KAPITEL 7

– Selena –

W usste ich doch, dass ihr mich erkennen würdet“, sagte sie. „Vor allem, da ihr beide von meiner Hand gezeichnet worden seid.“

„Du meinst unsere Muttermale?“, fragte ich.

„Natürlich.“ Sie trat an uns vorbei und legte sich mit ausgestreckten Beinen auf die Couch. „Es ist unterhaltsam zu beobachten, wie die Menschen versuchen, ihre Seelenverwandten zu finden. Meistens scheitern sie. Aber die Feen hatten immer schon einen besonderen Platz in meinem Herzen. Ihre Magie, Intelligenz und Hartnäckigkeit sind imponierend, findet ihr nicht auch? Ich möchte, dass eure Art das Glück findet, das nur wahre Liebe bringen kann. Aber da es so viele Feen gibt, und da körperliche Lust oft eine blendende Ablenkung ist, kann es fast unmöglich sein, seinen Seelenverwandten zu finden. Deshalb habe ich Zeichen dafür erschaffen: die Muttermale. Brillant, nicht wahr?“

„Brillant. Allerdings.“ Julian stand kerzengerade da. Seine Atmung war flach. Das Zucken seiner Mundwinkel sagte mir, dass es ihn alle Mühe kostete, nicht auf Venus zuzugehen und sie zu erwürgen.

Ich versuchte, nicht auf ihren schwanenartigen Hals zu starren.

Venus neigte kokett den Kopf. „Julian. Du bist böse auf mich. Warum?“

Er schnaubte. „Was glaubst du denn?“

„Na, an der Seelenverwandten, die ich für dich ausgesucht habe, kann es nicht liegen“, sagte sie. „Selena ist wunderschön. Und das bedeutet viel, wenn es von mir kommt.“

Ich verlagerte unruhig mein Gewicht vom einen Bein aufs andere. Kein Junge auf Avalon hatte mich je interessiert, und ich hatte mir nie länger Gedanken über mein Aussehen gemacht. Abgesehen von Torrence – die nicht zählte, weil sie als meine beste Freundin so etwas sagen musste – war Julian die einzige Person, die mich jemals als schön bezeichnet hatte.

Venus war nun die Zweite.

„Selena ist die einfühlsamste, liebevollste und schönste Person, die ich je getroffen habe.“ Julian legte seinen Arm schützend um meine Taille, und ich sog scharf die Luft ein. „Aber unsere Situation ist grausam, selbst nach den Maßstäben der Götter.“

„Ist sie das wirklich?“ Venus studierte ihre manikürten Nägel. „Wärst du etwa lieber gestorben – oder hättest du ihr lieber beim Sterben zugesehen – ohne zu wissen, was ihr füreinander seid?“

In meiner Brust stieg Hass für die Göttin auf. „Du genießt das.“

Venus zuckte mit den Schultern. Sie widersprach nicht.

„Lass das Theater, Venus“, sagte Vesta schärfer, als ich sie je zuvor hatte sprechen hören. „Sie müssen nicht noch mehr gequält werden als ohnehin schon.“

„Nun gut.“ Venus schnaubte und richtete sich auf. „Ich sag’s euch ganz offen. Genau wie meine Mitgötter habe ich die Spiele stets genossen. Aber das …“ Sie schüttelte den Kopf und sah mitleidig zwischen Julian und mir hin und her. „Seelenverwandte sollten für immer zusammen sein. Oder zumindest die Zeit, die ihnen bleibt, genießen können. Eure Situation überschreitet eine Grenze. Das kann ich einfach nicht dulden.“

Erleichterung überkam mich, und ich lehnte mich in Julians Umarmung. „Heißt das, dass du für die Spiele eine neue Regel für Seelenverwandte aufstellst?“, fragte ich hoffnungsvoll.

Sie schürzte ihre perfekt geschwungenen Lippen. „Als Vesta zu mir kam und mir von eurer Notlage erzählte, habe ich mich glatt in euch verliebt.“ Sie runzelte die Stirn und legte die Hand auf ihre Brust. „Ich fand es nur richtig, euch die Nachricht selbst zu überbringen.“

Meine Erleichterung schwand einer dunklen Vorahnung.

„Was für eine Nachricht?“, fragte Julian misstrauisch.

„Juno macht die Regeln für die Spiele. Sie ist die Einzige, die sie ändern oder neue hinzufügen kann“, sagte Venus. „Ihr habt recht, dass es keine Regel für Seelenverwandte gibt. Also bin ich zu Juno gegangen und habe um eine neue Regel gebeten, die besagt, dass Seelenverwandte von den Spielen befreit werden können, wenn sie das wünschen.“

„Und?“ Ich knetete nervös meine Finger.

„Sie hat abgelehnt“, sagte Venus schlicht.

Ich hatte gewusst, dass das kommen würde – ihr Tonfall hatte es bereits angekündigt. Aber die Verzweiflung überkam mich trotzdem so schwer, dass ich mich an Julian klammern musste, um nicht umzufallen.

„Juno zufolge sind die Spiele in diesem Jahr besonders wichtig. Sie bestand darauf, dass ihr beide dabei bleiben müsst “, fuhr Venus fort. „Ich weiß nicht, woher sie das weiß. Ich nehme an, sie hat mit Minerva gesprochen.“ Sie zuckte wieder mit den Schultern. „Ich fürchte, alles, was ich euch sagen kann, ist: Es können jederzeit neue Regeln aufgestellt werden, und ihr solltet immer Vertrauen zu den Göttern haben.“

Ich starrte sie sprachlos an.

Sie bat mich, den Göttern zu vertrauen. Den Göttern, die es für einen großen Spaß hielten, Halbblüter mit Magie zu beschenken und dann zuzusehen, wie sie sich gegenseitig abschlachteten.

Nein, danke.

„Nun, es ist Zeit, dass ich mich verabschiede.“ Venus stand auf und strich unsichtbare Fusseln von ihrem Gewand. „Komm, Vesta. Es ist besser, wenn sie allein sind, um diese Nachricht gemeinsam zu verdauen.“

Vesta warf uns einen mitleidigen Blick zu und schoss ihre orangefarbene Magie auf den Kamin, um die Flammen zu entzünden. Venus strich noch einmal über ihr goldenes Haar, und dann verschwanden sie und Vesta im Feuer.