Im Alltag sind wir ständig von Lärm umgeben.
Lärm und die Entstehung von Tinnitus sind eng miteinander verbunden. Was ist eigentlich Lärm? Die Definition fällt schwer. Man kann sagen, Lärm ist ein sehr lautes Geräusch, das wir als störend empfinden. Doch jeder Mensch beurteilt das anders. Viel hängt von unserer Einstellung dem Geräusch gegenüber ab. Junge Menschen empfinden die Musik in der Disco oder zu Hause aus dem Radio gerade als laut genug, während sie für Ältere ein unausstehlicher Krach ist. Dafür stört viele junge Menschen das Geräusch von Haushaltsgeräten, was wiederum die Hausfrau kaum berührt. Vieles ist eine Frage der subjektiven Bewertung und des subjektiven Maßes an Störempfinden.
Lärm bedeutet für unsere Ohren dauerhafte Reizung und Beanspruchung.
Unter Lärm fassen wir also Geräusche zusammen, die wir subjektiv als unangenehm, störend und lästig empfinden. Im Alltag sind wir ständig von Lärm umgeben, sei es von der ständigen Berieselung aus Radio und Fernseher, dem Rattern des Druckers im Büro, dem Schrillen des Telefons bis hin zu Baustellenlärm. Wir alle sind permanent dem Lärm ausgesetzt. Unser Hörorgan wird dadurch ständig beansprucht, die Sinneszellen werden ohne Unterlass gereizt. Wann nehmen wir uns Zeit für die Erholung? Wenn wir zu viel gelaufen sind, verspüren wir Muskelkater. Das ist ein Zeichen dafür, dass wir unsere Muskulatur zu sehr beansprucht haben. Dann führen wir bestimmt nicht gleich wieder das volle Trainingprogramm durch – das würde ja weh tun. Unser Hörorgan kann uns aber seine Überbeanspruchung zunächst nicht signalisieren.
Lärm hat auch andere Auswirkungen, die nicht direkt das Hörorgan betreffen. Haben Sie nicht auch schon bemerkt, wie sich bei starkem Lärm Ihr Magen förmlich zusammenzieht? Das sind vegetative Reaktionen, gesteuert über das unbewusste vegetative Nervensystem, das auch die Reaktionen auf Stress steuert. Beim Lärm geht es eigentlich um genau das Gleiche, denn Lärm ist nichts anderes als ein gewaltiger Stressfaktor. Wir können uns aber der uns umgebenden Geräuschkulisse kaum entziehen. Wir sind meist dazu gezwungen, den Lärm im Alltag zu ertragen – schließlich können wir nicht mit Ohrenschutz ins Büro gehen.
Die Intensität verschiedener Lärmquellen
Lärm hat auch einen guten Zweck: nämlich eine Alarmfunktion. Vor Urzeiten kündigte sich im knackenden Unterholz der Feind an oder das Heulen des Windes signalisierte einen Sturm. Das war ein für den Menschen nützlicher Lärm, ein Alarm. Der Ausdruck „Alarm“ kommt aus dem Französischen und heißt so viel wie „zu den Waffen“. Ein Alarmzeichen ist ein Warnsignal und löst in uns die beschriebenen Stressmechanismen aus: Also auf in den Kampf und zu den Waffen – oder das Heil in der Flucht suchen.
Der Körper muss Stress abreagieren können, da er sonst auf Dauer Schaden leidet.
Der Lärm unserer technisierten Welt hat jedoch seine Alarmfunktion weitgehend verloren, hat sich sinnlos verselbständigt. Wir sind fast ununterbrochen Lärm ausgesetzt, der uns vor nichts mehr warnt, aber uns quält. An Lärm können wir uns aber nicht gewöhnen. Wir werden vielleicht etwas weniger empfindlich für die Art Lärm, mit der wir ständig – etwa im Beruf – zu tun haben. Doch dies betrifft nur das persönliche Empfinden der Belästigung und ist keine echte Gewöhnung. Früher oder später stellen sich die Folgen ein. Lärm ist für den Körper eine Dauerbelastung – eine Art Dauerstress. Der Körper muss die Gelegenheit haben, Stress abzureagieren, da er sonst auf lange Sicht Schaden leidet. Wie der Stressforscher Hans Selye es ausdrückte: Es bilden sich durch nicht abreagierte Stressreaktionen chemische Narben im Körper. Es kommt also zu Folgen im Bereich des Stoffwechsels, die die Zellen schädigen, in diesem Fall zu einer Schädigung der Sinneszellen im Bereich der Hörbahn. Da wundert es nicht, wenn Lärm auf diese indirekte Weise Tinnitus auslösen kann. Doch Lärm hat auch eine direkte schädigende Wirkung auf unseren Hörapparat. Schalleinwirkungen werden je nach Intensität und Beschaffenheit der Töne nicht nur als lästig, sondern auch als schmerzhaft empfunden. Eine akute starke Lärmeinwirkung bezeichnen wir als Lärmtrauma oder akustisches Trauma.
„Ich dachte, ich bringe mich um”
Ich habe seit acht bis zehn Jahren Ohrensausen. Es fing an, als ich eines Tages kurz vor Weihnachten aus der Dusche kam. Auf einen Schlag habe ich nichts mehr gehört, nur noch ein lautes Brüllen hatte ich in den Ohren. Ich bekam mächtig Angst.
Mein Gehör besserte sich am nächsten Tag etwas, aber es blieb ein starkes Pfeifen in beiden Ohren. Ich hörte zwar etwas mehr, aber alles war so dumpf, und ich verstand kaum etwas. Als ich meinen Hausarzt aufsuchte, machte er selbst eigentlich gar nichts, sondern schickte mich gleich zu einem HNO-Arzt. Der untersuchte mich mit einem Ohrenspiegel und stellte nur einen Pfropfen im Ohr fest. Ansonsten meinte er, da wäre nicht viel zu machen, ich müsste mich mit der Sache abfinden.
Das Dröhnen wurde immer lauter und belastete mich immer mehr. Nach einem Vierteljahr dachte ich, ich bringe mich um. Später, als ich zufällig mit meinem Hausarzt über die Sache sprach, nahm dieser die Therapie in die Hand und gab mir zweimal täglich eine Infusion mit je zwei Ampullen eines Mittels zur besseren Durchblutung. Nach etwa einem Jahr trat eine geringe Besserung ein. Während der Infusionen selbst verschwand das Rauschen schon mal für einige Minuten völlig. Doch dann auf der Straße kam es wieder. Ich erhielt die Infusionen ohne Pause vier Jahre lang – morgens und abends. Das wusste keiner, ich ließ mich deswegen auch nie krankschreiben. Nach diesen vier Jahren machten wir eine Pause von sechs oder acht Wochen.
Mein Gehör hatte sich im Lauf der Behandlung nach rund zwei Jahren Infusionstherapie einmal schlagartig gebessert. Wir saßen in einer fröhlichen Runde in der Kneipe – und zack, auf einmal war das Gehör wieder da. Ich konnte den Lärm im Lokal plötzlich kaum ertragen. Aber ich freute mich natürlich riesig. Gleich am nächsten Tag besuchte ich meinen Hausarzt, der ebenfalls hocherfreut war und meinte, wir würden es schon noch schaffen.
Doch meine Ohrgeräusche habe ich bis heute behalten. Der Ton in meinem Ohr ändert sich ständig. Jetzt ist es gerade ein Pfeifen, wie wenn ein Kühlschrank langsam läuft. Auch wechselt der Ton den Ort; mal ist er im linken, mal im rechten Ohr, mal in beiden. Bei Änderung der Witterung ändern sich auch die Geräusche in meinen Ohren.
Ich war beruflich ständig Lärm ausgesetzt. 25 Jahre lang arbeitete ich beim Rundfunk als Tontechniker. Dann bin ich eine Zeitlang auch noch Lkw gefahren. Ich habe mir immer viel aufgehalst, oft zwei, drei Jobs nebenher gehabt. Ich arbeitete praktisch sieben Tage in der Woche, daneben bauten wir noch ein Haus. Das war auch zu der Zeit, als es mit dem Ohrensausen losging.
Jetzt bin ich seit drei Jahren in Rente, allerdings nicht wegen der Ohren. Meinen Tinnitus habe ich immer noch, kann aber damit leben. Ich würde dennoch gerne neue Behandlungsmethoden ausprobieren, die eine Aussicht auf Besserung versprechen.
Horst M., 64, Rentner in Frankfurt am Main
Die Lärmeinwirkung macht sich anfangs oft nur als allgemeine Befindlichkeitsstörung bemerkbar.
Dies kann durch einen Knall, eine Explosion, aber auch durch eine stumpfe Kopfverletzung hervorgerufen werden. Dabei kommt es zu einer Schädigung des Trommelfells oder des Innenohrs. Die Folge ist ein unmittelbarer Gehörverlust, der meist nur von kurzer Dauer ist. In einer Vielzahl der Fälle ist dies verbunden mit dem Empfinden subjektiver Ohrgeräusche. Die nach einem einmalig erfolgten Lärmtrauma eingetretene Hörstörung bessert sich zunächst; doch setzt man sich danach weiteren Lärmbelastungen aus, nimmt diese wieder zu.
Die Lärmeinwirkung kann sich anfangs nur als allgemeine Befindlichkeitsstörung bemerkbar machen, etwa in Form von Kopfschmerzen, Schlafstörungen, einem Unruhegefühl, nervösen Herzstörungen oder schwankendem Blutdruck. Die Mediziner bezeichnen das als vegetative Störungen, da diese vom vegetativen, unbewusst gesteuerten Nervensystem ausgehen und sich unserer Kontrolle entziehen. In diesen Anzeichen erkennen wir genau die beschriebenen Stresssymptome wieder. Und Lärm ist ein Stressfaktor!
Permanenter Lärm macht taub!
Wer Lärm langandauernd auf sich wirken lässt, muss mit Lärmschwerhörigkeit rechnen. Dabei nimmt im Laufe der Jahre die Hörfähigkeit allmählich ab, zu Beginn kaum merklich, dann jedoch immer deutlicher. Diese Schwerhörigkeit betrifft beide Ohren und ist in der Mehrzahl der Fälle mit subjektiven Ohrgeräuschen verbunden.
Die von Lärmschwerhörigkeit Betroffenen sind meist Personen, die beruflich einer andauernden übermäßigen Lärmeinwirkung ausgesetzt sind. Beispielsweise kann die Arbeit an Maschinen in der Industrie oder im Straßenbau zu massiven Schädigungen des gesamten Organismus führen. Doch auch Leute, die ständig lauter Musik ausgesetzt sind wie Discjockeys oder Tontechniker, bleiben davon nicht verschont. Lärmschwerhörigkeit ist unter den Berufskrankheiten der häufigste Versicherungsfall!