KAPITEL 12

– Torrence –

E ndlich.

In diesen Kinderbüchern lasen wir endlich mehr über die Gegenstände, die König Devin verlangt hatte.

Aber wo sie zu finden waren, stand nirgends.

„Hat sich einer von euch eigentlich gefragt, warum König Devin diese Gegenstände haben will?“, fragte Reed schließlich.

„Er will sie gegen Gegenstände tauschen, die uns in die Anderswelt bringen. Das weißt du doch.“ Ich konzentrierte mich wieder auf den Text vor mir und belas mich über Circe und ihren Stab.

„Das meine ich nicht“, sagte er. „Es ist nur so, dass dies alles mächtige Objekte sind. Ich würde gern wissen, was er mit ihnen zu tun gedenkt, wenn er sie erst einmal hat.“

„Mit König Devin werden wir schon fertig“, sagte Thomas zuversichtlich. „Was auch immer er mit diesen Objekten vorhat, die anderen Königreiche und Avalon werden ihn in Schach halten.“

„Zwei Prophetinnen unseres Vertrauens haben uns zu ihm geführt“, fügte Sage hinzu. „Das hätten sie nicht getan, wenn es einen anderen Weg gäbe, Selena zu retten.“

„Schon gut, schon gut.“ Reed zuckte mit den Schultern und zog das Buch, in dem er gelesen hatte, zurück auf seinen Schoß. „Ich habe bloß laut nachgedacht.“

Ich blickte ihn aus dem Augenwinkel an. Wollte er etwa verhindern, dass wir König Devin die Gegenstände überreichten? Wenn ja, dann hatte er keine Chance. Wir würden alles tun, um Selena zu retten.

Nach gefühlten Stunden kam jemand die Treppe heruntergepoltert. Meine Mutter.

„Sagt bloß, ihr vier wart die ganze Nacht auf!“, sagte sie bestürzt.

Ich schaute auf meine Uhr und stellte überrascht fest, dass es bereits Morgen war. „Ja, sieht so aus“, gähnte ich.

„So sehr es mich auch freut, dass ihr euch für das Archiv interessiert – es ist Zeit, die Bücher wegzulegen und wieder nach oben zu kommen“, sagte sie. „Ihr habt Besuch.“

 

Auf der weißen Wohnzimmercouch saß eine Vampirdame, die ich überall wiedererkannt hätte.

Rosella.

Ich erstarrte. Die legendäre Prophetin saß entspannt in meinem Wohnzimmer und trank Tee . Sie trug die typische weiße Haven-Kluft, zu ihren Füßen lag eine helle, modische Handtasche. Mit ihren langen dunklen Haaren und den trüben Augen sah sie genauso aus wie in den Sachbüchern, die wir in der Unterstufe über den Erdenengel und die Königin der Schwerter durchgenommen hatten.

„Danke, Amber, dass du sie geholt hast“, sagte Rosella zu meiner Mutter und starrte mit ihren milchigen Augen auf die Wand vor ihr. „Wenn du uns jetzt entschuldigen würdest, ich brauche eine Audienz mit den vieren allein.“

„Natürlich.“ Meine Mutter senkte den Kopf und eilte in die Küche, wo sie zweifelsohne damit beschäftigt war, ein üppiges Frühstück zuzubereiten – und uns zu belauschen.

„Torrence.“ Rosella schaute in meine Richtung. „Sprich bitte einen Schallschutzzauber.“

Ich gluckste und tat, was sie verlangte.

Sie stellte ihre Teetasse mit größter Vorsicht auf der Untertasse ab. „Die Übernatürlichen wissen im Allgemeinen nichts davon, dass die alten Mythen existieren. Die Wesen des Altertums haben es so gewollt. Sie wollten nichts mit den Streitigkeiten der Übernatürlichen auf der Erde zu tun haben. Also sprachen sie einen Zauber, damit sich unsere Wege niemals kreuzen. Nach etlichen Jahren hielten die Menschen alles Übernatürliche für Aberglauben und althergebrachte Mythen. Doch jetzt, wo ihr wisst, dass diese ‚Mythen‘ sehr wohl real sind, könnt ihr sie finden und bekämpfen.“

„Woher wissen Sie das?“, fragte Reed.

„Ich bin eine Prophetin“, sagte sie lächelnd. „Ich weiß alles, was ich wissen muss – um denen zu helfen, denen ich helfen muss.“ Sie griff in ihre Handtasche und zog ein dickes, vergilbtes Stück Pergament heraus. Sie faltete es auseinander und strich es auf dem Couchtisch glatt. „Ihr vier braucht meinen Rat. Also hört auf, so schüchtern zu sein, und setzt euch.“

Wir versammelten uns um den kleinen Tisch. Das Stück Pergament, das sie ausgebreitet hatte, entpuppte sich als grobschlächtige Karte. Sie erinnerte mich an die Karten, mit denen Piraten in Filmen nach Schätzen suchten.

Sie zeigte die genauen Standorte der von König Devin verlangten Objekte.

„Das ist ja großartig!“, sagte ich, während ich die Karte untersuchte. „Damit dürfte es nicht allzu schwer sein.“

„Lasst euch nicht täuschen“, sagte Rosella. „Die Herausforderung besteht nicht darin, die Objekte zu finden . Das Schwierige ist, sie zu beschaffen . Und wie ihr sicher schon erkannt habt, könnt ihr nur zu viert auf diese Suche gehen. Wenn ihr noch jemanden mitnehmt, seid ihr zum Scheitern verurteilt.“

„Verstanden“, sagte Sage, obwohl Rosella recht hatte – das hatten wir tatsächlich schon herausgefunden.

„Gibt es sonst noch etwas, das wir wissen müssen?“, fragte Thomas.

„Das Schicksal der Welt steht auf dem Spiel, und ihr vier seid ein wichtiges Puzzlestück, um sie zu retten.“ Sie nahm die Karte wieder auf, faltete sie zusammen und reichte sie mir. „Aber ich bin nur hierhergekommen, um euch die Karte zu geben. Wenn ich euch mehr erzähle, könnte sich das negativ auf den Ausgang der Mission auswirken. Also bleibt mir nur, euch eine gute Reise zu wünschen … und viel Glück.“