KAPITEL 10

– Selena –

W illkommen zum dritten Arenakampf der Feenspiele!“, rief Bacchus von seinem von Panthern gezogenen Wagen aus. „Wer ist bereit, die auserwählten Wettkämpfer von Neptun, Venus und Pluto auf Leben und Tod gegeneinander antreten zu sehen?“

Tosender Beifall dröhnte durchs Kolosseum.

Die Mitte der Arena war diesmal mit Gras bedeckt und übersät von kleinen Hügeln und Miniaturbäumen. Wilde Tiere liefen im Kreis herum und funkelten einander angriffslustig an.

„Seht ihr die Tiere da unten?“ Bacchus deutete mit seinem Zepter auf den Kampfplatz. „Es sind bereits mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen, seit sie das letzte Mal gefüttert wurden. Wenn unsere Auserwählten die Arena betreten, werden sie nicht nur mit ihresgleichen zu kämpfen haben!“

Die Menge brach erneut in Jubel aus.

Die restlichen Auserwählten und ich saßen in der königlichen Loge. Hinter uns thronten Kaiserin Sorcha und Julian. Zum Glück hatte ich meine Blitze inzwischen auch ohne Sorchas beruhigende Berührung im Griff. Und dieser Kampf bereitete mir ohnehin keine Sorgen.

Felix wollte sich zurückhalten und es Cillian überlassen, Octavia auszuschalten. Und der Art nach zu urteilen, wie Cillian in der Villa herumstolziert war, seit Julian verkündet hatte, ihn in die Arena zu schicken, wollte er uns allen das volle Ausmaß seiner Macht zeigen.

Ich konnte es kaum erwarten.

Ich drehte mich zu Julian um, und er nickte mir zuversichtlich zu.

„Und jetzt!“ Bacchus hob sein Zepter, und violette Magie strömte aus ihm heraus bis hoch zur kreisrunden Öffnung im Baldachin, der das Gebäude bedeckte. „Lasst den Kampf beginnen!“

Seine Magie musste einen Illusionszauber aufgehoben haben. Denn plötzlich wurden Octavia, Felix und Cillian sichtbar, die in komplizierten Rankennetzen weit oberhalb des Kampfplatzes gefangen waren. Cillian hing direkt gegenüber der königlichen Loge, Octavia und Felix jeweils an den Seiten.

Die Lianen fesselten ihre Körper vom Hals bis zu den Zehen. Noch dazu waren ihre Hände auf dem Rücken fixiert und steckten in klobigen Metallfäustlingen, die ihnen bis zu den Ellbogen reichten.

„Die metallenen Handschuhe, die die Auserwählten tragen, wurden von Vulkan persönlich geschmiedet!“, verkündete Bacchus und schwebte hinter die Schutzbarriere, die die Götter für das Publikum erschaffen hatten. Auch die goldenen Kugeln befanden sich dahinter. „Sie blockieren die Magie der Auserwählten. Sobald sie den Ranken entkommen sind, werden sich die Handschuhe von selbst öffnen, und sie können ihre Kräfte einsetzen!“

Die Menge jubelte weiter, und dicke Ranken ließen die Wettkämpfer langsam von der Decke herab. Sie schwebten nun ungefähr fünf Meter über den Tieren, die gierig nach oben starrten.

Der Kampf gegen die Ranken war bereits im vollen Gange. Cillian wehrte und krümmte sich am meisten, und sein Gesicht verzog sich vor Wut, während die Ranken in seine prallen Muskeln schnitten. Aber so sehr er es auch unter Stöhnen versuchte, die Ranken schlossen sich nur noch fester um ihn.

Auch Octavia mühte sich an ihren Fesseln ab. Wie bei Cillian zogen sich die Ranken nur noch fester um sie zusammen, je mehr sie sich zu befreien versuchte.

Felix wehrte sich überhaupt nicht gegen die Schlingen. Offenbar wollte er sein Versprechen einhalten: Er wollte einfach oben hängenbleiben, damit Cillian und Octavia gegeneinander kämpfen konnten.

Aber im Gegensatz zu den anderen ließen Felix’ Ranken plötzlich locker.

In seinem Gesicht blitzte Panik auf, und er strampelte hektisch, um sich an den Lianen über ihm festzuhalten. Doch sobald er sich bewegte, schlossen sich die Ranken und hielten ihn wieder gefangen. Nur diejenigen, die bereits völlig von ihm abgelassen hatten, hingen weiterhin schlaff herab.

Cillians Gesicht war knallrot vor Anstrengung. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich mit roher Gewalt aus den Schlingen zu befreien, als dass er Felix’ Situation bemerkt hätte.

Aber Octavia war aufmerksamer gewesen. Sie schloss die Augen und hielt völlig still, als ob sie meditieren würde. Es sah aus, als würde sie nicht einmal atmen.

Die Ranken entwirrten sich eine nach der anderen.

Cillian dagegen hatte sich so heftig verrenkt, dass er mittlerweile mit dem Rücken zu Octavia hing. Die Götter wussten, dass er jähzornig war. Sie hatten diesen Wettbewerb zu seinen Ungunsten gestaltet.

Meine Nackenmuskulatur verspannte sich. Cillian musste sich zusammenreißen, damit er sich befreien und Octavia ausschalten konnte. Stattdessen schrie er voll unbändiger Wut, während sich die Ranken immer fester um seinen Hals und seine Gelenke schnürten.

Wenn er so weitermachte, würde er bald das Bewusstsein verlieren.

Vielleicht wäre das gut. Wenn er bewusstlos ist, werden ihn die Ranken fallen lassen .

Aber dann würden sich die wilden Tiere auf ihn stürzen. Also nein, bewusstlos zu werden, wäre definitiv nicht gut für ihn.

Felix zappelte weiter, gerade so viel, dass die Ranken ihn nicht losließen, und blickte zwischen Cillian und Octavia hin und her.

Sag Cillian, er soll aufhören zu kämpfen! , dachte ich. Sag es ihm, damit er gegen Octavia antreten kann!

Ich hätte es selbst geschrien, wenn er mich hätte hören können. Aber die Magie, die die Arena umgab, verhinderte, dass die Wettkämpfer etwas hörten, was den Kampf beeinflussen konnte. Felix war also der Einzige, der Cillian helfen konnte.

Aber er blieb stumm.

Es dauerte nicht lange, bis sich die letzte Ranke von Octavia löste. Sie landete elegant auf ihren Füßen, und ihre Handschuhe fielen scheppernd zu Boden.

Sie ballte ihre Fäuste und blaue Magie wirbelte um ihre Hände und ihre Arme hinauf. Als das erste der wilden Tiere – eine Löwin – sich auf sie stürzte, streckte Octavia bloß eine Hand aus und schleuderte einen Eiszapfen direkt in das Herz der Raubkatze. Octavia trat unbeeindruckt zur Seite, während die Löwin neben ihr zusammenbrach.

Sie erlegte ein Tier nach dem anderen, manchmal wehrte sie sogar zwei auf einmal ab. Cillian – der nicht gesehen hatte, wie sie entkommen war – kämpfte unterdessen immer noch gegen die Ranken an, während er zornig zusah, wie sie die Tiere ausschaltete. Die Ranken gruben sich tief in sein Fleisch. Unter ihm tropfte Blut auf den Boden.

Der Geruch lenkte die Tiere ab. Es rannten so viele von ihnen auf die Blutpfütze zu, dass Octavia Zeit hatte, auf einen der Hügel zu springen. Ihre Magie wirbelte wie wild um ihren Körper. Sie ließ eine Wand aus kristallklarem Eis entstehen, die sie vollständig umgab.

Ein Tiger stürmte gegen die Wand und prallte zurück. Das Eis bekam nicht einmal einen Riss.

„Bleib da oben!“, rief sie Felix zu, der immer noch damit beschäftigt war, an den Lianen hängen zu bleiben, ohne zu ersticken. „Ich schaffe das!“

Er tat, was sie verlangte. Das konnte ich ihm nicht verübeln, denn die Götter hatten ihnen keine Waffen gegeben, und seine Magie konnte ihn im Moment nicht vor den Bestien schützen.

Aber warum hatte er Cillian nicht geholfen?

Als ich sah, wie er Octavia nun zuzwinkerte, fiel mir die Antwort wie Schuppen von den Augen. Felix hatte uns verraten. Er arbeitete mit Octavia zusammen.

Ich hätte diesem verlogenen, arroganten Idioten nie vertrauen dürfen.

Octavia musste sich dank ihrer Eismauer nicht mehr darum kümmern, die Tiere abzuwehren, und drehte sich Richtung Cillian, der immer noch in seiner Falle zappelte und blutete. Sein ganzer Körper war rot vor Wut – und vor Strangulation.

Sie schleuderte einen Eiszapfen, so lang wie ein Schwert, direkt auf ihn.

Er zappelte so sehr, dass das Geschoss sein Herz verfehlte und stattdessen seinen Arm streifte, bevor es an der magischen Barriere zum Publikum zerbrach.

Octavia fluchte und warf einen weiteren Eiszapfen nach ihm. Er durchbohrte sein Bein.

Der nächste flog nur wenige Zentimeter an seinem Kopf vorbei.

Der vierte ging ins Herz.

Cillians Körper erschlaffte. Die Ranken lösten sich und ließen ihn zu Boden fallen. Sein toter, malträtierter Körper landete in einer Lache seines eigenen Blutes.

Die Tiere sprangen auf, bereit zum Festmahl. Doch Bacchus’ purpurne Magie schlug sie nieder, und sie zerfielen allesamt zu Asche. Gleichzeitig ließen Felix’ Ranken ihn zu Boden fallen, wo er geschickt auf seinen Füßen landete.

Er weigerte sich, einen von uns in der königlichen Loge anzusehen.

Octavia eilte auf ihn zu, ihr Gesicht voller Sorge, während sie sich vergewisserte, dass es ihm gut ging. Als ob das überhaupt eine Rolle spielte. Vejovis würde alle Verletzungen heilen, die sie im Kampf erlitten hatten.

Ein ekelerregendes Gefühl machte sich in meinem Magen breit, als ich sah, wie besorgt Octavia Felix berührte. Er zog sie näher an sich heran und nahm ihr Gesicht in seine Hände, während er ihr versicherte, dass er wohlauf war, und sie dafür bewunderte, wie sie sich geschlagen hatte.

Hatte er uns nicht erst vor ein paar Nächten erzählt, wie sehr er es hasste, sie zu berühren?

Ich warf einen Blick auf Cassia. An den Tränen, die sie sich wegwischte, konnte ich sehen, dass sie sich noch viel stärker verraten fühlte als ich.

Bacchus lenkte seinen Streitwagen in einer feierlichen Runde um das Schlachtfeld und landete neben Cillians Körper. „Cillian – der auserwählte Wettkämpfer von Pluto – ist offiziell aus den Spielen ausgeschieden“, sagte er. „Seine Seele ist auf dem Weg ins Elysium, wo er für alle Ewigkeit als Gott verehrt werden wird. Möge seine Überfahrt in die Unterwelt friedlich verlaufen!“

„Möge seine Überfahrt in die Unterwelt friedlich verlaufen!“, wiederholte die Menge unisono.

Ich saß da und fühlte mich leer, während ich ihren gruseligen Gesängen lauschte. Die Spiele hatten mich wieder besiegt. Ich hatte es endgültig satt, nur am Rande zu stehen.

Octavia hatte diese Woche vielleicht überlebt. Aber die Spiele waren noch lange nicht vorbei. Nächste Woche wollte ich sie wieder in der Arena sehen. Und ich hatte vor, ebenfalls in den Kampf zu ziehen. Ich würde das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sie ein für alle Mal aus den Spielen werfen.