Erster Negativpunkt, als ich den Friseursalon betrete: Die Sessel sind sehr schmal, und ich bin sehr breit.
Was zur Folge hat, das weiß ich schon jetzt, dass ich beim Versuch, mich auf einem der Sessel niederzulassen, scheitern werde, beziehungsweise, wenn ich versuche, mich trotzdem irgendwie reinzuquetschen, werde ich genau so viel zu breit sein, wie der Abstand zwischen den Armlehnen zu schmal ist. Das bringt mich in Wallung – denken die Leute bei der Planung eines derartigen Geschäfts nicht daran, dass auch einmal eine junge Frau mit ein paar Kilo zu viel auf dem Leib unter ihren Kunden sein könnte? Hier hat man offensichtlich von vornherein beschlossen, auf Menschen wie mich – auf dicke Menschen – verzichten zu können.
Ich sage mir, ich sollte mein Missfallen deutlich zum Ausdruck bringen und wieder gehen, ich sage mir, ich sollte mich über einen so offensichtlichen Mangel an Respekt wie auch an Geschäftssinn beschweren, aber dann überlege ich, dass ich keine Lust habe, auch nur einen Schritt weiterzugehen, und bleibe an der Stelle stehen, von wo aus ich die schmalen Sessel sehe, in die ich mich eben doch hineinzwängen werde, wie auch immer.
Ich mag Friseursalons nicht, ich mag den Ammoniakgeruch der Haarfärbemittel nicht, und auch nicht die grelle Helligkeit, die hier herrscht, und die Frauen, die sich darin aufhalten, mag ich erst recht nicht. Ich mag nicht mal Friseursalons mit breiten und bequemen Sesseln, die es hier ja nicht gibt. Sähen meine Haare nach einem ganzen verregneten Monat nicht so schrecklich aus, wie sie aussehen, käme ich nicht auf den Gedanken, hier hineinzugehen. Aber heute ist ein besonderer Tag, ich will mich gut fühlen und anständig aussehen.
»Hallo, ich bin Lily. Haben Sie einen Termin?«
»Nein. Ist das nötig? Ich bin einfach so gekommen, und ich habe es sehr eilig, Lily.«
»Bei uns muss man telefonisch reservieren, oder online.«
Die haben also eine eigene Webseite, aber passende Sessel haben sie nicht? »Das heißt, so können Sie mich nicht drannehmen? Soll ich erst wieder nach Hause gehen und von dort online reservieren und dann wiederkommen?«
»Einen Moment … vielleicht haben wir doch irgendwo eine Lücke frei.«
Natürlich hast du noch irgendwo eine Lücke frei, Baby, bei den Preisen werden sich die Online-Reservierungen bei euch bestimmt einigermaßen in Grenzen halten. Ich betrachte Lily, während sie auf den Bildschirm ihres Computers starrt. Sie sieht so aus, als würde sie sich große Sorgen wegen des Ozonlochs oder der Treibhausgase oder des Walfangs machen. Sie sieht aus wie eine Vegetarierin, die nie Plastiktüten benutzt. Ebenso gut kann es aber auch sein, dass ihr all das völlig egal ist und sie heute zum Mittagessen genüsslich Robbenbabyfleisch verzehrt oder mal eben schnell abgetrieben hat …
»Hier ist noch eine Lücke – jetzt gleich.«
»Na, da habe ich ja mal Glück, Lily, kaum zu glauben.«
»Das ist Cindy, sie wird Ihnen die Haare waschen.«
Cindy ist jung, und angesichts ihrer großen unschuldigen vorspringenden Augen muss ich an eine Kuh denken. Schon bald wird sich zeigen, dass sie nicht unschuldig, sondern einfach nur dämlich ist.
»Hallo, komm hierher, bitte, ich lege dir schon mal das Handtuch um, dann können wir gleich mit Haarewaschen anfangen. Wie heißt du?«
»Hallo Cindy, ich heiße Ursula. Sie dürfen Frau López zu mir sagen.«
Sie führt mich zu den Waschbecken, wo mehrere Frauen mit zurückgelehntem Kopf nebeneinandersitzen und sich das Haar lauwarm abduschen und einshampoonieren lassen, bevor sie eine sanfte Massage verpasst bekommen. Zögernd betrachte ich den Stuhl, ich hoffe, Cindy braucht ein Weilchen, bis sie von der Stelle zurückkehrt, wohin sie entschwunden ist, um meine Jacke aufzuhängen. Ich brauche meinerseits genug Zeit, um meinen Hintern auf einen dieser Stühle zu quetschen. Wundersamerweise gelingt es mir mühelos beim ersten Versuch. Heute ist ein großer Tag.
Die Frauen neben mir unterhalten sich lautstark, als wären alle übrigen Anwesenden bloß Teil des Mobiliars. Ihre spitzen Stimmen und ihr Gekicher gehen mir auf die Nerven, unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl herum, so gut das nun mal geht.
Alkohol, Ammoniak, Shampoo, Festiger. Allmählich wird mir schlecht.
Ich will hier raus.
Cindy braucht so lange, dass der Verdacht in mir aufsteigt, sie könnte urplötzlich gekündigt und mich meinem Schicksal überlassen haben beziehungsweise meinen von Minute zu Minute katastrophaler aussehenden Haaren.
»Kommt hier vielleicht mal jemand?«, rufe ich.
Die junge Frau am Empfang hört mich – sie ist an die zehn Meter entfernt – und versucht, das Problem zu lösen, indem sie hartnäckig auf ihren Computerbildschirm starrt. Vielleicht schickt sie ihrer Kollegin ja eine E-Mail, sage ich mir.
Endlich erscheint Cindy. Sie sieht hochzufrieden aus, als hätte sie gerade ein köstliches Sandwich verzehrt oder mit dem Fensterputzer gevögelt.
Das lauwarme Wasser aus der Handdusche spült all meine Sorgen und Ängste fort, es beschwichtigt mich, lässt mich sanft abheben. Anschließend massiert Cindy mir mit kreisenden Bewegungen das Shampoo ein, ich schließe die Augen und genieße. Die nächste Runde lauwarmes Wasser schwemmt den gesamten Dreck und die Seifenreste aus meinem Haar, ich fühle mich himmlisch leicht und glücklich, und für ein paar Sekunden schlafe ich, glaube ich, sogar ein.
»Schneiden auch?«
Cindy hat kein Recht, mich aus meiner Astralreise zu reißen, warum tut sie mir das an? Seufzend erwidere ich: »Ja, Cindy.«
Erneut shampooniert sie mir das Haar ein, und ich fühle mich, als würde sich gleich der Himmel auftun. Leise glucksend fließt das Wasser über meinen Schädel, Cindy verstärkt den Effekt, indem sie mir liebevoll übers Haar streicht, von der Stirn in den Nacken und wieder von vorn.
»Färben auch?«
Statt »Ja, Cindy« zu sagen, stelle ich mich lieber taub.
»Färben auch?«, wiederholt Cindy mit lauter Stimme nah an meinem rechten Ohr.
»Ja, Cindy, ja, Cindy, ja, Cindy«, seufze ich immer wieder, vielleicht zehnmal, zuletzt schreiend, bis mir die Stimme versagt.
Cindy sieht mich an, richtet sich auf, blickt Hilfe suchend zwischen der jungen Frau am Empfang und der Tür zum Angestelltenbereich hin und her, Tränen steigen ihr in die Augen, sie atmet immer heftiger, und irgendwann fängt sie geräuschlos an zu schluchzen.
Ich öffne den Mund und sage langsam, mit angespannten Lippen: »Los, Cindy, waschen Sie mir endlich die Haare, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Bald werde ich gereizt und innerlich kochend den Friseursalon verlassen, mit noch mehr Appetit als sonst.
Dämliche verfluchte Cindy, du bist schuld, wenn ich mir am Ende dieses Monats weitere zwei Kilo Fett angefressen haben werde.