– Torrence –
S kylla und Charybdis.“ Ich stand auf dem Oberdeck der Jacht, die Hände auf der Reling, und starrte auf die Meerenge zwischen den Klippen vor uns. Ich konnte gerade noch die sechs schlangenartigen Köpfe erkennen, die hinter den zerklüfteten Felsen auf der rechten Seite hervorlugten. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal gegen Skylla und Charybdis kämpfen würde.“
„Nur Skylla“, sagte Sage. „Von Charybdis halten wir uns fern. Na ja, so fern wie möglich.“ Der Name des Strudelmonsters genügte, um sie erschaudern zu lassen.
„Unser Plan ist solide“, sagte Thomas. „Wir töten Skylla, schnappen uns den Gürtel und verschwinden. Das sollte machbar sein.“
Er hatte leicht reden. Schließlich hatte er Erfahrung mit Monstern.
Für mich war es das erste Mal. Hoffentlich würde meine Ausbildung in Avalon als Vorbereitung ausreichen.
„Skylla ist nur für Menschen unbesiegbar“, erinnerte mich Sage. „Aber gegen einen Magier, eine Hexe und zwei Vampir-Wandler-Hybride? Keine Chance.“
„Ihr habt recht“, sagte ich. „Danke.“
„Ich hatte auch Angst vor meinem ersten Kampf gegen ein Monster.“ Sie schenkte mir ein ermutigendes Lächeln. „Und das war auch richtig so. Übermäßiges Selbstvertrauen ist viel schlimmer.“
„Wer hätte gedacht, dass du so weise sein kannst?“, stichelte Thomas.
Ihr Lächeln wurde breiter. „Und wer hätte gedacht, dass du so ein Komiker sein kannst?“
Bevor Thomas antworten konnte, stapfte Reed geräuschvoll die Stufen hinauf, mit einer schwarzen Reisetasche unterm Arm. „Das ist alles“, sagte er und ließ die Tische in der Mitte des Decks fallen.
Natürlich sprach er nur mit Sage und Thomas. Nicht mit mir. Nach dem gemeinsamen Barrierezauber hatten wir vier uns versammelt, um unsere Strategie gegen Skylla zu besprechen. Reed hatte die ganze Zeit kein einziges Wort mit mir gewechselt. Er hatte mich nicht einmal angeschaut .
Wie auch immer. Es gab wichtigere Dinge, um die ich mich kümmern musste. Zum Beispiel Skylla.
Reed öffnete den Reißverschluss der Reisetasche. Darin befanden sich drei heilige Schwerter, ein Bogen mit einem Köcher voller Pfeile sowie vier Fläschchen mit einem klarem Trank.
Thomas warf einen prüfenden Blick in die Tasche und nickte. „Jetzt warten wir“, sagte er.
Nach etwa einer Stunde Wartezeit zog sich das Wasser schlagartig von der Meerenge zurück. Vor den Klippen bildete sich ein Strudel, und das Wasser in seiner Umgebung wirbelte immer schneller und schneller.
Das war Charybdis.
Wir waren in weiter Ferne, also würde sie nur die Fische fressen, die gerade zur falschen Zeit am falschen Ort waren.
Nach etwa zehn Minuten begann der tosende Strudel zu schrumpfen, und dann war das Wasser plötzlich wieder ruhig.
Thomas schaute auf seine Uhr – eine alte Angewohnheit, immerhin konnte er mit seiner Gabe die Zeit ablesen, ohne hinsehen zu müssen. „Sieht aus, als hätte Charybdis früh zu Mittag gegessen“, sagte er.
„Könnte man von einem Brunch sprechen?“, stichelte Sage.
„Genau“, sagte er. „Bis zu ihrer nächsten Mahlzeit wird es ein paar Stunden dauern. Also, schnappt euch eure Waffen. Es ist Zeit, zuzuschlagen.“
Sage, Reed und ich griffen nach unseren Schwertern. Über dem Griff meines Schwertes war ein großer Tansanit-Edelstein eingelassen. Das von Sage besaß einen Rubin und das von Reed einen gelben Quarz. In der Tasche befanden sich auch passende Scheiden. Wir schnallten sie uns auf den Rücken und steckten unsere Schwerter hinein.
Thomas schnappte sich Bogen und Köcher. Die kristallenen Spitzen seiner Pfeile waren mit einem Zauber versehen, der dafür sorgte, dass sie immer in den Köcher zurückkehrten. Der Zauber stammte von einer der ehemaligen Oberhexen des Karpatenreichs, die vor ein paar Jahren nach Avalon gezogen war.
Als Nächstes griffen wir nach den Fläschchen. Sage öffnete ihres als Erste, und wir anderen folgten ihrem Beispiel.
Thomas hob seines hoch. „Auf den Sieg über Skylla!“, sagte er feierlich.
„Und darauf, dass wir Aphrodites Gürtel bekommen!“, fügte ich hinzu.
Wir stießen mit unseren Fläschchen an, führten sie an die Lippen und tranken aus. Die Flüssigkeit kitzelte meine Zunge, obwohl sie nach nichts schmeckte – wie Luft.
In Sekundenschnelle verblassten die anderen, bis sie nur noch verschwommene Gespenster mit einem weißen Schein um sich herum waren. Ich hielt mir die Hand vor die Augen. Sie sah genauso geisterhaft aus.
Das war das Schöne an Unsichtbarkeitstränken aus derselben Charge. Für alle anderen waren wir unsichtbar, aber wir konnten uns gegenseitig zumindest schemenhaft erkennen. Und da wir unsere Waffen bereits in der Hand gehalten hatten, waren auch sie unsichtbar geworden. Die Wirkung würde etwa eine Stunde anhalten.
„Bereit?“ Thomas sah uns der Reihe nach an. „Gut.“
Ich verkniff mir eine Bemerkung darüber, dass er sich wie eine Figur aus dem Lieblings-Cheerleader-Film meiner Mutter anhörte.
Stattdessen trat ich wieder an die Reling und atmete die warme, salzige Luft ein, die aus der tödlichen Meerenge auf uns zuströmte.