KAPITEL 11

– Selena –

W ir hätten Felix nie trauen dürfen“, sagte ich und kuschelte mich nach einer emotional aufgeladenen Wiederholung der vorigen Nacht in Julians Arme.

Es war seine letzte Nacht in der Suite. Morgen würde das Zimmer demjenigen gehören, der den nächsten Wettbewerb zum Kaiser der Villa gewinnen würde.

„Du hast recht.“ Er strich mit seinen Fingern zärtlich über meinen Arm. „Das sollte uns daran erinnern, dass wir bei den Spielen nur einander vertrauen können.“

„Und Cassia“, erinnerte ich ihn. „Sie ist meine beste Freundin bei den Spielen.“

„Ich weiß, dass sie das ist.“ Er griff nach meiner Hand und drückte sie. „Und ich glaube, dass ihre Treue zu uns echt ist. Aber wir müssen immer auf der Hut sein. Selbst bei denen, denen wir vertrauen.“

„Also auch bei uns?“, stichelte ich.

„Niemals.“ Seine Augen brannten mit so viel Intensität, dass mir der Atem stockte. „Wir sind Seelenverwandte. Wenn ich dir wehtun würde, würde es mich zehnmal so sehr verletzen wie dich. Das habe ich auf die harte Tour gelernt, als wir uns kennengelernt haben. Ich will dir das nie wieder antun.“

Ich nickte. Die Zeit, bevor ich gewusst hatte, dass Julian mein Seelenverwandter war, war quälend gewesen. Wenigstens verstand ich jetzt, warum ich solche Gefühle für ihn hatte.

Ich war dabei, mich in ihn zu verlieben. Nein, ich hatte mich längst in ihn verliebt. Schon als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Es war eine große Erleichterung, sich nicht mehr dagegen wehren zu müssen.

Er legte neugierig den Kopf schief. „Woran denkst du?“, fragte er.

Ich biss mir auf die Unterlippe und zögerte, ihm zu antworten. Denn ja, wir waren Seelenverwandte. Aber war Liebe wirklich etwas, das auf den ersten Blick passierte? Oder wuchs sie erst mit der Zeit? Ich sehnte mich nach Julians Berührung, und ich fühlte mich in seiner Nähe sicher. Aber war das Liebe? Oder war es Lust, die sich langsam zu Liebe entwickeln konnte?

War meine Verwirrung darüber der Grund, warum ich noch nicht bereit war, mich ihm ganz hinzugeben?

Bevor ich meine Gedanken in Worte fassen konnte, klopfte jemand an die Tür.

Wir beeilten uns, uns vorzeigbar zu machen, und dann ging Julian hinüber, um durch den Spion zu schauen.

Er warf mir einen finsteren Blick zu und öffnete die Tür mit einem Ruck. „Felix“, sagte er und versperrte breitbeinig den Eingang. „Das war eine tolle Show, die du uns in der Arena geboten hast.“

„Du bist wütend“, sagte Felix.

„Echt, meinst du?“

Sie starrten sich gegenseitig an, keiner von ihnen wich zurück. Ich umklammerte die Bettdecke und zügelte den Drang, einen Blitz auf Felix’ arrogantes Gesicht loszulassen.

„Ich kann es erklären.“ Felix richtete sich auf und versuchte, Julian über die Schulter zu gucken. „Willst du mich reinlassen?“

„Nein“, sagte Julian. „Aber ich werde es trotzdem tun. Nur damit du uns irgendeine Lüge auftischen kannst, von der du meinst, dass wir dumm genug sind, sie zu glauben.“

Er trat zur Seite, und Felix schlenderte gemächlich ins Zimmer. Dann machte er es sich auf der Couch bequem, genauso wie Venus, als sie uns vor ein paar Tagen besucht hatte.

Julian knallte die Tür zu und setzte sich ans Fußende des Bettes. Ich setzte mich zu ihm. Es waren zwei gegen einen, das wollte ich Felix unmissverständlich klar machen.

„Du arbeitest mit Octavia zusammen“, sagte ich lakonisch. „Du wolltest, dass sie den Wettbewerb gewinnt.“

„Du irrst dich“, sagte er. „Ich bin unserer vierköpfigen Allianz weiterhin treu. Ich bin hierhergekommen, um sicherzugehen, dass ihr das wisst.“

„Unser Bündnis ist Geschichte“, sagte Julian. „Aber bitte. Erzähl weiter.“

„Ihr müsst verstehen“, begann Felix. „Ich hatte keine andere Wahl.“

„Man hat immer eine Wahl“, sagte ich. „Und heute hast du die falsche getroffen.“

„Würdet ihr mich bitte ausreden lassen?“

Die Elektrizität in mir knisterte bedrohlich. Aber ich holte tief Luft und nickte, denn je schneller Felix fertig war, desto eher würde er wieder gehen.

„Danke.“ Er schenkte mir ein wissendes Lächeln, das mich nur noch wütender machte. „Ich schwöre, ich gehöre nicht zu Octavia. Aber wenn ich Cillian offen geholfen hätte, wäre Octavias gesamte Truppe hinter mir her gewesen. Möglicherweise einschließlich Octavia, wenn Cillian gegen sie verloren hätte.“

„Du hast also deine eigene Haut gerettet“, sagte ich kalt.

„Natürlich. Du kannst mir doch nicht zum Vorwurf machen, dass ich am Leben bleiben will?“

Ich sagte nichts, denn nein, eigentlich konnte ich ihm das nicht vorwerfen. Aber das bedeutete nicht, dass sein Argument stichhaltig war.

„Cillian war stark“, konterte Julian. „Wenn du ihm gesagt hättest, wie man den Ranken entkommt, hätte er Octavia besiegt. Deshalb habe ich dich mit den beiden da reingesetzt. Damit du ihn die Drecksarbeit für uns machen lässt.“

„Es war nie Teil unserer Abmachung, dass ich Cillian helfen oder mich offen gegen Octavia stellen würde“, sagte Felix. „Ich sollte mich zurücklehnen, nichts tun und sie gegeneinander kämpfen lassen. Genau das habe ich getan, indem ich in diesen Ranken hängen blieb.“

„Du bist dort hängen geblieben, weil du gegen die Tiere in der Arena keine Chance gehabt hättest“, sagte ich.

„Das stimmt. Und ich habe genug Vertrauen in meine zahlreichen anderen Fähigkeiten, um das offen zuzugeben“, sagte er. „Aber wie gesagt, ich habe nie gegen unsere Abmachung verstoßen. Es tut mir genauso leid wie euch, dass Octavia Cillian geschlagen hat.“

„Das bezweifle ich sehr“, murmelte ich.

„Aber du weißt, dass ich recht habe“, sagte er selbstgefällig.

„Ich weiß, was ich da draußen gesehen habe. Du sorgst dich um Octavia. Du wolltest, dass sie gewinnt.“

„Glaubst du, ich genieße es, sie zu berühren?“, knurrte er. „Glaubst du, ich freue mich darauf, dass sie heute Abend zu mir kommt und will, dass ich mich ihr wieder hingebe, um ihren Sieg zu feiern? Du magst sie nicht, aber wenigstens musst du nicht so tun , als ob du sie mögen würdest. Wenn du deine Kräfte gegen sie einsetzt, musst du ihr wenigstens nicht erlauben, deinen Körper zu benutzen.“

Seine Stimme triefte vor Abscheu. Ich war fast bereit, ihm doch noch Glauben zu schenken.

„Ihr beide solltet mir für meine Loyalität dankbar sein“, fuhr er fort. „Ich habe mein Leben riskiert. Und ich halte diese Fassade mit Octavia für euch aufrecht – und für Cassia. Alles, was ich will, ist, mit Cassia zusammen zu sein. Und dass alle anderen in der Villa wissen, dass sie die Einzige ist, die ich will. Aber ich darf diesem Impuls nicht nachgeben. Denn dann hätten es Octavia und Antonia vor lauter Eifersucht auf sie abgesehen. Und ich werde nicht zulassen, dass sie ihr etwas antun.“

Julian rückte näher an mich heran, hielt er seinen Blick aber auf Felix gerichtet. „Du schläfst auch mit Antonia?“, fragte er.

„Nur wenn ich es muss.“ Felix’ Augen waren hart. „Aber darauf habe ich mich eingestellt, als wir unser Bündnis geschlossen haben. Das ist nun mal mein Schicksal, seit Venus mich zu ihrem Auserwählten gemacht hat.“

„Wir wählen unser eigenes Schicksal“, warf ich ein.

„Das tun wir“, stimmte er zu. „Und ich tue alles, was nötig ist, um uns vier so lange wie möglich am Leben zu erhalten. Wendet euch nicht gegen mich, nur weil ihr das nicht gerne hört. Tatsache ist, dass Octavia immer noch glaubt, dass ich auf ihrer Seite bin. Wir können ihr Vertrauen in mich nutzen, um sie aus den Spielen zu werfen.“

„Weil das heute so gut funktioniert hat“, spottete ich.

„Hast du kein Wort von dem gehört, was ich gerade gesagt habe?“

„Habe ich. Und es gefällt mir nicht.“

„Schau.“ Er fuhr sich frustriert mit der Hand durch die Haare. „Ich verlange nicht, dass du mich magst. Ich bitte dich nur, mit mir zu arbeiten . Dein Freund versteht, worauf ich hinaus will. Nicht wahr, Julian?“

Ich drehte mich zu Julian in der Erwartung, dass er mich unterstützen würde.

Er sah mir nicht in die Augen.

„Felix hat recht, was unsere Abmachung angeht“, sagte er ruhig. „Er hat versprochen, sich zurückzuhalten und Octavia und Cillian in der Arena gegeneinander antreten zu lassen. Genau das hat er getan.“

„Ernsthaft?“ Ich konnte es nicht glauben. „Du stellst dich auf seine Seite?“

„Hier geht es nicht um Seiten“, knurrte er, und in diesem Moment war er nicht mein Seelenverwandter, sondern der kalte und tödliche Auserwählte des Mars. „Es geht um Fakten. Tatsache ist, dass Felix nie zugestimmt hat, Cillian offen zu helfen. Wir beide hätten das vielleicht gewollt, aber seine Gründe dagegen sind stichhaltig.“

„Na und?“, sagte ich empört. „Sollen wir ihm jetzt einfach verzeihen und so tun, als wäre nichts gewesen?“

Julian presste die Lippen aufeinander und sagte nichts. Das konnte doch nicht wahr sein.

„Was ist mit Cassia?“ Ich drehte mich wieder zu Felix um, Wut schoss durch meine Adern. „Glaubst du wirklich, dass sie noch etwas mit dir zu tun haben will, nachdem sie dich heute mit Octavia gesehen hat?“

„Ich denke es nicht nur“, sagte er. „Ich weiß es.“

„Komm schon.“ Ich verdrehte die Augen. „Ich habe gesehen, wie verletzt sie in der Arena aussah. Das hat sie auf keinen Fall vorgetäuscht.“

„Es ist in der Tat schwer für sie“, sagte er feierlich. „Ich wünschte, es müsste nicht so sein. Aber ich habe gleich danach mit ihr gesprochen – während ihr beide hier oben geknutscht habt.“

„Wir haben nicht geknutscht “, sagte ich und verschränkte die Arme. Ich hasste diesen Kerl mit jedem Wort mehr und mehr.

„Spar dir das für jemanden, der so etwas nicht spüren kann“, sagte er.

So ein Mist. Seine Magie kannte überhaupt keine Privatsphäre.

„Der Punkt ist, dass ich mit Cassia gesprochen habe“, fuhr er fort. „Sie versteht, warum ich tun musste , was ich getan habe. Sie versteht auch, dass ich das alles nur für sie mache. Sie vertraut mir, und sie vertraut unserer Allianz.“

„Das glaube ich, wenn ich es höre“, sagte ich. „Von ihr .“

Felix grinste. „Deal.“

„So habe ich das nicht gemeint.“

„Wie meintest du es dann?“, fragte er herausfordernd. „Du musst doch die Logik in dem sehen, was ich sage. Oder etwa nicht? Ich erkläre es dir gerne noch einmal –“

„Ich verstehe, was du sagst.“ Ich hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen. „Aber das heißt nicht, dass ich es gut finde.“

„Aber du willst bei den Spielen weit kommen. Und du weißt, dass das bedeutet, mich als Bündnispartner zu behalten – ob du mich nun gut findest oder nicht.“

Ich starrte ihn stumm an. Es war wirklich zum Haareraufen, aber er hatte recht.

Julian schaute zwischen Felix und mir hin und her, sein Gesicht eisern. „Diese Woche ist nicht wie geplant verlaufen“, sagte er schließlich ernst. „Aber wenn wir weiter zusammenarbeiten wollen, müssen wir uns einigen. Es ist an der Zeit, einen Schlussstrich unter die Sache zu ziehen. Das heißt, keine Bauernopfer mehr. Bis wir die letzten vier sind, gilt von jetzt an: Wenn einer von uns Kaiser der Villa wird, bringt er niemanden aus unserer Gruppe in Gefahr. Wir schicken drei starke Spieler, die wir loswerden wollen , in die Arena. Vielleicht wird Octavia gegen sie verlieren, vielleicht auch nicht. Aber zumindest werden wir so ihre Verbündeten ausschalten. Ohne sie wird Octavia irgendwann fallen. Dafür werden wir sorgen.“

„Das hört sich gut an“, stimmte Felix zu.

Julian drehte sich zu mir um. „Selena?“ Seine Augen flehten mich an, ja zu sagen. Ihm zu vertrauen.

Ich wollte es ja. Aber es gab noch eine andere Person in dieser Villa, der ich vertraute.

„Vielleicht“, sagte ich. „Aber zuerst spreche ich mit Cassia.“

„Ich sagte doch, dass ich das schon getan habe.“ Felix lehnte sich in der Couch zurück, die Arme ausgebreitet, und stieß einen schweren, frustrierten Seufzer aus.

„Und ich glaube dir“, sagte ich. „Aber ich muss es von ihr hören.“

„Und wenn sie dasselbe sagt?“

„Dann ja.“ Es tat mir weh, zuzustimmen, aber ich musste tun, was das Beste für Julian, mich und Cassia war. Auch wenn das hieß, weiter mit Felix zusammenzuarbeiten. „Wenn sie wirklich einverstanden ist mit dem, was heute passiert ist, dann werde ich diesen neuen Bedingungen zustimmen und wir setzen unsere Allianz fort.“