Der frühere Fed-Chef Alan Greenspan würde gut in jeden Harry-Potter-Film passen. Mit seiner unverwechselbaren Hornbrille (deren Gestell so groß ist, dass es ein Kilo wiegen muss), seinem tief gefurchten Gesicht und seinem sibyllinischen Blick hätte der fast 90-jährige Geldpolitiker gute Chancen, neben dem Leiter der Zauberschule Hogwarts, Albus Dumbledore, zu bestehen. In Hogwarts könnte Greenspan sogar mit etwas aufwarten, was Dumbledore nicht kann: Geld aus dem Nichts zaubern. Ein Zentralbankvorsitzender verfügt über die Macht, so viele Dollar oder Euro oder Yen zu erschaffen, wie er für richtig oder notwendig hält.
Als Fed-Chef Greenspan war Alan Greenspan der moderne Midas, und er hat von seiner Gabe reichlich Gebrauch gemacht. Gegen Ende der Neunzigerjahre und erst recht im neuen Millennium griff die von dem alten Greenspan geführte Notenbank immer häufiger ins Marktgeschehen ein. Frisches Geld, um über den Jahrtausendwechsel mit seinen potenziell gefährlichen Computerproblemen zu kommen, frisches Geld, um dem Kollaps des Aktienmarktes im Millenniumscrash zu begegnen, frisches Geld, um die Wirtschaft nach dem Schock des 11. Septembers zu stabilisieren. Und mit dem Platzen der Hypothekenblase ging es erst richtig los.
Die Schöpferin von Harry Potter wusste ganz genau, warum sie ihre Zauberer nicht mit der Midas-Gabe ausstattete, Geld aus dem Nichts zu schaffen: Jeder, der das ultimative Tauschmittel beliebig vermehren kann, hätte die Macht, die Gesellschaft, in der er lebt, von innen heraus zu zersetzen. Joan K. Rowling verzichtete darauf, dieses anarchische Element auszuspielen. Wäre jeder Magier mit dieser Macht ausgestattet, gäbe das der Handlung allzu leicht etwas Zügel- und Regelloses.
Hätte Greenspan wie die Zauberer bei Harry Potter einen Zeitumkehrer und damit die Gabe, in die Vergangenheit zu reisen, sagen wir in die Sechzigerjahre, um sich selbst als jungen Mann zu treffen, würde er eine Überraschung erleben. Sein eigenes jüngeres Ich hatte ein feines Gespür dafür, dass die Gabe des Midas Gefahren birgt, dass Zaubern gefährlich ist.
Vermutlich müsste er sich von dem jungen Greenspan Vorhaltungen anhören. Der sprach sich vehement für eine Währung aus, die auf Gold beruht. Und mehr als das, das gelbe Metall war für den jungen Mann der Garant wirtschaftlicher Freiheit: »Ohne Goldstandard gibt es keine Möglichkeit, Ersparnisse vor der Enteignung durch Inflation zu schützen. Es gibt dann kein sicheres Wertaufbewahrungsmittel mehr.«1
Der alte Greenspan sieht keinen Widerspruch zu den Überzeugungen seiner eigenen Jugend und versucht, den jüngeren davon zu überzeugen, dass er ein Regelwerk ersonnen hat, dass die Wirkung des Goldstandards imitiert: »Währungspolitik sorgt heute dafür, dass sich eine Wirtschaft mit einer Fiat-Währung so verhält, ›als ob sie an Gold gebunden wäre‹.«2
Der junge Greenspan erwidert, dass ihm, dem Älteren, das tatsächlich fast gelungen sei, aber eben nur fast. In diesem »fast« aber liegt die ganze Tragödie des Papiergeldsystems. Denn letztlich, führt der junge Greenspan weiter aus, bemächtigt sich die Politik doch jedes noch so guten Sachwalters des Geldes, und machtvolle Interessen der Umverteilung sind es, die Front gegen Hartgeld machen: »Die Finanzpolitik des Wohlfahrtsstaates macht es erforderlich, dass es für Vermögensbesitzer keine Möglichkeit gibt, sich zu schützen. Dies ist das schäbige Geheimnis, das hinter der Verteufelung des Goldes durch die Vertreter des Wohlfahrtsstaates steht.«
Der alte Greenspan seufzt, er kennt die die Machinationen der Hauptstädte zur Genüge: »Ich habe immer eine gewisse Nostalgie für den Goldstandard und seine Preisstabilität empfunden. Aber ich habe mich längst mit der Tatsache abgefunden, dass sich der Goldstandard nicht mit dem heutigen Selbstverständnis einer Regierung vereinbaren lässt. Und am wenigsten mit der Vorstellung, dass der Staat ein soziales Netz bereitzustellen hat.«3
Womit der Ex-Chef der Fed auf den Punkt bringt, dass sich der Goldstandard und der Wohlfahrtsstaat nicht per se widersprechen, sondern nur der Goldstandard und eine bestimmte Praxis von Wohlfahrtsstaat, die es in Kauf nimmt, dass die Sozialtransfers chronisch unterfinanziert sind, dass der Zukunft und damit unseren Kindern Prosperität gestohlen wird, um sie heute zu verkonsumieren.
Der alte Greenspan lässt sich von seinen Gedanken forttragen. Vor ihm taucht der Vater auf, die übergroße Figur, der Keynesianer, den er zeitlebens zu übertrumpfen trachtete. Er denkt an Ayn Rand, seine anspruchsvolle Lehrerin, die strenge Prophetin der Freiheit, an ihre messerscharfen Sätze. Sie schnitten in Dahingesagtes wie ein Messer in Butter. Dann denkt er an seine geliebte Andrea. Das erste Rendezvous bei Kerzenschein. Nach dem Stelldichein gab er ihr einen seiner Aufsätze zu lesen. Über Monopole. Wie sie die wirtschaftliche Freiheit untergraben. Seine Gedanken schweifen zurück zum Geld. Zu Gold. Dazu, wie viel Menschen Sicherheit wert ist, und sei es nur das Gefühl von Sicherheit. Und wie viel Freiheit. Ja, die Freiheit …
Gold ist Freiheit. Gold ist schwer. Freiheit ist schwer.