KAPITEL 37

– Selena –

D er Tag war gekommen. Der letzte Wettbewerb um den Kaisertitel – und der letzte Tag der Feenspiele. Denn da nur noch vier von uns übrig waren, hatte der Sieger des Kaiser-Wettbewerbs keine Wahl, wen er in die Arena schickte.

Stattdessen würden wir vier nach dem Wettbewerb direkt ins Kolosseum gebracht werden, wo der Kaiser der Villa den drei anderen beim Kampf zusehen würde. Sobald der erste der drei Auserwählten ausgeschieden war, würde der Kaiser der Villa zu den beiden anderen in die Arena kommen, und diese drei würden gegeneinander kämpfen, bis nur noch ein Einziger übrig blieb. Der Gewinner der diesjährigen Feenspiele.

Während meine Privatkutsche in Richtung Stadt flog, musste ich die schreckliche Wahrheit akzeptieren.

Die Nephilim-Armee wird mich nicht retten. Und Julian und ich werden diesen Tag vielleicht nicht lebend überstehen.

Die Nephilim-Armee war während der gesamten zwei Monate, die ich in der Anderswelt verbracht hatte, mein Halt gewesen. Sie waren das Licht gewesen, das mich vor dem Abstieg in die totale Dunkelheit bewahrt hatte. Nein, das stimmte nicht. Ich hatte auch Julian gehabt.

Ich hatte Julian immer noch. Solange keiner von uns beiden tot war, war noch nicht alles verloren. Und wir hatten nicht die Absicht, es so weit kommen zu lassen. Vielleicht war mein Glaube, dass Julian und ich das gemeinsam durchstehen konnten, genauso töricht wie mein Glaube an die Nephilim-Armee.

Aber gestern Nacht, als Julian und ich unsere Liebe besiegelt hatten, hatte ich mich unbesiegbar gefühlt. Und ich weigerte mich, diesen Tag unser Ende sein zu lassen. Bei der Erinnerung an die letzte Nacht knisterte es in mir. Ich war bereit. Ich würde mit jedem bisschen Magie kämpfen, das ich in mir trug. Damit Julian und ich eine gemeinsame Zukunft hatten – nicht in der Unterwelt, sondern in dieser Welt.

 

Die Kutsche landete auf einer weiten Wiese, gemeinsam mit den anderen dreien. Julians Kutsche stand links von mir, die von Felix auf der rechten Seite. Unsere Kutscher sprangen von ihren Sitzen und banden die geflügelten Pferde los. Dann klettern sie auf deren Rücken und flogen davon.

Ich versuchte, die Kutschentür zu öffnen, aber sie war verschlossen. Ich warf ein paar Mal mein gesammeltes Körpergewicht dagegen, aber nichts passierte. Als ich sah, dass nicht einmal Julian – der körperlich Stärkste von uns allen – herauskam, gab ich es auf. Wir konnten nicht raus, solange die Götter es nicht erlaubten.

Ich setzte mich wieder hin und betrachtete die Umgebung. Außer uns war niemand zu sehen. Die einzigen Lebenszeichen waren die goldenen Kugeln, die um die Kutschen herumschwirrten. Das grasbewachsene Feld erstreckte sich noch etwa hundert Meter weiter und endete in einer Hügelgruppe. Im besonders hohen Hügel in der Mitte der Formation klaffte ein riesiger Höhleneingang. Da konnte nichts Gutes drin sein.

Wir saßen noch etwa eine Minute lang in den Kutschen, bevor sich eine Wolke über uns violett färbte und Bacchus aus ihr herausflog. Da er keine Zuschauer hatte, die ihn anfeuerten, verschwendete er keine Zeit mit dramatischen Flügen um das Areal. Er landete seinen Streitwagen einfach vor uns auf dem Boden und stieg ab.

Die Tür meiner Kutsche flog auf, und ich stieg aus und stellte mich vor Bacchus hin. Die anderen taten dasselbe.

Ich sah Julian eine Sekunde lang in die Augen. Er nickte mir beruhigend zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Bacchus zuwandte.

Egal, was in diesem Wettbewerb passierte, Julian und ich würden es überstehen. Wir hatten gestern Abend alle Möglichkeiten besprochen. Das beste Szenario wäre, wenn Felix den Kaisertitel gewinnen würde. Dann müsste er Julian, mich und Octavia in die Arena schicken. In der Arena würden Julian und ich uns zusammentun, um Octavia in der Vorrunde zu eliminieren. Danach wäre es ein Leichtes, Felix auszuschalten, sodass Julian und ich die Letzten wären.

Wenn Octavia gewann, würden Julian und ich gegen Felix antreten. Das wäre nicht sonderlich schwierig. Danach müssten wir nur noch Octavia besiegen, und wieder wären wir die letzten beiden Spieler.

Wenn Julian oder ich gewinnen würde, dann müsste der andere von uns alleine gegen Octavia und Felix in der Arena antreten. Das war das schlechteste Szenario. Die beiden würden sich garantiert verbünden, was die Chance verringern würde, dass wir es beide in die Endrunde schafften. Auch wenn Felix keine große physische Bedrohung darstellte, wollten wir es nicht darauf ankommen lassen.

Daher war unsere Strategie für diesen letzten Kaiser-Wettbewerb simpel. Wir ließen entweder Felix oder Octavia gewinnen. Und sobald Julian und ich die letzten beiden Spieler im Finale waren, mussten wir beten, dass auch der Rest unseres Plans funktionieren würde.