen könnte, bei dem Bürger und Sparer nicht irgendwann die Zeche für Fehlentscheidungen des politisch-finanziellen Komplexes zahlen. Um die Frage zu beantworten, müssen wir uns anschauen, was Geld überhaupt ist und wofür es verwendet wurde und wird.
Geld ist etwas Selbstverständliches. Es ist wie die Luft zum Atmen. So lange es funktioniert. Wenn Geld seine Aufgabe erfüllt, haben wir als Individuum gefühlt vielleicht zu wenig davon, seine grundsätzliche Funktionsweise jedoch stellen wir nicht infrage. Geld ist ein Tauschmittel, ein Wertspeicher, eine Verrechnungseinheit.
Als ultimatives Tauschmittel erlaubt es uns, Waren zu kaufen, ohne uns in Myriaden von kleinen Tauschprozessen zu verstricken. Als Wertspeicher erlaubt es die Übertragung von Vermögen über weite Strecken und Zeiträume hinweg. Und als Verrechnungseinheit liefert es einen Maßstab für den Wert von Gütern und Dienstleistungen, als solches hilft es uns auch dabei, uns in unserer sozialen Umwelt zurechtzufinden. Über all diese Funktionen von Geld denken wir im Alltag kaum nach. Bewusster sind uns vielleicht andere Funktionen, die dem Geld zugeteilt werden, in Europa zum Beispiel die eines politisch-moralischen Bindemittels einer unwahrscheinlichen Union. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Theorie und Praxis des Geldes zu betrachten, bringt jedoch nichts, ohne einen Blick auf das Bankwesen zu werfen, das heute die Realität des Geldes bestimmt.
Geld wird entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil nicht allein von der Notenbank geschaffen, sondern auch und vor allem von den Geschäftsbanken. Mit jedem Kredit, den sie genehmigen, schöpfen die Institute Geld. Das Geld, das der Bauherr oder die Bauherrin aufs Konto gebucht bekommt, war vorher schlicht nicht da. Nur das wenigste davon wird übrigens jemals in Form von Scheinen oder Münzen ausgezahlt werden, denn von Ausnahmen abgesehen werden sogar Handwerker heute per Überweisung bezahlt. Ironischerweise wird mit der Tilgung des Hypothekendarlehens Geld vernichtet. Eine vollkommene Rückzahlung aller Schulden käme damit einer ungeheuren Reduzierung der Buchgeldmenge gleich. Zwar sind die Geldhäuser dazu verpflichtet, für jedes neue von ihnen gewährte Darlehen bei der Zentralbank Mindestreserven zu hinterlegen. Doch sind die Mindestreservesätze sehr niedrig, seit Januar 2012 liegen sie beispielsweise in der Eurozone bei nur mehr einem Prozent. Die Banken können also das Hundertfache der hinterlegten Sicherheiten nutzen, um Geschäfte zu machen. Die Mindestreserve schränkt die Fähigkeit, Geld aus dem Nichts zu schöpfen, nur unwesentlich ein.
Wenn eine Automobilfabrik nicht wettbewerbsfähig arbeitet und schließlich Konkurs anmeldet, stärkt das die Konkurrenten, die nun die Kunden des Rivalen ansprechen können. Bei Banken ist es anders: Jede dieser Geldfabriken ist auf das einwandfreie Funktionieren der anderen angewiesen. Macht eine Bank (weil sie sich übernommen hat) dicht, kann dieser Schock dazu führen, dass Einlagen von anderen Häusern abgezogen werden, die Investoren zu Recht oder zu Unrecht als ähnlich schwach ansehen. Eine solche Kettenreaktion birgt die Gefahr, dass große Teile des Finanzsektors wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Denn kaum eine Bank wäre in der Lage, einen kurzfristigen massiven Abfluss von Mitteln als Folge einer Panik zu überstehen.
Diese Kettenreaktion drohte seit 2008 von Amerika ausgehend in Gang zu kommen, und das nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach. Die Gefahr einer »systemischen Krise« ist die unweigerliche Folge eines Banksystems, dessen Geschäfte in hohem Maße gehebelt sind, das also Forderungen nur in geringem Maße mit Guthaben unterlegt. Die Rettungsaktionen der Notenbanken haben daher nichts Heldenhaftes, sie sind vielmehr einem System, das auf einen »lender of last resort« (einen Geldgeber letzter Hand) setzt, inhärent. Das Wissen um die Existenz einer Notenbank hat es den Kreditinstituten erlaubt, eine Fülle von Krediten zu gewähren und Geschäfte einzugehen, ohne dass dafür eine nennenswerte Deckung vorhanden ist. Unser heutiges Geldwesen mit hoher Risikoneigung konnte sich nur deshalb ausbilden, weil dahinter eine Institution steht, die Zentralbank nämlich, die ohne Einschränkungen beliebig viel Geld erschaffen und damit aushelfen kann.
Nun kann man zu Recht fragen, was denn so schlimm daran ist, wenn Banken pleitegehen – schließlich ist der Konkurs (also das Ausscheiden aus dem Markt) in einer Marktwirtschaft die logische Folge von schlechtem Wirtschaften. Das Gros der Ökonomen sieht das jedoch anders. Sie argumentieren, dass Banken nicht mit anderen Unternehmen zu vergleichen sind und in einer Volkswirtschaft eine besondere Funktion erfüllen: Sie kanalisieren Kapital, und geraten sie in Schwierigkeiten, wird dieser Prozess gestört oder durchbrochen. Kapital gelangt nicht mehr dorthin, wo es gebraucht wird. Ökonomen warnen sogar vor einer deflatorischen Krise, die dadurch entstehen könnte, dass sterbende Banken keine Kredite mehr vergeben oder dass sie sogar Kredite kündigen, obwohl es den Kreditnehmern, seien es Privathaushalte oder Firmen, im Grunde gut geht. Die Verbraucher würden daraufhin ihren Konsum einschränken und die Unternehmen Arbeitsplätze abbauen. Eine Abwärtsspirale kommt in Gang, die die gesamte Volkswirtschaft erfasst und mit sich nach unten zieht.
Allerdings ist das eine sehr zeitgebundene Sichtweise. Im 19. Jahrhundert hielt sich das Mitleid der Regierung mit strauchelnden Banken in Grenzen. Wenn sich die Wirtschaftsaktivität durch Bankenpleiten abkühlte, war das in der damaligen Sicht vielleicht bedauerlich, aber vertretbar. Damals herrschte die Vorstellung, dass Privatpersonen ohnehin keine Ausgaben auf Kredit tätigen sollen, sondern aus Erspartem. Gesunde Unternehmen bekommen von den verbliebenen Geldhäusern Darlehen und überlebensunfähigen Firmen nützen Anschaffungen auf Pump ohnehin nichts. Im Gegenteil: Die vorübergehende Wirtschaftsabschwächung mit Pleiten und Entlassungen berge sogar die Chance einer ökonomischen Bereinigung. Die gesunden Unternehmen übernehmen die Marktanteile der bankrottgegangenen, und im nächsten Aufschwung finden die in der Krise entlassenen Arbeiter und Angestellten wieder einen Job.
In unserer Zeit wirken solche Denkweisen herzlos, ja kaltschnäuzig. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert sehen sich Behörden heute in der Verantwortung, für Vollbeschäftigung oder zumindest geringe Arbeitslosigkeit zu sorgen. Notenbanken, die vor 100 Jahren vor allem für die Stabilität der Währung da waren, kümmern sich heute wie Ammen um möglichst geglättete Konjunkturzyklen. Dazu gehört aber auch ein reibungslos funktionierender Kreditsektor, der die Beschlüsse der »Währungshüter« möglichst schnell umsetzen soll. Störungen bei der Übertragung (oder Transmission) sollen möglichst ausgeschlossen sein. Auch daher scheint das Paradigma der Bereinigung in unseren Tagen deplatziert.
Nur einige wenige Autoren vertreten heute die Ansicht, dass Bereinigung weiter der Leitfaden des Handelns sein könnte oder sollte. Ein Vertreter dieser Sichtweise ist der Finanzjournalist und Bankenexperte Yalman Onaran, der argumentiert, die viele Billionen Dollar verschlingende Rettung maroder Kreditinstitute in der Finanzkrise sei ein großer Fehler gewesen.13 Die Folge davon sei ein Heer von Zombie-Banken, die genau jene Dauerflaute hervorrufen, die es zu verhindern galt. Statt gesunde Geschäfte zu machen, zielen die Zombie-Banken darauf ab, ihre verrotteten Bilanzen nach und nach zu konsolidieren, das bedeutet zu schrumpfen. So zieht das langwierige Schrumpfen der Zombie-Banken ein Schrumpfen der gesamten Ökonomie nach sich. Auch Protagonisten der »Österreichischen Schule« der Wirtschaftswissenschaften sprechen sich dafür aus, das Konzept der Bereinigung zu rehabilitieren. Diese Denkrichtung mit dem kuriosen Namen ist einen kleinen gedanklichen Abstecher wert.
Die Österreichische Schule steht für eine in der liberalen Philosophie verankerte Richtung der Nationalökonomie. Ihr Denken misst der Verantwortung des Individuums, der unternehmerischen Entscheidung und dem freien Spiel der Marktkräfte große Bedeutung bei. Die »Austrians«, wie die Anhänger der Schule mit dem englischen Wort für Österreicher auch genannt werden, stehen mit zahlreichen Axiomen der Mainstream-Ökonomie auf Kriegsfuß, sie halten zum Beispiel das Ziel der Glättung oder gar Steuerung des Konjunkturzyklus mit den Mitteln der Geldpolitik für problematisch. Obwohl einige ihrer Galionsfiguren selbst akademische Lehrer waren, ist ihnen allgemeine Anerkennung im real existierenden Wissenschaftsbetrieb bisher versagt geblieben. Das kann auch damit zu tun haben, dass die »Austrians« eine für die Politik häufig unbefriedigende Antwort geben, nämlich »Lasst den Markt machen«. Eine »Bereinigung« im Wahljahr ist so ziemlich das Letzte, was sich ein Politiker für seine Bestätigung im Amt wünschen kann, geht sie doch mit steigender Arbeitslosigkeit, vermehrter Unsicherheit und gebremstem Konsum einher. Die Politik wiederum weist den akademischen Lehrbetrieben ihre Mittel zu. So schließt sich der Kreis der Abhängigkeiten.
Die »Austrians« hinterfragen die Rolle des Staates in Wirtschaftsleben und Geldwesen weitaus radikaler als viele ihrer Kollegen der Mainstream-Ökonomie, vor allem der keynesianischen Richtung, die im englischsprachigen Raum sehr stark ist. Eine allzu große Ausweitung der Geldmenge prangern die Österreicher auch dann an, wenn die Liquiditätsflut zunächst nicht zu hochschnellenden Verbraucherpreisen führt. Schon die dadurch heraufbeschworene Fehlallokation ist aus Sicht der »Austrians« gefährlich. Und die Erfahrungen geben ihnen recht: Spekulationsblasen können zerstörerisch sein.
Viele universitäre Lehrstuhlinhaber sehen sie daher als Dissidenten, wenn nicht als Freaks. Was immer man von der Österreichischen Schule und ihren Axiomen als Ganzes halten mag, in einem Punkt sind sie Aufklärer im wahrsten Sinn des Wortes: Sie decken Strukturen und Interessenverflechtungen auf, die sich der Wahrnehmung sonst entziehen. Denn nicht nur zwischen der Politik und dem Wissenschaftsbetrieb, auch zwischen der Politik und dem Finanzsektor hat sich ein enges Geflecht gemeinsamer Interessen entwickelt.
Banken und Notenbanken, jene Fabriken, die Geld »machen«, sind hochpolitische Organisationen geworden. Beginnend mit den Zwanzigerjahren hatte Geldpolitik mindestens eine sozialpolitische Note. Das Finanzwesen sollte mit dafür Sorge tragen, dass die Härten des Kapitalismus abgefedert wurden. In den Achtziger- und Neunzigerjahren war diese Aufgabe etwas relativiert worden. Nach den Erfahrungen mit der Stagflation wurde die Aufgabe neu definiert: Sozial sollten die Institutionen jetzt in dem Sinne sein, dass sie sich um stabile Preise kümmerten, genauer, um einen stabilen Geldwert. Inflationsbekämpfung ist die beste Sozialpolitik, lautete die Parole.
Doch dieses Paradigma scheint nicht lange gehalten zu haben. Mehr oder weniger unverhohlen konfrontiert die Politik Noten- und Geschäftsbanken seit der Jahrtausendwende mit der Forderung, Wirtschaft und Haushalte mit ausreichend Kredit zu versorgen. Die US-Regierungen unter Bill Clinton und später unter George W. Bush propagierten eine »homeowner society«, eine Gesellschaft von Hausbesitzern. Die eigenen vier Wände, abbezahlt mit möglichst niedrigen Hypothekenraten, war in gewisser Weise die amerikanische Antwort auf den europäischen Sozialstaat. Wenn sich in Europa Behörden um das Wohlergehen und Wohlbefinden der Bürger kümmern, sollten das in Amerika (wo es freilich auch riesige Sozialbehörden gibt) Hypothekenbanken tun. Halbstaatliche Institute wie Fannie Mae und Freddie Mac bildeten mit günstigen Baudarlehen den Grundpfeiler dieser Sozialpolitik über die Finanzindustrie. Um diesen Kern herum lagerten sich jedoch zahlreiche kleinere private Anbieter an, die fast ohne Bedingungen Kredite auch an Bauherren vergaben, die über kein oder kaum Eigenkapital verfügten. Das waren die sogenannten Subprime-Darlehen, die wenig später unrühmliche Bekanntheit erlangen sollten. Vom Kollaps des Subprime-Marktes ging die Finanzkrise von 2008 aus.
Der Zusammenbruch war über kurz oder lang unausweichlich, denn in den USA ist es üblich, dass Baudarlehen nur eine kurze Zinsbindung haben. Das heißt: Steigt der Marktzins, gehen die Kosten für die Kredite nach oben, unter Umständen rasant. Das war der vielleicht einzige große Fehler, den die Fed bei ihrer Sozialarbeit gemacht hat: Zwischen 2004 und 2007 hob sie den Leitzins stark an. Damit drängte sie Hunderttausende Bauherren in den Ruin, die sich von den anfänglich günstigen Konditionen hatten überzeugen lassen, jetzt einen Kredit aufzunehmen. Wäre die Notenbank konsequent gewesen, hätte sie schon damals anerkannt, dass steigende Zinsen auf den erreichten Verschuldungsniveaus fatal sein können. Diese Verschuldungsniveaus waren politisch toleriert, aber sie funktionieren eben nur bei niedrigen oder allenfalls moderaten Zinsen. Hohe Verschuldung und hohe Zinsen zusammen bringen das System zum Absturz. Da die Schulden aber so hoch sind wie noch nie in Friedenszeiten, werden die Notenbanken alles daran setzen, die Zinsen niedrig zu halten, das heißt, Geld in großer Menge und billig zur Verfügung zu stellen. Geld ist ein sozialpolitisches Schmiermittel!
Doch die politische Mission der Institutionen ist noch einmal deutlich ausgeweitet worden. Die Währungen, für deren Verwaltung die Notenbanken verantwortlich sind, nehmen immer häufiger die Funktion eines Kampfmittels ein, das im Krieg gegen die Krise verheizt wird. Vom Währungskrieg, der 2013 eine neue Dimension erreichte, war bereits die Rede. Das vielleicht extremste Beispiel dafür, wie Geld mit politischen Aufgaben beladen und möglicherweise überladen wird, ist die Europäische Währungsunion: Der Euro hat für Europa die Funktion, die ein Flussmittel in der Chemie hat. Ein Flussmittel setzt den Schmelzpunkt von Metallen herab und macht auf diese Weise die Bildung von Legierungen möglich. Wie ein politisches Flussmittel soll das europäische Geld die einzelnen Nationen der Währungsunion dazu bringen, miteinander zu verschmelzen. Das bleibt jedoch nicht ohne unbeabsichtigte Folgen.
Dass Geld eine politische Funktion hatte, ist nichts Neues. Schon die Münzen der römischen Cäsaren trugen auf der einen Seite das Porträt des Herrschers, gelegentlich auch sein politisches Programm. Doch die politische Funktion des Geldes wurde dadurch eingeschränkt, dass die Münze zugleich einen Sachwert präsentierte. Dieses Prinzip wurde bis in die jüngere Zeit beibehalten. Die Geschichte des Goldstandards ist vom Bemühen geprägt, diesen Sachwert-Kern des Geldes zu nutzen, um die Währung stabil zu machen, gleichzeitig aber so flexibel zu gestalten, dass sie mit verschiedenen Wirtschaftslagen harmoniert. Die Flexibilität der Währung sollte erst im 19. und 20. Jahrhundert ein Problem werden, als sich der Finanzsektor zu einer vollkommen neuen Art von Wirtschaft erhob, einer Supersphäre, die sich bald majestätisch, bald bedrohlich über Dienstleistung, Industrie und Agrar, über die sogenannte Realwirtschaft wölbte.
Aber mit den Problemen, die diese Supersphäre hervorbringen würde, hatte der Urheber des Goldstandards noch nicht zu tun, als er im frühen 18. Jahrhundert die Grundlagen für das goldbasierte Geldsystem schuf. Dieser Urheber war kein Vater im eigentlichen Sinn, vielmehr war er ein Stiefvater. Es ging ihm nicht darum, eine Goldordnung zu schaffen, sondern darum, das damals gängige Doppelwährungssystem zu stabilisieren. Es war der unwahrscheinlichste Mann für eine solche Mission. Der Name dieses Stiefvaters lautet Isaac Newton.
4 Stand 2012.
5 Welt online vom 27. März 2012: »Die nächste Geldwelle rollt an«.
6 Judt 2006: 512.
7 Ebd.
8 Welt online vom 22. März 2013: »Sparer werden auf die kalte Tour enteignet«.
9 Zum Beispiel Friedman 1994: 252.
10 Friedman 2011: 74.
11 Greenspan 2007: 429.
12 Greenspan 2007: 428.
13 Onaran 2011.