Eine Frau ergreift ein großes, scharfes Messer, wendet es hin und her, nimmt es genau in Augenschein. Sie prüft die Schneide, kontrolliert fachmännisch ihre Schärfe, indem sie vorsichtig die Kuppe des Zeigefingers dagegen drückt, testet dann die Spitze. Anschließend sucht sie beide Seiten der Klinge nach verräterischen Flecken ab. Gleich darauf streift sie weiße OP-Handschuhe über, zieht die Fingerenden zurecht und greift erneut nach dem Messer. Ein lüsternes Lächeln umspielt ihre Lippen. Wer ihr durchs Fenster dabei zusähe, wie sie sachkundig, konzentriert und offensichtlich voller Vorfreude die Möglichkeiten einer derartigen Stichwaffe abschätzt, könnte auf den Gedanken kommen, dass diese Frau vorhat, jemanden zu ermorden.

Nein, diese Frau wird niemanden umbringen. Es ist die Dicke, die in der Küche ihren Auftritt vorbereitet. Umgeben von Gemüse und Kochtöpfen, schickt sie sich an, alles mögliche Grünzeug zu schälen, auszuhülsen, zu schneiden, zu hacken und anschließend in kochendes Wasser zu geben.

Ich bin das, nachts um elf, kurz davor, mit meiner neuen Suppendiät anzufangen.

»Der große Vorteil der Suppendiät besteht darin, dass sie uns hilft, in wenigen Tagen mehrere Kilo abzunehmen und gleichzeitig den gesamten Organismus zu reinigen. Wie der Name besagt, besteht sie vor allem aus Suppe, die aus den verschiedensten Gemüsesorten zubereitet wird. Erfunden wurde sie in einer amerikanischen Klinik, die sich auf die Behandlung von durch Übergewicht hervorgerufenen Herzerkrankungen spezialisiert hatte. Die Patienten kamen her, weil sie abnehmen mussten, bevor sie sich einer Operation unterziehen konnten. Gemüse reinigt den Organismus, enthält viele Mineralstoffe und sehr wenig Kalorien. Wer sich sieben Tage hintereinander auf diese Weise ernährt, kann zwischen viereinhalb und sieben Kilo abnehmen. Weggelassen werden müssen dabei Alkohol, Kohlenhydrate, Zucker und kohlensäurehaltige Getränke.«

Ich brauche:

Karotten.

Weißkohl.

Hokkaido-Kürbis.

Zucchini.

Ich liebe es, Listen anzulegen, ich kann gar nicht genug davon bekommen. Beim Anlegen von Listen habe ich das Gefühl, ein anderer Mensch zu sein, ordentlich, jemand, der Bücher pünktlich in die Bibliothek zurückbringt, nie vergisst, seine Rechnungen zu bezahlen, und jeden Morgen frische Unterwäsche anzieht.

Spinat – hier.

Riesenkürbis und Muskatkürbis – zur Stelle.

Grüner Paprika – auch hier.

Roter Paprika – et voilà.

Gelben habe ich nicht.

Fertig. Was für eine Liste könnte ich noch aufstellen?

»Alles, was in dieser Woche zu erledigen ist.«

Neue Diät anfangen.

Abnehmen!

Den Dichter aus Haiti übersetzen.

Die Figuren abstauben.

Luz anrufen.

Nicht durchdrehen.

Gemüse, Gemüse und noch mal Gemüse kaufen.

Jede Art von Gemüse.

Zum Friseur gehen.

Noch mal der Nachbarin schreiben.

Noch mehr Gemüse besorgen.

Also, viele verschiedene Gemüsesorten, sehr viele. Die und die und die. Alles vorbereiten und zurechtschneiden, und dann ab in den Topf damit. In einen Topf mit zehn Litern Wasser, heißt es im Rezept. Ich habe aber keinen Zehn-Liter-Topf, kein Mensch, der allein lebt, hat einen Zehn-Liter-Topf. Zehn-Liter-Töpfe sind was für Kasernen- oder Schul- oder Gefängnisküchen. Oder für Küchen von Diätkliniken.

So wie die, wo ich mal war. Das Erste, was ich mir geleistet habe, nachdem ich das Erbe von Tante Irene erhalten hatte, war ein einmonatiger Aufenthalt in einer superluxuriösen Diätklinik in Buenos Aires.

Und wenn ich das Ganze auf zwei Fünf-Liter-Töpfe verteile? Habe ich überhaupt zwei Fünf-Liter-Töpfe?

Einen ganzen Monat habe ich dort zugebracht und viel Gewicht verloren. Wie viel war es? An die zehn Kilo, glaube ich. Ja, damals habe ich etwa zehn Kilo abgenommen, und ich sah großartig aus, als ich wieder rauskam, das Geld und die Mühe hatten sich gelohnt, das Opfer, das darin bestand, wie ein Spatz zu essen und dafür ein Vermögen zu bezahlen. Danach war es nie wieder so, ich bin noch oft in der Klinik gewesen, aber so viel auf einmal habe ich nie mehr abgenommen, gerade mal drei oder vier Kilo pro Aufenthalt, und irgendwann war das Geld von der armen Tante Irene aufgebraucht. Arme liebe Tante Irene, möge sie sanft ruhen!

So, fertig, jetzt auf den Herd damit, das Ganze muss kochen, bis eine dicke nährstoffreiche Brühe daraus wird, und die soll dem Fettgewebe, das meinen Körper überzieht, ein Ende bereiten, so, dass ich es irgendwann einfach aufknöpfen und abstreifen kann wie eine Bluse. Von allen adipösen Zusätzen befreit, wird mein Körper so schön und schlank, wie er ist, darunter hervorkommen. Beziehungsweise, so schön und schlank, wie er war. War er das mal?

Tack, tack, tack.

Tack, tack, tack.

Verdammt, schon wieder die Nachbarin über mir mit ihren Absätzen.

Tack, tack, tack.

Tack, tack, tack.

Hastig wandert sie hin und her, als hätte sie es aus irgendeinem Grund eilig. Was macht sie um die Uhrzeit mit solchen Absätzen? Zur Hölle mit ihr! Morgen kümmere ich mich darum, dass das Gestöckel aufhört.

Während die Suppe auf kleiner Flamme vor sich hin köchelt, fällt mir ein, dass ich Papas Figurensammlung schon seit Längerem nicht mehr gesäubert habe, meine dreihundertzweiundzwanzig kleinen Japaner aus Elfenbein, Steingut, Porzellan oder Holz – Kaiser, Bauern, Gesellschaftsdamen, Hunde und Kaninchen, Krieger und Ungeheuer, die ich mit feinen und sehr feinen Pinseln, Wattestäbchen, Staubtüchern, lauwarmem Seifenwasser und Natron bearbeite, dann mit einem Baumwoll- und einem Ledertuch trocken reibe und zuletzt mit einem Wolltuch auf Hochglanz poliere. Ich öffne eine Tür des Glasschranks, nehme eine Prinzessin heraus, streiche ihr sanft mit dem Zeigefinger übers Gesicht. Es ist mit einer hauchdünnen Staubschicht überzogen, ich puste sie vorsichtig weg, nicht dass ich sie zu so später Stunde aus dem Schlaf reiße. Normalerweise reinige ich die Sammlung an verregneten Sonntagen, allerdings hat es schon seit Monaten an keinem Sonntag mehr geregnet, ich darf aber nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen, also werde ich mich demnächst an die Arbeit machen müssen, egal, an welchem Wochentag. Luz sagt, ich soll die Figuren verkaufen und von dem Geld eine schöne Reise machen oder mir ein neues Auto zulegen, außerdem sei ich dann die Plackerei los. Sie begreift nicht, dass das Reiben, Wischen, Wienern und Polieren ein Genuss für mich ist und dass ich diese kleine Welt aus Fabelwesen und Märchentieren liebe. Der Krieger auf seinem Pferd sieht mich von seinem Platz im drittobersten Fach an, ich lege ihn mir auf die Hand, wiege ihn und gebe ihm einen Kuss, bevor ich ihn wieder zurückstelle.

Eine Weile war es über mir ruhig, aber jetzt bohren sich die Absätze meiner Nachbarin wieder klappernd tief in meine Hirnrinde.

Tack, tack, tack.

Tack, tack, tack.

Bei der nächsten Eigentümerversammlung werde ich das Thema auf die Tagesordnung setzen, außerdem werde ich bei der Polizei und beim Ordnungsamt Anzeige wegen Ruhestörung erstatten. Einen Anwalt werde ich mir auch zulegen müssen.

Das Telefon klingelt. Das Telefon, kurz vor Mitternacht? Bei mir ruft nie jemand an. Erst recht nicht zur Geisterstunde. Ich betrachte den Apparat, als handelte es sich um ein seltsames Tier, eine Kakerlake oder eine Spinne, die sich von der Decke herabgelassen und auf mein Bett gesetzt hat, genau aufs Kissen.

»Hallo?«

»Ursula López?«

Die Stimme klingt seltsam metallisch und verzerrt. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, gleichzeitig nehme ich den Geruch der siedenden Suppe wahr.

»Ja.«

»Wir haben Ihren Ehemann.«

Ich bringe keinen Laut hervor. Meinen Mann?

Was für eine komische Stimme.

»Wir haben Santiago.«

»Santiago?«

»Ja, Ihren Mann. Ich warte auf Sie, in der Bar Los Tejos, in der Avenida Dieciocho de Julio, Ecke Calle Ejido, in einer halben Stunde.«

Die Stimme verstummt.

»Hallo? Warten Sie …«

Klick.

Kein Geräusch dringt mehr aus dem Hörer.

Was für einen Ehemann?