Es wurden bereits einige Lösungen vorgestellt, um die Kommunikation zwischen automatisierten Fahrzeugen und ungeschützten Verkehrsteilnehmern (sog. „Vulnerable Road Users“, VRUs) zu unterstützen. Noch ist jedoch unklar, ob diese Systeme den Anforderungen zukünftiger Benutzer auch gerecht werden. Ziel dieser Arbeit war es, Benutzeranforderungen von VRUs nach direktem Kontakt mit einem automatisierten Fahrzeug zu erfassen. Hierfür wurde eine Feldstudie mit 32 Teilnehmern durchgeführt. Die Resultate, welche sowohl auf subjektiven (Fragebögen, Interviews) als auch objektiven (Videoanalyse) Daten basieren, legen nahe, dass ungeschützte Verkehrsteilnehmer einfache und bekannte Konzepte (beispielsweise Ampelsysteme oder Hupen) zur Kommunikation bevorzugen. Des Weiteren wurden diverse Problemszenarien identifiziert, welche für eine Bereitstellung von automatisierten Fahrzeugen in „Shared Spaces“ von besonderer Bedeutung sind.
7.1 Einleitung
Spätestens seit erste automatisierte Fahrzeuge im Realverkehr getestet werden, tritt eine neue Frage immer mehr in den Vordergrund: Wie können diese mit anderen Verkehrsteilnehmern kommunizieren, wenn kein Insasse mehr als Fahrer permanent am Geschehen teilnimmt (Mahadevan et al. 2018; Mirnig et al. 2018)? Menschliche Verkehrsteilnehmer nutzen üblicherweise formlose Kommunikation, um Konflikte, z. B. Entscheidung über Vorrang in nicht-geregelten Situationen, zu vermeiden beziehungsweise aufzulösen. Dies umfasst nicht nur explizite Kommunikation (etwa Blinken, Hupen oder das Suchen von Augenkontakt), sondern auch Fahrverhalten oder Bewegungsmuster (Färber 2015). Welche Verhaltensmuster hierbei ausschlaggebend sind, ist nicht direkt geregelt, trotzdem schaffen es Menschen üblicherweise, die Signale anderer korrekt zu interpretieren und dabei Konfliktsituationen, meist unbewusst, zu lösen. Um diese Art der Kommunikation in automatisierten Fahrzeugen zu ersetzen, wurden sowohl von Fahrzeugherstellern als auch Forschern bereits verschiedenste Lösungen vorgeschlagen, wie etwa in den Außenraum gerichtete Bildschirme, die situationsabhängige Projektion von Fußgängerüberwegen, Visualisierungen mit Licht- und Tonsignalen bis hin zu geräteübergreifenden Systemen mit Smartphones, Smartwatches oder anderen „Wearable Devices“ (Dey et al. 2018; Mahadevan et al. 2018; Mirnig et al. 2018). Dabei ist jedoch anzumerken, dass es nicht reichen wird, „nur“ technisch ausgefeilte Konzepte zu präsentieren. Um die Verkehrssicherheit beim Mischbetrieb mit automatisierten Fahrzeugen zu erhalten oder gar zu erhöhen, müssen derartige Systeme neuen, zu definierenden Standards folgen. Dabei könnte eine Koexistenz verschiedenster Lösungen potenziell für Verwirrung sorgen – ein Problem, welches gerade für ungeschützte Verkehrsteilnehmer/VRUs (wie etwa Fußgänger, Rad- oder Rollstuhlfahrer) kritisch werden könnte, da diese laut Statistiken einen immer größeren Teil der bei Unfällen verunglückten Personen ausmachen (OECD 2014).
Bevor man somit beginnt, technisch ausgefeilte Lösungen zu entwerfen, ist es notwendig, die Erwartungen von VRUs zu erfassen, und deren spezielle Anforderungen beim Systemdesign zu berücksichtigen. Unter diesem Gesichtspunkt können reale Interaktionen zwischen automatisierten Fahrzeugen und VRUs eine äußerst wertvolle Basis für weitere Forschung und potenzielle Systementwürfe bieten. Um Anforderungen von Fußgängern an derartige Kommunikationssysteme zu erheben, wurde eine Feldstudie mit einem im Realverkehr operierenden automatisierten Shuttle durchgeführt. Ziel der Studie war es, durch die Zusammenführung von Fragebögen, Interviews und Videobeobachtungen potenzielle Probleme und Anforderungen für derartige Kommunikationssysteme zu identifizieren. Dabei wurde die persönliche Sichtweise nur von jenen Personen erfasst, die unmittelbar zuvor als ungeschützte Verkehrsteilnehmer Kontakt mit einem automatisierten Shuttle hatten. Die Ergebnisse der Befragungen in Kombination mit den aus der Videobeobachtung erhaltenen Daten sollen helfen, Kommunikationssysteme zukünftiger Fahrzeuge einfacher und auch sicherer zu gestalten.
7.2 Stand von Wissenschaft und Technik
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Darstellung bereits vorgestellter Konzepte für AV-VRU-Kommunikation (von links nach rechts): Anblicken/Nachverfolgen eines VRUs mit künstlichen Augen, Projektion eines Fußgängerüberwegs, LED-Streifen und Displays, bzw. „Smart Infrastructure“ (Fußgängerübergang in der Straße integriert). (Quelle: eigene Darstellung)
Andererseits muss jedoch die Frage gestellt werden, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine hohe Anzahl teils komplett unterschiedlicher Konzepte einzusetzen bzw. zu genehmigen. Viele der vorgestellten Lösungen wurden zudem in nur wenigen Szenarien (und primär mit subjektiven Evaluierungsmethoden) getestet. Um für zukünftigen Einsatz gerüstet zu sein, sollen derartige Kommunikationssysteme jedoch verschiedenste Kriterien erfüllen (Mirnig et al. 2018): Sie müssen (in zu definierenden standardisierten Testverfahren) validierbar sein, kulturelle und auch individuelle Unterschiede berücksichtigen, in vielen verschiedenen Umgebungen (z. B. bei unterschiedlichen Sichtverhältnissen) funktionieren, dabei möglichst skalierbar (d. h. auch in komplexen Situationen mit mehreren Fahrzeugen und VRUs) arbeiten können. Die Zielerreichung ist dabei nicht zwingend widerspruchsfrei möglich – zum Beispiel wird darauf hingewiesen, dass Fußgänger Entscheidungen aufgrund von Bewegungsmustern (z. B. Abbremsen) treffen (Dey und Terken 2017), was sich jedoch negativ auf den Verkehrsfluss oder den Energieverbrauch auswirken kann. Zusätzlich zu den hier genannten Aspekten sollen diese Systeme auch den Erwartungen potenzieller Nutzer entsprechen und auf in der Realität vorkommende Probleme zugeschnitten sein – beides Punkte, welche im Rahmen der hier vorgestellten Studie untersucht wurden.
7.3 Feldstudie
Um die Anforderungen von VRUs besser zu verstehen, wurde eine Feldstudie mit einem im Realverkehr operierenden automatisierten Shuttle (EasyMile EZ10) durchgeführt.
7.3.1 Methode und Forschungsfragen
Durch Triangulation verschiedener Forschungsmethoden sollen sowohl die subjektiven Erwartungen von Benutzern als auch sich durch das Zusammentreffen des Shuttles mit VRUs ergebende Probleme erhoben werden. Dabei wurden Personen, welche unmittelbar davor dem Shuttle begegnet waren, in semi-strukturierten Interviews befragt und ihre generelle Einstellung gegenüber automatisierten Fahrzeugen in Form eines kurzen Fragebogens erfasst. Dieser basiert auf der Studie von Reig et al.( 2018), welche in einem ähnlichen Setting automatisierte Taxis von Uber evaluierte. Ein Ergebnis dieser Studie war, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Einstellung gegenüber automatisierten Fahrzeugen und künstlicher Intelligenz beruht. In der hier präsentierten Studie wurden zusätzlich noch weitere Fragen über allgemeine Technikakzeptanz sowie potenzielle Kommunikationsprobleme aufgenommen. Des Weiteren wurde die Kurzversion des AttrakDiff-Fragebogens (Hassenzahl et al. 2003) hinzugefügt. Dieser erfasst die für das Benutzererlebnis relevanten Konzepte Attraktivität, sowie pragmatische (Effektivität und Effizienz eines Produktes) und hedonische (über reine Nützlichkeit hinausgehende Produkteigenschaften, wie Identifikation, Stimulation, etc.) Qualität auf einer 5-Punkte Likert-Skala von –2 bis +2. Auch die Interviewfragen selbst wurden an die Studie von Reig et al. (2018) angelehnt und um zusätzliche Fragen ergänzt (siehe Anhang 2). Dadurch sollte eine Vergleichbarkeit zwischen der Studie von Reig et al. und unserer Evaluation gegeben sein. Für die Auswertung der Interviews wurde eine Inhaltsanalyse mit „Affinity Diagramming“ (Courage und Baxter 2005) der Antworten durchgeführt. Dabei wurden häufig vorkommende Statements geclustert und bestimmten wiederkehrenden Themen zugeordnet.
RQ1 Welche Anforderungen haben VRUs an die Kommunikation mit automatisierten Fahrzeugen und welche Lösungsansätze werden vorgeschlagen?
RQ2 Welche Situationen führen bei der Interaktion zwischen VRUs und automatisierten Fahrzeugen zu Problemen?
7.3.2 Studienablauf
Für die Fragebögen und Interviews wurden speziell Personen gesucht, welche unlängst mit dem automatisierten Shuttle interagiert hatten. Hierfür platzierte sich unser Versuchspersonal an markanten Punkten entlang der Strecke (z. B. Vorrangstraße, Fußgängerübergang, etc.) und sprachen Personen nach deren Zusammentreffen mit dem Shuttle an. Es wurde darauf geachtet, sowohl ältere (Kurgäste, Anwohner), als auch jüngere Personen (z. B. Schüler einer nahegelegenen Akademie) in die Evaluation aufzunehmen. Personen, welche sich zur Studienteilnahme bereit erklärten, füllten zuerst den Fragebogen mit demografischen Daten, den Fragen zu Akzeptanz und Kommunikationsproblemen, sowie den AttrakDiff Fragebogen aus. Anschließend wurde das semi-strukturierte Interview geführt und aufgezeichnet. Die Durchführung dauerte in etwa 20 Minuten pro Teilnehmer.
7.3.3 Resultate
Insgesamt nahmen 32 (19 männliche, 13 weibliche) Probanden im Alter von 17 bis 89 Jahren an der Studie teil. Es wurden speziell ältere und jüngere Probanden gesucht, um gegebenenfalls Unterschiede in den Altersgruppen zu identifizieren. Die Gruppe der jüngeren Probanden umfasste 17 Personen (M: 21, SD: 4,27 Jahre), darunter zwei, die keine genauen Angaben zu ihrem Alter machten, deren Zuteilung zu dieser Gruppe jedoch aufgrund des Aussehens möglich war, die Gruppe der älteren Probanden 15 Personen (M: 71,7, SD: 9,78 Jahre). Nachfolgend werden die Ergebnisse der Fragebögen, Interviews und der Videoanalyse präsentiert.
7.3.3.1 Fragebögen
Technikakzeptanz und Einstellung gegenüber automatisierten Fahrzeugen
Deskriptive Statistik der im Fragebogen erhobenen Konzepte
Konzept | Inhalt | Mdn | IQR |
---|---|---|---|
AAV | Akzeptanz automatisierter Fahrzeuge | 0,5 | 1,31 |
AKI | Akzeptanz gegenüber künstlicher Intelligenz | 0,63 | 1,31 |
AT | Akzeptanz gegenüber neuen Technologien | 1 | 1,06 |
PRED | Vorhersehbarkeit von Aktionen des automatisierten Fahrzeuges | 0,5 | 1,1 |
BEHV | Verhaltensänderung gegenüber manuellen Fahrzeugen | 1 | 1 |
RISK | Risikobereitschaft beim Queren der Straße | 1 | 3 |
PLAY | Wunsch nach spielerischer Auseinandersetzung | 1 | 3 |
COMM | Kommunikationsbedarf | 1 | 2 |
Da die jeweilig zusammengehörigen Items akzeptable Werte für die interne Reliabilität aufwiesen (Cronbach’s alpha: AAV = 0,80, AKI = 0,92, AT = 0,87, PRED = 0,81) wurden Skalenvariablen (Mittelwerte) für die weitere Analyse gebildet. Anschließend wurde bezüglich der verschiedenen erfassten Konzepte eine Korrelationsanalyse (Spearman) durchgeführt. Diese zeigt, dass die jeweiligen Subskalen für Akzeptanz stark miteinander korrelieren (AAV/AKI: r = 0,640, p < 0,001, AAV/AT: r = 0,473, p = 0,004, AKI/AT: r = 0,554, p = 0,004). Dies bestätigt die Resultate von (Reig et al. 2018) und zeigt zusätzlich: Eine hohe Akzeptanz automatisierter Fahrzeuge geht einher mit Akzeptanz gegenüber künstlicher Intelligenz und technischen Neuerungen im Allgemeinen. Zusätzlich korreliert AAV negativ mit COMM (r = −0,533, p = 0,001). Personen, welche somit automatisierte Fahrzeuge akzeptieren, verneinen, dass es schwierig ist, mit diesen zu kommunizieren. Zwei weitere Korrelationen betreffen RISK. Hier wurde abgefragt, ob man einem automatisierten Fahrzeug aufgrund fehlender Kommunikationsmöglichkeiten generell die Vorfahrt gibt. RISK korreliert dabei negativ mit PRED (r = −0,458, p = 0,005) und positiv mit MENTAL (r = −0,357, p = 0,026). Personen, welche glauben, das Verhalten des Fahrzeugs vorhersagen zu können, haben somit keine Scheu vor diesem die Straße zu überqueren (und umgekehrt), während Probanden, welche glauben, im Umgang mit automatisierten Fahrzeugen überfordert zu sein, dies nicht riskieren. Statistische Vergleiche zwischen den jeweiligen Subskalen zeigen weder in Punkto Geschlecht noch Altersgruppe besondere Unterschiede – einzig, was die Akzeptanz betrifft, lieferte der durchgeführte Mann-Whitney U Test ein statistisch signifikantes Ergebnis (p = 0,017), wobei ältere Probanden eine höhere Akzeptanz gegenüber dem Fahrzeug aufwiesen.
AttrakDiff
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Ergebnisse des AttrakDiff-Fragebogens aufgeschlüsselt nach Alter. Attraktivität (ATT) und hedonische Qualität (HQ) zeigen dabei kaum Unterschiede, während ältere Probanden die pragmatische Qualität (PQ) als signifikant besser bewerteten
7.3.3.2 Interviews
Die Aufnahmen der aus den direkt im Anschluss an die Fragebögen (siehe Anhang 7.7.2) geführten Interviews wurden transkribiert und in einzelne Statements unterteilt. Diese wurden anschließend mit „Affinity Diagramming“ (Courage und Baxter 2005) einer Inhaltsanalyse unterzogen und in wiederkehrende Themenbereiche gegliedert. Im Folgenden werden die erarbeiteten Themenbereiche (Wissen, Erfahrung, Sicherheit und Vertrauen, sowie Kommunikation und Interaktion) mit den jeweiligen Statements vorgestellt.
Kommunikation und Interaktion
Der Großteil der im Interview gestellten Fragen betraf die Interaktion und Kommunikation mit dem Shuttle sowie automatisierten Fahrzeugen generell.
Unter anderem wurde die Frage gestellt, wie automatisierte Fahrzeuge mögliche Systemfehler nach außen hin kommunizieren sollten. (n = 6) Personen erwähnten in diesem Zusammenhang visuelle Warnungen durch Lichtsignale – manche Teilnehmer wiesen explizit auf existierende Konzepte wie Ampelsysteme oder Warnblinkanlagen hin. Ebenso viele (n = 6) erwarten auditive Warnungen durch Hupen oder Sprachausgabe. Auch eine Kombination aus beiden Warntypen wurde von (n = 6) Personen gewünscht. Auch sollte ein automatisiertes Fahrzeug einem VRU kommunizieren, dass er/sie gesehen wurde. (n = 8) Personen erwarten sich dabei multi-modale Nachrichten, welche VRUs sowohl visuell als auch auditiv benachrichtigen. (n = 6) Probanden kämen auch mit nur visuellen, (n = 3) mit rein auditiven Benachrichtigungen aus.
Bei der Frage, ob der Status von automatisierten Fahrzeugen sowie der Verkehrssituation im Allgemeinen auf digitalen Assistenten (wie Smartphones oder Smartwatches) wiedergegeben werden sollte, hat sich die Meinung der Stichprobe polarisiert. (n = 15) Personen konnten sich gut vorstellen, derartige Informationen (z. B. die Position die Route des Fahrzeuges, Anschlussverbindungen, etc.) auf mobilen Endgeräten zu erhalten. Gleich viele (n = 15) Teilnehmer gaben jedoch auch an, derartige Systeme abzulehnen. Die Hauptgründe dafür waren, dass nicht jeder ein solches Endgerät besitzt beziehungsweise benutzen möchte. Auch Datenschutzbedenken spielen eine Rolle – einige Teilnehmer lehnen es ab, Mobilitätsanbietern ihre privaten Daten zur Verfügung zu stellen.
Auf die Frage, wie man automatisierte Fahrzeuge sicherer gestalten könnte, gaben nur wenige Teilnehmer konkrete Antworten. (n = 5) Teilnehmer merkten an, dass zu jeder Zeit eine verantwortliche Person (wie der Operator des Shuttles) innerhalb des Fahrzeugs erreichbar sein sollte, (n = 4) gaben an, dass ein für jede(n) zugänglicher Notaus-Schalter angebracht sein sollte.
Es wurde auch explizit nach potenziell problematischen Situationen gefragt, welche bei der Interaktion mit automatisierten Fahrzeugen auftreten könnten. Die dabei erhaltenen Antworten lassen sich grob in drei unterschiedliche Problemsituationen einteilen: (1) keine oder missverständliche Kommunikation, welche von VRUs nicht eindeutig interpretiert werden kann, (2) dass VRUs von Systemen erst gar nicht erkannt werden, und (3) dass Kommunikationssysteme, wenn vorhanden, Probleme mit beeinträchtigten (wie etwa blinden oder tauben Personen) VRUs haben könnten.
Auf die Frage, ob das in dieser Studie betrachtete automatisierte Shuttle genug Informationen für VRUs bereitstellt, gaben (n = 17) Personen an, ausreichend über das Verhalten Bescheid zu wissen, jedoch in erster Linie durch Wissen über die Route bzw. durch Beobachten des Verhaltens. (n = 8) Teilnehmer gaben an, nicht ausreichend informiert zu sein.
Da das Shuttle zum Untersuchungszeitpunkt mit relativ geringer Geschwindigkeit unterwegs war, wurde auch die Frage gestellt, ob und wie sich der Kommunikationsbedarf ändern würde, wenn höhere Geschwindigkeiten erreicht würden. Für (n = 11) Teilnehmer würde es ausreichen, wenn sich derartige Fahrzeuge an die Verkehrsregeln halten bzw. ein mit menschlichen Verkehrsteilnehmern vergleichbares Verhalten an den Tag legen. Weitere (n = 11) Personen betonten, dass automatisierte Fahrzeuge nur dann schneller fahren sollten, wenn die Technologie auch ausgereift genug ist, um vorausschauend zu fahren, angemessen schnell zu reagieren, und dabei auch in der Lage ist, mit anderen Verkehrsteilnehmern zu kommunizieren. (n = 4) Teilnehmer betonten, dass zukünftige Kommunikationssysteme einem leicht zu erlernenden und zu definierenden Standard entsprechen müssen.
Sicherheit und Vertrauen
Ein großer Teil der Probanden (n = 19) gaben an, dass sie automatisierte Fahrzeuge für sicher hielten. Diese hatten ein hohes Vertrauen in Technologie und bescheinigten selbiger, sicherer und weniger fehleranfällig zu sein als Menschen – vor allem unter passenden Bedingungen („bei geringer Geschwindigkeit und guten Wetter- und Sichtverhältnissen“). Vorausgesetzt wird dabei, dass diese Fahrzeuge sich an die Straßenverkehrsordnung halten und rigorose Zulassungsprozesse durchlaufen müssen, denen in Deutschland üblicherweise vertraut wird. (n = 11) Teilnehmer gaben andererseits jedoch an, automatisierte Fahrzeuge für nicht besonders sicher zu halten. Gründe hierfür waren aktuelle Medienberichte über Unfälle mit automatisierten Fahrzeugen, Befürchtungen, dass die Technologie noch zu wenig ausgereift ist, oder dass es im Mischverkehr mit manuell gesteuerten Fahrzeugen zu Problemen kommen könnte. Einige gaben auch explizit an, dass das Fehlen von Kommunikationsmöglichkeiten zu sicherheitskritischen Situationen führen wird. Trotzdem gaben auch fast zwei Drittel (n = 20) an, den Herstellern bei der Entwicklung der Fahrzeuge zu vertrauen. Insbesondere deutsche Hersteller wurden von den Teilnehmern hervorgehoben, mit dem Hinweis, dass diese auch in der Vergangenheit besonders in Sicherheitssysteme investiert haben.
Wissen
Fast die Hälfte der Versuchsteilnehmer (n = 15,47 %) gab an, bereits einiges über automatisierte Fahrzeuge und deren Funktionsweise zu wissen. Die dabei am häufigsten genannten Begriffe waren „Sensorik“, „Kameras“, und „Programmieren“. Sechs Probanden gaben auch an, ein Basisverständnis von künstlicher Intelligenz zu besitzen, und stützten ihre Angaben mit Begriffen wie „digitale Sprachverarbeitung“ oder „lernfähige neuronale Netze“. Nur vier Teilnehmer gaben an, noch kaum etwas über automatisiertes Fahren zu wissen. Der Großteil (n = 23) gab an, ihr Wissen über automatisierte Fahrzeuge vor allem über Printmedien oder Fernsehbeiträge erlangt zu haben, fünf weitere in erster Linie über Mundpropaganda, z. B. durch Familienmitglieder.
Erfahrung
Die Versuchsteilnehmer wurden auch angehalten, existierende Erfahrungen im Umgang mit dem automatisierten Shuttle anhand konkreter Situationen zu beschreiben. (n = 10) Teilnehmer gaben an, dass das Shuttle ohne Probleme funktioniert. Einige gaben jedoch auch an, dass das Fahrzeug das Verhalten nicht klar genug signalisiert. (n = 13) Probanden sind auch schon als Passagiere mit dem Shuttle gefahren, wobei (n = 10) ihre diesbezüglichen Erfahrungen als angenehm bezeichneten. (n = 4) würden eine höhere Geschwindigkeit bevorzugen, (n = 2) Teilnehmer gaben explizit an, dass das Shuttle zu langsam fährt, während eine weitere Person überhaupt manuelles Fahren bevorzugte.
7.3.3.3 Videoanalyse
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Typische wiederkehrende Situationen aus der Ego-Perspektive des Shuttles: Obwohl entgegenkommende Personen ausweichen, bremst das Shuttle (links), ein stehendes Fahrzeug verhindert die Weiterfahrt (rechts)
Probleme mit VRUs im Längsverkehr
Insgesamt wurden (n = 30) Situationen identifiziert, in denen ungeschützte Verkehrsteilnehmer (zumeist Fußgänger) dem Shuttle entgegen kamen und seitlich (links oder rechts) an diesem vorbeigingen, wobei das Shuttle aktiv einen Bremsvorgang einleitete. In vielen dieser Situationen war der Seitenabstand sogar größer als typischerweise beim Zusammentreffen mit manuell gesteuerten Fahrzeugen. Auch wichen VRUs manchmal sogar auf die Wiese oder das Bankett aus und waren darüber verwundert, dass das Shuttle trotzdem die Geschwindigkeit verringerte. Laut technischer Spezifikation verringert das Shuttle die Geschwindigkeit, wenn sich ein Objekt im Umkreis von 1,5 Metern befindet (siehe Kap. 5). Für VRUs ist es somit äußerst schwierig zu erkennen, welchen Abstand sie zum Fahrzeug halten müssen, um den Betrieb nicht zu beeinflussen. In weiteren (n = 6) Situationen gingen Fußgänger direkt vor dem Shuttle und zwangen dieses zu einem Bremsvorgang. In manchen dieser Situationen musste das Shuttle dabei aktiv ein akustisches Signal aussenden, um sein Kommen anzukündigen, in anderen hatte man als Beobachter sogar den Eindruck, dass bestimmte Personen von der Präsenz des Shuttles wussten, aber trotzdem ihre Pfade nicht anpassten.
Probleme beim Zusammentreffen mit anderen Fahrzeugen
In insgesamt (n = 7) Situationen musste das Shuttle wegen Fahrzeugen auf der Strecke vollständig anhalten. Um die Situation zu bereinigen, musste der Operator des Shuttles daraufhin die Hindernisse manuell umfahren oder warten, bis die Strecke wieder frei war. Einer der Operatoren vermutete, auf derartige Situationen angesprochen, dass manche (andere Verkehrsteilnehmer) dies sogar absichtlich machen würden, um den Betrieb zu beeinträchtigen. In (n = 12) Situationen mit Gegenverkehr bremste das Shuttle oder hielt vollständig an, obwohl genügend Platz zum Ausweichen vorhanden gewesen wäre. Das Shuttle selbst ist mit der aktuellen Programmierung nicht in der Lage, seine Route zu verlassen, um den vorhandenen Platz auszunutzen – was für die Fahrer der entgegenkommenden Fahrzeuge jedoch nicht selbstverständlich schien.
Probleme im Querverkehr
Durch die spezielle Topologie der Route konnten nur wenige (nicht-geregelte) Konfliktsituationen identifiziert werden, in denen VRUs vor dem Shuttle die Straße überquerten. In (n = 3) Fällen überquerten Fußgänger relativ knapp (<10 Meter) die Straße, ohne das Shuttle zu beachten. Zwei Situationen wurden aufgezeichnet, in denen Fußgänger zuerst zögerten, das Überqueren jedoch einleiteten, als sie erkannten, dass das Shuttle die Geschwindigkeit verringert. Während des Überquerens wurde das Shuttle dabei genau im Auge behalten.
Überhaupt wurden zahlreiche Situationen erfasst, in welchen Fußgänger (querend oder entgegenkommend) ihre Aufmerksamkeit stark auf das Shuttle richteten. Aus den Videoaufzeichnungen kann jedoch nicht entnommen werden, ob dies aus allgemeinem Interesse an automatisierten Fahrzeugen geschah, oder ob die Fußgänger dies aus Sicherheitsgründen für notwendig hielten.
7.4 Diskussion
Die Ergebnisse der Feldstudie liefern einige interessante Erkenntnisse in Hinblick auf die gestellten Forschungsfragen. Bezüglich der evaluierten Fragebögen lässt sich feststellen, dass die allgemeine Akzeptanz gegenüber automatisierten Fahrzeugen hoch ist, und die von Reig et al. (2018) gewonnenen Ergebnisse bestätigt werden können. Aus der Sicht von VRUs zeigt sich zusätzlich ein Zusammenhang zur allgemeinen Einstellung gegenüber künstlicher Intelligenz und neuartigen Technologien im Allgemeinen. Personen, welche diesbezüglich aufgeschlossen sind, scheinen automatisierten Fahrzeugen gegenüber offen und glauben auch, dass diese einen Sicherheitsgewinn darstellen. Dies ist insbesondere wertvoll, da es sich bei dieser Studie nicht nur um eine andere Stichprobe unter anderen kulturellen Voraussetzungen, sondern auch um ein anderes Fahrzeug handelt. Des Weiteren legen die Ergebnisse nahe, dass zumindest aus der Sicht von VRUs keine großen Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Personen erkennbar sind. Ältere Personen haben das Shuttle bezüglich Akzeptanz und pragmatischer Qualität zwar signifikant besser bewertet, allerdings könnte dieser Unterschied auch durch Interviewer-Bias entstanden sein – möglicherweise wollten sich ältere Probanden gegenüber den Experimentleitern als besonders aufgeschlossen zeigen. Auch was die Erwartungen an die Kommunikationssysteme automatisierter Fahrzeuge betrifft, waren in der Inhaltsanalyse der Interviews kaum Unterschiede zwischen den beiden Zielgruppen zu erkennen. Im Gegensatz zu den bisher präsentierten und technisch ausgefallenen Lösungen, scheinen VRUs in erster Linie Konzepte zu bevorzugen, die bereits aus dem Straßenverkehr bekannt sind, wie Ampelsysteme oder Klingeln/Hupen. Wichtig erscheint vor allem der Wunsch nach unmissverständlich klaren und standardisierten Systemen (RQ1).
Die Ergebnisse der durchgeführten Videoanalyse, bei der potenziell missverständliche Situationen beim Zusammentreffen von VRUs mit automatisierten Fahrzeugen identifiziert werden sollten, decken sich mit den subjektiv erhobenen Daten. Vorhersehbares Verhalten von automatisierten Fahrzeugen erscheint besonders wichtig zu sein, um VRUs zu ermöglichen, sich selbst an die Situation anzupassen. Ein Szenario, welches dabei oft betrachtet wird, kam in der Videoanalyse selten vor: Kommunikation beim Überqueren der Straße. Ähnlich wie bei Rothenbücher et al. (2016) scheinen VRUs nicht häufig über den Vorrang zu verhandeln, sondern die Straße dann zu überqueren, wenn das Fahrzeug noch weit genug entfernt ist bzw. die Geschwindigkeit verringert. Dafür trat in der Videoanalyse eine ganz andere Situation in großer Häufigkeit in den Vordergrund: Kommen dem automatisierten Shuttle VRUs oder manuell gesteuerte Fahrzeuge entgegen, so führt im manuellen Verkehr gelerntes Verhalten schnell zu Problemen. Erstens bewegt sich das Shuttle auf einer festen Bahn zwischen den Spurmarkierungen und weicht auch dann nicht aus, wenn genügend Platz vorhanden wäre. Zusätzlich ist es für VRUs kaum erkennbar, welche Abstände sie einhalten müssen, um den Betrieb des Shuttles nicht zu beeinträchtigen. Studienteilnehmer wiesen in Interviews darauf hin, dass das Shuttle kommunizieren sollte, ob ein VRU erfasst wurde, und waren oft verwundert, warum das Shuttle die Geschwindigkeit verringert, obwohl sie doch einen an sich ungefährlichen und großen Seitenabstand einhielten (RQ2). Dies zeigt, dass automatisierte Fahrzeuge anderen Verkehrsteilnehmern kommunizieren sollten, wenn diese dem Fahrzeug zu nahe kommen – hierfür könnte man zum Beispiel den einzuhaltenden Sicherheitsabstand rund um das Fahrzeug auf den Boden projizieren oder ein Eindringen in diesen mit LED-Streifen/Lichtsignalen sichtbar machen. Im Hinblick darauf, dass moderne Verkehrsplanung oft die Wichtigkeit von sogenannten „Shared Spaces“ (Hamilton-Baillie 2004) betont, in welchen sämtliche Verkehrsteilnehmer gleichwertig behandelt werden, müssen derartige Konflikte vermieden werden.
7.4.1 Einschränkungen und zukünftige Arbeiten
Zukünftige Studien müssen die Größe und Diversität der Stichprobe erhöhen, um die erhobenen Erkenntnisse zu generalisieren. Auch die niedrige Geschwindigkeit des Shuttles, sowie die – im Vergleich zu größeren und dichter besiedelten Städten – niedrige Einwohnerzahl in Bad Birnbach könnten die Studie beeinflusst haben. Man könnte allerdings auch vermuten, dass die Anzahl der hier demonstrierten Problemsituationen in dichter besiedelten urbanen Regionen weiter steigt. Durch den engen Bildausschnitt der verwendeten GoPro-Kamera lässt sich des Weiteren nicht ausschließen, dass andere wichtige Situationen erst gar nicht erfasst wurden. Nichtsdestotrotz können aus den gewonnenen Erkenntnissen einige Empfehlungen für zukünftige Arbeiten abgegeben werden:
7.4.1.1 Implikationen für AV/VRU-Interaktionsdesign
Ungeschützten Verkehrsteilnehmern sollte ermöglicht werden, zukünftige Aktionen von automatisierten Fahrzeugen vorherzusagen. Diese erwarten sich ein ähnliches Verhalten wie auch bei manuell gesteuerten Fahrzeugen. Automatisierte Fahrzeuge sollen sich an die Verkehrsregeln halten und die Geschwindigkeit verringern, wenn ein VRU die Straße überqueren möchte. Sollte Kommunikation doch notwendig sein, reichen einfache Hinweise (Lichtsignale, Hupen, etc.), welche bekannten Konzepten wie Ampelsystemen oder Verkehrsschildern ähneln sollen. Dabei ist es ebenfalls wichtig, auch Personen mit Einschränkungen (z. B. Personen mit Seh- oder Gehörschwäche) zu berücksichtigen. Auch wünschen sich VRUs ein ähnliches Verhalten von allen Fahrzeugen, was die Dringlichkeit von Standards für Kommunikationssysteme hervorhebt.
7.4.1.2 Implikationen für zukünftige Arbeiten
Ein automatisiertes Fahrzeug sollte VRUs explizit kommunizieren, dass diese von den Sensorsystemen erkannt wurden. Während das klassische Überqueren der Straße vor dem Fahrzeug nicht häufig zu Unsicherheiten führte, traten Probleme vor allem dann auf, wenn VRUs dem Fahrzeug entgegen kamen oder sich neben diesem befanden. Speziell in Shared Spaces, in welchen häufige Interaktionen zwischen VRUs und automatisierten Fahrzeugen zu erwarten sind, muss klar sein, wo der Bereich beginnt/endet, in dem das Fahrzeug auf andere Verkehrsteilnehmer reagiert.
7.5 Fazit
In diesem Kapitel wurde die Akzeptanz von automatisierten Fahrzeugen aus Sicht ungeschützter Verkehrsteilnehmer evaluiert. Dazu wurden (1) potenziell problematische Situationen identifiziert, welche sich durch Interaktion im Außenraum ergeben sowie (2) Anforderungen an zukünftige Kommunikationssysteme erhoben. Die Resultate zeigen, dass die Akzeptanz gegenüber automatisierten Fahrzeugen hoch ist und stark von der Einstellung gegenüber technischen Neuerungen allgemein abhängt. Zusätzlich wurde gezeigt, dass häufig genannte Problemsituationen (wie explizite Kommunikation beim Überqueren der Straße) in der Realität in nur geringer Häufigkeit vorkamen, während andere Situationen regelmäßig zu Problemen führten. In besonders vielen Situationen reagierte das Fahrzeug aktiv auf Personen, welche eigentlich versuchten, den Einflussbereich des Shuttles zu verlassen. Für einen reibungslosen Betrieb sollen zukünftige Fahrzeuge ihre Absichten und ihren Systemzustand kommunizieren, und dabei die im Rahmen der Studie erhobenen Benutzeranforderungen erfüllen. Ungeschützte Verkehrsteilnehmer bevorzugen dabei einfache und schnell interpretierbare Kommunikationsmethoden, welche standardisiert sind und anderen aus dem Verkehr bekannten Konzepten ähnlich sind. Weitere Details zu dieser Studie finden Sie in Löcken et al. (2019).
7.6 Danksagung
Wir bedanken uns bei der Gemeinde Bad Birnbach, der Geschäftsführung der Rottal Terme, sowie Isabella Thang für die Unterstützung bei der Rekrutierung der Versuchsteilnehmer sowie der Durchführung der Studie.
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