– Selena –
D ie Arena war eine Eisfläche mit drei kleinen Iglus, die – mit einigem Abstand zueinander – wie ein Dreieck angeordnet waren. Aber sie hatten keine kleinen Eingänge, wie man sie von Iglus kannte. Es waren durchsichtige Eiskuppeln ohne Ein- und Ausgang. In jedem von ihnen wartete ein einzelner Eispickel.
Verflucht seien die Götter.
Sie wollten, dass Cassia verlor. Und obwohl Pierce’ Feuer Eis schmelzen konnte, war die Arena eindeutig zu Octavias Gunsten gestaltet worden.
„Wie können die Götter und die Feen wollen , dass Octavia gewinnt?“, sagte ich zu Julian, der neben mir in der Königsloge saß.
„Octavia ist verrückt.“ Sein Blick war hart, während er ihn über die tobende Menge schweifen ließ. „Sie genießen es, Verrückten zuzusehen.“
„Das heißt wohl, dass sie mich hassen.“
„Überraschungen mögen sie ebenfalls.“ Er wandte sich mir zu und drückte meine Hand. „Dass du von Jupiter auserwählt wurdest – und dass wir beide … nun, wir beide sind definitiv Überraschungen.“
„Dann wird es ihnen hoffentlich gefallen, wenn Cassia ihnen heute eine Überraschung bereitet.“ Ich versuchte, positiv zu denken, obwohl sich in meinem Magen ein Gefühl der Sorge breit machte.
„Hoffentlich“, antwortete er, aber in seiner Stimme lagen Zweifel.
Pierce musste sich für uns einsetzen.
Ich schaute zu Felix hinüber, um seine Reaktion auf die Arena zu sehen. Er hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und die Beine übereinandergeschlagen. Ab und zu nippte er an dem Glas Honigwein, das er in der Hand hielt. Der Ausgang des Kampfes schien ihm völlig gleichgültig zu sein. Oder er war ein Experte darin, seine Gefühle zu verbergen. So oder so, er war gefährlich und man konnte ihm nicht trauen.
Bacchus tauchte in einer Explosion aus violetter Magie in der Arena auf und lenkte meine Aufmerksamkeit von Felix weg. Er ließ seinen Wagen einmal im Kreis um die Arena fliegen, während die Menge seinen Namen schrie.
Ich betete, dass Cassia diesen Kampf überstehen würde.
Bacchus verlangsamte seinen Wagen, bis er in einer funkelnden violetten Wolke in der Luft schwebte. „Diese Herausforderung ist relativ einfach“, sagte er. „Jeder Auserwählte hat einen Eispickel bekommen. Sie müssen sich aus ihrem Iglu befreien, bevor ihnen der Sauerstoff ausgeht. Die Iglus wurden von Neptun persönlich verstärkt, damit sie schwerer zu durchbrechen sind. Aber keine Sorge! Neptun wusste nicht, wer in welchem Iglu sitzen würde, also konnte er seiner auserwählten Kämpferin keinen Vorteil verschaffen. Sobald sie draußen sind – falls sie draußen sind –, werden sie gegeneinander kämpfen. Der erste Auserwählte, der getötet wird oder im Iglu erstickt, scheidet aus den Spielen aus!“
Ich erstarrte beim Anblick der kleinen Iglus.
Das ist nicht fair.
„Wer ist bereit, die auserwählten Wettkämpfer von Neptun, Vulkan und Ceres bis zum Tod kämpfen zu sehen?“ Bacchus’ Stimme dröhnte durch die Arena, und die Menge brach in Jubel und Beifall aus. „Ich weiß, dass die Vorfreude auf diese Runde groß ist“, fuhr er fort. „Also werde ich sie nicht länger hinauszögern. Lasst den Kampf beginnen!“
Ein Hauch violetter Magie erfüllte das Innere der Iglus. Sie verblasste schnell wieder und enthüllte Cassia, Octavia und Pierce.
Cassia schleuderte ihre grüne Magie gegen die kalten Wände, aber sie bewirkte nichts. Mit finsterer Miene ließ sie sich auf den Boden sinken und presste ihre Hände auf das Eis zu ihren Füßen. Ihre grünen Flügel leuchteten, aber auch hier: nichts. Also schnappte sie sich den Eispickel und fing an, das Eis damit zu bearbeiten.
Pierce sammelte Flammen in seinen Händen, streckte seine Handflächen aus ließ eine gewaltige Feuersbrunst auf die Wand vor sich los. Sein Feuer schmolz das Eis und schuf eine türgroße Öffnung. Er eilte hindurch, und kaum hatte er sein Iglu verlassen, da stürzte es bereits zusammen.
Zur selben Zeit füllte Octavia ihr Iglu mit ihrer blauen Magie aus. Das Eis schmolz und wurde zu Wasser, behielt aber seine Kuppelform bei. Octavia ließ es wild um sich herumwirbeln, als wäre das Wasser ein Tornado und sie das Auge des Sturms. Ihr dunkler Pferdeschwanz peitschte gegen ihre Wangen, ihre ozeanblauen Flügel funkelten und glitzerten, während sie die jubelnde Menge angrinste.
Komm schon, Pierce , dachte ich. Lauf zu Cassia, während Octavia abgelenkt ist. Hol sie aus diesem Iglu raus.
Er blickte zwischen Octavia und Cassia hin und her – Octavia, die immer noch im Wassersturm badete, und Cassia, die sich erst ein Viertel des Weges durch das Eis gebahnt hatte. Er rannte durch die halbe Arena. In seinen Händen loderte Feuer, das er hoffentlich auf Cassias Iglu schießen würde.
Ja . Ich hielt in Erwartung den Atem an . Lass Cassia frei. Dann könnt ihr beide zusammen Octavia angreifen.
Plötzlich ließ Octavia das Wasser zu Boden fallen. Es breitete sich in einer dünnen Schicht aus und wurde blitzartig wieder zu Eis. „Warte“, sagte sie zu Pierce, und er blieb auf der Stelle stehen. Wie immer war ihre Stimme magisch verstärkt, sodass jeder in der Arena sie hören konnte. „Mal sehen, wie lange sie braucht, um zu entkommen. Das heißt, wenn sie überhaupt entkommen kann.“
Pierce wandte sich von Octavia ab und sah Cassia mitleidig an. Die Feuerbälle loderten in seinen Händen. Jetzt war es an der Zeit, zuzuschlagen. Mit einer Hand hätte er Octavia zurückhalten, mit der anderen Cassia befreien können. Doch als er wieder Octavia ansah, war das Mitleid verschwunden und durch kalte Berechnung ersetzt worden.
„In Ordnung.“ Die Feuerbälle in seinen Händen erloschen. „Aber wenn du deine Hand gegen mich erhebst, werde ich mich nicht zurückhalten.“
„Keine Sorge, Pyro“, sagte sie, ohne ihren Blick von Cassia abzuwenden. „Du bist nicht derjenige, den ich diese Woche loswerden will.“
Sie gingen auf Cassias Iglu zu und beobachteten sie aus nächster Nähe. Cassia hatte inzwischen die Hälfte des Eises weggehauen.
„Nein.“ Mein Griff um Julians Hand wurde fester. „Das kann er nicht tun.“
Ich war mir nicht sicher, ob Cassia die beiden durch das Eis hören konnte. Aber sie schlug immer schneller zu und atmete schwer. Sie steckte alle Kraft, die sie hatte, in jeden Schlag des Eispickels.
Sie kam nicht viel weiter, bevor sich ihre Schläge verlangsamten und die Hiebe schwächer wurden. Sie hielt inne, legte den Eispickel auf den Boden und lehnte sich gegen die Eiswand. Ihre Augen huschten umher und betrachteten die Menge, als wäre sie ein Vogel, der in einem Käfig gefangen war. Ihre Flügel hatten jeden Glanz verloren.
Sie hob den Eispickel erneut, strauchelte aber beim Schwingen. Sie verfehlte die Stelle, an der sie gearbeitet hatte. Es kostete sie all ihre Kraft, den Pickel wieder aus dem Eis zu ziehen. Ihre Brust hob und senkte sich immer schneller, ihre Arme zitterten. Cassias verzweifelte Augen trafen für den Bruchteil einer Sekunde die meinen, dann fiel sie auf die Knie. Der Eispickel klapperte auf dem Eis.
Julian saß unheimlich still und starrte ausdruckslos geradeaus.
„Pierce wird sie nicht retten“, sagte ich leise. „Oder doch?“
„Nein“, sagte er, und das Wort traf mich wie ein Stich ins Herz.
Cassia hatte sich hingesetzt, die Hände flach auf dem Boden hinter ihr. Ihr Mund stand offen, ihre Atemzüge waren flach. Das grüne Licht ihrer Flügel flackerte. Sie lehnte ihren Kopf zurück, schloss die Augen und lächelte.
„Der Tod durch allmähliches Ersticken ist nicht schmerzhaft“, sagte Julian mit leiser Stimme. „Im Augenblick fühlt sie sich wahrscheinlich wie auf Drogen. Bald wird sie einschlafen, und dann wird sie friedlich sterben.“
„Nein“, sagte ich erneut. „Es ist noch Zeit. Pierce kann sie noch retten.“
Die Menge wartete mit angehaltenem Atem, während das Licht in Cassias Flügeln langsam erlosch.
Octavia machte einen Schritt nach vorne und hob ihre Hände. Nun wirbelte wieder ihre blaue Magie um sie herum. Ihre Flügel leuchteten heller denn je. „Du glaubst doch nicht, dass ich diesen Kampf so einfach beenden werde, oder?“
Sie schoss ihre Magie auf das Iglu.
Die Eisblöcke brachen in sich zusammen, stürzten auf Cassia und zerquetschten sie.