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Marc Knoppe und Martin Wild (Hrsg.)Digitalisierung im Handelhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-55257-5_2

Seamless Shopping – komplett digital, über alle Kanäle hinweg – ein Fallbeispiel

Martin Wild1  
(1)
Media-Saturn-Holding Gmbh, Ingolstadt, Deutschland
 
 
Martin Wild
1 Vom Follower zum Vorreiter
2 Stationärer Handel im digitalen Zeitalter: Store Navigation, Holo-Brille oder kassenloses Einkaufen
3 Denken wie ein Start-up: „try fast, fail fast and adjust even faster“
Literatur

Zusammenfassung

Die Trennung zwischen Online- und Offlinehandel ist für MediaMarktSaturn zwischenzeitlich künstlich. Wer dauerhaft erfolgreich sein will, muss das Potenzial der Digitalisierung kanalübergreifend nutzen, die Hyperpersonalisierung vorantreiben und dem Kunden Innovationen – stationär und online – schneller zur Verfügung stellen. MediaMarktSaturn hat sich zum Vorreiter der Digitalisierung im Handel entwickelt und ist ein pragmatisches Beispiel der Digitalisierung im Handel.

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Martin Wild,

Chief Innovation Officer (CINO) der MediaMarktSaturn Retail Group.

Martin Wild ist seit Januar 2018 Chief Innovation Officer (CINO) der MediaMarktSaturn Retail Group. Wild zählt zu den Pionieren im digitalen Handel: 1997 gründete er im Alter von 18 Jahren den Online-Elektronikhandel Home of Hardware (hoh.​de), später einer der größten deutschen Online-Shops für Elektronik, den er 2007 an Premiere (heute Sky Deutschland) verkaufte. Seit 2011 gehört er zur Führungsriege von MediaMarktSaturn. Als Vice President Multichannel verantwortete er den Start von saturn.​de, später war er unter anderem als CEO für redcoon tätig. Als Chief Digital Officer verantwortete Martin Wild von 2014 bis 2018 die digitale Strategie und Transformation der gesamten Unternehmensgruppe. Das Handelsblatt wählte ihn kürzlich zu einem der 100 klügsten Köpfe Deutschlands und Werben & Verkaufen kürte ihn in der Kategorie Digitalmanager, unter die Top100 Persönlichkeiten 2018. In seiner Rolle als Chief Innovation Officer setzt er radikale und progressive Innovationen um, treibt Innovations-Initiativen in der Unternehmensgruppe und entwickelt neue Geschäftsmodelle und -formate. Wenn Roboter durch einen der Märkte rollen, Kunden in der virtuellen Realität bei Saturn einkaufen oder innovative Startups und etablierte Händler auf der Innovationsplattform Retailtech Hub gemeinsam den Handel innovieren, waren Martin Wild und sein Team federführend dabei.

 

1 Vom Follower zum Vorreiter

Es ist allgemein bekannt, dass MediaMarktSaturn das Thema E-Commerce zu Beginn unterschätzt hat und an alten Zöpfen festgehalten hat. Die Frage wie sich ein stationärer Händler erfolgreich in der digitalen Welt zu positionieren hat, ist für keinen Händler, ob groß oder klein, national oder international, einfach zu beantworten. Die richtige Antwort muss jedes Handelsunternehmen für sich selbst finden, denn jeder Händler hat seine spezifischen Stärken, sein Umfeld, seine Strukturen und natürlich seine Kunden. Die Beantwortung liegt nicht in operativ einsetzbaren Technologien, sondern in der Entwicklung der unternehmensspezifischen Digitalisierungsstrategie. Bei MediaMarktSaturn lautet der strategische Ansatz: Innovationen und neue Trends werden als strategische Chance begriffen und im Rahmen eines strategischen Tests ausprobiert. Das bedeutet bestehende Gegensätze zu überwinden und bislang Getrenntes zu verbinden – stationärer Handel und Onlinehandel stehen nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich. MediaMarktSaturn versteht online und offline als ein sich gegenseitig befruchtendes System. Dieser strategische Kerngedanke hat dazu geführt, dass MediaMarktSaturn sich in den letzten Jahren vom Follower zum Vorreiter der Digitalisierung im Handel entwickelt hat.

Für den Konsumenten sind die Grenzen zwischen online und offline schon lange obsolet – sie bestehen nur in den Köpfen der Händler. Konsumenten folgen ihren Bedürfnissen und kaufen je nach Situation mal online, mal offline. Damit sichern sie sich ihr Kundenerlebnis und den höchsten Kundennutzen, der sich aus der Verzahnung der beiden Welten ergibt. Zum Beispiel nutzen 40 % der MediaMarktSaturn Onlinekunden auf mediamarkt.de oder saturn.de die Click&Collect-Option, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Sie bestellen online, holen ihre Onlineeinkäufe auf dem Weg zur Arbeit oder dem Heimweg in einem ihrer bevorzugten MediaMarktSaturn-Märkte ab. Umgekehrt bestellen die gleichen Kunden genauso die Waren während des Besuchs im Markt. Sie lassen sich die Artikel bequem nach Hause liefern, um Zeit oder Aufwand zu sparen. Andere kaufen ihre Produkte, wie zum Beispiel ein Smartphone, online, nutzen dann im Falle einer Reparatur jedoch bevorzugt die Offline-Serviceangebote wie beispielsweise die MediaMarktSaturn-Sofortreparaturmöglichkeiten vor Ort, also im stationären Handel.

Mit anderen Worten heißt das, dass dank der digitalen Technologien das Einkaufserlebnis als Ganzes weniger „von der Stange“ wahrgenommen wird, sondern mehr als individuelles Kundenerlebnis und Customizing aufgefasst wird. Diese Entwicklungen stehen noch am Anfang. Die wachsende Nutzung der Smartphones, steigende Kundeninteraktionen auf den Content-Plattformen, Social Media oder sonstige digitale Angebote im Handel in Verbindung mit den MediaMarktSaturn-Kundenbindungsprogrammen helfen dabei, mehr über den Kunden, seine Bedürfnisstrukturen und seine Wünsche zu lernen.1 Händler verstehen ihre Kunden somit besser und können zielgerichtete Lösungen und Angebote nicht nur personalisieren, sondern hyperpersonalisieren:

„…Hyperpersonalisierung stellt eine hoch individuelle Ansprache dar und steht in engem Zusammenhang mit den Begriffen der Individualisierung und Personalisierung. Allerdings geht die Hyperpersonalisierung noch einen Schritt weiter und versucht den Kunden mit den genau auf ihn zugeschnittenen Daten zu versorgen. Es wird das Ziel verfolgt, in Zeiten von Spam und der damit verbundenen hohen Interessensschwelle, den Kunden optimal zu erreichen, sein Interesse zu wecken und damit seine Zufriedenheit und Loyalität gegenüber dem Unternehmen zu steigern“ (Legodo 2018).

Ein erster Schritt in Richtung Hyperpersonalisierung sind die MediaMarktSaturn-Newsletter, welche an die Mitglieder des Mediamarktklubs versendet werden. Die Inhalte basieren auf den Interessen, Vorlieben und Angaben zu verschiedenen Inhalten, die der einzelne Kunde wünscht. Noch handelt es sich um eine erste Vorstufe im Rahmen der Hyperpersonalisierung, es ist noch kein vollständiges One-to-One-Marketing, doch der Weg dorthin stimmt. Mit fortschreitender Zunahme der Datenpunkte und dem verbundenen resultierenden Datenzuschnitt je Kunde erhält MediaMarktSaturn die Chance, das Kundenerlebnis zu steigern, indem spezifische Kundeninformationen, individualisierte Angebote oder sonstige Informationsservices individuell angeboten werden können. Hyperpersonalisierung gibt dem Kunden die Möglichkeit den Takt vorzugeben und dem Handel interessante Einblicke in seine Bedürfnisse und Wünsche zu geben.

2 Stationärer Handel im digitalen Zeitalter: Store Navigation, Holo-Brille oder kassenloses Einkaufen

In welcher Form personalisierte Angebote, individuelle Dienstleistungen oder digitale Hilfestellungen dem Kunden präsentiert werden könnten, wird gerade in vielfältiger Weise von MediaMarktSaturn im stationären Handel getestet. Die mobile Navigation ist nur ein Beispiel wie der Kunde über das eigene Smartphone durch den jeweiligen Store geführt wird. Verkaufsflächen von mehreren tausend Quadratmetern bieten ein vielfältiges Angebot, da kann die Orientierung oder Produktsuche schnell einmal zur Herausforderung werden. Doch es geht um mehr. Die mobile Navigation soll dem Kunden helfen, sich schnell zurechtzufinden, individuelle Angebote vor Ort zu erhalten, diese wahrzunehmen oder einfach nur seine digitale Einkaufsliste abzuarbeiten. Der Saturn-Markt in Ingolstadt bietet einen digitalen „Store-Guide“, der die Kunden durch den Markt lotsen kann, gezielt auf bestimmte Angebote hinweist und behilflich ist, diese schnell zu finden. Die Bedienung des Store-Guides ist einfach: Man lädt sich die Store-Guide-App herunter, gibt über die Suchfunktion eine Abteilung oder ein bestimmtes Produkt ein und wird aktuell mithilfe eines digitalen Marktplans durch das Geschäft geführt. Dabei werden die eigene Position sowie der Standort des Artikels angezeigt, um sich entsprechend zurechtzufinden (vgl. Abb. 1).
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Abb. 1

In-Store-Navigation.

(Foto: MediaMarktSaturn)

Eine weitere Möglichkeit der In-Store-Navigation wird im MediaMarkt Eindhoven getestet. Im Gegensatz zur Store-Guide-App wird der Kunde mit einem intelligent vernetzten LED-Beleuchtungssystem von Philips Lighting verbunden, um metergenau zum gesuchten Regal navigiert zu werden. Die Navigation erfolgt über das Licht, das mithilfe einer für das Auge nicht wahrnehmbaren Codierung versehen ist. Der Code wird über die Frontkamera des Smartphones erfasst, verarbeitet und schon steht das Navigationssystem. Die gelieferten Informationen unterstützen den Kunden nicht nur bei der Produktesuche oder dem Aufspüren von Sonderangeboten, sondern bieten auch eine Möglichkeit sich die kürzesten Wege zu den einzelnen Produkten und Angeboten anzeigen zu lassen, um das bevorzugte Produkt gezielt zu finden und keine unnötige Zeit zu verlieren.

Aktuell handelt es sich auch hierbei nur um erste Tests. Dies entspricht jedoch der digitalen Strategie von MediaMarktSaturn, da die Digitalisierung so schnell, so neu ist, dass digitale Innovationen getestet werden müssen, um ihren strategischen Wert zu erkunden, den Kundennutzen zu identifizieren oder den Beitrag zur Steigerung des Kundenerlebnisses gezielt zu erkennen. Das Kundenerlebnis, der Kundennutzen, stehen im Mittelpunkt, nicht die digitale Innovation per se. Erst wenn MediaMarktSaturn erkennen kann, dass die digitale Innovation einen strategisch messbaren Mehrwert hat, erst dann kommt es nach ausführlichen Tests zur Implementierung und zum Rollout. Diese strategische Haltung hat dazu geführt, dass MediaMarktSaturn sich zum First Mover der Digitalisierung entwickelt hat.

Augmented Reality, Virtual Reality oder Mixed Reality sind aktuell in aller Munde und bieten vielfältige Möglichkeiten und Einsatzgebiete für ein stark personalisiertes Einkaufserlebnis. Die Einsatzmöglichkeiten reichen von der Produktberatung über die virtuelle Produktsortimentsausdehnung bis hin zur Überprüfung, ob der gewünschte Fernseher optisch in die eigenen vier Wände passt. Abb. 2 zeigt beispielsweise einen Avatar namens Paula, der mit Hilfe von Augmented Reality eine Shoppingtour mit dem Kunden durchführen kann.
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Abb. 2

Avatar Paula.

(Foto: MediaMarktSaturn)

Augmented Reality ist ein Highlight im Rahmen der strategischen Tests zur Identifikation von Innovationen und Mehrwert. Im Rahmen der HoloTour 2017 wurde in verschiedenen deutschen Saturn-Märkten ein Marktforschungsprojekt gestartet, in welcher Form der Kunde die Möglichkeiten von Augmented Reality annimmt. Ziel war es herauszufinden, wie der Kunde auf diese neue Technologie und besonders das damit verbundene Kundenerlebnis reagiert. Mit Hilfe einer Microsoft HoloLens konnten die Kunden einen Blick in die Zukunft des Shoppens werfen:

„Diese Cyberbrille projiziert Hologramme, Multimedia-Inhalte oder Informationen ins Blickfeld. Ihr Träger taucht also nicht komplett in die sogenannte virtuelle Realität (VR) ein, stattdessen erlebt er eine erweiterte Realität – genau wie der „Terminator“ im gleichnamigen Science-Fiction-Klassiker, der ebenfalls per Augmented Reality (AR) Informationen über seine Umwelt eingeblendet bekam“ (Berg und Schmidt 2018).

Die HoloLens ist also ein Headset, das Hologramme und multimediale Inhalte ins Blickfeld rückt ohne die tatsächliche Realität auszublenden. Eine Augmented-Reality-Brille eröffnet neue Wege, digitale Inhalte in das reale Sichtfeld einzublenden, um die Shoppingerfahrungen der Kunden auf eine neue Ebene zu heben. Exemplarisch zeigt Abb. 2 Paula, die die Kunden auf eine spannende Entdeckungstour, quer durch den Markt mit Zwischenstopps und Erläuterungen zu neuen Produkten, begleitet. Abb. 2 zeigt deutlich wie der reale Saturn-Markt mit der virtuellen Realität, also dem Avatar Paula, über die HoloLens verbunden wird.

Das oben genannte Marktforschungsprojekt dazu hat ergeben, dass die Kunden dieser Innovation insgesamt sehr interessiert und positiv gegenüberstehen. Die Befragung wurde im Zeitraum Mai bis Juli 2017 in 20 Saturn-Märkten durchgeführt. Dabei wurden 1300 Saturn-Kunden befragt. Das Ergebnis hat gezeigt, dass mehr als 70 % der befragten Saturn-Kunden eine Augmented-Reality- oder Virtuual-Reality-Lösung beim Einkaufen nutzen würden (MediaMarktSaturn Retail Group 2017). Im Vergleich zu Augmented Reality zeigen Abb. 3 und 4 Anwendungen von Virtual Reality. Anhand der Abbildungen lässt sich deutlich erkennen, dass der Konsument hier voll in die virtuelle Welt eintaucht.
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Abb. 3

Virtual Reality I.

(Foto: MediaMarktSaturn)

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Abb. 4

Virtual-Reality II.

(Foto: MediaMarktSaturn)

Ein weiteres Projekt, mit dem MediaMarktSaturn den stationären Handel im digitalen Zeitalter neu definiert, ist Saturn Express. Dabei handelt es sich um den ersten kassenlosen Elektronikmarkt Europas (Abb. 5). Dieser eröffnete Anfang März 2018 im österreichischen Innsbruck und kombiniert unter dem Namen „Saturn Express“ die Vorzüge des Online- und Offline-Einkaufens. So können die Kunden in diesem Store wie gewohnt Technik vor Ort erleben und sich individuell und gezielt beraten lassen. Allerdings entfällt das Anstellen an der Kasse. Die Bezahlung erfolgt ganz bequem per kostenloser App oder mobiler Webseite direkt am Regal. Hierbei scannen die Kunden den Barcode der gewünschten Produkte mit dem Smartphone ein und bezahlen einfach via Kreditkarte oder PayPal. Realisiert wurde das „Saturn Express“-Projekt in Kooperation mit dem britischen Start-up MishiPay. Das mehrfach ausgezeichnete Gründerteam schuf mit der Entwicklung der App die technologische Basis für „Saturn Express“. MishiPay gehört zu den ersten zehn Teilnehmern des Retailtech Hubs, den die MediaMarktSaturn Retail Group als Innovationsplattform für Handelsunternehmen aus allen Kategorien und Startups in München betreibt. Das Programm wird gemeinsam mit den Accelerator-Experten von Plug and Play Tech Center aus dem Silicon Valley realisiert. Schwerpunkt ist die gemeinsame Umsetzung von Pilotprojekten mit MediaMarktSaturn sowie weiteren Partnern, die MediaMarktSaturn für das Programm gewinnen konnte, unter anderem Die Schwarz Gruppe mit Lidl und Kaufland.
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Abb. 5

Saturn Express.

(Foto: MediaMarktSaturn)

3 Denken wie ein Start-up: „try fast, fail fast and adjust even faster“

Die oben beschriebenen Beispiele machen deutlich, dass die Welt sowie die Art und Weise, wie wir in Zukunft einkaufen werden, sich durch die Digitalisierung immer schneller verändern wird. Dieser Wandel lässt sich nicht stoppen. Getrieben wird der Wandel von dem veränderten Kundenverhalten, der sich laufend verändernden Customer Journey, dem Kundenwunsch alles sofort und 24 h am Tag zu bekommen und dabei auch noch gut beraten zu werden. Parallel wird der digitale Wandel von einer rasant ansteigenden Zahl an neuen Technologien, die für den Konsumenten potenziell attraktive Themen, Lösungen und Bequemlichkeit bieten, begleitet. Dies stellt Unternehmen wie MediaMarktSaturn vor ein strategisches Problem: Wie kann man all diese Technologien seinen Kunden schnell zugänglich machen, ohne dass man dabei die Organisation ins Chaos stürzt, ohne dabei den Blick für das Wesentliche zu verlieren, ohne dabei das Kundenerlebnis zu übersehen?

Abwarten und Tee trinken, wie es der Handel in der Vergangenheit getan hat, ist keine Option. Die Lösung von MediaMarktSaturn besteht darin, auch als Marktführer wie ein Start-up zu denken und dabei den bestehenden Erfahrungsschatz progressiv zu nutzen. Konkret bedeutet dies, dass MediaMarktSaturn aktiv, national und international, nach neuen Ideen oder Trends sucht, die das Kundenerlebnis in den Märkten noch individueller machen. Ein weiterer Aspekt ist dabei eine nahtlose Vernetzung aller Kanäle zum Ausbau des „Seamless Shoppings“. Auch in-house werden eigene Ideen vorangetrieben und passende Konzepte entwickelt, Kooperationen mit innovativen Start-ups gesucht oder internationale Kooperationen im Handel genutzt, um die richtigen Lösungen zu finden. Vor allem setzt MediaMarktSaturn bei der Umsetzung der Konzepte auf schnelles, lokales Handeln. Anstatt den großen Wurf über Monate oder Jahre zu planen, um am Ende festzustellen, dass der Wettbewerb, der Kunde oder die Rahmenbedingungen sich an MediaMarktSaturn vorbei entwickelt haben, agiert MediaMarktSaturn über die Methodik der schnellen Proofs-of-Concepts. Kleine, agile Proofs-of-Concepts werden in verschiedenen Stores und unter unterschiedlichen Bedingungen angelegt, um in den ausgewählten regionalen Märkten in einem bestimmten Zeitraum so viele Erfahrungen wie möglich zu sammeln. Die gewonnenen Erkenntnisse werden ausgewertet, beurteilt und führen zu strategischen und operativen Entscheidungen sowie Maßnahmen, innovative, erfolgreiche Konzepte einzuführen und dadurch schneller in der Breite auszurollen.

Natürlich kann bei dieser Strategie immer etwas schiefgehen oder eine Sackgasse entstehen. Doch für MediaMarktSaturn ist nicht ein potenzieller Fehlschlag das K.-o.-Kriterium, sondern die Tatsache von Bedeutung, aus Fehleinschätzungen schnell zu lernen, die richtigen unternehmerischen Schlüsse zu ziehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Gerade die hohe Geschwindigkeit digitaler Innovationen lässt dem Handel gar keine Wahl, da die Vor- und Nachteile vieler Innovationen erst in der Praxis erkennbar werden und nur im Rahmen der Anwendung ihr strategisches Potenzial – im Hinblick auf die Verbesserung des Kundenerlebnisses – offenbaren. Für MediaMarktSaturn zählt die Weiterentwicklung des Handels und nicht der mögliche Fehlversuch einer Innovation. Dieser strategische Ansatz der innovativen Schritte ist neu in der deutschen Handelslandschaft und wird hoffentlich noch weitere Händler begeistern.

Ein kleiner Roboter namens Nao, den man in Abb. 6 gut erkennen kann, ist ein schönes Beispiel für eine Innovation, die auf dem Papier ein hohes strategisches Potenzial aufwies – für den Praxiseinsatz jedoch nicht geeignet war. Ziel war es, den Roboter Nao in der Drohnenabteilung der Märkte zu platzieren, um den Kunden die Vorteile der ausgestellten Drohnenmodelle zu erklären. Die Vor-Ort-Tests zeigten jedoch relativ schnell, dass Nao zwar dank seines sympathischen Äußeren und seiner Tanzfähigkeiten bei den Kunden gut ankam, für seine eigentliche Aufgabe, verschiedene Drohnenmodelle zu erklären, jedoch nicht wirklich konzipiert war. Der Roboter war technisch eher ein Spielzeug als ein langlebiger Serviceroboter. In der Praxis hielt das Modell letztlich der notwendigen Dauerbelastung, eine erfolgreiche Kundenberatertätigkeit zu erfüllen, nicht Stand.
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Abb. 6

Roboter Nao.

(Foto: MediaMarktSaturn)

Der Test von elektronischen Preisschildern, den resultierenden strategischen Schlussfolgerungen und der anschließende flächendeckende Rollout, ist ein Beleg, dass der eingeschlagene strategische Weg zur Digitalisierung der richtige ist. Im ersten Schritt wurden die elektronischen Preisschilder zunächst nur in einigen ausgewählten Märkten und Ländern getestet. Nach einem erfolgreichen Pre-Test folgte der Rollout. Zwischenzeitlich wurden die elektronischen Preisschilder in mehr als 1000 Märkten eingeführt. Rund 10 Mio. Stück der Preisschilder sind aktuell im Einsatz. Dadurch werden Routinearbeiten der Preisänderungen schnell und automatisiert erledigt, Verkäufer gewinnen jeden Tag mehr Zeit zur Kundenbetreuung, was letztlich zu einem besseren Kundenerlebnis führt. Parallel ist diese Form der Preisänderungen umweltfreundlich und über alle Kanäle synchronisierbar. Anstatt Tag für Tag Preise zu bearbeiten, auszudrucken und zu verteilen, geht dies heute mit einem Klick. Zusätzlich sind die elektronischen Preisschilder nicht nur Preisinformationen sondern liefern weitere Vorteile.

Beispielsweise lassen sich in Kombination mit Elementen der Near Field Communication (NFC) Verbindungen zum Smartphone der Kunden schaffen. Der Kunde erhält die Möglichkeit, direkt mit dem jeweiligen Preisschild in Kontakt zu treten sowie vor dem Regal tiefergehende Produkt- und Serviceinformationen, die in Papierform nicht darstellbar wären, zu erhalten. Parallel können unterschiedliche Produkte verglichen werden oder Produktbilder gespeichert werden. Auf diese Weise stellen digitale Preisschilder eine wertvolle Schnittstelle dar, um das Online- und Offline-Shopping enger zu verzahnen. Die Inhalte und Informationen können gezielt an den Bedürfnissen der einzelnen Kunden ausgerichtet werden. Letztendlich kommt man dem Ziel des Seamless Shoppings und der Optimierung des Kundenerlebnisses wieder einen Schritt näher.

Neues schnell aufgreifen, Erfahrungen sammeln und damit jedem Kunden das individuell beste Kundenerlebnis zu generieren – egal, ob offline oder online – ist das Ziel der MediaMarktSaturn-Strategie. Mit diesem strategischen Ansatz fokussiert MediaMarktSaturn nicht mehr allein auf einen bestimmten Vertriebskanal, sondern auf eine kundenorientierte Digitalisierung des Handels. Convenience, Kundenerlebnis und Wohlbefinden des Kunden sind die Triebfeder der strategischen Digitalisierung und nicht die Technik per se. Am Ende wird dies zu neuen Geschäftsmodellen im Handel und höheren Gewinnchancen der Händler führen.