Es war einer dieser Hitzetage in einem jubilierenden Sommer. Im Tal war es extrem heiß, der Bergwind tat gut. Julian und Richard hatten sich die Räder geschnappt und waren früh aufgebrochen, denn sie wussten, was für ein Spektakel sich an solchen Tagen anbahnte. Zuerst einmal mussten sie selber ihre Räder hochschieben. Gut, dass die Straße noch im Schatten lag. Wobei Straße für diesen Weg ein wenig hoch gegriffen war, denn er war rutschig, voller Geröll und höllisch steil. Aber genau das war ja der Witz daran.
Oben angekommen legten sie die Räder in die Wiese und kletterten in den Hang. Der erste VW Käfer war schon unterwegs. Gab alles, röhrte und schnaufte und stank nach Benzin. Sie schubsten ihm einen größeren Stein in den Weg. Der Käfer stoppte. Und konnte dann nicht mehr anfahren. Was war das für ein Spaß, wenn die Käfer rückwärts wieder hinunter mussten! Wie sie schlingerten, wie hübsche Beifahrerinnen ihre Männer beschimpften. Manche stiegen auch aus und liefen davon. Im Lauf des Vormittags kamen immer mehr Autos. Manche von ihnen rutschten einfach ab, dafür mussten die beiden gar nichts weiter unternehmen.
Oben auf der Almwirtschaft wurde gebechert und musiziert. Julian war irgendwo verschwunden, Richard aber ging zu Maxl, dem kleinen Ziegenbock. Die Mutter hatte ihn nicht angenommen. Das war ein bisschen wie bei ihnen zu Hause. Ihre Mutter wollte sie auch nicht so recht, und abgesehen davon war sie ständig krank. Es hatte immer irgendwelche Kindermädchen und Tanten gegeben, die sich kümmerten. Und der Vater hatte mit seiner Arbeit viel zu tun.
Auf den Maxl hätten die Bauern keinen Pfennig verwettet. »Der krepiert eh«, hatten sie gesagt. Anfangs hatte der kleine Ziegenbock gar nicht trinken wollen, war so schwach gewesen und hatte nur auf der Seite gelegen. So ein kleines, elendes Tierlein. Aber ihm, dem kleinen, etwas molligen Richard war es gelungen, den kleinen Maxl mit der Flasche großzuziehen. Und er hatte ihm in kürzester Zeit Zirkuskunststücke beigebracht. Maxl konnte Männchen machen und auf einen Fingerzeig überall hochspringen. Der Ziegenbock begriff schnell. Er war klug und behände und wurde ein richtiger kleiner Akrobat.
Doch die Sommerferien neigten sich dem Ende zu, und Richard wurde das Herz schwer, denn er würde Maxl nicht mitnehmen können. Er musste den Vater fragen, aber der würde ihn kaum ernst nehmen.
Er lief den Hang hinauf. »Maxl!«, rief er.
Richard bekam Antwort, aber nur von anderen aus der bunten Ziegenschar. Auf einmal sah er, wie Julian Maxl an einem Strick Richtung Klamm führte.
Er sauste hinterher. Holte ihn ein.
»Was machst du?«
»Wir müssen mehr Zirkustricks einüben. Damit verdienen wir Geld. Maxl muss über die Brücke balancieren.«
»Spinnst du? Was, wenn er abstürzt!«
»Er ist ein Ziegenbock. Der kann klettern. Das schaffen ja sogar wir.«
Das stimmte. Es war eine Mutprobe, auf dem Geländer der Brücke zu balancieren. Tief unten toste die Klamm böse und laut. Sie und auch die anderen Jungs hatten es immer geschafft. Sogar Georgina konnte das – und die war ein Mädchen.
Die Klamm führte nur wenig Wasser, der heiße Sommer forderte seinen Tribut.
»Hopp!«, rief Julian. Maxl sprang auf das Geländer, an dem er sich mit den Klauen festhalten konnte. Julian hatte ein paar Körner in der Hand, und Maxl ging los. Vorsichtig, tastend, aber leckeres Essen war eben doch ein Antrieb. Schritt für Schritt. Richard wollte gerade sagen, dass es nun aber reiche für ein erstes Mal, als es irgendwo sehr laut krachte. Maxl erschrak. Dann ging alles ganz schnell. Der Strick verfing sich am Geländer. Der kleine Ziegenbock baumelte über der Schlucht. Bis sie Maxl heraufziehen konnten, war es zu spät. Das fröhliche Ziegenkind war tot.