Die Holzbohlen der Terrasse hätten wieder einmal einen Anstrich vertragen, und auch von der Brüstung blätterte die Farbe, doch die Aussicht war beeindruckend. Linker Hand sah man Schloss Aalholm, geradeaus lag der fast kreisrunde Tümpel, aus dessen dunklem Wasser abgestorbene Baumstämme ragten, und nach rechts wurde das Sichtfeld begrenzt durch Wiesen und Felder und die Allee, die zu Jens Hovens Anwesen führte.
Doch Søren Christensen hatte im Moment keinen Blick für dieses Panorama. Er saß vor einem Holztisch und studierte eine Skizze, bevor er zum wiederholten Mal probierte, einen Wollfaden mit einer dicken Häkelnadel durch eine Schlaufe zu ziehen. Es ging schief, Christensen fluchte und zog nun einen Videoclip zurate, der dieselbe Handbewegung zeigte – nur eben mit dem Unterschied, dass sie im Video gelang. Auch der nächste Versuch schlug fehl, und als daraufhin direkt neben ihm ein heiseres Lachen erklang, fiel Christensen vor Schreck die Häkelnadel aus der Hand. Sie prallte zwei-, dreimal von den Holzbohlen ab, bevor sie ein paar Zentimeter zur Seite rollte und mit gedämpftem Klappern in der Ritze zwischen zwei Bohlen verschwand.
»Verdammt, Harald, hast du mich erschreckt!«, brauste Christensen auf, rutschte von seinem Stuhl und kniete sich auf den Boden. Doch die Häkelnadel musste er wohl verloren geben, bis er irgendwann einmal die alten Bohlen gegen neue austauschen würde. Kopfschüttelnd stand Søren Christensen wieder auf und starrte seinen Besucher mit finsterer Miene an.
»Was willst du hier?«
Der Alte hielt ihm eine Plastiktüte hin. Christensen nahm sie und schaute hinein, seine Miene wurde freundlicher.
»Ah, geräucherter Hering. Vielen Dank, Harald. Aber das nächste Mal klingelst du, ja? Du hast mich wirklich erschreckt, und falls ich keine Ersatznadel mehr finde, kann ich losgehen und mir wegen dir eine neue kaufen!«
»Ich bin nicht nur wegen des Fisches hier«, erklärte Schenstrøm. »Ich wollte dir sagen, dass heute Nacht in das Ferienhaus der beiden Deutschen eingebrochen wurde.«
»Ach? Und woher weißt du das?«
»Ich hab’s gesehen.«
»So, so. Und wann war das?«
»Um zwei, halb drei.«
»Und was hattest du um diese Zeit in der Nähe des Ferienhauses zu suchen?«
»Knud und ich hatten Durst, wir sind beim Trinken eingeschlafen, und als wir wieder aufgewacht sind, war es mitten in der Nacht. Da hab ich Knud eben nach Hause begleitet. Als wir das erste Mal am Ferienhaus vorbeikamen, wurde gerade das Licht ausgeschaltet, und ich dachte, dass einer der Deutschen halt noch mal aufs Klo musste und in diesem Moment wieder schlafen ging. Aber auf dem Rückweg sah ich vom Ufer aus, wie drinnen jemand mit Taschenlampen zugange war. Also bin ich hingeschlichen und hab gesehen, wer sich im Haus zu schaffen machte.«
»Schön, und wer war’s?«
»Niels Baghold.«
»Unser Schleicher, wie schön.«
»Und Albert.«
Christensen bildete sich viel ein auf sein Pokerface, aber einen Moment lang zuckte es verräterisch um seine Augen. Harald registrierte es mit einem leichten Grinsen.
»Da brauchst du gar nicht so zu grinsen«, fuhr ihn Christensen an. »Was Albert an einem Tag treibt, an dem ich freihabe, interessiert mich nicht die Bohne. Also ruf bitte die Kollegen in Rødby an, und melde denen das. Ich habe dieses Wochenende frei.«
»Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, dass wir zusammen was unternehmen deswegen.«
»Was? Heute, am Samstag?« Er hielt die Linke hoch, um die noch der Wollfaden geschlungen war. »Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin!«
»Wenn du doch sowieso keine Häkelnadel mehr im Haus hast …«
»Ich muss erst nachschauen.«
»Die zweite fällt dir auch ohne Schreck in die Ritze, so ungeschickt, wie du dich anstellst.«
»Du musst grad reden! Als könntest du häkeln!«
»Klar kann ich häkeln – das ist doch mehr oder weniger dasselbe wie Netze flicken.«
»Pah!«
»Ich schlag dir einen Deal vor: Wenn du noch eine Nadel im Haus hast, zeige ich dir, dass ich sehr wohl häkeln kann – zur Not bringe ich es dir sogar bei. Und dann kommst du mit mir zum Ferienhaus, und wir reden mit den Deutschen.«
»Und wenn ich keine zweite Nadel finde?«
»Dann kommst du gleich mit.«
»Toller Deal!«, brummte Christensen und erhob sich, um eine Ersatznadel zu suchen.
Lisa erwachte mit leichten Kopfschmerzen. Einen Moment lang musste sie nachdenken, bis ihr wieder einfiel, dass Fred und sie bei Tom Vaks übernachtet hatten. Ihr Gastgeber führte sie in ein Delikatessengeschäft aus, das im selben Haus untergebracht war wie seine Wohnung – und obwohl das Innere des Ladens etwas karg wirkte und sie sich einen sehr kleinen Tisch direkt am Schaufenster teilen mussten, schmeckte das deftige Frühstück ausgesprochen lecker. Gestärkt ließen sie sich von dem Anwalt zu ihrem Wagen bringen und fuhren nach Nysted.
Unterwegs wurde Fred einmal misstrauisch, weil eine Limousine ihnen zu folgen schien, die dem Wagen des Mannes ähnelte, der gestern Abend den Alten im Rollstuhl besucht hatte. Doch die Limousine bog irgendwann ab und tauchte auch nicht mehr in Freds Blickfeld auf. Ohne Zwischenfälle kamen sie gut voran, und nach etwas mehr als eineinhalb Stunden ließ Fred den Wagen auf dem Kiesweg neben dem Ferienhaus ausrollen. Kurz bevor Lisa den Schlüssel ins Schloss der Eingangstür stecken wollte, schob Fred sie zur Seite und gab ihr mit einer Geste zu verstehen, dass sie kurz warten und still sein solle. Er huschte ums Haus, lugte durch alle Fenster, und erst als er das Gebäude einmal umrundet hatte, gab er Entwarnung.
»Ich wollte dich nicht erschrecken, Lisa, aber in unser Häuschen ist eingebrochen worden – und ich wollte sichergehen, dass niemand mehr dort drin auf uns wartet.«
»Woran hast du das erkannt?«, fragte sie und schloss auf.
Er deutete auf drei Streichhölzer, die vor der Eingangstür auf dem Boden lagen.
»Die habe ich gestern früh aufgestellt wie ein Dreibein, und jemand hat sie in unserer Abwesenheit umgetreten.«
Lisa stutzte, und Fred musste lachen.
»Alte Angewohnheit, sorry. Findest du das albern?«
»Nein, schon gut – ich bin ja froh, dass wir auf diese Art sofort wissen, dass jemand im Haus war. Und noch besser ist, dass jetzt niemand mehr da ist, der womöglich etwas Böses im Schilde führt.«
Fred und Lisa verschafften sich einen Überblick, was gestohlen oder beschädigt worden war. Die Bilanz ließ keinen Zweifel daran, dass die Einbrecher ihr Ferienhaus nicht zufällig ausgewählt hatten: Es fehlten die Unterlagen, die Jens Hoven ihnen in der Erbschaftssache übergeben hatte, sonst war noch fast alles da. Ein Hundertkronenschein, den Lisa in der Küche hatte liegen lassen, war verschwunden, aber in ihrem Reisegepäck lag immer noch der Briefumschlag, in dem sie ihr deutsches Geld, ein paar Euroscheine und Münzen deponiert hatte.
Plötzlich hielt Fred inne. Er schien etwas gehört zu haben, denn er sah aus dem Fenster. Lisa folgte seinem Blick. Draußen auf der Terrasse erschienen Søren Christensen und Harald Schenstrøm, der alte Fischer. Lisa öffnete die Terrassentür.
»Gut, dass Sie kommen«, sagte Lisa. »Hier ist eingebrochen worden.«
»Ich weiß, aber ich bin privat hier«, erklärte der Polizist. »Ich habe dieses Wochenende frei.«
»Ach, dann interessiert Sie der Einbruch gar nicht?«
Christensen lächelte. »Das schon, aber eher inoffiziell, wenn ich es mal so ausdrücken darf.«
»Das heißt?«
»Herr Schenstrøm hat den Einbruch beobachtet. Ihm ist aufgefallen, dass zwischen zwei und drei Uhr heute Nacht zwei Gestalten mit Taschenlampen im Gebäude unterwegs waren.«
»Warum hat er das nicht gleich der Polizei gemeldet? Vielleicht wären die Einbrecher auf frischer Tat ertappt worden, wenn Ihre Kollegen schnell genug vor Ort gewesen wären – dann wüssten wir, wer das Haus durchsucht hat.«
»Durchsucht, sagen Sie?«
»Ja, durchsucht.«
»Das klingt, als handle es sich nicht um einen normalen Einbruch. Ist denn Bargeld gestohlen worden?«
»Nur ein Hundertkronenschein, der auf dem Küchentisch lag«, entgegnete Lisa. »Das deutsche Bargeld im Reisegepäck ist noch komplett.«
»Dachte ich mir schon. Da wollte nur jemand eine falsche Fährte legen. Was wurde denn außer dem Geldschein gestohlen?«
Lisa tauschte einen kurzen Blick mit Fred, der kurz mit den Schultern zuckte. Sie konnten Christensen eigentlich auch die ganze Wahrheit sagen. Schließlich wusste er schon darüber Bescheid, dass sie für Hoven recherchierten.
»Unterlagen zu dieser Erbschaftsangelegenheit, in der wir für Herrn Hoven tätig sind.«
Christensen nickte und sah eine Weile nachdenklich vor sich hin.
»Sollten wir nicht Ihre Kollegen hinzuziehen?«, schlug Lisa vor. »Am besten jemanden, der die Spuren sichert, damit wir herausfinden, wer unsere Unterlagen gestohlen hat.«
»Das wissen wir schon«, versetzte Christensen und deutete auf den alten Fischer, der stumm neben ihm stand. »Er hat die beiden Männer erkannt. Sie trugen Handschuhe, hatten ihre Gesichter aber nicht vermummt.«
Lisa sah die beiden mit großen Augen an.
»Und dann stehen Sie hier rum und tun nichts? Oder sind Ihre Kollegen schon auf dem Weg, um die beiden festzunehmen?«
Christensen setzte ein Grinsen auf, das Lisas Unmut noch verstärkte.
»Ich habe eine bessere Idee, Frau Langer«, sagte er ungerührt. »Und soviel ich aus Kopenhagen gehört habe, sind Sie und Herr Hamann unkonventionellen Wegen gegenüber durchaus aufgeschlossen.«
»Aus Kopenhagen?«
»Sie wissen, dass ich früher in der Hauptstadt Dienst getan habe. Aus dieser Zeit habe ich noch recht gute Kontakte, deshalb bin ich weitgehend im Bilde, was Ihnen gestern dort widerfahren ist und wie Sie damit fertigwurden. Meinen Respekt!«
»Geschenkt!«, sagte Lisa patziger, als sie es wollte, weil ihre Wut von eben noch nicht ganz verraucht war. »Was schlagen Sie also vor?«
»Und wer hat denn nun hier eingebrochen?«
»Das erzähle ich Ihnen alles, aber könnten wir dazu vielleicht reingehen? Und wenn Sie einen Kaffee für mich hätten …? Als Herr Schenstrøm mich überredet hat, sofort hierherzukommen, hat er leider vergessen zu erwähnen, dass Sie noch nicht da sind. Wir haben zwei Stunden lang auf Sie gewartet, weil Sie die Nacht in Kopenhagen verbracht haben. Immerhin konnte ich die Wartezeit für ein paar Telefonate nutzen, um mich über Ihren Aufenthalt dort zu informieren.«
»Ich setze Kaffee auf«, verkündete Fred, und Lisa bat die beiden Männer herein. Als der alte Fischer vorüberging und sie die Wolke aus Altmännerschweiß und ungewaschenen Kleidern roch, die ihn umwehte, ließ sie die Terrassentür offen und platzierte Schenstrøm so nah an der Tür wie möglich.
Nicklas Balling hatte die beiden Deutschen seit Kopenhagen verfolgt. Als er den Eindruck bekam, der Fahrer vor ihm könnte ihn bemerkt haben, verließ er mit der Limousine die Autobahn und machte eine kleine Pause, bevor er auf die Schnellstraße zurückkehrte. Er war ohnehin überzeugt, dass die beiden sich zu ihrem Ferienhaus begeben würden, also fuhr er ohne große Eile nach Nysted, stellte die Limousine ein Stück von der Ferienhaussiedlung entfernt ab und suchte sich zu Fuß eine Stelle, von der aus er das Haus unbemerkt beobachten konnte.
Der Chef hatte ihm noch gestern Nacht erklärt, wen die Fotos zeigten, die er ihm weitergeleitet hatte. Die Weisung, ab sofort das Haus zu observieren, in dem Vaks seine Wohnung und seine Kanzlei hatte, wäre gar nicht mehr nötig gewesen. Nicklas hatte sich sofort auf die Lauer gelegt und die drei seit dem Frühstück nicht mehr aus den Augen gelassen.
Den Chef verehrte er, seit er für ihn arbeiten durfte. Auch von seinem Sohn Micky hatte er große Stücke gehalten, und das nicht nur, weil sie seit der Schulzeit befreundet gewesen waren. Doch dass seit Mickys Tod ausgerechnet Albert der designierte Nachfolger des Chefs war, das setzte Nicklas zu. Albert war ein Waschlappen, ein Großmaul, ein Feigling und ein Schürzenjäger – und sobald er diese Eigenschaften an der Spitze jener Organisation, für die Nicklas arbeitete, ausleben konnte, würde das der Firma über kurz oder lang das Genick brechen.
Von seinem Beobachtungsposten konnte Nicklas sehen, wie die beiden Deutschen das Ferienhaus betraten. Offenbar hatten sie bemerkt, dass heute Nacht jemand ihre Sachen durchsucht hatte. Wegen der vielen Fenster hatte er die beiden fast durchgängig im Visier seines Zielfernrohrs, das er vom Gewehr abmontiert hatte, um genauer sehen zu können, was im Haus vor sich ging. Und wenn ihm einer der beiden das Gesicht zuwandte, konnte er sogar versuchen, einen Teil der Unterhaltung von den Lippen abzulesen – er hatte sich das vor Jahren einmal antrainiert, und seither hatte ihm diese Fähigkeit, auch wenn er nur ansatzweise darüber verfügte, immer wieder gute Dienste geleistet. Diesmal konnte er immerhin aufschnappen, dass Geld gestohlen worden war – dass die beiden das aber für eine Finte hielten, um vom Diebstahl irgendwelcher Dokumente abzulenken.
Von den beiden Männern, die nun in sein Blickfeld traten, war er völlig überrascht. Er hatte sie nicht kommen sehen, vermutlich hatten sie irgendwo im hohen Gras gelauert und gingen nun zur Terrasse. Er konnte nur hoffen, dass ihn die beiden nicht bemerkt hatten. Den Alten hatte er noch nie gesehen, aber der andere war ihm bekannt: Søren Christensen hatte ihm die Geschäfte ziemlich erschwert, als er noch Polizist in Kopenhagen war. Vor einigen Jahren war er recht plötzlich von der Bildfläche verschwunden, und als Nicklas aus purer Neugier nachgeforscht hatte, wurde ihm gesagt, dass sich Christensen zur Polizei nach Lolland habe versetzen lassen. Doch jetzt schien er privat hier zu sein, denn er trug keine Uniform, und nach einem kurzen Plausch mit den beiden Deutschen, die sie an der Terrassentür abgefangen hatten, gingen er und der Alte nach drinnen.
Bald hatten sich alle vier bei Kaffee und Keksen zusammengesetzt, doch sie saßen so ungünstig, dass er erst gar keinen Versuch unternahm, jemandem etwas von den Lippen abzulesen.
Er zog sich zurück und fuhr mit dem Wagen zu Albert. Eine junge Frau in schwarzem Kleid und weißer Schürze empfing ihn an der Tür.
»Ich möchte Albert sprechen«, sagte er ohne große Vorrede.
»Tut mir leid, er schläft noch.«
»Dann weck ihn bitte auf.«
»Ich weiß nicht, ob ihm das recht …«
»Pass mal auf, Mädchen, sein Vater schickt mich, und wenn du den Hausherrn nicht augenblicklich aus den Federn jagst, mach ich das selbst!«
Die junge Frau zuckte zusammen. Nicklas’ entschlossene Miene ließ keinen Zweifel daran, dass es ihm ernst war – und dass man dem Vater ihres famosen Hausherrn besser gehorchte, wusste sie offenbar auch.
»Einen Moment, bitte«, hauchte sie noch, dann zog sie die Haustür hinter sich zu. Nicklas hörte eilige Schritte auf der Treppe, und bald darauf schwang die Tür wieder auf. Albert Kvist stand vor ihm, die nackten Füße in pelzbesetzten Hausschuhen, bekleidet mit einem weißen Bademantel, dessen Kragen eine Goldkette nur halb bedeckte.
»Na, mein lieber Nicklas, wie geht’s dir so als Papas Laufbursche?«
Nicklas Balling reagierte nicht auf die höhnische Bemerkung, sondern drängte sich ruppig an Kvist vorbei in die Empfangshalle. Am oberen Ende der Treppe stand die junge Frau und sah verschreckt auf den Gast herunter.
»Na, mein lieber Albert, stellst du immer noch junge Häschen für den Haushalt ein und wirfst sie wieder raus, wenn du ihnen erst mal an die Wäsche konntest?«
»Nur keinen Neid, Nicklas«, konterte Albert leise und rief dann zu dem Mädchen hinauf: »Das wäre dann alles, Airin.«
Sie zögerte noch kurz, dann verschwand sie aus dem Blickfeld der beiden Männer.
»Wir sprechen besser in meinem Arbeitszimmer«, meinte Albert und ging seinem Gast voraus.
In dem modern, aber geschmacklos eingerichteten Raum ließ sich der Hausherr auf einen Sessel fallen und wies Nicklas mit einer lässigen Geste einen Platz auf dem Polstermöbel gegenüber zu. »Und was sollst du mir von meinem geliebten Vater ausrichten?«
»Nichts. Nachdem du nicht in der Lage warst, den Anwalt und die Deutschen zu beschatten, soll ich dich fragen, ob wenigstens eure kleine Diebestour heute Nacht etwas eingebracht hat.«
»Ich habe alle Unterlagen.« Albert Kvist deutete auf einen Karton. »Es geht um das Erbe Ægir Hovens, wie erwartet. Sein Neffe Jens weiß nicht viel darüber, er kennt die Zusammenhänge nicht – oder er hat sein Wissen den Deutschen vorenthalten, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Schließlich arbeiten sie für ihn.«
Mit selbstgefälligem Lächeln lehnte sich Albert in seinem Sessel zurück. Nicklas musste sich sehr beherrschen, um seine Faust nicht in dieses Lächeln krachen zu lassen.
»Wie schlau von dir«, antwortete er spöttisch und grinste breit. Wie meistens reichte auch das, um Alberts blödes Lächeln wegzuwischen. Ärger machte sich nun auf seinem Gesicht breit.
»Du solltest dafür sorgen, dass du genug für dich beiseitegeschafft hast, wenn mein alter Herr mal abtritt. Denn dass du der Erste bist, den ich rauswerfe, wenn ich den Laden übernehme, wirst du dir denken können.«
»Keine Angst, da gehe ich schon von allein.«
»Apropos gehen: Musst du nicht wieder zurück nach Kopenhagen und Papi Bericht erstatten?«
»Auf jeden Fall muss ich an die frische Luft. Mit dir zusammen in einem Raum – das halte ich nicht lange aus, das weißt du ja.«
Albert erhob sich, und sein Gast folgte seinem Beispiel. Als Nicklas die Klinke der Haustür schon in der Hand hatte, wandte er sich noch einmal um.
»Ach, eins noch«, sagte er grinsend und rief dann mit erhobener Stimme zur ersten Etage hinauf: »Airin, denk dran: Sobald du ihn rangelassen hast, bist du deinen Job los!«
Oben waren leise Schritte zu hören. Unten funkelte Albert Kvist seinen Gast hasserfüllt an.
»Wirst schon eine andere finden, Al«, bemerkte Nicklas und betonte den Spitznamen des Juniorchefs so ironisch, wie er nur konnte. Dann fuhr er davon und stellte die Limousine wenig später am Straßenrand ab, um Alberts Vater anzurufen.
Nach einer Tasse Kaffee erzählte Søren Christensen, was der alte Fischer in der Nacht beobachtet hatte, und vertraute ihnen an, dass einer der beiden Einbrecher ein gewisser Niels Baghold gewesen sei, ein Taugenichts Mitte dreißig, der nicht der Schlaueste war, aber nach eigener Einschätzung im Anschleichen so gut wie ein Indianer.
»Dass er damit jahrelang auch in den Kneipen von Nysted und Umgebung angegeben hat, zeigt vielleicht noch etwas deutlicher, was für ein schlichtes Gemüt er hat«, merkte Christensen lachend an. »Denn soweit ich weiß, hat er sonst zu gar nichts Talent. Seit einigen Jahren ist er als Handlanger für einen zwielichtigen Geschäftsmann tätig, der ein protziges Gebäude etwas außerhalb von Nysted bewohnt.«
»Sie meinen aber nicht Jens Hoven, oder?«, hakte Lisa nach.
»Nein, obwohl die beiden ungefähr denselben Geschmack haben, wenn es um möglichst repräsentative Bauten geht. Ich möchte nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass alle Geschäfte, die Jens Hoven betreibt, astrein sind – aber der Mann, den ich meine, ist noch einmal ein anderes Kaliber. Bislang konnte ihm keiner was nachweisen, aber dass er in zahlreiche illegale Machenschaften verwickelt war und ist, steht für mich fest. Außerdem ist er ein unangenehmer Mensch, großspurig und anmaßend. Dieser Geschäftsmann ist die zweite Person, die Harald heute Nacht in Ihrem Haus gesehen hat, und dass es sich dabei um Albert Kvist handelt, stellt eine Verbindung in die Kopenhagener Unterwelt dar. Und es muss eine wichtige Verbindung sein, denn sonst würde Kvist sich kaum selbst hierherbemühen.«
Fred hatte zu Beginn ihres Gesprächs noch einige Male misstrauisch nach draußen geblickt, aber irgendwann war er doch überzeugt, dass niemand ums Haus schlich, und konzentrierte sich ausschließlich auf Christensens Erzählungen.
»Wie Sie wissen, war ich früher Polizist in Kopenhagen. Das war eine aufregende Zeit damals«, erinnerte sich Christensen, und seine Miene nahm einen schwärmerischen Ausdruck an. »In Kopenhagen teilten sich bis vor etwa zehn Jahren vier Banden den Großteil der illegalen Geschäfte, und eine Zeit lang befand sich das alles in einer gewissen Balance. Die Ganoven ließen sich gegenseitig meistens in Ruhe, und wir wussten in der Regel, wo wir nachfassen mussten, wenn ein Fall zu klären war. Geschah in der Stadt ein Mord oder eine Entführung, wurden uns ab und zu auch Informationen zugespielt, die uns die Ermittlungen erleichterten. Und wenn wir einen Schuldigen ausfindig gemacht und ihn verhaftet hatten, stellten ihm seine … nun ja … Kollegen zwar einen gewieften Anwalt zur Seite, aber niemand ließ Beweismittel verschwinden oder setzte die Staatsanwaltschaft unter Druck, damit sie die Anklage fallen ließ oder die Ermittlungen mit etwas weniger Nachdruck führte. Sie dürfen sich das natürlich nicht zu idyllisch vorstellen, aber man könnte sagen, dass sich Unterwelt und Polizei damals auf eine gewisse Art respektiert haben.«
»Und haben Sie den Kriminellen im Gegenzug die eine oder andere Warnung zukommen lassen, oder haben Sie auch mal die Augen zugedrückt?«
Christensen verzog das Gesicht zu einem schmerzlichen Lächeln.
»Sie sollten Krimis schreiben. Da ist es doch häufig so, dass der korrupte Bulle den Verbrecher deckt. Aber der heldenhafte Journalist lässt nicht locker und findet alles heraus, nicht wahr?«
Der Polizist nahm einen Schluck Kaffee und bemerkte deshalb nicht, dass Lisa sich räusperte und Fred einen schnellen Blick zuwarf. Doch so beiläufig, wie Christensen weiterredete, schien er nicht zu ahnen, dass Lisa tatsächlich Krimis schrieb.
»Ich habe Bjarne Toft immer hoch angerechnet, dass er Polizisten jenseits von gängigen Klischees schildert«, fuhr er fort.
»Sie kennen Bjarne Toft?«
»Selbstverständlich kenne ich ihn. Er hat bei den Recherchen für seine Krimis viel mit Anwälten, Richtern, Rechtsmedizinern und Polizisten gesprochen. Mich hat er oft zu Details der Polizeiarbeit befragt. Bjarne ist ein prima Kerl, wir treffen uns noch ab und zu auf ein Bier – und das meiste über Ihren Tag in Kopenhagen habe ich von ihm erfahren. Wobei es heute etwas mühsam war, er hat wohl gestern Abend etwas viel Aquavit erwischt.«
Lisa sah Christensen mit gesteigertem Interesse an. Hinter der Fassade des dienstmüden Dorfpolizisten schien sich noch eine andere Seite zu verbergen.
»Wissen Sie«, plauderte er weiter, »auch in Bjarnes Romanen gibt es trottelige, bestechliche und schlechte Polizisten – aber sie werden immer als Einzelfälle dargestellt und nicht als typisch für ihren Berufsstand. Wie auch immer: Es hat damals Spaß gemacht, Polizist in Kopenhagen zu sein. Bis sich vor knapp zehn Jahren dieser Autounfall ereignete.«
Er führte die Tasse zum Mund, und nach einer kurzen Pause erzählte er weiter. Seine Stimme hatte nun einen anderen, traurigeren Klang, als gehe ihm dieser Unfall noch heute nahe.
»An einem Nachmittag Mitte Juli saßen Micky Kvist und sein Vater Villads im Fond einer Limousine und ließen sich gemütlich auf der Autobahn von Kopenhagen Richtung Süden chauffieren. Kurz vor dem Autobahndreieck Avedøre setzte ein Sattelschlepper zum Überholen an, und als die Limousine die Stelle erreicht hatte, wo die E47 und die E20 zusammengeführt werden, war dort ein weiterer Sattelschlepper unterwegs. Die Limousine geriet zwischen die beiden Lastzüge, prallte erst gegen den einen und dann gegen den anderen, überschlug sich, verkeilte sich unter dem Auflieger des einen Sattelschleppers und kam zusammen mit dem Lastwagen von der Fahrbahn ab. Der Sattelschlepper kippte um, das Knäuel, das die beiden Fahrzeuge bildeten, durchbrach die Leitplanke, und die Zugmaschine des Sattelschleppers schlug schließlich drei Meter tiefer auf dem Midlergårdsvej auf, der an dieser Stelle als Radweg unter der Autobahn hindurch verläuft. Der zweite Sattelschlepper fuhr weiter, ohne sich um den Unfall zu kümmern.«
»Das klingt ja entsetzlich!«
»Kann man so sagen. Der Fahrer der Limousine, der Fahrer des Sattelschleppers und Micky Kvist kamen durch den Zusammenstoß ums Leben. Villads Kvist überlebte wie durch ein Wunder, allerdings sitzt er seither im Rollstuhl. Die Polizei hat nach dem zweiten Lastzug gefahndet, dessen Fahrer Unfallflucht begangen hatte. Gefunden wurde der Sattelschlepper am selben Abend in der Nähe von Helsingør, im Führerhaus lag der tote Fahrer, er hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Die zuständigen Dienststellen ermittelten, und am Ende kam man zu dem Schluss, dass der Zusammenstoß ein normaler, wenn auch ausgesprochen tragischer Verkehrsunfall war. Man ging davon aus, dass der zweite Fahrer nach dem Unfall erst auf Landstraßen und dann nordwärts über die E47 geflüchtet war. Er hat wohl die Radiodurchsagen gehört und mitbekommen, dass nach ihm gefahndet wurde – und womöglich war ihm auch erst zu diesem Zeitpunkt wirklich klar geworden, was geschehen war. Im Abschlussbericht stand, dass er Selbstmord begangen habe – aufgrund seiner Schuldgefühle oder aus Verzweiflung.«
Lisa war aufgefallen, dass die Stimme von Søren Christensen einen zunehmend bitteren Unterton angenommen hatte.
»Das hat Sie damals nicht überzeugt?«, fragte sie deshalb.
»Mich nicht und auch nicht einige meiner Kopenhagener Kollegen. Das hatte vor allem mit den beiden Kvists zu tun, die in der Limousine saßen.«
»Verwandte von Albert Kvist, nehme ich an.«
»Ja, sein älterer Bruder Michael, genannt Micky, und sein Vater Villads. In Kopenhagen waren die beiden große Nummern in der Organisierten Kriminalität. Villads ist den meisten Gaunern in der Stadt nur als Vito bekannt. Diese Anspielung auf die Hauptfigur in ›Der Pate‹ hat ihm schon immer geschmeichelt, und so falsch war es ja auch nicht: Vito Kvist führte eine der vier Banden, von denen ich vorhin gesprochen habe, und er führt sie wohl noch heute.«
»Aber auch solche Leute können ja Pech haben und wirklich durch einen unglücklichen Zufall ums Leben kommen.«
»Das können sie schon, aber in diesem Fall … Sagen wir es mal so: Es gab einige Ungereimtheiten, doch denen wurde nicht nachgegangen, zumindest nicht mit dem notwendigen Eifer. Und ich hatte den Eindruck, dass vielen die Schlussfolgerung mit dem gewöhnlichen Verkehrsunfall ganz lieb war. Ein-, zweimal habe ich noch zu erreichen versucht, dass meine Kollegen und ich weitere Nachforschungen zu Micky Kvists Tod anstellen durften, aber es wurde uns ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass wir endlich Ruhe geben und den Unfall Unfall sein lassen sollten. Irgendwann habe ich dann meine Versetzung hierher nach Lolland beantragt. Die wurde übrigens überraschend schnell bewilligt.«
Er lachte freudlos und trank seine Tasse leer.
»Wenn ich mal zusammenfasse, was Sie uns erzählt haben«, sagte Lisa, »dann haben wir diesen Albert Kvist, der gezielt Unterlagen zu Ægir Hovens Erbe gestohlen hat. Er ist der Sohn eines Kopenhagener Paten – woraus Sie schließen, dass der Streit um Hovens Nachlass mit der Organisierten Kriminalität in der Hauptstadt zu tun hat.«
»Ja, so ungefähr. Außerdem brach dieser eigenartige Bandenkrieg, von dem keiner zu wissen scheint, was es mit ihm auf sich hat, kurze Zeit nach Ægir Hovens Tod aus. Ich nehme an, Sie haben sich einige Geschäfte von Ægir Hoven schon angesehen? Und Sie oder der smarte Anwalt von Jens Hoven haben doch sehr wahrscheinlich daraus schon Ihre Schlüsse gezogen, richtig?«
»Worauf spielen Sie an?«, gab sich Lisa bedeckt.
»Es wird Ihnen aufgefallen sein, dass Ægir Hoven mit manchen Deals so wenig verdient hat, dass er ein schlechter Geschäftsmann gewesen sein müsste, wenn es ihm nur auf den Verdienst angekommen wäre.«
»Aber er war kein schlechter Geschäftsmann, glauben Sie?«
»Nein, er war sogar ein sehr ausgefuchster, ein knallharter Händler – aber meiner Überzeugung nach hat er manche Käufe und Verkäufe vor allem durchgezogen, um damit Geld zu waschen. Das geht in Dänemark nicht ganz so leicht wie in Deutschland, wo viel häufiger mit Bargeld bezahlt wird, aber es geht schon, wenn man weiß, wie man es anzustellen hat. Und Ægir Hoven wusste das sehr gut.«
»Und was hat das mit den Morden in Kopenhagen zu tun?«
»Stellen Sie sich Ægir Hoven als geschickten Geldwäscher vor – dessen Dienste wollen zum Beispiel in Kopenhagen nach einer Weile nicht nur die Ganoven einer Bande in Anspruch nehmen, sondern irgendwann wäscht der das Geld für mehrere Gangs oder gar für alle. Jede dieser Banden steckt also illegal eingenommenes Geld in Projekte von Ægir Hoven und bekommt über Umwege nach einiger Zeit sauberes Geld zurück, vereinfacht gesagt.«
»Okay, und?«
»Zu jedem Zeitpunkt besitzt Ægir Hoven also Geld, das noch gewaschen werden muss oder das schon gewaschen, aber noch nicht zurückgezahlt worden ist. Also auch zum Zeitpunkt seines Todes.«
»Sie meinen, das Erbe, auf das Jens Hoven hofft, besteht vor allem aus Geld, das mit Organisierter Kriminalität verdient wurde?«
»Ægir Hoven wird schon auch selbst einiges an Vermögen angehäuft haben«, erwiderte Søren Christensen, »aber ein Teil des Nachlasses könnte durchaus solches Schwarzgeld sein. Und selbst wenn im Erbe selbst nichts von diesem Geld enthalten sein sollte: Als er starb, hatte er – wie verschleiert auch immer – sicher ansehnliche Vermögenswerte in seinem Besitz, die ursprünglich den Gangs aus Kopenhagen gehört hatten. Und diese Gangs wollen sie natürlich auch zurückhaben.«
»Dann wäre es wahrscheinlich, dass einer seiner Kunden Ægir Hoven ermordet und das ganze Geld an sich genommen hat.«
»Zum Beispiel – und weil die anderen Kunden damit nicht einverstanden sind, setzen sie den Mörder unter Druck. Irgendwann eskaliert das Ganze, und es kommt zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen den Banden.«
»Also glauben Sie auch, dass Ægir Hoven ermordet wurde und dass sein Tod kein Unfall war?«
»Ich halte es für möglich – der Bandenkrieg in Kopenhagen könnte aber auch ausgebrochen sein, wenn es wirklich ein Unfall gewesen wäre. Das Geld bleibt ja so oder so verschwunden, und wenn in der Hauptstadt auch nur einer glaubt, Hoven sei ermordet worden, und dafür auch gleich einen mutmaßlichen Täter im Visier hat, taugt das allemal als Zündfunke für eine so explosive Konstellation wie die Kopenhagener Unterwelt.«
»Und da Albert Kvist uns heute Nacht die Unterlagen zum Nachlass von Ægir Hoven geklaut hat, glauben Sie, dass dessen Vater Vito die Sache jetzt in die Hand nimmt, stimmt’s?«
»Ja, zumal es da noch einige Ungereimtheiten gibt. Ich hatte Ihnen ja erzählt, dass nie herausgefunden wurde, wohin Vito und Micky Kvist wollten, als sie verunglückten. Ich bin überzeugt, dass sie auf dem Weg nach Nysted waren, um Albert den Kopf zu waschen. Seit meiner Versetzung hierher habe ich mich unter der Hand immer wieder mit Alberts Geschäften beschäftigt, und in den Monaten vor dem Unfall scheint Albert besonders aktiv gewesen zu sein. Er gründete einige Firmen, die sich in ganz unterschiedlichen Branchen engagierten – und einige Deals aus dieser Zeit warfen auf den ersten Blick ähnlich wenig ab wie die Geschäfte von Ægir Hoven, die sehr nach Geldwäsche aussehen. Es kann also durchaus sein, dass er als dessen Konkurrent auftrat, und Hoven hätte sich das sicher nicht gefallen lassen, ohne den Vater in Kopenhagen darum zu bitten, dass der seinem Filius deswegen mal auf die Finger klopft.«
»Dann könnte Albert Kvist ein Motiv gehabt haben, Ægir Hoven zu ermorden.«
»Und er könnte ein Interesse daran gehabt haben, dass sein Vater und sein Bruder nie in Nysted ankommen. Nach dem Tod seines älteren Bruders hat sich das Verhältnis zwischen Vater und Sohn gebessert, zumindest macht es nach außen diesen Eindruck. Und nach allem, was ich über meine alten Kontakte in Kopenhagen erfahren konnte, gilt Albert Kvist heute als designierter Nachfolger seines Vaters.«
»Okay, aber Sie haben vorhin angedeutet, dass Sie einen Vorschlag haben, einen Plan – was haben Sie vor?«
»Ich konfrontiere Albert Kvist damit, dass ich von seinem Einbruch heute Nacht weiß und dass ich mein Wissen nur für mich behalte, wenn er mir eine bestimmte Summe bezahlt. Ich habe genug Geld, aber Albert weiß nichts über meine finanziellen Verhältnisse und hält mich womöglich für korrupt. Außerdem mache ich Andeutungen, als hätte ich irgendwelche Informationen, die ihn mit dem Tod von Ægir Hoven in Verbindung bringen. Und ich lasse durchblicken, dass ich seinem Vater diese Informationen zuspielen werde, falls er nicht bezahlt – mit etwas Glück kann ich an seiner Reaktion erkennen, ob er wirklich etwas mit Ægir Hovens Tod zu tun hat.«
»Ich dachte, es sei Ihnen ganz recht, wenn Hovens Tod weiterhin als Unfall gilt und Sie keine zusätzliche Arbeit mit einem neu aufgerollten Fall haben«, kommentierte Lisa.
»Das stimmt, und im Grunde genommen ist es mir völlig egal, wie Ægir Hoven ums Leben kam. So richtig schade ist es um ihn nicht. Aber mich ärgert es, wenn einer wie Albert Kvist einfach in meinem Wohnort in ein Ferienhaus einbricht und Dokumente klaut, wie es ihm beliebt. Und …«
»Und was?«
»Vielleicht kann ich mit meinem kleinen Auftritt etwas Staub aufwirbeln und für Irritationen zwischen Vater und Sohn Kvist sorgen. Und wer weiß? Vielleicht kommt sogar noch die Wahrheit über diesen verdammten Verkehrsunfall ans Licht.«
»Sie wollen allein zu Kvist – das klingt riskant.«
»Na ja, wir können schlecht zu dritt dort aufkreuzen, wenn ich den korrupten Polizisten spiele, nicht wahr?«
»Können Sie es einrichten, dass Sie mit Kvist nicht in seinem Haus sprechen, sondern vor dem Gebäude oder in der geöffneten Tür?«, schlug Lisa vor. »Dann könnten Herr Hamann und ich uns in der Nähe postieren und eingreifen, falls es brenzlig für Sie wird.«
Christensen dachte nach, dann nickte er.
»Das müsste ich hinbekommen.«
Der alte Fischer hatte die ganze Zeit still zugehört, doch nun räusperte er sich.
»Du solltest doch jemanden mitnehmen, wenn du zum jungen Kvist gehst«, sagte er. »Einen, der Albert auf jeden Fall nervös macht.«
»Und wer soll das sein?«
»Knud.«