Rizzi lag auf dem Rücken, bewegte nur die Arme und Hände, ließ sich vom Wasser tragen und schaute in den Himmel, der mit dem Ende des Hochsommers langsam seine Blässe verlor und wieder an Farbe gewann. Das Meer würde die Wärme aus den heißen Tagen noch bis weit in den Oktober hinein speichern, während die Anzahl der Badegäste von nun an kontinuierlich zurückging. So gesehen, begann jetzt die schönste Zeit des Jahres.

Die Wellen rollten gemächlich heran, hoben ihn sanft in die Höhe und ließen ihn ebenso sanft wieder herunter, um ihn kurz darauf wieder zu heben, während aus der Ferne, vom Strand, ein irres Lachen herüberdrang, Stimmengewirr und Geschrei – eine Geräuschkulisse, wie es sie nur dort gab, wo das Meer eine riesige Badewanne war und es um nichts anderes ging als um Ballspiele, Picknick und Sonnenöl und jeder Schrei und jeder Ruf keine beunruhigende Bedeutung hatte, sondern nur Ausdruck von tiefstem Frieden war.

Rizzi drehte sich, machte ein paar Schwimmzüge unter Wasser und kraulte los, Richtung Scoglio delle sirene. Atmung und Bewegung begannen, harmonisch ineinanderzufließen, er fand rasch seinen Rhythmus, und die Bilder in seinem Kopf verschwammen: Das Gesicht von Giulia

Als er aus dem Wasser kam, hockte Francesca auf seinem Badetuch, über sein Telefon gebeugt, und stellte fest: »Bass drum: sechzehn mal vier, Tom: acht mal fünf, und Snare: zehn mal vier.« Sie schaute mit ihrem gebräunten Kindergesicht zu ihm auf. »Ich würde sagen: bisschen popelig, was Mamma für die Musikschule anschaffen will.«

»Ich kenne mich mit Schlagzeug nicht aus, Schätzchen«, sagte Rizzi, nahm sein T-Shirt und tupfte sich ohne Eile sein Gesicht ab, während er ein Grüppchen Frauen beobachtete, Freundinnen wahrscheinlich, die mit dem Smartphone am Self‌iestick ein Fotoshooting aufführten. Schönste Posen im Bikini, im Hintergrund die Faraglioni-Felsen und ein Glitzern auf dem Wasser, die ersten Vorboten des Sonnenuntergangs.

»Die nerven schon die ganze Zeit«, behauptete Francesca.

»Kann der Cinquecento bald fahren?«, fragte Francesca, als sie hinter ihm auf die Vespa stieg und knapp mit den Kindersandalen die Fußrasten erreichte.

»Wenn die Reifen angekommen sind.« Rizzi startete den Motor.

»Und wann kommen die?«

»Wüsste ich auch gerne.«

Francesca schlang ihre Arme um ihn, drückte ihren Kopf mit dem Helm gegen seinen Rücken und legte sich in den Serpentinen der Via Marina Piccola so fantastisch mit ihm in die Kurven, dass eins jetzt schon klar war: Egal, was aus ihr einmal wurde und wie sie sich orientierte, eine gute Motorradfahrerin würde sie auf jeden Fall.

Rizzi hupte im Vorbeifahren Alberto und den Leuten in der Roxy Bar zu, nahm im Kreisverkehr die zweite Ausfahrt und stoppte vor dem Supermarkt.

»Du weißt, welchen Mozzarella, oder?«, fragte er und holte aus der Tasche seiner Shorts einen Zehner.

»Ich beeile mich.« Mit dem Helm auf dem Kopf rannte sie hinein.

Rizzi nahm seinen ab, legte ihn auf den Sattel zwischen seine Beine und tippte eine Nachricht an Gina.

»Glückwunsch!«, rief Marco Sasso, der Kartons und Pakete mit Wasserflaschen auf den carrello lud. »Wir sind alle heilfroh, dass der Spuk vorbei ist und ihr ihn so schnell gekriegt habt.«

»Hast du Maria Grifo eigentlich irgendwie gekannt?«, fragte Rizzi, als Marco zu ihm herüberkam und ihm mit der

»Ich wollte es dir eigentlich schon die ganze Zeit erzählen.« Marco schaute über die Artischocken und Melonen ins Innere seines Geschäfts. »Sie war mal drüben bei mir in der Via Croce.«

Rizzi nahm überrascht seine Sonnenbrille ab. »Wann?«

»Am Abend, bevor sie umgebracht wurde.«

»Und warum hast du nie etwas gesagt?«

Marco strich sich verlegen über seinen Dreitagebart. »War mir unangenehm. Und ist es immer noch.« Er verschränkte die Arme vor der Brust, schaute Rizzi aber in die Augen. »Sie hat bei mir ein paar Flachmänner gekauft, drei Stück, um genau zu sein, und mit einem Hunderter bezahlt.« Er hob hilflos die Hände. »Sie nimmt ihre Flaschen, ich nehme den Schein, will ihr rausgeben, aber sie drehte sich um und geht. Dachte wohl, sie hätte mir einen Zehner gegeben.«

»Und du hast nichts gesagt.« Rizzi legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Vergiss es einfach, Marco. Oder spende das Geld, wenn dir dann wohler ist.«

»Erledigt!« Francesca kam mit einer Tüte aus dem Supermarkt gerannt, grüßte Marco und stieg, ohne Zeit zu verlieren, wieder hinten auf.

»Wollt ihr eine Honigmelone?« Marco wählte eine aus, legte sie zum Mozzarella in die Tüte und gab noch ein paar Kiwi dazu.

»Komm vorbei.« Rizzi setzte seinen Helm auf und startete den Motor. »Bring Nunzia mit. Wir machen Pizza.«

Auf dem Feldweg drehte er noch einmal auf, und

Vito hatte vor dem Schuppen den Tisch aufgebaut, die Platte mit Mehl bestäubt und war dabei, den Hefeteig auszurollen, den Rizzi am Morgen angesetzt hatte.

»Diese Wellnessklinik im Piemont ist ja eine tolle Sache«, rief Vito, während er den Teig aufs Pizzablech legte. »Hast du die riesigen Bäume auf den Fotos gesehen?«

Die Frauen hatten sich neben den Tomaten die Stühle in die Sonne gestellt. Marta, Gina und Barbara steckten ihre Köpfe zusammen, blätterten in Prospekten und Faltblättern, und Barbara gab Erläuterungen.

»Wer soll das denn alles bezahlen?«, war Martas skeptischer Kommentar zu hören.

Barbara behauptete, dank Rita gäbe es gute Sonderkonditionen, auch für Begleitpersonen.

Francesca verteilte mit der Kelle die Soße auf dem Pizzaboden, die Gina aus den frisch eingemachten Tomaten mit viel Knoblauch, Salz, Pfeffer und Basilikum gekocht hatte.

»Nicht zu viel«, mahnte Vito. »Weniger ist mehr, Schatz, sonst wird der Boden lappig.«

»Kommt sie noch?«, fragte Rizzi.

»Wer?«

»Barbaras Neue.«

»Sie ist doch schon da.« Vito nickte zu den Pfirsichbäumen hinüber, wo Rita wie beseelt über die Beete mit Zucchini und Auberginen, die Weinreben und all die kunstvoll

Rizzi ging auf die Schuppenrückseite und schob das Tor auf. In der Wärme roch es nach Öl und Terpentin. Die Radkappen blitzten, und der Cinquecento in seiner wasserblauen Farbe sah wie neu und einfach wunderschön aus – nur dass die Karosserie auf Ziegelsteinen stand statt auf Rädern mit Reifen.

Er legte die Tüte mit den Scheibenwischern ab, schaute nach dem kleinen Schraubenzieher und stieß auf dem Tisch mit den Ersatzteilen auf den Trompetenkoffer, der inzwischen schon unter die alten Lappen geraten war. Rizzi hatte das Instrument mal von zu Hause mitgenommen, weil er dachte, dass er hier eher zum Spielen und Üben käme – auch unabhängig von Edoardo Carusos bevorstehendem Siebzigstem.

Er betätigte die Schnappverschlüsse, öffnete den Deckel und nahm das goldblitzende Instrument aus dem Futteral, setzte das Mundstück an die Lippen und spielte eine Tonfolge. Die ersten Laute misslangen, aber dann war die Tonleiter klar zu hören, und die Akustik in der Scheune war ganz wunderbar.

Er spielte das Stück an, das einzige, das er auswendig konnte, verspielte sich und begann noch einmal von vorne.

Entweder hatte er es vorher noch nie bemerkt, oder es war ihm einfach nicht bewusst gewesen, wie die Melodie und die Töne durch ihn hindurchgingen und seinen ganzen Körper in Schwingungen versetzten.

»New York, New York«, sagte Rizzi. »Von Frank Sinatra.«

»New York«, wiederholte Francesca. »Die Stadt in Amerika.«

»Da fahren wir irgendwann mal hin und schauen sie uns an.«

»Mit dem Cinquecento?«

»Ganz sicher nicht.«

Sie gingen zurück zu den anderen, setzten sich an den Tisch, der unter den Walnussbaum gerückt worden war und wo Vito die Pizza servierte. Die vier Frauen schmiedeten Pläne für einen gemeinsamen Wellness-Aufenthalt im Piemont, und Vito sagte zu Rizzi: »Junge, ist dir eigentlich klar, dass wir schon September haben?«

»Ich weiß, Papà. Es ist unglaublich.«

Gina lächelte ihn über den Tisch an und griff spontan nach seiner Hand, von der vor kurzem jemand gesagt hatte, damit könne er eigentlich nur Kartoffeln aus der Erde holen.

Er nahm sich ein Stück Pizza, auf der der Mozzarella zu kleinen Inseln verlaufen war, und stellte fest: »Wir sollten bald den Salat aussäen.«