KAPITEL 1

– Selena –

W illkommen zum dritten Wettbewerb um den Kaisertitel!“, rief ein fröhlich aussehendes Hologramm von Bacchus aus der großen goldenen Kugel, die vor mir schwebte. „Diesmal wird es ein Klassiker: ein Streitwagenrennen!“

So viel hatte ich bereits erraten. Immerhin stand ich auf einem goldenen Streitwagen und hielt Zügel in der Hand, mit denen ich die vier weißen Pferde vor mir lenken würde. Vor meinen Füßen stand eine Waffenkiste, die nichts Gutes verhieß. Und natürlich trug ich mein persönliches Kampfoutfit – ein kurzes, hellblaues Kleid mit Gladiatorensandalen, deren Schnüre mir bis zu den Knien reichten.

Mein Wagen befand sich am Anfang eines geraden, etwa fünfzehn Meter breiten Feldwegs, umgeben von grasbewachsenen Ebenen, so weit das Auge reichte. Von den anderen Wettkämpfern fehlte jede Spur. Es gab nur mich, die Pferde und das nervige Hologramm von Bacchus.

„Jeder Wettkämpfer – mit Ausnahme unserer scheidenden Kaiserin der Woche, Octavia – steht am Anfang eines Feldweges“, fuhr Bacchus fort. „Die Wege sind wie die Speichen eines Rades: Sie treffen sich alle in der Mitte, wo der goldene Kaiserkranz wartet. Auf mein Zeichen beginnt das Wettrennen. Die Auserwählten werden verschiedene Hindernisse überwinden müssen – natürlich jeweils dieselben, damit es gerecht ist. Derjenige, der den Kranz bekommt, wird diese Woche zum Kaiser der Villa gekrönt! Ganz einfach, oder?“

Ich packte die Zügel fester. Das klingt immerhin unkompliziert.

„Nicht ganz … denn die Sache hat einen Haken.“ Bacchus’ vergnügte Augen wurden plötzlich ernst. „Die Wettkämpfer dürfen unter keinen Umständen ihre Fahrbahn verlassen und das Gras berühren. Wer das tut, scheidet aus dem Wettbewerb aus.“

Ich sah mich um. Die Straße war breit. Es sollte kein Problem sein, auf der Fahrbahn zu bleiben, solange ich die Pferde unter Kontrolle hatte. Sie waren mein Schwachpunkt. Zur Not würde ich ihnen mit ein paar Elektroschocks auf die Sprünge helfen.

Der Gedanke, meine Magie wie eine Peitsche gegen Tiere einzusetzen, gefiel mir nicht. Aber nach den katastrophalen letzten beiden Wochen musste ich diesen Wettbewerb gewinnen. Und ich würde alles tun, was dafür nötig war.

„Viel Glück, Auserwählte!“, sagte Bacchus. „Auf die Plätze … fertig … los!

Mit einem Mal brausten die Pferde los. Ich wäre beinahe hintenüber vom Wagen gefallen. Aber ich hielt mich an den Zügeln fest, zog mich nach vorn und fand mein Gleichgewicht wieder.

Das Rennen hatte begonnen.

Der Wind peitschte mir ins Gesicht, während ich den Pfad entlangraste. Eigentlich war dieser Wettbewerb so weit ganz angenehm. Die Luft roch nach frisch gemähtem Gras und süßen Blumen, und zu meiner großen Freude liefen die Pferde schnurgerade. Ich musste kaum etwas tun. Hoffentlich bedeutete das, dass die Götter mich in diesem Wettbewerb begünstigten.

Doch schon nach wenigen Minuten entdeckte ich in der Ferne das erste Hindernis: einen hässlichen, zweiköpfigen Hund, der etwas kleiner war als die Pferde. Er sah aus wie der kleine Bruder von Zerberus, nur dass ihm der dritte Kopf fehlte.

„Whoa!“ Ich riss an den Zügeln. Die Pferde wurden langsamer und kamen knapp fünf Meter vor dem sabbernden Ungeheuer zum Stehen.

„Bleibt“, sagte ich zu den Pferden und hoffte, dass sie mich verstehen würden.

Das vorderste sah zu mir nach hinten und wippte mit dem Kopf, was ich als ein ‚Ja‘ verstand.

Ich nahm ein Schwert aus der Kiste zu meinen Füßen, sprang vom Wagen und stellte mich zwischen die Pferde und den Hund. Die Aufgabe war klar: den Hund ausschalten, damit ich meinen Weg fortsetzen konnte.

Auf Avalon hatte ich viel mit dem Schwert trainiert. Außerdem hatte Finn mir vor den Feenspielen zusätzlichen Unterricht gegeben. Ich hatte keinen Grund, an meinen Fähigkeiten zu zweifeln. Aber es war trotzdem beruhigend zu wissen, dass diese wöchentlichen Kaiser-Wettbewerbe nicht auf Leben und Tod ausgetragen wurden. Die Götter hatten die Monster mit einem Zauber belegt, sodass sie uns nur außer Gefecht setzen, aber nicht töten würden.

Doch eine Niederlage würde bedeuten, aus dem Wettbewerb auszuscheiden. Das konnte ich mir nicht leisten.

„Na, dann mal los, Zerberus Junior.“ Ich nahm eine Kampfstellung ein und hielt mein Schwert bereit. „Zeig mir, was du drauf hast.“

Seine vier Augen glühten gelb, und er fletschte seine scharfen Zähne, wobei Speichel auf den Boden tropfte.

Dann stürzte er sich mit weit aufgerissenen Mäulern auf mich. Ich rollte mich zur Seite, um ihm auszuweichen. Wenn dieses Biest mir die Arme abriss, konnte ich das mit dem Kaiserkranz vergessen. Ich kam schnell wieder auf die Beine, drehte mich herum und schwang geübt mein Schwert.

Doch die Kreatur war schnell. Statt einem der Köpfe hatte ich nur ihren Schwanz abschneiden können. Ein Kopf wimmerte. Der andere jaulte. Dann begannen beide zu knurren. Jetzt hatte der Hund es wirklich auf mich abgesehen.

Er stürmte vorwärts, und ich wich zurück, um ihn auf Distanz zu halten. Er machte einen Satz nach vorn, und ich rollte noch einmal zur Seite. Das leuchtende Grün der Wiese blitzte in meinem Augenwinkel auf, und ich machte abrupt halt. Beinahe hätte ich das Gras berührt.

Ich drehte mich zu dem Hund um, aber er schenkte mir keine Beachtung mehr.

Er starrte auf meine Pferde.

Auf keinen Fall . Ich sprintete vorwärts und positionierte mich zwischen meinen Pferden und dem Hund. Seine Augen leuchteten heller. Er scharrte mit den Pfoten, seine Krallen wirbelten Staub auf.

Mein Herz raste. Panik machte sich breit. Jetzt musste ich nicht nur mich selbst beschützen, sondern auch noch meine Pferde. Der Hund hatte mich in die Defensive gedrängt.

Ich musste dieses Monster so schnell wie möglich ausschalten – und jetzt war ich diejenige, die ängstlich zitterte, nicht er. Ich musste die Strategie wechseln …

Wenn ich ihn einschüchtern wollte, musste ich wie ein Hund denken – nicht wie eine Halbblut-Fee und erst recht nicht wie eine nutzlose Hexe ohne Magie.

Denk nach , sagte ich mir und atmete tief durch. Auf Avalon hast du Wölfe kämpfen sehen. Wie zeigen sie ihre Dominanz?

Sie plusterten sich auf, hielten dem Blick ihres Gegners stand und umkreisten ihn langsam.

Also stellte ich mich breitbeinig hin und sah dem Hund in die Augen. Ich fühlte mich direkt selbstsicherer. Nun musste ich mir eine Kampftaktik überlegen. Da der Hund körperlich stärker war als ich, hatte ich bessere Chancen, ihn aus der Ferne zu besiegen.

Also ließ ich das Schwert fallen und hob die Arme. Meine Handflächen richtete ich so aus, dass sie sich gegenüberstanden. Elektrizität zuckte durch meine Hände.

Komm schon, Blitz. Es ist soweit. Mach dein Ding.

Es war schwierig, den Blick des Hundes festzuhalten, immerhin hatte er vier statt zwei Augen. Aber es schien zu funktionieren. Er wirkte vorsichtiger als vorher.

Ich trat vor. Der Hund tat es mir gleich. Ich machte noch zwei weitere Schritte, und wieder tat er dasselbe.

Es lagen nur noch knapp drei Meter zwischen uns.

Meine Magie zischte und knisterte. Aber obwohl ich in Gefahr war, wollte sie nicht zum Vorschein kommen. Zwischen meinen Handflächen wurden keine Blitze sichtbar. Blitze vom Himmel konnte ich vergessen.

Frustration stieg in mir auf. Aber auch das half nicht.

Da ich mich dem Hund nicht stellen wollte, ohne wenigstens ein bisschen Magie zwischen meinen Händen zu haben, begann ich ihn zu umkreisen. Er kopierte meine Schritte.

Ich konzentrierte mich auf meine Magie und versuchte mit aller Kraft, die knisternde Energie aus mir herauszustoßen. Ich hatte es schon mehrmals geschafft. Warum konnte ich es ausgerechnet jetzt nicht tun, wenn es darauf ankam?

Ich biss die Zähne zusammen. Schweißperlen sammelten sich auf meiner Stirn. Der Hund und ich hatten bereits einen Halbkreis abgeschritten.

Plötzlich drehte er sich von mir weg und sprang auf meine Pferde zu.

Ich schrie auf, stürmte auf sie zu, aber es war zu spät.

Die Mäuler des Hundes schlossen sich um die Hälse der beiden vorderen Pferde. Ihr weißes Fell färbte sich rot. Die Pferde versuchten, sich zu befreien, aber sie hatten keine Chance – der Hund biss nur noch fester zu. Ihre Augen weiteten sich vor Angst, während das Blut aus ihren Körpern strömte. So viel Blut.

Vor meinem inneren Auge tauchte ein Bild vom gestrigen Tag auf, als Bridgets Blut meine Hände rot gefärbt hatte. Plötzlich erfüllte mich unbändige Wut, und ich hob erneut die Hände. Aus jeder Handfläche schoss ein Blitz hervor.

Sie vereinigten sich zu einem einzigen großen Blitz, der die Bestie im Rücken traf. Der Hund erstarrte, dann wurde er von Krämpfen geschüttelt. Aber seine Mäuler waren immer noch um die Hälse der Pferde geschlossen. Er wollte nicht aufgeben.

Herausforderung angenommen . Ich fütterte den mächtigen Blitz mit noch mehr Magie, bis der Hund schließlich zusammenbrach. Die beiden Pferde gingen mit ihm zu Boden.

Ich lief zu meinem Schwert, eilte zurück und schnitt die Zügel durch, mit denen die beiden vorderen Pferde am Wagen befestigt waren. Dann sprang ich wieder auf.

„Jetzt sind wir nur noch zu dritt“, sagte ich zu den beiden anderen Pferden. Ich blickte auf das blutige Durcheinander vor uns hinunter, und mein Herz zerbrach beim Anblick der schönen Geschöpfe, die in einer Pfütze ihres eigenen Blutes lagen. „Nicht hinschauen“, sagte ich sowohl zu mir selbst als auch zu den beiden lebenden Pferden. Dann packte ich die Zügel und versuchte, sie an den Kadavern vorbeizulenken.

Eines der Pferde gab ein trauriges Wiehern von sich. Das andere senkte den Kopf und stupste mit der Nase eines der toten Pferde an.

Auf einmal zuckte der Hund. Ich sah genauer hin, um sicherzugehen, dass ich es mir nicht eingebildet hatte. Und tatsächlich, da war wieder ein Zucken.

Wie kann er sich so schnell erholen?

Ich hatte keine Ahnung. Aber eines wusste ich: Ich musste schleunigst von hier weg.

„Kommt schon.“ Ich ließ ein wenig Strom durch die Zügel fließen – nicht genug, um den Pferden wehzutun, aber genug, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. „Los geht’s.“