1 Marke als digitales Differenzierungsmerkmal
Das rasante Wachstum des Onlinevertriebs hat erst dazu geführt, dass Omni-Channel zu einer wesentlichen strategischen Komponente der Unternehmenspolitik wurden. War zu Beginn des Onlinevertriebs der Preis das entscheidende Kriterium, bedarf es heute einer komplexen, unternehmensspezifischen Digitalisierungsstrategie, um eine langfristige Wertschöpfung über alle Absatz- und Kommunikationskanäle zu generieren.1
„Die eigentliche Entwicklung und Bedeutung des Multi-Channel-Handels ist jedoch eindeutig der Einführung und Etablierung der Internettechnologie als neuer Vertriebsweg zuzuschreiben“ (Heinemann 2008, S. VII).
Hier liegt die wahre Dimension der Digitalisierung – in der gestiegenen Transparenz der Marken-, Preis- und Servicepositionierung, die letztlich das Kundenerlebnis bestimmen.
Die Marke ist ein wesentliches Differenzierungsmerkmal einer unternehmerischen Leistung. Die Marke verschafft dem Kunden Orientierung, Vertrauen und Identifikationsmerkmale (Esch 2018). Im Zusammenspiel mit dem richtigen Pricing sowie Service und einer integrierten Markenkommunikation (Bruhn 2010, S. 87 ff.; Bruhn et al. 2009) über alle Kanäle generiert ein Unternehmen ein besseres Kundenerlebnis, höhere Kundenloyalität, höhere Margen und letztendlich stabile Gewinne.
Dies Prinzip schien im modernen „Digitalen Vertrieb“ lange Zeit durchbrochen gewesen zu sein, da der Preis als einziger Aspekt der Kaufentscheidung galt – Vertrauen und Reputation der Marken erschienen bedeutungslos und die Chancen der Verbesserung des Kundenerlebnisses wurden auf den billigen Preis reduziert. Eine moderne Digitalisierungsstrategie nutzt dagegen geschickt die Marke, das Pricing und den Service als zentrale strategische Elemente zur Steigerung der Wertschöpfung, indem es den Kunden in den Mittelpunkt rückt und so die Voraussetzungen zur Steigerung des Kundenerlebnisses dadurch schafft.
Im Kontext der digitalen Transformation ist es notwendig, die Wertschöpfungspotenziale von Marke, Pricing und Service aus der Kundenperspektive und dem damit verbundenen Kundenerlebnis (Customer Experience) zu betrachten. Das Kundenerlebnis, gesteuert durch die Marke, kanalübergreifendes Pricing und Services, bilden den Kern der Digitalisierungsstrategie im Handel. Die Bedeutung von Marke, Pricing und Service im digitalen Kontext nimmt zu und erstreckt sich nicht nur auf die Absatzkanäle, sondern auch auf alle Kommunikationskanäle eines Unternehmens. Parallel ist die Omni-Channel-Strategie nur ein Element der Digitalisierungsstrategie. Der strategische Umbruch im Rahmen der Digitalisierung eröffnet nicht nur Chancen zur Nutzung neuer Absatzkanäle, sondern führt in vielen Bereichen zu neuen oder verbesserten Geschäftsmodellen, zum Beispiel Pick-up Stores etc. (vgl. Beitrag 1:Kundenerlebnis und digitale Innovationen als Treiber erfolgreicher Geschäftsmodelle ). Unternehmen und Organisationen, die die Nutzung digitaler Medien und Prozesse ohne Verankerung einer Digitalisierungsstrategie im Rahmen der Unternehmenspolitik integrieren, laufen Gefahr, die eigene Organisation zu überfordern und bestehende Geschäftsmodelle unbegleitet zu verändern.
2 Digitalisierungsstrategie und Wertschöpfung im Handel
Eine formulierte „Digitalisierungsstrategie“ ist Teil der Unternehmenspolitik auf konzeptioneller Basis. In diesem Zusammenhang steht die konzeptionelle Planung für eine langfristige Sichtweise der Unternehmensausrichtung. Die konzeptionelle Planung erstreckt sich über global formulierte Inhalte und weniger über operativ detaillierte Implementationsaussagen. Die Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie enthält folglich globale Ziele, grundsätzliche Aussagen zur strategischen Positionierung oder auch generelle Aspekte zu den notwendigen Ressourcen (Kirsch 1991, S. 9 f.).
Die originäre Form einer digitalen Konzeption im Handel oder in einem Unternehmen generell beschreibt ein komplexes Gebilde unterschiedlicher Absatzkanäle, die einem Handelsunternehmen oder Markenhersteller die Möglichkeit eröffnet, seine Leistungen dem Kunden über verschiedene Vertriebswege anzubieten. Wesentliches Kriterium eines Omni-Channel-Handels ist der Kaufabschluss, der in allen Kanälen vorhanden sein muss (Heinemann 2008, S. 14 f.). Verbindet man diesen klassischen Ansatz mit den Wertschöpfungspotenzialen digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien, so führt der plattformunabhängige Informationsaustausch zu kanalübergreifenden Geschäftsprozessen und zur Verknüpfung von Wertschöpfungsprozessen (Bliemel et al. 2000, S. 2). Dadurch entsteht ein strategisch-digitales Marketingkonzept, das alle Maßnahmen eines modernen strategischen und operativen Marketings im digitalen Kontext zu berücksichtigen hat. Dies erfordert die Integration aller Kanäle im Rahmen eines ganzheitlichen Konzeptes, um einen hohen Wahrnehmungsgrad beim Kunden zu erzielen (Heinemann 2008, S. 17).
2.1 Pricing und Service im Kontext der Markendehnung – eine strategische Wachstumsoption zur Digitalisierung
Kauferlebnisorientierung ist nicht nur ein Stichwort im Pricing oder Service, sondern insbesondere eine Funktion im Rahmen der Markenführung. Im Wege der marktorientierten Unternehmensführung sind Marken ein zentrales Strategieelement. Starke Marken führen zu höheren Margen, konstanten Umsätzen und langfristigen Erfolgen (Hofbauer und Schmidt 2007, S. 13). Parallel dienen Marken als wesentliches Potenzial im Sinne der Differenzierung und Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen. Aus Sicht der Unternehmenspolitik handelt es sich bei der Markenführung und Markenpositionierung ebenso um strategische Planung, die im Zusammenspiel mit dem richtigen strategischen Pricing sowie Service den Kern einer Digitalisierungsstrategie bildet, um das Kundenerlebnis hervorzuheben. Im Sinne der Unternehmenspolitik ist die Markendehnung konsequenterweise Bestandteil der strategischen Markenführung und damit eng mit der strategischen Digitalisierung und digitalen Transformationen von Unternehmen verbunden.
Im klassischen Sinne bedeutet Markendehnung, die vorhandene Marke auf weitere Produktlinien zu erweitern oder neue Produktkategorien mit der bekannten Marke zu versehen. Bestehende Wettbewerbsvorteile einer realen existenten Marke sollen auf neue Produkte oder Dienstleistungen angewandt werden und zu neuem Wachstum oder höherem Gewinn führen. Erstreckt man eine Marke auf neue Produktlinien, spricht man auch von „Product Line Extensions“ (Esch 2018, S. 415 ff.).
2.2 Strategischer Baukasten zur Digitalisierung im Handel
In der Praxis bietet der strategische Baukasten die Möglichkeiten, die Digitalisierungsstrategie auf die Unternehmenspolitik abzustimmen. Jeder On- und Offlinekanal hat seine eigenen strategischen Ziele und Stoßrichtungen (vgl. Kirsch 1990, S. 368 f.), die sich weiter in operative Maßnahmen und Teilziele gliedern. Aus der Perspektive einzelner Kanäle können eigenständige Absatz- und Kommunikationskanalstrategien und Maßnahmen erarbeitet werden. Entscheidend für den Erfolg ist, dass die Marke, das Pricing und der Service je Kanal und über alle Kanäle im Rahmen der konzeptionellen Gesamtsicht (Unternehmenspolitik) nahtlos aufeinander abgestimmt werden, eine langfristige Digitalisierungsstrategie entsteht und über ein Omni-Channel-Konzept implementiert wird. Bestehende Lücken sind zu schließen. Der strategische Baukasten liefert das digitale Werkzeug, die Marke auf weitere Kanäle auszudehnen, von der Marke zu profitieren und in der Kombination mit dem Pricing und dem Service, das Wertschöpfungspotenzial durch die Steigerung des Kundenerlebnisses zu verbessern. Somit wird das Wertschöpfungspotenzial einer Digitalisierungsstrategie im Kern von der Marke, dem Pricing, dem Service und dem verbundenen Content dominiert sein. Content und Service sind wesentliche Erfolgsfaktoren der Strategieentwicklung im digitalen Kontext. Sie dienen als Katalysator der Markenbildung und der damit verbundenen Preisakzeptanz im Rahmen des Omni-Channel-Konzepts (vgl. hierzu Beitrag 1 Abschn. 1.4.: Digitale Revolution im Handel – Realität oder Wunschdenken: Frank + Oak)
3 Jeder Händler braucht eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie
Dieser Ansatz stellt keine wohldefinierte Prämisse dar, sondern einen Denkrahmen, digitale Technologien und sich daraus ergebende neue Geschäftsmodelle in einen strategischen Gesamtzusammenhang zu stellen. Die Zunahme der Bedeutung der Digitalisierung zeigt auf, dass Innovationen in kurzer Zeit zu einem „neuen“ Kundenverhalten führen können, die Customer Journey fortwährend verändern, operative Themenstellungen schnell zu strategischen Themen mutieren und traditionelle Geschäftsmodelle infrage gestellt werden müssen, um überlebensfähig zu bleiben. Infolge des digitalen Ansatzes mit Fokus auf den Aufbau einer Omni-Channel-Strategie reicht es nicht, sich nur den Absatzkanälen zu widmen, sondern bedarf es der Berücksichtigung aller digitalen Kommunikations- und Distributionskanäle2. Eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie erfasst den Lebenskontext des Kunden und liefert damit die Basis, neue und bestehende Kundenbedürfnisse mithilfe der digitalen Medien und Prozesse zu verbessern, also das Kundenerlebnis zu steigern. Folglich wird die richtige Nutzung und der richtige Einsatz digitaler Technologien, die Auswertung gewonnener digitaler Kundendaten zum Erfolgsfaktor, sofern es gelingt, im Rahmen einer unternehmensindividuellen Digitalisierungsstrategie, die strategischen Herausforderungen neuer Geschäftsmodelle und dem verbundenen organisatorischen Wandel aktiv zu gestalten. Vergleicht man an dieser Stelle amerikanische Händler mit deutschen Händlern wird erkennbar, dass in Deutschland interne IT-Zwänge vor dem Kundennutzen stehen. Die Unternehmen müssen es schaffen, sich von tradierten IT-Strukturen zu verabschieden, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen und agile, kundenerlebnisorientierte IT-Strukturen aufzubauen und zu leben, um erfolgreich im digitalen Wettbewerb zu bestehen.
Das erarbeitete Denkmodell soll eine anwendungsorientierte Hilfestellung geben, sich mit den wachsenden Herausforderungen der Digitalisierung strategisch auseinanderzusetzen, strategische Erfolgspotenziale frühzeitig zu erkennen, zu bewerten und in unternehmerische Erfolge umzusetzen. Das Denkmodell liefert einen wertvollen Beitrag verschiedene Perspektiven im Scheinwerfer der Marke, des Pricings, des Services und der digitalen Transformation zu beleuchten, um den Abnehmerwert und damit das Kundenerlebnis über alle Vertriebs- und Kommunikationskanäle zu erhöhen und anhand einer Digitalisierungsstrategie zu konsolidieren.
Die zukünftige Rolle eines strategisch orientierten Denkmodells zur Digitalisierung wird es sein, weitere Aspekte der Wertschöpfungskette wie zum Beispiel das Warenhausmanagement und die Logistik zu integrieren, auf die unterschiedlichen Absatz- und Kommunikationskanäle anzuwenden und in letzter Konsequenz eine Customer Experience Proposition über alle Touchpoints zu kreieren.