An der Tür zu Dines gamle knejpe hing ein Schild mit der Aufschrift »Lukket«. Das Lokal war allerdings nur für die Öffentlichkeit geschlossen. Als Søren Christensen und Lisa eintrafen, war der Gastraum schon gut gefüllt.
Fred brachte währenddessen Knud Aalstrup und Harald Schenstrøm mit dem Wagen nach Hause. Unterwegs erzählte er den beiden, dass Vito Kvist Knud helfen wolle, seinen Hof zurückzubekommen.
»Kann er das denn?«, fragte Knud, der dem Braten noch nicht traute.
»Sein Sohn Albert hat Sie reingelegt, Ihre Hausbank hat Ihre Kreditverträge an eine Bank in Kopenhagen abgetreten, und von der hat wiederum eine Firma Ihren Bauernhof mit allem Land zum Spottpreis ersteigert. Vito Kvist wird die Firma gehören, in deren Besitz Ihr Hof im Moment ist – und ich würde mich nicht wundern, wenn auch diese Bank zu seiner Unternehmensgruppe gehört. Er wird das also alles in Ihrem Sinne regeln können, davon dürfen Sie ausgehen.«
Knud und Harald beschlossen, das gleich in der Wellblechhalle am Friedhof gebührend zu begießen, und Fred fuhr mit heruntergelassenen Fenstern zurück zu Dines Lokal, wo die Stimmung mittlerweile recht ausgelassen war. Inzwischen waren Bjarne Toft und Tom Vaks aus Kopenhagen eingetroffen. Dem Krimiautor hatte Christensens Telefonat vorhin gegolten. Von ihm hatte er über ein paar Ecken die Nummer von Vito Kvists rechter Hand, Nicklas Balling, bekommen. Als Nicklas von Christensen erfuhr, dass Albert womöglich in den ominösen Verkehrsunfall verwickelt war, der seinen Bruder Micky das Leben und seinen Vater die Kontrolle über seine Beine gekostet hatte, musste er nicht mehr groß überredet werden, mit seinem Chef nach Stubberup zu kommen. Kurz bevor die beiden dort angekommen waren, hatte Nicklas in Nysted Bescheid gegeben. Das war der Anruf gewesen, den Christensen dann als Signal zum Aufbruch genommen hatte.
Tom Vaks erzählte, was er währenddessen herausgefunden hatte. Die Blondine, die dem Wirt von Min hule und den Jungs aus Maltes Bubenbande den Atem geraubt hatte, war die Schwester von Kjeld. Sie betrieb ein schickes Bistro in Teglholmen – und zwar in dem Haus, wo Ægir Hovens Apartment lag. Ihm war sie wie einigen anderen zahlungskräftigen Herren nebenbei gelegentlich als Callgirl zu Diensten gewesen. Als einer ihrer Kunden jedoch nicht die Grenzen wahrte und aufdringlich wurde, wandte sich Birte Pedersen, so hieß die Blondine, an ihren Bruder Steffen, genannt Kjeld, der ihr die Dienste von Maltes kleiner Schlägertruppe empfahl.
Auch die Namen der Rocker, die Malte und seine Leute in ihrem Unterschlupf auf Geheiß von Nicklas Balling aufgemischt hatten, kannte Tom Vaks inzwischen – zwei von ihnen waren früher Motocross gefahren, und es stellte sich heraus, dass sie mit Ryker Hansen befreundet waren und auch für ihn schon unliebsame Zeitgenossen in die Mangel genommen hatten. Übrigens hatte der Betreiber der Motocross-Anlage die Biker darauf angesetzt, die Leute zu finden, die ihm die Leiche von Steen Egeberg in die Einfahrt gelegt und damit für einige Zeit den Umsatz verdorben hatten. Bjarne Toft versprach, mit Hansen darüber zu reden und ihm zu raten, lieber nicht weiter in diesem Wespennest herumzustochern.
Nach einer Weile hielt es Lisa nicht länger aus, und sie sprach Vaks direkt auf die Schweinerei an, die Kvist junior mit Knud angestellt hatte – und vor der er als Anwalt von Jens Hoven den armen Kerl nicht gewarnt hatte.
»Davon weiß ich nichts«, erklärte Tom Vaks sichtlich betroffen. »Mich hat Herr Hoven nie zu dieser Angelegenheit befragt. Natürlich hätte ich diesen Knud gewarnt! Aber angenommen, mein Mandant war nicht ganz ahnungslos, was die Geschäfte seines Onkels Ægir betrifft, könnte es doch sein, dass Jens Hoven gar nicht seinen Anwalt gefragt hat, sondern bei seinem Onkel nachgehakt hat, ob der irgendetwas mit diesem Immobiliengeschäft zu tun hatte. Und als Ægir seine Vermutung bestätigt hatte, wollte Jens ihm nicht in die Suppe spucken und hat Knud – angeblich nach einem Gespräch mit seinem Anwalt – geraten, den Vertrag zu unterschreiben.«
Er musterte Lisa und fragte sie dann: »Würden Sie mir zutrauen, dass ich den armen Kerl auf diese Weise ins offene Messer laufen lasse?«
»Um ehrlich zu sein, nein. Aber Knud hat von Hovens Anwalt erzählt – und der sind ja nun mal Sie.«
»Aber nicht mehr lange. Ich bin wählerisch, was meine Mandanten angeht, und Herr Hoven ist nach allem, was ich inzwischen weiß, nicht so ganz nach meinem Geschmack. Aber Sie könnten mir mal beschreiben, wo dieser Knud haust. Wenn er mit Vito Kvist Kontakt aufnimmt, ist es vermutlich kein Fehler, wenn er jemanden an seiner Seite hat, der darauf achtet, dass alles sauber läuft.«
»Ich fürchte, Knud Aalstrup kann Ihr Honorar nicht bezahlen.«
»Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Ab und zu betreue ich Leute, die es nötig haben, auch kostenlos. Und Knud scheint es sehr nötig zu haben.«
»Nett von Ihnen. Und ich finde es auch anständig, dass Sie künftig nicht mehr für Herrn Hoven arbeiten wollen.«
»Ich kann’s mir leisten.«
»Tja.« Lisa wurde nachdenklich. »Mal sehen, ob Herr Hoven uns überhaupt bezahlt, jetzt, da wir nicht gerade das erreicht haben, was er sich erhofft hat.«
»Auch da sollten Sie sich keine Sorgen machen. Ich werde mich ganz offiziell von Herrn Hoven verabschieden, mit offenem Visier, sozusagen. Dabei werde ich ihm zu verstehen geben, dass ich alles, was ich im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit erfahren habe, nur dann auf sich beruhen lasse, wenn er alle seine Rechnungen bezahlt – die an mich und die an Sie. Wenn ich gehe, wird ihm klar sein, dass ich ihm seine Rolle des unschuldigen und ahnungslosen Neffen nicht abnehme. Ich werde ihm aber auch zu verstehen geben, dass er trotz Vito Kvists Ansprüche genug Geld erben wird.«
Søren Christensen war inzwischen dazu übergegangen, Trinksprüche auszurufen und mit den anderen das Glas zu erheben: auf die tolle Kneipe, auf die wunderbare Wirtin, auf die Gäste aus Kopenhagen, auf die Gäste aus Deutschland, auf die Smørrebrød-Auswahl der Metzgerin, auf den guten Ausgang der Geschichte und noch einmal auf die wunderbare Wirtin. Dine war halb amüsiert und halb gerührt, und als der Polizist ihr zum letzten Trinkspruch einen dicken Kuss auf die Wange gab, schreckte sie nicht zurück, sondern erwiderte ihn. Søren Christensen war erst ganz baff, dann nahm er Dine in den Arm und herzte und küsste sie gleich mehrmals.
»Wurde auch Zeit«, raunte Bjarne Toft in Lisas Ohr. »Ich kenne Søren ja schon aus seiner Kopenhagener Zeit und treffe ihn seither immer wieder mal auf ein paar Bier. Was der mir an solchen Abenden schon von Dine vorgeschwärmt hat, geht auf keine Kuhhaut.« Er lachte und prostete den anderen zu. »Da habe ich mir manchmal gewünscht, er würde die Klappe halten – oder dieser Frau endlich mal gestehen, dass er ganz verschossen in sie ist.«
Søren Christensen hatte nicht hingehört, aber »Klappe halten« hatte er verstanden. Mit Dine im Arm hob er sein Glas und rief in die Runde: »Klappe halten – genau, auch das muss man manchmal können. Das gilt insbesondere für vieles von dem, was wir in den vergangenen Tagen erlebt und erfahren haben.«
Dann stimmte er den nächsten Trinkspruch an: »Ti stille!« – zu Deutsch: Schweige still!
Und wie ein Echo kamen die beiden dänischen Worte von allen zurück.